Qualitätsnetzwerk und Assistenzsystem für eine bessere Medizinberichterstattung in Regionalmedien
Spätestens seit der Pandemie sind Medizinthemen in Regionalmedien wieder präsenter geworden, aber auch allgemeine Gesundheits- und Ernährungstipps bleiben ein häufiges Thema. Oft gibt es dort allerdings nur wenige spezialisierte Redakteurinnen und Redakteure, die medizinische Studien und Fachleute schnell und kompetent bewerten können. Im Rahmen des Medien-Doktor-Projektes „Medien-Doktor ASSISTANCE“ wollen wir daher zusammen mit Praxis-Partnern der Ruhr Nachrichten und der Nürnberger Zeitung sowie weiterer Redaktionen im Rahmen eines Qualitätsnetzwerks die Qualität der Wissenschafts- und Medizinberichterstattung in Regionalmedien verbessern. Die hier aufgeführten Gutachten sollen zunächst beispielhaft helfen, die besonderen Bedürfnisse und Anforderungen lokaljournalistischer Medienberichterstattung herauszuarbeiten. Sie erscheinen mit einem entsprechenden Vermerk, der auf das ASSISTANCE-Projekt verweist, auf unseren Seiten auch unter „Alle bewerteten Beiträge“. Die Erkenntnisse aus den Begutachtungsprozessen speziell von Regionalmedien sollen später in die Entwicklung des Prototyps für ein teilautomatisiertes System fließen, das Redaktionen bei der Einhaltung von Qualitätsmaßstäben in der Wissenschaftsberichterstattung unterstützt. Der Medien-Doktor ASSISTANCE ist ein Kooperationsprojekt des Lehrstuhls Wissenschaftsjournalismus, der Fakultät für Statistik an der TU Dortmund und des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme. Das Projekt wird von der Wissenschaftspressekonferenz (wpk) im Rahmen des Innovationsfonds Wissenschaftsjournalismus gefördert.
Alle Beiträge des Specials
Ein Artikel in der Badischen Zeitung (online / Paywall) berichtet über die grundlegende Erforschung eines neuartigen Corona-Impfstoffs an Hamstern. Dabei stellt er den bisher erkennbaren Nutzen verständlich dar, geht aber nicht auf mögliche Risiken ein. Die schon verfügbaren Alternativen zu dem neuartigen Impfstoff kommen zur Sprache und die Qualität der Evidenz wird zumindest teilweise beschrieben. Dabei geht der Bericht über eine die Publikation begleitende Pressemitteilung hinaus und gewährt Einblicke in ein spannendes Forschungsprojekt. Der Text ist attraktiv geschrieben, geht teilweise aber so ins Detail, dass die Verständlichkeit darunter leidet.
Der Titel des Beitrags in der Tageszeitung (taz, online) suggeriert, es gebe eine aktuell neue Therapie gegen die Frozen Shoulder aus dem Bereich der Traditionell Chinesischen Medizin (TCM). Dieser Anspruch wird aber nicht erfüllt, im Gegenteil: Die zitierte Studie ist schon einige Jahre alt, die (offensichtlich gemeinte) weitere Publikation zur Therapie von Neuropathien an den unteren Extremitäten ebenfalls. Zudem wird nicht klar gemacht, dass die Studie zur Frozen Shoulder lediglich bei akuten Schmerzen einen Effekt beobachtet hatte, nicht jedoch bei chronischen Schmerzen, die viel eher die Erkrankung kennzeichnen. Zudem hat der Artikel einen stark werbenden Charakter.
Der journalistische Beitrag in der Märkischen Allgemeinen (online, Paywall) berichtet über eine Magenverkleinerung bei einer Patientin mit Adipositas. Er beschreibt dabei lediglich diesen Einzelfall, es fehlen sämtliche Informationen zu Nutzen und Risiken solcher Operationen. Über das Verfahren selbst erfährt man leider nur wenig, welche unterschiedlichen OP-Methoden es gibt, spricht der Beitrag nicht an.
Der journalistische Beitrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nimmt die US-Zulassung zum Anlass, um über ein neues Medikament gegen Hitzewallungen während der Wechseljahre zu berichten. Das neuartige Wirkprinzip wird verständlich beschrieben. Der Artikel macht deutlich, dass sich hier interessante Möglichkeiten auftun für Frauen, die keine Hormonpräparate einnehmen können oder wollen. Auch Nebenwirkungen werden im Text benannt.
Der Artikel in der Augsburger Allgemeinen Zeitung stellt die mögliche lebensverlängernde Wirkung von Taurin verständlich dar und berücksichtigt Risiken und Nebenwirkungen einer Taurin-Einnahme auf angemessene Weise. Ob die Substanz als Therapie verfügbar ist, wird allerdings nicht deutlich, auch nicht, in welchen Lebensmitteln (außer in Energy-Drinks) sie enthalten ist. Alternativen zur Einnahme von Taurin kommen nicht zur Sprache, ebenso wenig wie die Kosten. Der Beitrag ordnet die Studienlage gut ein, nennt aber keine unabhängigen Experten oder Quellen. Eine journalistische Eigenleistung ist leider nicht zu erkennen, da der Beitrag weitgehend einem Artikel des Redaktionsnetzwerk Deutschland entspricht, auf die der Beitrag aber immerhin Bezug nimmt. Doch vermittelt der Text das Thema attraktiv und auch für Laien verständlich.
Ein Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (online) berichtet über die weltweit erste Zulassung eines Impfstoffs gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) in den USA. Im Text wird der Stand der Entwicklung dargelegt, der Beitrag bezieht sich auf eine aktuelle Fachpublikation und noch weitere Quellen. Der Nutzen des Impfstoffs wird jedoch nur unzureichend dargestellt: Statt absoluten Zahlen werden nur Prozentangaben verwendet. Gut gelungen ist die Erläuterung der verschiedenen anderen RSV-Impfstoffe, die derzeit in der Entwicklung sind.
Ein Artikel der Zeitung „Augsburger Allgemeine“ (online) beschreibt die Erprobung eines neuen Diagnoseverfahrens für Parkinson. Der journalistische Beitrag macht ausreichend klar, dass der Test erst entwickelt wird und noch nicht allgemein zur Verfügung steht. Wie zuverlässig die Diagnostik ist, lässt der Text jedoch nicht erkennen, da wesentliche Informationen zu Sensitivität und Spezifität des Tests fehlen. Die ethische Problematik, die mit der frühzeitigen Diagnose einer nicht heilbaren Erkrankung verbunden ist, spricht der Beitrag leider auch nicht an.
Ein journalistischer Beitrag im „Münchner Merkur“ berichtet über die Entwicklung eines neuen Sars-Cov-2-Impfstoffs, der abgeschwächte Erreger enthält und als Nasenspray verabreicht werden könnte. Es wird klar, dass es sich bisher ausschließlich um Tierversuche handelt, und die Erprobung am Menschen erst im Rahmen einer ersten klinischen Studie geplant ist. Dabei wird die Zusammenarbeit mit einem Start-up-Unternehmen erwähnt, nicht jedoch der Patentantrag einiger beteiligter Forscher. Die Ergebnisse der bisherigen Versuche sind nur unzureichend und teils unverständlich beschrieben. Wie viele Tiere mit welchen Impfstoffen in welchen Kombinationen geimpft wurden, und welche Vorteile sich dabei für den neuen Impfstoff-Kandidaten zeigten, erläutert der Artikel nicht. Er geht nicht über die – sehr viel informativere – Pressemitteilung hinaus und lässt keine eigenständige Recherche erkennen.
Die Kriterien des
Medien-Doktor GESUNDHEIT
- POSITIVE EFFEKTE (NUTZEN)
- RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN
- VERFÜGBARKEIT
- ALTERNATIVEN
- KOSTEN
- KRANKHEITSÜBERTREIBUNG / -ERFINDUNG
- BELEGE / EVIDENZ
- EXPERTEN / QUELLENTRANSPARENZ
- INTERESSENKONFLIKTE
- EINORDNUNG IN DEN KONTEXT
- FAKTENTREUE
- JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG
- ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG
- VERSTÄNDLICHKEIT
- THEMENAUSWAHL
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