Der journalistische Beitrag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) berichtet davon, dass eine Patientin mit Herzschwäche erstmals mit einem neuartigen Herzpflaster in einer Machbarkeitsstudie behandelt wurde. Trotz verständlicher Erklärungen im Text bleibt leider unklar, ob die bei ihr beobachtete Verbesserung der Herzleistung tatsächlich auf dem Herzpflaster beruhen kann. Der Artikel berichtet sehr früh über einen Einzelfall statt Studienergebnisse von 14 weiteren Proband*innen abzuwarten, die bis Ende 2025 vorliegen sollen. Eine unabhängige Einordnung dieses Einzelfalls sowie der beschriebenen Tierversuche findet nicht statt.
Zusammenfassung
Ein so genanntes Herzpflaster aus im Labor gezüchteten Stammzellen könne Patient*innen mit schwerer Herzinsuffizienz helfen, berichtet ein Artikel der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Anlass der Berichterstattung ist die Publikation eines Teams um den Göttinger Forscher Wolfram-Hubertus Zimmermann im Fachjournal „Nature“. Der Fachbeitrag berichtet allerdings vor allem über die Ergebnisse von Tierversuchen, in denen das Verfahren erprobt wurde, bevor eine Studie an Menschen genehmigt wurde. Der Einsatz am Menschen wird nur an einem einzigen Fallbeispiel dargestellt. Auf diese erhebliche Einschränkung der Aussagekraft weist der Artikel nicht ausreichend hin. Auch der Nutzen für die vorgestellte Patientin ist für Laien nicht nachvollziehbar beschrieben. Über wesentliche Interessenkonflikte von zwei Studienautoren informiert der Beitrag nicht.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Im Beitrag heißt es, Ziel der Implantation eines „Herzpflasters“ sei es, die Pumpleistung des Herzmuskels dauerhaft zu erhöhen. Ob dies gelingt, geht aus dem Beitrag nicht hervor – die vorgestellte Patientin erhielt schon drei Monate nach der Implantation ein Spenderherz. Bis dahin sei die Pumpleistung von 35 auf 39 Prozent gestiegen. Worauf sich diese Prozentangabe bezieht, bleibt unklar, wobei immerhin erwähnt wird, dass die Pumpleistung bei Gesunden bei 60 Prozent liegt. Gemeint ist hier die Auswurfleistung (die so genannte Ejektionsfraktion) der linken Herzkammer, d.h. wie viel Prozent des Bluts in der Herzkammer bei einem Herzschlag weiter in den Körper gepumpt wird. Das wird im journalistischen Beitrag jedoch nicht klar, was es schwierig macht, den beschriebenen Nutzen nachzuvollziehen. Zumal gar nicht erläutert wird, was medikamentöse Therapien im Vergleich bewirken können. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Zu Risiken und Nebenwirkungen heißt es nur sehr allgemein: „Zwar müssen die Behandelten nach dem Eingriff lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, Hinweise auf größere Nebenwirkungen oder gar ein erhöhtes Tumorrisiko sieht Zimmermann aber nicht.“ Hier wäre eine Erläuterung der Risiken einer langfristigen Einnahme von Immunsuppressiva angebracht gewesen; auch bleibt unklar, was der Experte unter „größeren“ Nebenwirkungen versteht – und welche kleineren womöglich doch vorkommen könnten. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Es wird deutlich, dass es sich hier um eine erste Studie an Patienten handelt – bislang seien 15 Patient*innen behandelt worden, insgesamt sollen 53 Personen einbezogen werden. Erst im Jahr 2026 soll eine Zulassungsstudie beginnen, doch eine Ausnahmegenehmigung für Behandlungen vor der offiziellen Zulassung sei bereits beantragt. Damit ist der aktuelle Stand beschrieben, und es wird klar, dass es sich nicht um eine allgemein verfügbare Therapie handelt.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Alternativen werden im Text nur vage angesprochen: Medikamente, regelmäßige Bewegung und gesunde Ernährung. Doch gerade bei den Arzneimittel-Therapien wird nicht erläutert, was diese bewirken oder nicht bewirken können. Man erfährt also nicht, ob sie nur die Verschlechterung aufhalten oder auch zu Verbesserungen führen können. Zudem fehlt der Hinweis, dass in manchen Fällen auch Herzschrittmacher zum Einsatz kommen können. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Zu den Kosten der bislang noch experimentellen Therapie enthält der Beitrag keine Angaben. Da seitens des federführenden Studienautors offenbar auch ein kommerzielles Interesse besteht (siehe dazu Kriterium 9), wäre zumindest eine Schätzung dazu interessant gewesen. Zumindest wäre der Hinweis hilfreich gewesen, dass solche Zelltherapien meist sehr kostspielig sind.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Was genau eine schwere Herzschwäche bedeutet, wird im Artikel nicht beschrieben. Insofern wird die Erkrankung auch nicht übertrieben dargestellt.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Der journalistische Beitrag bezieht sich auf einen Fachartikel im Fachjournal „Nature“, der ganz überwiegend die Ergebnisse von Tierversuchen beschreibt, aufgrund derer die klinische Studie genehmigt wurde. Zu der im journalistischen Beitrag vorgestellten Patientin werden im Nature-Artikel nur kurz einige Basisdaten berichtet sowie die mikroskopischen Aufnahmen des Herzgewebes dargestellt. Diese zeigen, dass das transplantierte Gewebe tatsächlich im Herzmuskel eingewachsen ist. Im journalistischen Text wird nicht ausreichend deutlich, dass es in der Nature-Publikation ganz überwiegend um Tierversuche geht. Es wird zwar im Text erwähnt, dass es sich um eine „Machbarkeitsstudie“ handelt, doch hätte das für Laien erläutert werden müssen. Auch wird nicht hinreichend erklärt, dass die Beschreibung eines Einzelfalls nur eine sehr geringe wissenschaftliche Aussagekraft hat. Immerhin wird aber deutlich, dass bis Ende 2025 die Studienergebnisse von 14 weiteren Proband*innen vorliegen sollen und eine größere Studie für 2026 geplant ist. Dennoch werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Der Beitrag zieht neben der aktuellen Fachpublikation in Nature keine weiteren Quellen heran. Zitiert wird ausschließlich der federführende Autor Wolfram-Hubertus Zimmermann.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Der Hauptautor der Studie ist Wolfram-Hubertus Zimmermann, der zugleich Gründer der Repairon GmbH ist. Dieses Unternehmen hat die Kommerzialisierung der im Beitrag beschriebenen Verfahren zum Ziel. Ein weiterer Autor, Malte Tiburcy, ist als Berater für Repairon tätig. Diese Informationen sind sowohl einer Pressemitteilung der Universität Göttingen als auch dem Nature-Beitrag zu entnehmen („W.-H.Z. is the founder, equity holder and advisor of Repairon GmbH. M.T. is advisor of Repairon GmbH. Repairon is working towards market authorization of EHM as advanced therapy medicinal product for applications in heart failure”). Im journalistischen Artikel finden sich darauf keinerlei Hinweise.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Der Text macht klar, dass es sich um Ergebnisse einer neuen, noch nicht zugelassenen Therapie handelt und es um weltweit erste Ergebnisse von – zugegeben erst einer Patientin – geht. Man erfährt zudem, wie häufig und relevant Herzschwäche in Deutschland ist, wie viele Patienten es also betrifft und wodurch Herzschwäche entsteht. Allerdings wird auch mangels Daten von mehreren Patient*innen nicht klar, ob die Behandlung besser als die medikamentöse Herztherapieschwäche ist. Deshalb werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Die Deutsche Herzstiftung gibt an: „Rund vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an Herzschwäche; eine annähernd gleiche Zahl nennt auch das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz in einer Pressemitteilung. Im Artikel heißt es dagegen, etwa 200.000 Menschen kämen für eine Herzpflaster-Therapie infrage, das sei jeder Zehnte mit einer Herzschwäche. Demnach gäbe es in Deutschland etwa 2 Millionen Menschen mit einer Herzschwäche. Dieser Diskrepanz müsste der Beitrag zumindest nachgehen.
Erstaunlich erscheint auch die Angabe, das Herzpflaster sei 100 Kubikzentimeter groß – dann hätte es bei einer Fläche von 10 x 10 Zentimeter eine Dicke von einem Zentimeter. Auf den Abbildungen im Fachbeitrag wirkt das Transplantat deutlich dünner. Schließlich irritiert auch die Angabe, das Ziel der laufenden Studie sei in erster Linie, die Zeit bis zu einer Herztransplantation zu überbrücken. In der im Fachbeitrag verlinkten Studienregistrierung bei ClinicalTrials.com heißt es dagegen, es gehe um Patienten, für die eine Herztransplantation eher nicht infrage komme („The patient target population for EHM therapy is patients suffering from advanced heart failure with reduced ejection fraction (HFrEF; EF: ≤35%) and no realistic option for heart transplantation.“) Zu den Einschlusskriterien gehört „No realistic chance or not eligible for heart transplantation“ (etwa: Keine realistische Chance auf bzw. nicht geeignet für eine Herztransplantation). Insgesamt stoßen wir im journalistischen Beitrag auf zahlreiche Unstimmigkeiten, daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Zu der Nature-Publikation erschienen eine ganz Reihe von Pressmitteilungen (hier, hier, hier, hier oder hier) Der Artikel enthält nur wenige Informationen, die über die Pressemitteilungen hinausgehen, zum Beispiel die Angabe der „Steigerung der Pumpleistung der linken Herzkammer – die bei gesunden Menschen laut Zimmermann bei etwa 60 Prozent liegt – von 35 auf 39 Prozent“. Insgesamt werten wir dennoch, wenn auch sehr knapp, „ERFÜLLT“.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Der Artikel beginnt mit einem etwas holprigen ersten Absatz mit sehr langen Sätzen und vielen Einschüben, dann ist der Text sachlich, aber flüssig geschrieben. Allerdings überzeugt der Aufbau des Textes nicht völlig – es wäre hilfreich für die Leserinnen und Leser gewesen, die Reihenfolge etwas zu ändern und die neueren Informationen über das Einzelfallbeispiel und der Studienerweiterung auf 53 Patienten weiter nach vorne, vor die Herzschwächedefinition, zu ziehen. Dann wäre der Text noch stringenter aufgebaut gewesen. Wenig attraktiv ist dagegen der letzte Absatz des Artikels: Dort werden plötzlich verschiedene, andere Erkrankungen aufgezählt, bei denen Stammzell-basierte Therapien „möglicherweise helfen“ könnten, ohne dass die Behandlungsansätze weiter erläutert werden. Dann endet der Text recht abrupt. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Insgesamt ist der Beitrag verständlich geschrieben. Allerdings wird gleich zu Anfang erwähnt, dass es sich bei der vorgestellten Studie „um einen Machbarkeitsnachweis“ handelt, jedoch nicht erklärt, was das für die Aussagekraft zum therapeutischen Nutzen bedeutet. Auch wird nicht erläutert, wie die Pumpleistung des Herzens gemessen wird, und warum sie auch beim Gesunden nur 60 % beträgt. Wie bedeutsam eine Steigerung von 35 auf 39 % ist, bleibt ebenfalls unklar. Insgesamt können Laien die Bedeutung der hier präsentierten Studienergebnisse nicht nachvollziehen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich (THEMENAUSWAHL).
Bereits im Vorjahr wurde in einer Pressemitteilung derselben Wissenschaftler über einen Einzelfallbericht mit einem Herzpflaster berichtet, mit einem männlichen Patienten (siehe auch hier und Gutachten des Medien-Doktors 2024). Inzwischen liegen publizierte Ergebnisse von Tierversuchen und einem Fallbeispiel in einem renommierten Fachjournal vor. Damit wäre zwar eine Aktualität gegeben, allerdings wäre es sinnvoll gewesen, wenn man die Ergebnisse der – mit allen 53 Probanden immer noch kleinen – Studie abgewartet hätte, um für Patienten bessere Schlüsse ziehen zu können. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.