Bewertet am 4. April 2025
Veröffentlicht von: Tagesspiegel

Der journalistische Beitrag des „Tagesspiegel“ (online) berichtet über eine Studie zur Wirksamkeit des Pockenimpfstoffs Imvanex gegen MPox, eine Erkrankung, die früher als „Affenpocken“ bezeichnet wurde. Bereits nach einer einzelnen Impfdosis ist ein deutlicher Nutzen nachweisbar. Es fehlen allerdings absolute Zahlen im Text, zur Anzahl der Infektionen mit und ohne Impfschutz. Es wird jedoch erläutert, dass der Impfschutz nach nur einer Injektion für Menschen mit HIV nicht gegeben ist. Ob eine zweite Impfdosis für Menschen mit HIV dann einen ausreichenden Schutz schaffen kann, ist der vorliegenden Studie nicht zu entnehmen, dies wird im Beitrag klar dargestellt. Ebenso wird erwähnt, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt. Nebenwirkungen werden benannt und grob quantifiziert. Der Artikel lehnt sich allerdings an die Pressemitteilung der Charité an und bezieht keine unabhängigen Expert*innen ein, die die Studie einordnen könnten.

Zusammenfassung

Der Artikel im „Tagesspiegel“ (online) berichtet über eine Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit einer Impfung gegen die pockenähnliche Infektionskrankheit MPox. Es wird im Text erwähnt, dass an der Untersuchung 9300 Probanden aus Risikogruppen teilnahmen: Männer oder Trans-Menschen, die mit wechselnden Partnern Sex haben. Es wird deutlich, dass die Impfung recht gut vor einer Ansteckung schützt. Der Impfschutz liege bei 84 Prozent, heißt es im Text. Was das genau heißt, erfahren die Leserinnen und Leser aber nicht. Auch werden die absoluten Zahlen der Studie nicht zitiert.

Immerhin berichtet der Text aber über ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie: Für Menschen mit HIV reicht eine einmalige Impfung nicht aus, um einen Impfschutz aufzubauen. Die Forscher nehmen an, dass dies durch eine zweite Impfung gelingen könnte. Während Risiken und Nebenwirkungen thematisiert werden, geht der Beitrag in keinem Wort auf die Kosten des Impfstoff Imvanex ein. Die liegen bei rund 200 Euro und werden offenbar noch nicht flächendeckend von Krankenkassen übernommen, auch nicht für die von der Ständigen Impfkommission empfohlene Risikogruppe. Das Thema selbst ist relevant, da die aktuelle Studie Wissenslücken zur Wirksamkeit und Verträglichkeit des Impfstoffs Imvanex schließt.

 

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel berichtet über eine Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit einer Impfung gegen die pockenähnliche Infektionskrankheit MPox (siehe auch: thelancet ). An der Studie hätten mehr als 9300 Männer oder trans Menschen teilnahmen, „die mit wechselnden Männern oder trans Menschen Sex haben“, also zu jenen Personengruppen gehörten, denen eine Impfung von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen werde. Bereits eine einzige Dosis verleihe eine Schutzwirkung von 84 Prozent gegen eine Infektion, erfahren die Leser und Leserinnen. Was das heißt, erfahren sie allerdings nicht. Es bedeutet nicht etwa, dass 84 von 100 Geimpften gegen eine Infektion geschützt sind. Tatsächlich handelt es sich um eine relative Risikoreduktion, die sich auf die Zahl der Infizierten bezieht, aber keine absolute Reduktion, die sich auf alle Geimpften bezieht (siehe auch: hivandmore). Um die Schutzwirkung von 84 Prozent für die Leserinnen und Leser einzuordnen, erwähnt der Artikel immerhin, dass die Quote bei einer Grippeimpfung zwischen 40 und 67 Prozent liege. Absolute Zahlen aus der Studie werden im journalistischen Beitrag leider nicht erwähnt: In der mehr als 3000 Personen umfassenden Gruppe der Geimpften infizierten sich 16 Personen, in der ebenso großen der Ungeimpften 32 Personen.

Zur Wirksamkeit heißt es im Text weiter, die Impfung biete auch Schutz gegen schwere Verläufe einer MPox-Infektion. Studienleiter Leif Erik Sander von der Charité wird mit den Worten zitiert: „Die Personen, die sich trotz der Impfung angesteckt haben, zeigten im Vergleich zu ungeimpften Erkrankten weniger der schmerzhaften Hautläsionen, die auch schneller abheilten, und hatten mildere Schmerzen und geringeres Fieber.“ Ferner seien Menschen mit HIV durch eine einmalige Dosis nicht geschützt. Bei dieser Gruppe werde sich vermutlich nach der empfohlenen zweiten Dosis ein Impfschutz entwickeln. Insgesamt werten wir dennoch knapp „NICHT ERFÜLLT“, weil die Schutzwirkung nicht erklärt und keine absoluten Zahlen genannt werden.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Die Nebenwirkungen der Impfung werden benannt und auch grob quantifiziert – weniger als drei Prozent der Geimpften hätten über „stärkere Empfindungen wie Fieber, Kopf- und Muskelschmerz, Übelkeit oder Durchfall“ berichtet. Als Impfreaktion hätten die Probanden am häufigsten Schmerzen an der Einstichstelle angegeben. Einer der Studienautoren schätzt die Impfung daher als „gut verträglich“ ein.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Im Juli 2022 habe die Europäische Arzneimittelagentur EMA das gegen Pocken entwickelte Vakzin Imvanex auch gegen MPox zugelassen, heißt es im Text. Seitdem empfehle die Stiko die Impfung Personen mit erhöhtem MPox-Risiko – vor allem Männern, die Sex mit Männern haben, und Mitarbeitenden in Fachlaboren, die mit infektiösem Material arbeiten. Laut dem Robert-Koch-Institut seien 78.443 MPox-Impfungen zwischen Juni 2022 und Januar 2024 in Deutschland verabreicht worden. Damit ist klar: Das Vakzin ist in Deutschland verfügbar

Allein die Information dazu, für welche Personengruppen die Impfung von der Stiko empfohlen wird, ist unvollständig, siehe hier https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/Impfen/Mpox/FAQ-Liste_Mpox_Impfung.html?nn=16777278#entry_16870650). Dies hätte noch genauer erläutert werden können. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Infektiologe Florian Kurth wird mit der Empfehlung zitiert, zusätzlich allgemeine Präventionsmaßnahmen zu ergreifen, etwa Kondome zu nutzen. Dies biete auch Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Weiter hätte erwähnt werden können: Es schützt auch, engen Körperkontakt oder Sex mit Menschen zu meiden, die man nicht kennt oder die Symptome der MPox-Erkrankung tragen, siehe auch hier: infektionsschutz. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Auf die Kosten der MPox-Impfung geht der Text nicht ein. Sie betragen wohl rund 200 Euro pro Dosis, siehe auch: mediately.co. Einzelne Krankenkassen oder kassenärztliche Vereinigungen übernehmen offenbar die Kosten der Impfung für jenen Personenkreis, für den die Stiko eine Impfung empfiehlt. Flächendeckend ist die Kostenübernahme jedoch noch nicht gewährleistet. Das wäre für die Leserinnen und Leser eine wichtige Information gewesen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

In einem Textkasten wird die MPox-Krankheit erklärt: Das Krankheitsbild ähnele dem der echten Pocken. Während die lebensbedrohlich gewesen seien, verlaufe MPox in der Regel milder. Es komme zu Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen, die Lymphknoten würden anschwellen. Später bildeten sich Pusteln auf der Haut oder den Schleimhäuten, die stark jucken und schmerzhaft sein könnten. Tödliche Verläufe seien sehr selten, kämen bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem vor. Bei schwerem Verlauf könne es aber zu starken Vernarbungen und langfristigen Schäden kommen. Diese Darstellung erscheint uns angemessen und nicht übertrieben.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Studie zur Wirksamkeit der Impfung wird korrekt als Beobachtungsstudie eingeordnet, die Teilnehmerzahlen sind genannt. Irreführend ist allerdings die Angabe von „mehr als 9300“ Teilnehmenden. Dies ist die Zahl der zunächst in die Studie aufgenommen Teilnehmenden.  Tatsächlich wurden aber Gruppen von je 3027 geimpften und ungeimpften Personen verglichen. Hier wurde offenbar eine Zahl aus der Pressemitteilung ungeprüft übernommen. Es hätte auch deutlicher gemacht werden können, dass es sich um zwei verschiedene Studien mit unterschiedlichem Design handelt – eine retrospektive Beobachtungsstudie zur Wirksamkeit und eine prospektive zur Sicherheit und Verträglichkeit. Insgesamt werten wir daher nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Zitiert werden die beiden federführenden Leiter der Studie, Leif Erik Sander und Florian Kurth von der Charité, ein unabhängiger Experte wurde nicht um einen Kommentar gebeten. Der Textkasten zur MPox-Erkrankung wurde fast wörtlich aus der Pressemitteilung übernommen. Als einzige unabhängige Quelle ist nur eine kurze Angabe des Robert-Koch-Instituts zur Zahl der Impfungen in Deutschland zu finden. Insgesamt werten wir daher „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Es sind uns keine Interessenkonflikte aufgefallen, die hier hätten genannt werden müssen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Im Juli 2022, so heißt es im Artikel, habe die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) angesichts der gesundheitlichen Notlage das gegen Pocken entwickelte Vakzin Imvanex auch zum Schutz vor MPox zugelassen. Seitdem empfehle die Stiko Personen mit erhöhtem MPox-Risiko eine Impfung mit Imvanex – vor allem Männern, die Sex mit Männern hätten, und Mitarbeitenden in Fachlaboren, die mit infektiösem Material arbeiteten. Damit ist klar, seit wann der Impfstoff gegen MPox in Europa zur Verfügung steht. Eine Information aus der Pressemitteilung wird nicht erwähnt: Dort heißt es, der Impfstoff stehe in den USA und Kanada bereits seit mehreren Jahren unter den Namen Jynneos bzw. Imvamune zur Verfügung. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Mit Ausnahme der missverständlichen Angabe zur Zahl der Teilnehmenden an der Wirksamkeitsstudie (siehe Kriterium 7) sind uns keine Faktenfehler aufgefallen. Nicht ganz richtig ist allerdings die Behauptung in der Überschrift, hier würden „erstmals“ Daten zur Wirksamkeit der MPox-Impfung vorgelegt. Im Fachartikel heißt es dazu: „Existing effectiveness studies used data extracted from electronic databases, focusing on more narrowly selected study populations, and did not specifically investigate vaccine effectiveness in people living with HIV and people without HIV.” (etwa: Die vorhandenen Wirksamkeitsstudien stützten sich auf Daten aus elektronischen Datenbanken, konzentrierten sich auf enger ausgewählte Studienpopulationen und untersuchten nicht speziell die Wirksamkeit des Impfstoffs bei Menschen mit HIV und Menschen ohne HIV.) Insgesamt werten wir aber noch knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag stützt sich recht weitgehend auf Informationen und Zitate aus der Pressemitteilung (siehe auch: https://www.charite.de/service/pressemitteilung/artikel/detail/charite_studie_liefert_neue_daten_zur_wirksamkeit_der_mpox_impfung ). Offenbar hat der Autor zusätzlich noch ein Gespräch mit Leif Erik Sander geführt, darauf deuten wenige Formulierungen hin, die sich so nicht in der Pressemitteilung finden. Zusätzlich recherchiert ist auch die Information, dass eine Grippeschutzimpfung je nach Saison eine Wirksamkeit von gut 40 bis zu 67 Prozent erreiche. Und die Angabe, dass laut Robert Koch-Institut 78.443 MPox-Impfungen zwischen Juni 2022 und Januar 2024 in Deutschland verabreicht wurden. Insgesamt fällt die journalistische Eigenrecherche jedoch gering aus, daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel ist zwar flüssig geschrieben, doch fehlt eine Idee, die Lesende in den Text reinziehen könnte. Manche Formulierung ist stilistisch nicht schön: „Weil die Studie nur eine begrenzte Zeit lief und weil die Infektionszahlen stark nachgelassen haben, könne man nicht sagen, wie lange die Schutzwirkung anhalte.“ Ein sperriges Zitat von Florian Kurth wird in voller Länge übernommen, statt es in direkte und indirekte Rede zu unterteilen und den substantivierten Stil in eine besser lesbare Formulierung zu ändern („Die P-Impfung ist also sicher und insgesamt gut verträglich“, sagt Florian Kurth. „Zu beachten ist, dass der Impfschutz erst nach etwa 14 Tagen vollständig aufgebaut ist. Zusätzlich sollten allgemeine Präventionsmaßnahmen wie die Nutzung von Kondomen ergriffen werden – auch zum Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.“). Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Insgesamt ist der Beitrag verständlich abgefasst. Irritierend sind allerdings die Angaben zur Wirkung einer zweiten Impfdosis. Hierzu finden sich über den Beitrag verstreut unterschiedliche Aussagen. Zunächst heißt es: „Manche Menschen könnten von einer zweiten Impfung profitieren“. Einige Absätze später wird dies als „Hoffnung“ beschrieben, die sich auf „Erfahrung mit anderen Impfungen“ gründet.  Später im Text wird klargestellt, dass sich „die zusätzliche Wirkung einer zweiten Impfdosis in der Studie“ nicht habe ermitteln lassen. Im letzten Drittel des Beitrags wird wiederum einer der Studienautoren mit der Aussage zitiert: „Wir gehen davon aus, dass sich bei Menschen mit HIV nach der zweiten Impfdosis ein Schutz gegen MPox entwickelt“. Diese verschiedenen Darstellungen werden nicht erläutert und zueinander in Beziehung gesetzt, das macht sie für Laien sehr verwirrend. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL). WR MK ERFÜLLT

Es handelt sich um eine aktuelle Studie, die in einem hochrangigen Fachjournal publiziert wurde. Die WHO hat am 14.8.2024 eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite (PHEIC) für MPox erklärt (https://www.rki.de/DE/Themen/Infektionskrankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/M/Mpox/Mpox-in-Deutschland.html?nn=16904216). Auch wenn MPox-Infektionen nach Einschätzung des RKI in Deutschland derzeit eher eine geringe Gefahr darstellen, wird das Infektionsgeschehen weiter genau beobachtet, um gegebenenfalls reagieren zu können. Zudem werden Wissenslücken zur Wirksamkeit und Verträglichkeit des Impfstoffs Imvanex in Risikogruppen geschlossen.

Medizinjournalistische Kriterien: 10 von 15 erfüllt

 

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar