Bewertet am 5. April 2024
Veröffentlicht von: Bild-Zeitung (online)

Ein journalistischer Beitrag der Bild-Zeitung (online) nimmt eine aktuelle Pressemitteilung zum Anlass, über ein neues Verfahren zur Behandlung der Herzmuskelschwäche mit einem so genannten Herzpflaster zu berichten – ein Verfahren, bei dem Patient*innen aus Stammzellen gezüchtetes Herzgewebe eingesetzt wird. Im Artikel werden weder Nutzen noch Risiken des Verfahrens angemessen dargestellt. Auch wird nicht deutlich, dass die Erfahrung des im Text vorgestellten, einzelnen Patienten nur sehr wenig über den Erfolg der Behandlung aussagt, zumal die insgesamt an nur zwölf Proband*innen durchgeführte Studie noch nicht abschließend ausgewertet und publiziert wurde.

Zusammenfassung

Ein Artikel aus der Bild-Zeitung (online) berichtet über eine neue Behandlung für Patient*innen mit Herzschwäche, mit der die Herzleistung und damit auch die Lebensqualität verbessert werden soll. Doch wird nur ein Patient zu seinen Erfahrungen zitiert, ob die Behandlung bei den übrigen elf Patient*innen der deutschen Studie wirksam war, spart der Text leider aus. Stattdessen legen reißerische Titelzeilen und Zwischenüberschriften nahe, dass die Behandlung bei allen 12 Patienten erfolgreich war, ohne näher über die Studienergebnisse zu berichten. Es fehlt nicht nur eine Einordnung, ob und inwieweit das Herzpflaster bisherige Therapien gegen Herzschwäche übertrifft, der sogenannten Herzinsuffizienz. Es kommen auch keine unabhängigen Expert*innen im Text vor, die den neuen Therapieansatz einordnen. Immerhin wird benannt, dass es sich um eine frühe Untersuchung mit wenigen Patient*innen handelt. Dass der zitierte Studienleiter als Gründer einer Firma, die das Herzpflaster herstellt, einen erheblichen Interessenkonflikt hat, erfahren die Leser*innen nicht.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Die positiven Effekte der Herzpflaster-Therapie sind nicht ausreichend dargestellt. Es wird anekdotisch nur vom Erfolg bei einem Patienten berichtet. Bei ihm sei die Herzleistung nach Implantation des Herzpflasters von 10 auf 35 Prozent angestiegen, wie nur aus der Sicht des Patienten in indirekter Rede berichtet wird. Wie es bei den anderen elf Studienteilnehmer*innen lief, erfährt man nicht. Es wird nur eine vage Aussage des Studienleiters paraphrasiert: „Erste Studienergebnisse deuten auf dessen Wirksamkeit hin.“

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Risiken der Behandlung werden im Text nicht erwähnt, zum Beispiel mögliche Abstoßungsreaktionen durch das Herzgewebe aus körperfremden Stammzellen. Auch mögliche Risiken der Operation werden im Artikel nicht angesprochen. Es wird nur sehr allgemein festgehalten, dass „die Sicherheit des Medikaments zudem solide“ sei. Worauf diese Aussage gründet, wird leider nicht klar. Zudem der Satz nicht klar zugeordnet ist:  Es entsteht durch den vorausgehenden Absatz zunächst der Eindruck, hier werde der Studienleiter zitiert. Dann scheint es aber doch eine Aussage des Patienten zu sein. Es wird also nicht deutlich, ob hier ein Experte spricht – oder ein Betroffener.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird im Text deutlich, dass das Herzpflaster bislang im Rahmen einer Studie erprobt wird, also nicht allgemein verfügbar ist. Allerdings entsteht der Eindruck, dass der breite Einsatz bald bevorstehe, etwa, wenn es heißt, „Herzpflaster wirksam!“ oder auch hier: „Es werde derzeit noch genau geprüft, bei wem das Medikament wann zum Einsatz kommen kann“. Dass es nach einer – bislang nicht publizierten – Phase 1 Studie noch ein weiter Weg bis zu einer möglichen Zulassung ist, wird nicht hinreichend erklärt, daher werten wir insgesamt nur „knapp erfüllt“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Alternativen werden nur am Rande erwähnt: Dass Menschen mit einer Herzschwäche mit Medikamenten behandelt werden und diese aber keinen Gewebeaufbau bewirken können. Hier wüsste man gerne, wie sie dann helfen – dass sie nämlich vor allem das geschwächte Herz entlasten, indem sie Blutdruck und Herzfrequenz unter Kontrolle halten (siehe auch hier).

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten des Verfahrens können in dieser frühen Phase der klinischen Entwicklung noch nicht genau angegeben werden. Doch ist davon auszugehen, dass eine solche Stammzell-basierte Therapie sehr kostspielig sein wird. Das hätte erwähnt werden können. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Auswirkungen einer Herzmuskelschwäche werden im Artikel nicht näher beschrieben, damit auch nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Es wird im journalistischen Beitrag nicht deutlich, dass es sich um eine offenbar noch nicht vollständig ausgewertete Studie handelt, zu der bislang keine Publikation vorliegt. Der Artikel liefert auch keine Informationen zu einer möglichen Zwischenauswertung. Stattdessen wird nur die Erfahrung eines einzelnen Patienten geschildert, dessen eingeschränkte Relevanz nicht eingeordnet wird.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Eine Einordnung durch unabhängige Expert*innen fehlt leider im Text. Stattdessen wird der Patient selbst mit der Aussage zitiert, dass er das Verfahren jedem Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz empfehle. Da hilft es auch wenig, wenn die Ärzte das später im Text relativieren und sagen, dass sie „nicht so weit gehen würden“. Andere Quellen bezieht der Beitrag nicht ein.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Der im journalistischen Beitrag zitierte Studienleiter ist zugleich Mitgründer des Unternehmens Repairon GmbH, einer Ausgründung aus der Universitätsmedizin Göttingen. Das Herzpflaster ist ein Produkt dieses Unternehmens. Der Artikel versäumt es, auf diesen Interessenkonflikt hinzuweisen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Eine Einordnung fehlt im Text. So wäre es zur Verdeutlichung der Größenordnung hilfreich gewesen, anzugeben, wie viele Menschen eine Herzschwäche haben und dass es immer mehr werden (beide Informationen finden sich in der Pressemitteilung). Es wird erwähnt, dass Betroffene eine geringere Lebenserwartung haben. Doch Leserinnen und Leser werden ohne weitere Informationen vermutlich nicht nachvollziehen können, warum das so ist. Eine kurze Erklärung dazu, was eine Herzschwäche überhaupt ist und wie sie entsteht (z.B. durch das Absterben vieler Zellen bei einem Herzinfarkt) wäre hilfreich gewesen. Dann würde auch besser verständlich, warum Gewebe aufgebaut oder ersetzt wird (siehe auch Kriterium Verständlichkeit). Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im Text wie auch in der Pressemitteilung wird der behandelte Patient – direkt und indirekt – damit zitiert, dass seine „Herzleistung“ nach der Behandlung zugenommen hat, auf 35 Prozent. Doch in Prozent wird üblicherweise nur die Auswurffraktion angegeben (also welcher Anteil der maximalen Füllmenge der Herzkammer auch wieder hinausgepumpt wird). Das ist aber nur einer von drei Faktoren bei der Herzleistung. Ein geringer Auswurfswert ist allein nicht aussagekräftig und kann theoretisch durch eine große Herzkammer bzw. hohen Puls kompensiert werde. Da jedoch der Patient vermutlich den Begriff der Herzleistung im umgangssprachlichen Sinne (nicht im medizinischen) gebraucht hat, werten wir dies nur als Unsauberkeit im Text.

Eine andere Angabe im Artikel klingt nicht plausibel: Dass die Herzpflaster 100 Quadratzentimeter groß seien – das klingt zu groß. Kurz überschlagen sind 100 cm2 z.B. 10 mal 10 cm oder 5 mal 20 cm. Selbst bei einem größeren Herz würde das ziemlich viel von dem Organ bedecken, mehr als wahrscheinlich „kaputt“ ist. Die richtige Größenangabe aber wäre hilfreich, denn sie ist weitaus greifbarer „800 Millionen junge Herzzellen“. Man hätte die Größe dem Presse-Video entnehmen oder nachfragen können, wie groß ein Herz üblicherweise ist. Zumal laut Pressemitteilung verschieden große Pflaster getestet wurden (200 bis 800 Millionen Zellen). Da wir die Angabe zur Größe jedoch so nicht überprüfen können, werten wir insgesamt noch knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der journalistische Beitrag geht insofern über die Pressemitteilung hinaus, dass Zitate des Patienten und der Ärzte im Text zu finden sind, die in der Pressemeldung nicht vorkommen. Andere, wichtige Informationen des Pressematerials fehlen dagegen leider im Artikel. Immerhin aber erwähnt der journalistische Text die knifflige Aufgabe der Chirurgen, das Pflaster knitterfrei auf das schlagende Herz zu nähen. Da die über das Pressematerial hinausgehenden Informationen jedoch so geringfügig sind, werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel ist locker und flüssig geschrieben und enthält spannende Details wie das Aufnähen des Pflasters auf das schlagende Herz. Er transportiert auch die Erleichterung des Patienten über die wiedergewonnene Lebensqualität. Allerdings hat der Artikel jenseits dieser einfachen Sprache einen stark werblichen Charakter, was die Attraktivität des Artikels deutlich schmälert, teilweise sogar abschreckend wirken dürfte.

An einer Stelle im Text findet sich zudem ein holpriger Satz: „ (…)anders als bisherige Medikamente werden tatsächlich neue Muskeln aufgebaut“. Grammatikalisch korrekt wäre dagegen folgender Formulierung gewesen: Während bisherige Medikamente zur Behandlung von Herzschwächen keinen neuen Herzmuskelaufbau bewirken, ist bei der neuen Methode genau das der Fall.

Aufgrund der stark werblichen Sprache werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Es wird im Text erwähnt, dass Betroffene eine geringere Lebenserwartung haben. Doch Leserinnen und Leser werden ohne weitere Informationen vermutlich nicht nachvollziehen können, warum das so ist. Eine kurze Erklärung dazu, was eine Herzschwäche überhaupt ist und wie sie entsteht (z.B. durch das Absterben vieler Zellen bei einem Herzinfarkt) wäre hilfreich gewesen. Dann würde auch besser verständlich, warum Gewebe aufgebaut oder ersetzt wird. Verwirrend ist zudem, dass das Herzpflaster im Text als „Medikament“ bezeichnet wird. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich (THEMENAUSWAHL).

Es liegt eine aktuelle Pressemitteilung zum „Herzpflaster“ vor. Da diese jedoch über bislang nicht publizierte Studienergebnisse berichtet und über den geschilderten Einzelfall hinaus keine Informationen liefert, stellt diese Pressemeldung an sich keinen relevanten Anlass für eine Berichterstattung dar.  Sinnvoll wäre es gewesen, eine Auswertung der gesamten, ohnehin kleinen Studie abzuwarten.

Medizinjournalistische Kriterien: 4 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 2 auf einen Stern), weil die wesentlichen Kriterien Nutzen, Risiken, Qualität der Belege und Einordnung in den Kontext nicht erfüllt sind.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar