Bewertet am 31. Juli 2023
Veröffentlicht von: taz (online)

Der Titel des Beitrags in der Tageszeitung (taz, online) suggeriert, es gebe eine aktuell neue Therapie gegen die Frozen Shoulder aus dem Bereich der Traditionell Chinesischen Medizin (TCM). Dieser Anspruch wird aber nicht erfüllt, im Gegenteil: Die zitierte Studie ist schon einige Jahre alt, die (offensichtlich gemeinte) weitere Publikation zur Therapie von Neuropathien an den unteren Extremitäten ebenfalls. Zudem wird nicht klar gemacht, dass die Studie zur Frozen Shoulder lediglich bei akuten Schmerzen einen Effekt beobachtet hatte, nicht jedoch bei chronischen Schmerzen, die viel eher die Erkrankung kennzeichnen. Zudem hat der Artikel einen stark werbenden Charakter.

Zusammenfassung

Der Artikel in der Tageszeitung (taz, online) stellt ein Zentrum und eine angeschlossene Praxis zur Erforschung von Verfahren der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) in Hamburg vor, das zu einem Teil zur Uniklinik Hamburg, zu einem Teil einer privaten Versicherung gehört. Die im Artikel angesprochenen Nutzeneffekte einzelner Therapieoptionen werden viel zu oberflächlich dargestellt, auf mögliche Risiken und Nebenwirkungen geht der Text gar nicht ein. Es wird weitgehend klar, dass die Verfahren verfügbar sind, allein, weil es sich um „traditionelle“ Verfahren handelt. Der Artikel äußert an keiner Stelle irgendeine Kritik an der TCM oder den einzelnen Verfahren, und erklärt Leserinnen und Leser auch nicht die Kontroverse, die um die TCM besteht. Der Artikel macht deutlich, wer das Zentrum finanziert, zitiert aber lediglich einen Vertreter des Zentrums. Externe Experten kommen nicht zu Wort. Wie gut die TCM belegt ist oder welche Aussagekraft die angesprochenen Studien haben, erfahren Leser und Leserinnen nicht. Der Artikel stellt die TCM und darin die Akupunktur als etwas dar, das letzte Rettung verspricht, nur nicht genug bekannt ist. Die Patient*innen müssen jedoch in aller Regel alles selbst bezahlen, der werbende Charakter des Artikels ist offensichtlich und macht in solchem Kontext Privatleistungen (eine private Krankenkasse ist zudem beteiligt) attraktiv.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel behauptet verschiedene positive Effekte von TCM-Therapien wie etwa: „(..) dass Akupunktur bei einer schmerzhaften Schultersteife, der ,Frozen Shoulder´, die Schmerzen lindern kann.“ Die Studie zur Therapie der Frozen Shoulder belegt jedoch lediglich einen positiven Effekt auf die sofortige Schmerzreduktion („immediate pain relief“, das betont sogar eigens der Titel der Studie). Zudem wird das Ausmaß der Schmerzreduktion im Vergleich zu Placebo nicht beschrieben. Was ebenfalls komplett fehlt, ist der Hinweis, dass Akupunktur zusätzlich zur konservativen Therapie (hier wohl Kortikosteroide und Physiotherapie) effektiver ist als konservative Therapie allein, siehe auch hier.

Als weitere Aussagen findet sich im journalistischen Beitrag: „Weitere Studien zeigten, dass die chinesische Nadel-Behandlung bei einer bestimmten Nervenschädigung an den Füßen, die häufig durch eine Chemotherapie oder Diabetes ausgelöst wird, helfen kann.“ Das bezieht sich wohl auf diesen Review, der aber viele Fragen aufwirft, widersprüchlich ist (Fragebogenresultate zeigen Besserung, die in der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit jedoch nicht replizierbar ist), außerdem überhaupt keine Effekte auf wirklich schwere neuronale Symptome zeigt und allgemein nur im Vergleich zu Medikamenten, die ihrerseits notorisch schlechte Effektivität aufweisen.

In keinem Fall wird der Nutzen der Therapien konkret beschrieben und in Zahlen gefasst. Da im Artikel allerdings die Vorstellung des Zentrums und nicht die einzelnen Therapien stehen, werten wir nur knapp „nicht erfüllt“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt

Ob die TCM-Verfahren auch Risiken und Nebenwirkungen haben, wird nicht thematisiert. So weist etwa diese Übersichtsarbeit darauf hin, dass die Verfahren nicht per se sicher sind (siehe hier).

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es ist bekannt, dass die TCM verfügbar ist. Leserinnen und Leser können daraus schließen, dass auch die angesprochenen Therapien verfügbar sind, auch wenn es interessant gewesen wäre zu erfahren, ob die angesprochenen Verfahren bei jedem beliebigen Arzt oder Zentrum der TCM verfügbar sind oder nur bei Spezialisten.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Wie gut die Verfahren im Vergleich zu anderen Therapieansätzen sind, wird im Text nicht thematisiert. Für die Frozen Shoulder werden keine Alternativen genannt (konservativ, Steroide, Schmerzhemmer, Physiotherapie, bzw. Lösung der Adhäsion unter Lokalanästhesie bzw. Operation). Zudem fehlt der Hinweis, dass eine Frozen Shoulder von allein wieder ausheilen kann.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Im Text heißt es zu den Kosten der TCM: „Zudem ist die Behandlung mit TCM aktuell sehr teuer, oft müssen Patient*innen die Kosten selber tragen. Das sei gerade bei chronischen Krankheiten viel Geld, sagt Schröder. Mit der Forschung wolle das Zentrum es schaffen, dass TCM keine Elite-Medizin bleibe und für die breite Bevölkerung zugänglicher werde.“ Leider erfahren Leser*innen nicht an einem Beispiel, welche Kosten konkret auf sie zukommen können. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es werden einzelne Erkrankungen genannt, diese aber kaum beschrieben und auch nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Wie gut die Belege für die angesprochenen Therapien sind, oder wie aussagekräftig die Studien sind, die angeblich einen Nutzen nachweisen, wird nicht erläutert. Eine etwas ältere Übersichtsarbeit (Rookmoneea, M. et al. 2010) kommt zu dem Ergebnis: „Auch für die Wirksamkeit der Akupunktur gibt es nur unzureichende Belege (…).“

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es kommt nur der Geschäftsführer des Zentrums zu Wort.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Auch wenn man dazu gern mehr erfahren hätte, macht der Artikel deutlich, dass das Zentrum in der Mehrheit einem privaten Versicherungsunternehmen gehört, das u.a. eine private Krankenversicherung anbietet, die ebenfalls TCM in ihrem Produktportfolio anbietet.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Artikel macht zwar deutlich, dass es das Zentrum schon seit 2010 gibt und wie es mit der Uniklinik in Hamburg verbunden ist. Der Text macht indes in keiner Weise deutlich, welche Kritik es an der TCM gibt.

Zudem hätte erwähnt werden können, dass die Akupunktur kein neues Verfahren ist, was die Therapie von Schulterschmerzen/Frozen Shoulder angeht.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im Text haben wir keine Faktenfehler gefunden, bis auf die Aussage: „Das Verfahren ist aber nur ein Teil der über 2000 Jahre alten Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).“ Einzelne Verfahren sind womöglich sehr alt. Doch ist der Begriff der TCM, der viele verschiedene Verfahren zu einer einheitlichen Gruppe zusammenfasst, noch sehr jung. So heißt es etwa in der Wikipedia: „Der Begriff wurde ursprünglich vom kommunistischen Politiker und Machthaber Mao Zedong eingeführt und gilt als ideologisch motiviertes Kunstprodukt. Die „im Westen“ gebräuchliche Bezeichnung traditionelle chinesische Medizin ist in China unüblich.“ Da auch der Nutzen der Therapie bei Frozen Shoulder zumindest missverständlich formuliert wird, werten wir das Kriterium nur knapp „erfüllt“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der journalistische Beitrag bezieht sich zwar nicht auf eine Pressemitteilung, hat jedoch einen stark werblichen Charakter. Daher werten wir hier „nicht erfüllt“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel verpasst die Chance, das Thema der TCM anhand eines oder mehrerer Patienten zu schildern. Auch die Therapie selbst wird nur sehr allgemein und nicht sehr anschaulich beschrieben.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel stellt auf verständliche Art und Weise den TCM-Bereich vor, der teils in Händen der UKE und teils in den Händen einer privaten Krankenversicherung ist. Allerdings hätte der Begriff „Kolibri-Thema“ erklärt werden müssen, ebenso wie „Tuina“. Die Besonderheit der Akupunktur wird leider auch nicht ausreichend erläutert: „kleine, dünne Nadeln“ werden angewendet, „Durchblutung und Nervensystem“ sollen angeregt werden. Es wird auch nicht klar, warum etwa Rohkost nicht als gesund angesehen wird. Das wäre ein sehr interessanter Punkt, der aber nur behauptet, nicht begründet wird.

Insgesamt hinterlässt der journalistische Beitrag mehr Fragen als Antworten. Warum etwa beteiligt sich eine Uniklinik an solcher Forschung, warum ist da eine Versicherung mit im Boot? Warum braucht es überhaupt ein solches Konstrukt? Ist die Kooperation mit der Uniklinik allgemein akzeptiert oder gibt es auch Kritik? Dies alles wird im Artikel nicht diskutiert und bleibt für die Leserinnen und Leser unverständlich. Daher werten wir insgesamt „nicht erfüllt“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Es bleibt völlig offen, warum der Artikel gerade jetzt erscheint. Es ist kein aktueller Anlass erkennbar, eine Relevanz wird auch nicht deutlich gemacht. Auch wenn es ungewöhnlich ist, dass in Kombination mit einem Uniklinikum eine alternative Heilmethode erforscht wird, wird nicht deutlich, warum der Artikel erscheint. Daher werten wir knapp „nicht erfüllt“.

Medizinjournalistische Kriterien: 5 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 2 auf 1), da die TCM völlig unkritisch beschrieben wird, der Artikel damit einen stark werbenden Charakter erhält.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar