Praxisberichte 6 – Experten, Interessen und Konflikte

Experten spielen auch im Medizinjournalismus eine wichtige Rolle. Sie beurteilen und ordnen Therapien, Arzneimittel und Verfahren ein. Doch wie unabhängig sind diese Experten? Journalisten sollten immer auch nach möglichen Interessenkonflikten fahnden – und diese im Beitrag benennen. 

Von Irene Berres und Klaus Koch

Ein guter Experte ist ein Segen für jeden Medizinjournalisten: Kann er die Sachverhalte überzeugend einordnen und liefert gute, knackige Zitate, geht der Journalist beseelt aus dem Gespräch, voller Vorfreude auf das Schreiben. Blöd nur, wenn sich anschließend herausstellt, dass der Experte direkte Verbindungen zur Pharmaindustrie hat.

Was nun? Die Zitate verwerfen und einen neuen Experten suchen? Die Verbindungen ignorieren? Oder den Mittelweg wählen und sie für den Leser offenlegen? Diese Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Denn Interessenkonflikt ist nicht gleich Interessenkonflikt. Der Journalist sollte die Verbindungen in jedem Fall individuell bewerten und entsprechend damit umgehen.

Interessenkonflikte entstehen, wenn Forscher persönliche Interessen haben, die ihre fachliche Urteilskraft beeinflussen können. Es hilft, hier zwischen Primär- und Sekundärinteressen eines Experten zu unterscheiden. Primärinteressen sind zum Beispiel das Wohl von Patienten oder die Integrität der Forschung. Diese Interessen sollten für Experten leitend sein. Bei den Sekundärinteressen kann es sich um die verschiedensten Dinge handeln. Es kann sein, dass ein Forscher die Forschungsarbeit eines Freundes besonders würdigen möchte oder er nach der Anerkennung eines bestimmten Mediziners strebt. Solche persönlichen Beziehungen lassen sich allerdings nur schwer erfassen und bleiben meist unerkannt.

Etwas einfacher ist es bei finanziellen Beziehungen. Ein Interessenkonflikt ist offensichtlich, wenn zum Beispiel ein Arzt oder eine Klinik selbst ein „neues“ medizinisches Verfahren anbietet: Hier muss man geradezu davon ausgehen, dass die Ansichten immer auch durch Hoffnung auf Umsätze beeinflusst sind. Hier beim Medien-Doktor haben wir immer wieder Beispiele, in denen zum Beispiel Ärzte eine neue OP-Methode in den Himmel loben, die gerade neu in einer Abteilung, ihrer Klinik oder Praxis eingeführt wurde. Und wenn mit winzigen Studien Erdbeeren als vorbeugendes Mittel gegen Kehlkopfkrebs oder Walnüsse gegen Bluthochdruck propagiert werden, erscheint es fast schon fahrlässig, wenn nicht darauf verwiesen wird, dass die Studien vom Verband der Erdbeerzüchter oder vom Walnussverband beauftragt und bezahlt wurden.

Meist konzentriert sich die Diskussion um Interessenkonflikte aber auf finanzielle Beziehungen zwischen Forschern und der Industrie. Viele Mediziner können nur schwer einen klaren Trennstrich zwischen sich und Pharmaunternehmen ziehen: Häufig sind sie Koryphäen auf einem speziellen Gebiet. Mit ihrer Unterstützung bei Forschungsprojekten oder als Berater helfen sie, neue Therapien zu entwickeln. Dann profitiert auch die Allgemeinheit von der Zusammenarbeit – ein Interessenkonflikt entsteht hier trotzdem.

Auf der anderen Seite versuchen Unternehmen, Mediziner für ihre Produkte und ihr Marketing zu gewinnen – sei es, indem sie diese als Referenten an sich binden, versuchen, ihre Gunst durch Reisestipendien zu gewinnen oder sie regelmäßig zum Mittagessen einladen. Von diesen Beziehungen hat die Allgemeinheit keinen Nutzen – hier profitieren nur Industrie und Experte. Eigentlich sollten Experten solche Interessenkonflikte vermeiden.

Interessenkonflikte können die Meinung eines Experten beeinflussen

Journalisten müssen zudem immer im Hinterkopf behalten, dass Interessenkonflikte nur ein Risiko für eine Verzerrung bedeuten. Zwar haben mehrere Studien gezeigt, dass Personen, die Pharmafirmen beraten und auf Werbeveranstaltungen Vorträge halten, häufiger eine positive Meinung zu den Produkten des Unternehmens haben als die, die das nicht tun. Ob und wie sich eine Verbindung tatsächlich auf die Urteilskraft auswirkt, lässt sich im konkreten Fall jedoch fast nie beurteilen. Häufig sind sich die Experten ihrer Interessenkonflikte selbst nicht bewusst. Aussagen wie „Glauben Sie mir, ich bin nicht bestechlich“ können Journalisten deshalb getrost ignorieren.

Wer eine aufgespürte Verbindung bewerten möchte, kann sich an verschiedenen Fragen orientieren: Profitiert etwa die Allgemeinheit von der Zusammenarbeit oder gefährdet der Mediziner aus rein persönlichen Gründen seine Unabhängigkeit? Wie intensiv ist die Zusammenarbeit, wie häufig sind die Kontakte, wie hoch sind die ausgetauschten Geldsummen? Konzentriert sich die Zusammenarbeit auf ein einzelnes Unternehmen und wie weit liegen die Kontakte in der Vergangenheit? Wie nah stehen die Verbindungen dem Thema der Berichterstattung? Betreffen die Kooperationen etwa das Produkt, über das man auch schreiben möchte?

Generell kann man den Experten einfach auf seine Interessenkonflikte ansprechen. „Gute“ Experten gehen mit der Frage souverän und offen um. Grundsätzlich sollte man sich bei einem Interview auch die Quellen nennen lassen, auf die sich ein Experte stützt. Das bietet die Möglichkeit, seine Aussagen mit denen der Quellen abzugleichen. Wenn man Diskrepanzen sieht, verstärkt das den Verdacht, dass sich Interessenkonflikte bemerkbar machen.

Lassen sich die Einschätzungen des Experten jedoch zuverlässig belegen, reicht es in der Berichterstattung häufig aus, Art und Umfang der Verbindungen zu Unternehmen offenzulegen, etwa in der Form “Hat mehrfach Vorträge für x, y, z gehalten”.

Oft tritt diese Situation bei Experten auf, die Ergebnisse neuer Studien zu Arzneimitteln oder Medizingeräten vorstellen. Meist lässt sich der Experte dann auch in das Marketing des Herstellers einbinden, indem er zum Beispiel gegen Honorar Vorträge auf Firmenveranstaltungen hält. Dieser Situation ist auch der Medien-Doktor schon häufiger begegnet. In einer solchen Situation kann man kaum auf den Experten verzichten, nötig ist jedoch eine unabhängige Einschätzung.

Ansonsten gilt: Zweifelt ein Journalist ernsthaft an der Unabhängigkeit eines Experten, sollte er sich möglichst nach einem anderen Gesprächspartner umschauen. Noch kritischer ist es, wenn es Hinweise darauf gibt, dass der Mediziner enge Verbindungen zu einem Unternehmen pflegt und versucht, diese verdeckt zu halten, um unbemerkt Einfluss zu nehmen. Dann handelt es sich nicht mehr um einen Interessenkonflikt, sondern um unlauteres Verhalten. In diesem Fall können die Beziehungen des Experten selbst zum Thema einer Recherche werden.

Generell gilt, dass der Umgang mit Interessenkonflikten Fingerspitzengefühl erfordert – auch sich selbst gegenüber. Journalisten müssen die Konsequenz besitzen, auf einen attraktiven, aber befangenen Gesprächspartner zu verzichten. Ebenso müssen sie auch dem Impuls widerstehen können, Interessenkonflikte gezielt zu benutzen, um der Glaubwürdigkeit einer Person zu schaden, deren These ihnen nicht gefällt. Denn sonst hat nicht mehr nur der Experte einen Interessenkonflikt, sondern auch der Journalist.

Tipps zum Aufspüren von Interessenkonflikten: Wo finde ich Hinweise?

Wenn es schnell gehen muss, lassen sich Beziehungen eines Experten zur Industrie innerhalb einer halben Stunde recherchieren. Dabei lassen sich unter anderem folgende Quellen nutzen:

  • Selbstangaben in Fachzeitschiften: Die führenden nationalen und internationalen Fachzeitschriften verlangen von Autoren eine Offenlegung von Beziehungen, die dann mit dem Artikel zusammen veröffentlicht werden. Ein Einstieg bietet eine Recherche nach dem Autorennamen in der Fachartikeldatenbank Pubmed.
  • Auch das Deutsche Ärzteblatt veröffentlicht solche Selbstangaben.

Weitergehende Recherchen können dann zum Beispiel Patentdatenbanken, Leitlinien und Vorträge auf Industrieveranstaltungen einschließen: Solche Veranstaltungen finden häufig im Umfeld von Fachkongressen statt (sog. Satellitensymposien). Hier hilft eine schlichte Google-Suche mit dem Namen des Experten (und dem eines Unternehmens und/oder dem Arzneimittel, wenn man zu bestimmten Produkten recherchiert). Es kann sich lohnen, die ersten 100 Treffer zu scannen.


Irene Berres ist Redakteurin im Ressort Wissenschaft bei Spiegel Online.


LINKS:

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM): Interessenkonfliktregulierung: Internationale Entwicklungen und offene Fragen https://www.researchgate.net/publication/290447763_Interessenkonflikt-Regulierung_Internationale_Entwicklungen_und_offene_Fragen_Ein_Diskussionspapier

Themen-Blog des “Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin”: Interessenkonflikte http://dnebm-interessenkonflikte.blogspot.com/

Beitrag im Ärzteblatt zum Thema Interessenkonflikte: Interessenkonflikte in der Medizin: Mit Transparenz Vertrauen stärken http://www.aerzteblatt.de/archiv/80790

Fachbuch zum Thema: Interessenkonflikte in der Medizin
Lieb, Klaus; Klemperer, David; Ludwig, Wolf-Dieter (Hrsg.) (2011), Springer Verlag, 300 S., 59,90€ http://www.springer.com/medicine/book/978-3-642-19841-0

Artikel hier auf dem Blog:
Klaus Koch, Interessenkonflikte: Wie sollten Journalisten darüber berichten? und Interessenkonflikte: Eine Abgrenzung, Sprechstunde, Medien-Doktor, 2011

Irene Berres, „Experten im Medizinjournalismus – Eine explorative Arbeit zur Entwicklung eines Rechercheleitfadens zur Erfassung finanzieller Interessenkonflikte von Experten in der Medizin“, Unveröffentlichte Masterarbeit am Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus der TU Dortmund, 2012.


Alle Folgen unserer Medizinjournalismus-Serie finden sich auf unserer Specials-Seite.