Die Kriterien

 

Eine Übersicht der Kriterien des Medien-Doktor GESUNDHEIT, Medien-Doktor ERNÄHRUNG und Medien-Doktor UMWELT können Sie hier als pdf herunterladen.

Bewertete Beiträge

Bewertet werden journalistische Beiträge (mehr als 200 Wörter) aus Publikumsmedien, bei denen im Zentrum der Berichterstattung (d. h. in mehr als 50 Prozent des Beitrags) eine Therapie, ein diagnostischer Test, ein medizinisches Produkt oder Verfahren steht. Die nachfolgenden Kriterien sollen Journalisten und Journalistinnen als Leitfaden dienen. Sie sollen dabei helfen, die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen zu einem Thema innerhalb der Möglichkeiten der jeweiligen Redaktion möglichst sorgfältig aufzubereiten.

Medizin- und wissenschaftsjournalistische Kriterien

1. Positive Effekte (Nutzen)

Wie ist der mögliche Nutzen einer Therapie/ eines Tests/ eines Produkts oder eines Verfahrens dargestellt?

Wenn ein journalistischer Beitrag zum Beispiel über eine neue Therapie berichtet, ist es für die Leser, Zuhörer oder Zuschauer enorm wichtig, etwas über den Nutzen dieser Behandlung zu erfahren. Um eine echte Hilfestellung zu bieten, sollte dieser Nutzen quantitativ dargestellt werden. Dabei genügt es allerdings nicht, in den Beiträgen nur relative Zahlen anzugeben, wie er oft in wissenschaftlichen Studien angegeben wird, etwa, dass das Risiko einer Hüftfraktur durch eine neue Therapie um 50 Prozent sinkt. Was zunächst wie ein großer Erfolg klingt, kann in absoluten Zahlen nämlich bedeuten, dass das Risiko lediglich von zwei auf ein Prozent gesunken ist. Um den Mediennutzern keinen verzerrten Eindruck vom Nutzen einer Behandlung zu vermitteln, sollten journalistische Beiträge daher stets absolute Zahlen verwenden.

Grundsätzlich sollte der Nutzen eines Verfahrens nicht kleiner oder größer dargestellt werden als in der Quelle (z. B. die Studie) beschrieben.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • der mögliche Nutzen nicht quantifiziert wird.
    • nur relative, aber keine absoluten Nutzenangaben gemacht werden.
    • statt Studienergebnissen einzelne, positive Erlebnisberichte von Patienten im Mittelpunkt des Beitrags stehen.
    • Statistiken zwar angemessen zitiert werden, der gesamte Beitrag jedoch durch eine unwidersprochene, übertriebene Aussage völlig unausgewogen wird.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Ist der Nutzen wirklich so groß oder klein, wie er dargestellt wird?

2. Risiken und Nebenwirkungen

Werden bzw. wie werden Risiken und Nebenwirkungen dargestellt?

Ein Beitrag sollte immer auf mögliche Nebenwirkungen eines neuen Verfahrens oder einer Behandlungsart eingehen. Im Idealfall beschreibt er, wie häufig und wie schwer die Nebenwirkungen einer Therapie sind. Wobei zu beachten gilt, dass auch vermeintlich leichte Nebenwirkungen sich auf das Leben einzelner Menschen dramatisch auswirken können.
Werden mögliche Schäden einer Therapie in einem Beitrag heruntergespielt, ist dieses Kriterium mit „nicht erfüllt“ zu bewerten. Ebenso würde man werten, wenn mögliche Schäden eines Verfahrens nicht quantifiziert werden, obwohl die Zahlen in der besprochenen Studie zu finden sind. Anekdoten von Patienten reichen zur Darstellung der Nebenwirkungen dagegen nicht aus.
Insgesamt sollte ein Beitrag Nebenwirkungen nicht leichter oder schwerer darstellen als in den vorhandenen Quellen (z.B. wissenschaftlichen Studien) dargelegt.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z.B. …

    • mögliche Nebenwirkungen nicht erwähnt werden.
    • mögliche Nebenwirkungen nicht quantifiziert werden (falls die Nebenwirkungen zentral für die Berichterstattung sind).
    • der Schweregrad möglicher Schäden nicht beschrieben wird.
    • vermeintlich unbedeutende Nebenwirkungen nicht berücksichtigt werden, die aber einen beträchtlichen Einfluss auf das Leben eines Patienten haben könnten.
    • sich zu sehr auf Anekdoten von Patienten verlassen wird (v. a., wenn es um die Sicherheit geht).
    • nur ein an der Studie beteiligter Mediziner im Beitrag erklärt, dass ein Verfahren sicher ist – ohne diese Aussage durch objektive Daten zu untermauern.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Welche Risiken und Nebenwirkungen hat ein Verfahren oder ein Produkt etc.?

3. Verfügbarkeit

Ist eine Therapie oder Test/Produkt/Verfahren bereits verfügbar?

Besonders relevant ist dieses Kriterium, wenn es im journalistischen Beitrag um ein neues Medikament oder ein neues Verfahren geht. Im journalistischen Beitrag sollten die Leser/Zuhörer/Zuschauer erfahren, in welcher Phase der Erforschung sich das Medikament oder Verfahren befindet (z. B. ob es erst in einer Pilotstudie erprobt wurde oder bereits zugelassen ist).

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • nicht klar wird, dass eine Arznei noch nicht verfügbar ist.
    • die Zulassung eines Medikaments als abgeschlossene Sache behandelt wird.
    • zu spekulative Vorhersagen darüber gemacht werden, wann das Medikament zugelassen werden „könnte“ oder „sollte“.
    • nur die Angaben eines Firmensprechers als Grundlage für Vorhersagen dienen, wann ein Medikament verfügbar sein wird.
    • nicht ausreichend deutlich wird, wie verbreitet eine Anwendung ist (wird sie an jedem Krankenhaus angeboten oder nur Spezialkliniken?).
    • der journalistische Beitrag nicht erklärt, wie verfügbar spezialisiertes Fachpersonal ist (z. B. wenn es um neue chirurgische Eingriffe geht).

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Kann ich die Therapie oder das Verfahren bereits erhalten?

4. Alternativen

Werden Alternativen zur vorgestellten Therapie/Test/Produkt/Verfahren erwähnt?

Ein Artikel sollte ein neues Verfahren stets im Zusammenhang bereits bestehender Alternativen darstellen. Auch der Nutzen der alternativen Optionen sollte im Beitrag deutlich werden. Gibt es noch keine weitere Behandlung, sollte auch dies erwähnt werden – etwa, dass Ärzte bisher nur die Symptome einer Erkrankung lindern konnten (z. B. die Schmerzen), es bislang aber keine ursächliche Therapie dagegen gab.

Es sollte auch nicht vergessen werden, dass „nichts zu tun“ ebenfalls eine Alternative sein kann.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • ein chirurgischer Eingriff besprochen wird, ohne auf nicht-chirurgische Alternativen zu verweisen.
    • ein neuer Test vorgestellt wird, ohne auf alternative Tests zu verweisen oder auf die Option, darauf verzichten zu können (etwa bei Screening-Tests).
    • es nicht gelingt, Vor- und Nachteile einer neuen Idee im Vergleich zu bestehenden Verfahren zu diskutieren.
    • nicht dargestellt wird, wie die neue Therapie/Test/Produkt/Verfahren in das Spektrum bestehender Alternativen passt.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Werden Alternativen zu der Therapie/dem Produkt/dem Verfahren werden genannt?

5. Kosten

Werden Kosten in der Geschichte angesprochen?

Ein journalistischer Beitrag sollte die wahrscheinlichen Kosten eines neuen Verfahrens, eines Tests oder eines Produktes in angemessener Weise thematisieren. Der Preis eines Medikaments wird zum Zeitpunkt des Markteintritts bekannt sein, die Kosten neuer Verfahren sind dagegen manchmal schwer zu berechnen. Oft ist auch eine Schätzung von Seiten der Experten hilfreich. In seltenen Fällen müssen Kosten auch nicht erwähnt werden, etwa, wenn ein journalistischer Beitrag die Studie zu einem Wirkstoff im Tierversuch beschreibt. Dann gilt das Kriterium trotz Nichterwähnung als „erfüllt“.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z.B. …

    • die Kosten eines Verfahrens nicht angesprochen werden.
    • Kosten ohne befriedigende Erklärung heruntergespielt werden.
    • die Kosten eines neuen Verfahrens nicht mit existierenden Alternativen verglichen werden (teurer/billiger).
    • nicht deutlich wird, ob die Krankenkassen für die Kosten des neuen Verfahrens aufkommen werden.

Wichtige Frage, die für den Mediennutzer zu klären wäre:
Zahlt das meine Krankenkasse bzw. wie viel muss ich selbst bezahlen?

6. Krankheitsübertreibung/-erfindung

Gibt es Anzeichen für Krankheitsübertreibungen/-erfindungen („Disease mongering“)?

Hier geht es darum, ob in einem Beitrag eine Erkrankung oder ein gesundheitliches Phänomen übertrieben dargestellt wird. Es gibt verschiedene Formen der Übertreibung (Disease Mongering):

  • Risikofaktoren werden als Krankheit behandelt (z. B. geringe Knochendichte wird zu Osteoporose).
  • falsche/ungenaue Darstellung des natürlichen Verlaufs und/oder der Schwere einer Erkrankung (z. B. Prostatakrebs in einem frühen Stadium)
  • Medikalisierung geringer oder kurzfristiger Schwankungen einer Funktion (z. B. zeitweise Potenzprobleme bei Männern oder sexuelle Unlust bei Frauen)
  • Medikalisierung normaler Vorgänge/Lebensphasen (Haarausfall, Falten, Schüchternheit, Menopause)
  • Die Häufigkeit einer Krankheit/Störung wird übertrieben dargestellt (z. B. indem man Bewertungsskalen („rating scales“) nutzt, um eine erektile Dysfunktion zu diagnostizieren).

Eine Krankheitserfindung dagegen ist nur selten offensichtlich. Meist ist es nicht einfach, festzulegen, ob ein Beitrag Beschwerden wie ein Reizdarmsyndrom, unruhige Beine oder Osteoporose (die für einige Betroffene ernsthafte Probleme darstellen) unverhältnismäßig als Erkrankung beschreibt.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • mangelhafte Statistiken präsentiert werden.
    • die Folgen für eine Person übertrieben werden.
    • unangemessen Angst geschürt wird.
    • zum Beispiel Laborwerte behandelt werden als wären sie eine Krankheit (so genannte Surrogatmarker-Endpunkte).
    • Interviews mit besonders schwer betroffenen Patienten enthalten sind – und der Eindruck erweckt wird, ihre Erfahrung sei repräsentativ für alle mit dieser Erkrankung.

Dieses Kriterium findet allerdings keine Anwendung, wenn ein journalistischer Beitrag eine Therapie/ein Verfahren/einen Test übertrieben positiv beschreibt. Diesen Aspekt decken die Kriterien zu Nutzen und Belegen ausreichend ab.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Ist das eine Krankheit/Symptomatik, über die ich mir Sorgen machen muss?

7. Belege/Evidenz

Versucht die Geschichte die Qualität der Belege einzuordnen?

Der journalistische Beitrag sollte die Qualität der vorgestellten Studie einordnen. Nur so können die Mediennutzer einschätzen, wie verlässlich die Aussagen zum neuen Verfahren sind. So sollten Forscher die Wirksamkeit einer neuen Therapie zum Beispiel in einer randomisierten Studie mit relevanten klinischen Endpunkten prüfen. Wenn dieser Anspruch nicht erfüllt wurde, sollte der journalistische Beitrag dies ansprechen.

Manchmal wird zum Beispiel über „vielversprechende“ Ergebnisse einer Fallserie (case series) berichtet, einer Art von Studien mit niedriger Beweiskraft. Hier sollte der journalistische Beitrag die Grenzen dieses Studiendesigns klar machen und darauf hinweisen, wie schwierig eine Interpretation der Studienergebnisse ist. Im Falle einer Kohorten- oder Beobachtungsstudie sollte zudem erklärt werden, dass Mediziner in der Untersuchung nicht alle Faktoren berücksichtigen können, die vielleicht einen Unterschied zwischen zwei Therapieverfahren erklären (zum Beispiel können neben der Behandlung auch die Ernährung, das Ausmaß an körperlicher Bewegung den Krankheitsverlauf beeinflussen, werden aber in der Beobachtungsstudie womöglich nicht erfasst).
Wie sehr die Aussagekraft einer Untersuchung vom Studiendesign abhängt, sollte der journalistische Beitrag erklären – und idealerweise die übliche Abstufung aufzeigen (engl.: hierarchy of evidence). Hier finden sich zwei Praxisberichte zu den unterschiedlichen Evidenzgraden der verschiedenen Studientypen:

Studien und Typen: Die Hackordnung der Glaubwürdigkeit:
Teil A: http://www.medien-doktor.de/gesundheit/sprechstunde/praxisberichte-1-studien-und-typen-die-hackordnung-der-glaubwurdigkeit-teil-a/
Teil B: http://www.medien-doktor.de/gesundheit/sprechstunde/praxisberichte-2-studien-und-typen-die-hackordnung-der-glaubwurdigkeit-teil-b/

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • es nicht gelingt, die Grenzen des jeweiligen Studiendesigns herauszustellen.
    • ein Hinweis fehlt, dass man bei der Interpretation von unkontrollierten Daten Vorsicht walten lassen muss.
    • kausale Zusammenhänge dargestellt werden, die durch das Studiendesign nicht belegt werden können.
    • nicht klargestellt wird, wo die Grenzen kleiner Studien liegen.
    • nicht darauf hingewiesen wird, dass zum Beispiel die Änderung eines Laborwerts mit positiven gesundheitlichen Auswirkungen gleichgesetzt wird (also ein so genannter Surrogatparameter verwendet wird).
    • nicht herausgestellt wird, dass auf Kongressen Studienergebnisse präsentiert werden, die noch kein strenges Begutachtungsverfahren durchlaufen haben (mangelndes peer review).
    • der Beitrag über Ergebnisse aus Tierversuchen oder Laborexperimenten berichtet, ohne darauf hinzuweisen, dass die Resultate nur eingeschränkt auf den Menschen übertragbar sind.
    • nur Anekdoten als Belege für den Nutzen einer Behandlung präsentiert werden.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Kann man mit den angeführten Belegen/Studienmethoden überhaupt diese Aussagen machen?

8. Experten/Quellentransparenz

Gibt es eine weitere, möglichst unabhängige Quelle?

Der Beitrag macht klar, woher die verwendeten Informationen und Bewertungen stammen und stützt sich dabei auf mindestens zwei geeignete, voneinander unabhängige Quellen. Zitierte Studien sollten eindeutig zu identifizieren sein. Es muss klar werden, wo diese publiziert wurden (Fachzeitschrift, Preprint-Server, Publikation eines Industrieverbandes oder einer Organisation).

Meist werden in einem Beitrag über eine neue Studie die Autoren der Untersuchung zitiert. Um den Beitrag ausgewogen zu gestalten, sollte jedoch mindestens eine weitere, unabhängige Quelle darin vorkommen, z.B. ein weiterer Experte, ein Zitat aus einer weiteren Studie, die offiziellen Empfehlungen einer Behörde oder einer Forschungsinstitution. Dabei darf weder der Experte noch die Institution in einer direkten Abhängigkeit zu den im Artikel vorkommenden Hauptexperten stehen (Interessenkonflikt durch große Nähe, vgl. Kriterium 9). Die Person sollte also nicht in derselben Arbeitsgruppe, derselben Universität oder Institution o.ä. arbeiten oder Co-Autor der im Artikel vorgestellten Studie sein.

Es sollte deutlich werden, warum ein Wissenschaftler in der jeweiligen Thematik als Experte gilt (oder zumindest eine Nachrecherche in Publikationsdatenbanken, Institutswebseiten oder Internetseiten des Experten sollte das ergeben). Zur Erklärung von Lehrbuchwissen (zum Beispiel zu allgemeinen Fragen des Stoffwechsels) ist der Anspruch an die Expertenauswahl geringer als bei der Darstellung neuer Studien aus der aktuellen Spitzenforschung.
In einem Interview sollte sich die zweite Stimme/zweite Meinung in den Interviewfragen wiederfinden, da es hier naturgemäß nicht möglich ist, eine zweite Quelle in die Antworten einzufügen.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • eine zweite unabhängige Quelle fehlt.
    • nicht deutlich wird, warum ein Experte für eine Zweitmeinung geeignet ist, welche Expertise er hat oder die Recherchen der Gutachter keine ausreichende Expertise ergeben.
    • ein ausgewählter weiterer Experte sich als abhängig vom ersten Experten erweist, weil er zum Beispiel in dessen Arbeitsgruppe arbeitet oder Co-Autor der vorgestellten Studie ist oder sonst in einer für das Thema relevanten Arbeitsbeziehung steht. Die Wertung ist unabhängig davon, ob diese Abhängigkeit im Artikel deutlich gemacht wird oder nicht. (siehe dazu auch Kriterium 9 Interessenkonflikte)
    • in einem Interview in den Fragen oder erklärendem Begleittext nicht auf andere Experten oder andere Quellen verwiesen wird.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Wie schätzen unabhängige Experten/Institutionen/Studien die Informationen zu Nutzen und Risiken einer Therapie oder zur Aussagekraft eines diagnostischen Verfahrens ein?

9. Interessenkonflikte

Liegen bei den im Beitrag angeführten Personen (insbesondere finanzielle) Interessenkonflikte vor?

Wir erwarten, dass in einem Beitrag vorhandene oder nahe liegende Interessenkonflikte angesprochen und gegebenenfalls eingeordnet werden. Denn vor allem Abhängigkeiten finanzieller Art können zu verzerrten Forschungsergebnissen und Interpretationen der Daten führen.
Daher sollte ein Beitrag klarstellen, ob bei einem Experten Interessenkonflikte vorliegen könnten, weil zum Beispiel eine Firma oder eine Organisation die Forschung finanziert, ein Patent oder ein Werbevertrag vorliegt oder der Experte an einem empfohlenen Produkt mitverdient. Auch wenn Mediziner meist Produkte/Therapien empfehlen, die sie selbst in ihrer Klinik einsetzen oder verkaufen, sollte dieser Zusammenhang deutlich werden.
Liegen keine Interessenkonflikte vor (bzw. die Gutachterinnen und Gutachter haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten keine finden können), muss darauf im Beitrag nicht explizit darauf hingewiesen werden. Das Kriterium wird demnach als „erfüllt“ betrachtet, auch ohne, dass der Beitrag den fehlenden Interessenkonflikt erwähnt.
Wie relevant ein Interessenkonflikt ist, müssen die Gutachter von Fall zu Fall abwägen. Nicht jede Finanzierung, z.B. durch die Industrie, führt automatisch zu einer Beeinflussung von Forschungsresultaten. Dennoch sollte ein journalistischer Beitrag sie aufzeigen (siehe dazu auch diese Praxisberichte des Medien-Doktors zum Thema Interessenkonflikte bzw. Befangenheit):

Marcus Anhäuser: Interessenkonflikte: Wie sollten Journalisten darüber berichten?

Klaus Koch: Interessenkonflikte: Eine Abgrenzung

Irene Berres/Klaus Koch: Praxisberichte 6 – Experten, Interessen und Konflikte

www.dfg.de/formulare/10_201/10_201_de.pdf

Die Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • nicht auf tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte des Hauptexperten oder anderer Experten hingewiesen wird.
    • der Beitrag nicht erwähnt, dass bei weiteren Experten oder Personen ein relevantes Abhängigkeitsverhältnis vom Hauptexperten besteht, dass sie in derselben Arbeitsgruppe arbeiten oder Co-Autoren der vorgestellten Studie sind (siehe dazu auch Kriterium 8 zu Experten/Quellentransparenz). Werden diese Zusammenhänge deutlich, wird das Kriterium als „erfüllt“ gewertet.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Gibt es Abhängigkeiten, die das Urteil eines Experten/einer Person beeinflussen könnten?

10. Einordnung in den Kontext

Werden Aspekte wie etwa Neuheit oder Ethik im Beitrag angesprochen und eingeordnet?

Viele angeblich neue Therapien/Tests/Produkte oder Verfahren sind nicht wirklich neu. So kann ein Wirkstoff nur ein weiteres Mitglied einer etablierten therapeutischen Klasse von Medikamenten sein. Und selbst wenn der Beitrag einen völlig neuen Behandlungsansatz vorstellt, wirkt diese Methode nicht zwingend besser als bereits übliche Verfahren gegen eine Erkrankung. In Pressemitteilungen zu einem neuen Medikament geht diese wichtige Information manchmal im Hype verloren. Das Mittel wird als Neuigkeit angepriesen, um den ersten Verkauf anzukurbeln.

Der journalistische Beitrag sollte daher eine aufschlussreiche Aussage darüber enthalten, wie neu ein neues Produkt wirklich ist, indem z. B. auf ältere Studien mit der gleichen Substanz hingewiesen wird.

Gerade im Bereich Medizin spielen auch ethische Überlegungen eine Rolle, etwa in klinischen Studien, Beiträgen zur Gentechnik oder Fortpflanzungsmedizin. Daher sollten diese Aspekte – sofern relevant – auch angesprochen werden.

Die Wertung könnte „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • ungenaue, unvollständige oder in die Irre führende Angaben zur Neuigkeit eines Verfahrens oder Produktes gemacht werden.
    • nicht erklärt wird, was das eigentlich Neue an dem neuen Verfahren ist (am besten im Vergleich zu existierenden Alternativen auf dem Markt).

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Gibt es Informationen zur Neuheit oder auch ethische Aspekte, die für die Mediennutzer relevant sind?

11. Faktentreue

Gibt der Beitrag die wesentlichen Fakten richtig wieder?

Bei diesem Kriterium geht es darum herauszufinden, ob sich im Beitrag wesentliche Faktenfehler finden. Wird also die Hauptaussage einer Studie richtig wiedergegeben bzw. das Ergebnis, auf das sich der Beitrag bezieht? Nicht alle Aspekte einer Studie müssen im Beitrag beschrieben werden, die genannten Fakten müssen jedoch stimmen.

Es geht dabei um offensichtliche Fehler, die z.B. schon beim Lesen einer zugrunde liegenden Studie bzw. der Zusammenfassung – auffallen können. Nicht jeder Fakt und jede Tatsachenbehauptung kann von den Gutachtern gegenrecherchiert werden. Ein falsch geschriebener Name ist im Gutachten anzumerken, reicht aber allein noch nicht, um einen Beitrag als „nicht erfüllt“ gelten zu lassen. Treten aber zusätzlich andere „kleine“ Fehler auf, die auf eine insgesamt mangelnde Sorgfalt bei der Recherche schließen lassen, ist sehr wohl „nicht erfüllt“ zu werten. Dies kann auch als Grund für eine Abwertung des Gesamtergebnisses um einen Stern betrachtet werden.

Liefert ein Beitrag keinerlei Quellen oder Belege, auf deren Grundlage die Fakten überprüft werden können, kann auch das zur Abwertung des Gesamtergebnisses um einen Stern führen.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • Überschriften und Teaser sich zu stark von der tatsächlichen Aussage des Beitrags entfernen.
    • der Beitrag Kausalzusammenhänge herstellt, obwohl die Daten nur Korrelationen belegen.
    • Daten offensichtlich falsch wiedergegeben werden.
    • grobe, irreführende Übersetzungsfehler etwa bei Zitaten aus dem Englischen auftreten.
    • Häufigkeiten erheblich von den in der entsprechenden Fachpublikation oder offiziellen Dokumenten genannten Werten abweichen.
    • der Text viele kleinere Fehler beinhaltet, die für sich genommen noch kein „nicht erfüllt“ rechtfertigen, in der Summe aber den Eindruck erwecken, dass nicht mit hinreichender Sorgfalt berichtet wird.

12. Journalistische Eigenleistung (mehr als Pressematerial)

Geht der Beitrag über das Pressematerial hinaus?

Basiert der Beitrag überwiegend auf eigenen Recherchen oder ist er weitgehend die bloße Übernahme von Pressematerial bzw. fremden journalistischen Beiträgen, wie zum Beispiel von Medienbeiträgen aus anderen Ländern? (bezieht sich indes nicht auf Beiträge von Nachrichtenagenturen, die auch als solche gekennzeichnet sind)

Ein Beitrag sollte deutlich über eine ggf. zum Thema vorhandene Pressemitteilung oder anderes Pressematerial hinausgehen, damit von einer eigenen journalistischen Rechercheleistung ausgegangen werden kann. Auch die Verwendung von Material des Science Media Centers wird als unabhängige, journalistische Leistung gewertet – unabhängig davon, ob das SMC als Quelle genannt wird oder nicht.

Eine Pressemitteilung/eine Pressekonferenz oder Pressematerial sollte ein Anlass, aber keine komplette Vorlage für den Beitrag sein – auch wenn es im zunehmend schwieriger werdenden Redaktionsalltag vorkommen kann, dass z.B. eine gute gemachte Pressemitteilung einen Großteil der nötigen Informationen liefert.

Bei der Übernahme von Videomaterial, das z.B. von Unternehmen oder Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt wurde, ist auf die Quelle hinzuweisen. Wird ausschließlich solches Material verwendet, ist das Kriterium bei Fernsehbeiträgen „nicht erfüllt“. Auch wenn eigene Bilder oder Filmsequenzen ohne erkennbare weitere Recherche lediglich die Inhalte einer Pressemitteilung illustrieren, kann das Kriterium „nicht erfüllt“ sein.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • klare Belege dafür vorhanden sind, dass das „Wording“ in großen Teilen aus einer Pressemitteilung oder dem Pressematerial übernommen wurde.
    • erkennbar ist, dass lediglich ein Beitrag aus einem anderen (z.B. fremdsprachigen) Medium zusammengefasst wird und es keine darüber hinaus gehende substanzielle journalistische Eigenleistung gibt.

Bei einem Beitrag, der mehrere unabhängige Quellen hat, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass er NICHT allein auf einer Pressemitteilung/ Pressematerial beruht. In diesem Fall liegt also eine journalistische Eigenleistung vor und daher sollte in diesem Falle mit „erfüllt“ gewertet werden, auch wenn wir keine Pressemitteilung finden.

Auch ohne Pressemitteilung kann jedoch eine fehlende journalistische Eigenleistung vorliegen, wenn der Beitrag sehr unkritisch ist, einen werbenden Charakters hat oder nur einzelne, abhängige Quellen erwähnt werden. Wenn es also sein könnte, dass die Informationen überwiegend aus einer Pressemitteilung oder PR-Material stammen, wird das Kriterium mit „nicht anwendbar“ gewertet.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Handelt es sich um eine ausreichende journalistische Eigenleistung oder stammen die Informationen ausschließlich bzw. ganz überwiegend aus einer Pressemitteilung oder entsprechendem PR-Material bzw. fremden journalistischen Beiträgen?

Allgemeinjournalistische Kriterien

13. Attraktivität der Darstellung

Gelingt es im Beitrag, ein Thema durch eine attraktive Darstellung zu vermitteln?

Damit Mediennutzer einen Beitrag gerne lesen, hören oder sehen, muss er nicht nur verständlich sein. Auch wie ein Thema vermittelt wird, spielt dabei eine wesentliche Rolle. So ist ein Beitrag mit vielen kurzen Hauptsätzen zwar maximal verständlich, aber eben nicht sehr attraktiv.
Positiv ist zu bewerten, wenn ein Beitrag dramaturgischen Prinzipien folgt (Personalisierung, narrative Elemente, Bezug zur Alltagswelt etc.). Ideal ist es, wenn Form und Inhalt harmonieren, abstrakte Zusammenhänge z. B. durch Illustrationen, Fotos/geeignete Bilder (TV) oder anschauliche Textbeispiele verdeutlicht werden. Bei einem Radiobeitrag gehört der Einsatz von Atmo und guten O-Tönen dazu, bei Texten sollen Überschriften, Bilder und Illustrationen die Aussagen unterstützen oder ergänzen.
Generell steht bei diesem Kriterium mehr die Form als der Inhalt im Mittelpunkt.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • Überschrift und Teaser die Aussage des Beitrags dramatisieren oder viel mehr versprechen, als ein Studienergebnis tatsächlich hergibt.
    • es in einem sehr subjektiven Beitrag („Erlebnisbericht“) nicht gelingt, diesen durch Abschnitte mit neutralen/objektiven Beschreibungen der Fakten einzuordnen. Idealerweise werden Fallbeispiele gewählt, die typisch sind.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Ist das Thema interessant dargestellt?

14. Verständlichkeit

Ist der Beitrag für Laienpublikum verständlich?

Dieses Kriterium gilt als „erfüllt“, wenn ein Beitrag verständlich ist, weil er klar strukturiert ist, angemessene Satzlängen verwendet, Fachbegriffe nur in Ausnahmefällen verwendet (und diese dann erläutert) und Zusammenhänge gut erklärt – und ggf. erklärendes Bild- und Tonmaterial einsetzt.
Handelt es sich um einen nachrichtlichen Beitrag, sollten die W-Fragen (wer, was, wo, wie, wann und warum) vollständig beantwortet werden.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • ein Thema zu abstrakt dargestellt wird.
    • die Struktur wirr erscheint, logische Fehler auftreten.
    • Bandwurmsätze über mehrere Zeilen und Schachtelsätze das Verständnis und den Lesefluss erschweren.
    • in einem nachrichtlichen Beitrag ein Teil der W-Fragen nicht beantwortet wird.
    • ein Beitrag von unverständlichen oder irreführenden Bildern begleitet wird: Ergänzen sie den Inhalt des Beitrags oder überdecken/verfälschen sie ihn? Bei Grafiken ist z.B. auf die verwendeten Skalen, etwaige Verzerrungen, unangemessene Maßstäbe, täuschende Perspektiven, Lücken in den dargestellten Daten etc. zu achten.

http://www.trans-kom.eu/bd10nr03/trans-kom_10_03_02_Lutz_Verstaendlichkeit.20171221.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Verständlichkeitskonzept

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Ist der Text verständlich?

15. Themenauswahl

Ist das Thema aktuell, relevant oder originell?

Hier spielt eine Rolle, ob das im Beitrag besprochene Thema aktuell, relevant oder besonders originell ist.
Als relevant gilt zum Beispiel ein Thema, das einen großen Teil der Bevölkerung direkt oder indirekt betrifft. Wenn eine große Anzahl Menschen davon betroffen ist oder eine neue Entwicklung wichtige ethische Fragen aufwirft, wenn politische Entscheidungen dazu anstehen oder ein kleines Thema beispielhaft für eine größere Entwicklung steht („Modellcharakter“). Denn Relevanz entsteht nicht nur durch eine große Anzahl von Betroffenen. Auch ein großer Erfolg oder ein großes Risiko für einen kleinen Teil der Bevölkerung kann bedeutsam sein.
Ein Beitrag kann durch ein ungewöhnliches Thema oder einen überraschenden Blickwinkel überzeugen – und somit den Mediennutzern besonders kurios, humorvoll oder überraschend erscheinen.
Außerdem wird hier bewertet, ob der Beitrag eine seinem Medium oder einem zeitlichen Rahmen (z. B. Jahreszeit) angemessene Aktualität besitzt und diese für den Leser/Zuhörer/Zuschauer deutlich macht (z.B. durch Formulierungen wie „Ergebnisse, die heute/gestern/diese Woche in einem Fachmagazin/Konferenz veröffentlicht wurden.“ oder „… wie in dem diese Woche veröffentlichten Buch beschrieben … “).
Sollte das Thema eines Beitrags nicht aktuell sein, muss es relevant sein. Ist es nicht relevant, muss es zumindest ungewöhnlich sein.

Wertung kann „nicht erfüllt“ lauten, wenn z. B. …

    • ein Thema nur für kleine Fachkreise von Bedeutung ist, denn dann spielt auch Aktualität keine Rolle.
    • ein Thema nicht aktuell, nicht relevant und auch nicht ungewöhnlich ist – und nicht klar wird, warum darüber berichtet wird.
    • der aktuelle Bezug konstruiert erscheint („Tag des XY“, die in der Regel von Interessenverbänden/Unternehmen festgesetzte Termine als Teil einer PR-Strategie sind, oder ein „aktueller Promitipp“). Eine Ausnahme bilden Tage, die eine echte Relevanz für die politische Agenda haben und von anerkannten Institutionen festgelegt wurden (z. B. der Welt-Aids-Tag der Organisation UNAIDS).
    • versucht wird, Aktualität zu suggerieren, obwohl ein Thema veraltet ist (z. B. Tageszeitungsbeitrag: „wie die Forscher jetzt herausgefunden haben“, das Ergebnis/der Anlass aber schon seit einem Monat bekannt/veröffentlicht ist). Auch dieses Kriterium orientiert sich am Veröffentlichungsrhythmus des Mediums.
    • Relevanz und/oder Aktualität nur simuliert erscheint, etwa durch aktuelle firmengesponserte Umfragen im Zusammenhang mit „Awareness- Kampagnen“.
    • eine Pressekonferenz als Anlass für eine zeitnahe Berichterstattung genommen wird, die über die Ergebnisse einer laufenden bzw. (noch) nicht veröffentlichten Studie berichtet, und es für Journalisten keine Möglichkeit gibt, die Studie zur Überprüfung zu erhalten. Da dann weder Ergebnisse noch Methodik überprüft werden können, raten wir generell von einer solchen Berichterstattung ab.

Wichtige Frage, die für den Leser zu klären wäre:
Ist das Thema aktuell, relevant und/oder ungewöhnlich?