Bewertet am 9. Mai 2023
Veröffentlicht von: Augsburger Allgemeine (online)

Ein Artikel der Zeitung „Augsburger Allgemeine“ (online) beschreibt die Erprobung eines neuen Diagnoseverfahrens für Parkinson. Der journalistische Beitrag macht ausreichend klar, dass der Test erst entwickelt wird und noch nicht allgemein zur Verfügung steht. Wie zuverlässig die Diagnostik ist, lässt der Text jedoch nicht erkennen, da wesentliche Informationen zu Sensitivität und Spezifität des Tests fehlen. Die ethische Problematik, die mit der frühzeitigen Diagnose einer nicht heilbaren Erkrankung verbunden ist, spricht der Beitrag leider auch nicht an.

Zusammenfassung

Der Text in der „Augsburger Allgemeinen“ (online) nimmt eine neue Studie über ein mögliches neues Diagnoseverfahren bei Parkinson zum Anlass, über diese neurodegenerative Erkrankung zu berichten. Leider wird jedoch nicht erklärt, wie zuverlässig dieser Test funktioniert, Angaben zu Sensitivität und Spezifität fehlen weitgehend. Zudem wird nicht erwähnt, dass es in einer Patientengruppe große Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der Sensitivität des Tests gab. Leider werden die Studienergebnisse auch nicht von unabhängigen Expertinnen oder Experten eingeordnet, auf mögliche Interessenkonflikte der Studienautor*innen wird nicht hingewiesen. Insgesamt geht der Beitrag nur wenig über die vorliegenden Pressemitteilungen hinaus. Es wird nicht erläutert, welche möglichen Vorteile eine Früherkennung von Parkinson den Patient*innen bietet und welche ethischen Abwägungen bei der Anwendung eines solchen Tests zu treffen sind.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Es wird im journalistischen Text erklärt, dass mit Hilfe eines experimentellen Diagnoseverfahrens eine Parkinsonerkrankung schon vor Ausbruch der typischen Symptome erkannt werden kann, mit unterschiedlich hoher Wahrscheinlichkeit, je nach Patientengruppe. Allerdings wird dieser Nutzen nur unzureichend erklärt, die Spezifität und Sensitivität der neuen Methode werden als wesentliche Messgrößen nicht genannt, nur die Sensitivität indirekt in Zahlen dargelegt. Die Studienergebnisse zu den untersuchten Teilgruppen werden nur teilweise und nicht genau dargelegt.

Welchen medizinischen Nutzen Patienten von dieser Früherkennung haben könnten (außer dass die Erkrankung früher erkannt wird),  wird dagegen nicht erläutert. Insbesondere, ob eine frühzeitige Behandlung möglich wäre, wird nicht erklärt. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

Hinweis: Wie man besser über diagnostische Tests berichtet, können Sie hier in unserem Leitfaden und einer Checkliste nachlesen.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Für das Diagnoseverfahren wird Liquorflüssigkeit entnommen – ein invasives Verfahren, dessen Risiken im Text nicht angesprochen werden. Dabei wird im begleitenden Kommentar zur wissenschaftlichen Studie darauf hingewiesen, dass man einen Bluttest benötigt, um irgendwann das volle Potenzial des Tests auszuschöpfen.

Auch der mögliche Schaden, den es für Patient*innen bedeuten kann, wenn sie frühzeitig von einer nur begrenzt behandelbaren und letztlich nicht heilbaren Erkrankung erfahren, wird nicht diskutiert. Zudem könnten Patientinnen und Patienten durch falsch positive Ergebnisse des Testes unnötig beunruhigt oder durch falsch negative Ergebnisse zu Unrecht beruhigt werden.

Hinweis: Wie man besser über diagnostische Tests berichtet, können Sie hier in unserem Leitfaden und einer Checkliste nachlesen.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird klar, dass es sich um eine Studie zu einem neuen Verfahren handelt. Allerdings hätte der Text deutlicher machen können, wie weit diese Tests noch von der klinischen Praxis entfernt sind. Im begleitenden Kommentar des Fachmagazins wird erwähnt, dass eine Diagnosemöglichkeit anhand von Blutproben (statt bislang Liquorflüssigkeit) nötig wäre, um einen breiten Einsatz zu ermöglichen (siehe Kriterium 2). Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird lediglich erklärt, dass die Parkinson-Diagnose meist erst gestellt wird, wenn typische motorische Symptome auftreten. Ansonsten fehlen jegliche Informationen zur bislang eingesetzten Diagnostik, zu bildgebenden Verfahren zum Beispiel oder dem L-Dopa Test (siehe auch hier). Es wird auch nicht erwähnt, dass die Diagnose von Parkinson sich bislang vor allem auf die klinischen Symptome der Patienten stützt. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Genaue Angaben zu den Kosten sind beim Stand der Entwicklung des Verfahrens nicht zu erwarten. Daher finden wir es angemessen, dass dieser Aspekt nicht im Artikel vorkommt und werten „ERFÜLLT“. Allenfalls eine Schätzung wäre womöglich interessant gewesen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Parkinson-Erkrankung wird nicht übertrieben dargestellt, eher im Gegenteil: Es wird im Artikel nicht deutlich, wie häufig das Leiden eigentlich ist. Parkinson stellt nach der Alzheimer-Demenz die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung dar und betrifft allein in Deutschland rund 400.000 Menschen. Da ab einem Alter von 70 Jahren 20 von 1000 Menschen betroffen sind, ist angesichts der Demografie von einer stetigen Zunahme auszugehen. Die Betroffenen können sich zum Teil nicht mehr allein versorgen, sind im Alltag sehr eingeschränkt. Insgesamt werten wir aber „ERFÜLLT“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Bei der Darstellung eines diagnostischen Tests ist es für die Leser*innen vor allem relevant, wie gut das Verfahren nachweist, was es nachweisen soll, in diesem Fall die Parkinson-Erkrankung. Und wie viele Menschen fälschlicherweise die Diagnose erhielten, obwohl sie gesund sind. Beides – die Sensitivität und Spezifität des Tests – wurde in der wissenschaftlichen Arbeit für verschiedene Untergruppen untersucht und in den Studienergebnissen ausführlich dargelegt. Im journalistischen Beitrag wird jedoch nur bruchstückhaft darüber berichtet: „Bei Personen ohne bekannte genetische Vorbelastung hatten 93 Prozent der Teilnehmenden ein positives αSyn-SAA-Ergebnis. Bei Personen mit Vorerkrankungen schwankten die positiven Testergebnisse dagegen zwischen 96 Prozent und 68 Prozent.“ Damit dürften die Leser*innen wenig anfangen können. Interessant wäre auch die Information gewesen, dass die Sensitivität des Verfahrens bei weiblichen Patientinnen sehr viel geringer war als bei männlichen Patienten (siehe Fachpublikation, Tabelle 2, siehe hier).

Völlig unerwähnt bleibt im journalistischen Artikel, dass der Test auch dazu dienen kann, Untergruppen von Parkinson-Patienten genauer zu charakterisieren, für Studienzwecke und für die Entwicklung neuer Medikamente. Insgesam erhalten Leserinnen und Leser keine hinreichenden Informationen, um zu erfahren, wie aussagekräftig diese Studie ist. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Der Beitrag bezieht sich allein auf die Fachpublikation in Lancet Neurology; weitere Quellen werden nicht genannt, Einschätzungen durch unabhängige Expert*innen fehlen. Dabei wurde der begleitende Kommentar zur Studie sogar von zwei deutschen Forschenden verfasst.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Wie in der Fachpublikation nachzulesen ist, sind die Studienautor*innen zum Teil Beschäftigte des Biotech-Unternehmens Amprion, das den Test entwickelt, oder haben finanzielle Unterstützung oder Honorare von anderen Pharmafirmen erhalten. Dies bleibt jedoch im journalistischen Beitrag unerwähnt.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Für Leserinnen und Leser entsteht der Eindruck, dass es sich hier um ein völlig neues Verfahren der Parkinson-Diagnostik handelt, dass nun erstmals erprobt wurde. Tatsächlich gab es schon vorher kleinere Studien, die die verwendete „Alpha-Synuclein-Amplification“-Methode in verschiedenen Gruppen von Parkinson-Patienten erprobt haben (siehe Kasten im Fachartikel „Research in Context“). Die jetzt vorgelegte Fachpublikation im Journal „Lancet Neurology“ baut darauf auf und bezieht wesentlich mehr Probanden ein als frühere Studien. Das macht der Text nicht deutlich.

Auch die ethische Problematik, die mit der frühzeitigen Diagnose einer nicht heilbaren Erkrankung verbunden ist, spricht der Beitrag nicht an.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

In der Darstellung der „wesentlichen“ Fakten haben wir keine Fehler gefunden, was die Informationen zum Test, zur Liquorentnahme, zur Parkinsonkrankheit angeht. Allerdings werden die Studienergebnisse auch nur bruchstückhaft wiedergegeben.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag nennt einige Zahlen aus der Studie (siehe Kriterium 7, Belege). Insofern geht er ein wenig über die Pressemitteilungen hinaus. Dennoch sind die Pressemitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen (DPG) und der Michael J. Fox Foundation insgesamt deutlich ausführlicher als der journalistische Beitrag. Insgesamt werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag schildert ein in Entwicklung befindliches Diagnoseverfahren für Parkinson – ein Thema, das vor allem ältere Leser*innen interessieren dürfte. Schwierige Fachwörter („Alpha-Synuclein-Seed-Amplification-Assay (αSyn-SAA)“, „Alpha-Synuclein-Proteinaggregate“) dürften jedoch eher abschreckend wirken. Leider finden sich keine Zitate von Expert*innen, die den Text auflockern würden, ebenso wenig wie die Perspektive einer Patientin oder eines Patienten. Wie sich die Erkrankung auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirkt, auf deren Psyche, wird den Leser*innen nicht dargelegt.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Fachbegriffe werden erst spät im Text und leider nur unzureichend erklärt, auch die Basisinformationen zur Parkinson-Erkrankung finden sich erst am Ende des Artikels. Zwar werden die Symptome und der Verlauf der Erkrankung verständlich geschildert, doch bleibt letztendlich unklar, was genau der Test nachweisen kann und für welche Untergruppen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Es handelt sich um eine aktuelle Publikation in einer wichtigen Fachzeitschrift, über die zeitnah berichtet wird. Zudem ist Parkinson eine häufige und schwerwiegende Erkrankung. Aktualität und Relevanz sind also gegeben.

Medizinjournalistische Kriterien: 6 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar