Bewertet am 11. Juli 2025
Veröffentlicht von: FAZ.net

Taugt Kreatin als Wundermittel gegen Depression und Alzheimer? Ein Artikel der FAZ (online) greift Heilsversprechen auf Tiktok und anderswo im Netz auf und setzt ihnen Studienergebnisse und vorsichtige Abwägungen von Experten entgegen. Die Wirkungsweise von Kreatin wird anschaulich erklärt, eine Pilotstudie wird ausführlich vorgestellt, in der die Wirkung von kognitiver Verhaltenstherapie in Kombination mit Kreatin untersucht wurde. Das angenehm zurückhaltende Fazit des Artikels: „Dass Kreatin etablierte Therapien ergänzen oder im Einzelfall ersetzen kann, ist nicht ausgeschlossen. Dass es allerdings gleich einen Strauß an Leiden lindern wird, ist wohl nicht zu erwarten.“

Zusammenfassung

Ein Artikel der FAZ (online) nimmt die Heilsversprechen eines Influencers zu Kreatin zum Anlass, um die als Beleg angeführte Studie genauer vorzustellen (siehe pubmed). Geschickt entkräftet der Text die Behauptung, dass die Studie eine solche Aussage stützt, der Beitrag legt anschaulich dar, dass die Studie aufgrund ihrer geringen Größe allenfalls als Hinweis aber nicht als Beleg dienen kann. Das unterfüttert der Artikel mit Erklärungen, wie Kreatin wirkt und wie es in einem anderen Bereich, nämlich bei Muskelkraft tatsächlich eine stärkende Wirkung hat. Es fehlen jedoch Angaben zum Preis von Kreatin sowie zum Interessenkonflikt des Influencers, der selbst Kreatinpulver verkauft und deshalb ein Interesse daran hat, Wirksamkeit für neue Krankheiten anzupreisen. Insgesamt aber liefert der Text eine gute Einordnung, warum die Studie nicht der behauptete Beleg für eine Wirksamkeit gegen Depression ist.

Hinweis: Der Originalbeitrag befindet sich hinter einer Paywall. 

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel beschreibt die positiven Effekte von Kreatin sehr ausführlich und unterscheidet dabei klar zwischen den gut belegten Effekten für eine bessere körperliche Leistungsfähigkeit und den nicht belegten positiven Auswirkungen auf neuronale Erkrankungen. Er macht klar, dass es bei letzteren zwar positive Effekte gibt, die aber vor allem aus Tierversuchen stammen und daher nicht automatisch auf den Menschen übertragbar sind. Der journalistische Beitrag relativiert auch die Humanergebnisse als Hinweise und benennt, dass aufgrund der kleinen Probandenzahlen die Aussagekraft der Studie gering ist. Der Text grenzt zudem auch rein behauptete verbessernde Wirkungen klar als solche ab. Schade ist, dass die im Artikel besprochenen Ergebnisse einer Pilotstudie, in der eine kognitive Verhaltenstherapie mit Kreatin oder einem Placebo kombiniert wurde, nicht quantifiziert werden. Es heißt nur: „Am Ende der Behandlung gaben Teilnehmer beider Gruppen an, dass ihre Depressionssymptome sich verringert hatten. Die Verhaltenstherapie zeigte also Wirkung. Aber den Personen, die zusätzlich Kreatin nahmen, ging es deutlich besser als denjenigen, die nur ein Placebo erhalten hatten.“ So können sich die Lesenden leider kein klares Bild vom Ausmaß der Verbesserung machen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Risiken und Nebenwirkungen werden klar benannt, sowohl für das Kreatin („im schlimmsten Fall Krämpfe und Blähungen“) als auch für die sonst üblichen Psychopharmaka zur Behandlung der erwähnten Krankheiten.

Allerdings erwähnen die Autoren der im Text besprochenen Pilotstudie noch weitere mögliche Risiken: „we cannot exclude that longer administrations might lead to a more substantial adverse-event burden, and indeed concerns have been raised regarding chronic use of creatine supplementation, especially for individuals with pre-existing renal disorders (Antonio et al., 2021). Since patients with bipolar and unipolar depression tend to suffer from more physical comorbidities (Croatto et al., 2023), longterm data on the safety of creatine in these populations is necessary.”

Das heißt: Eine längere Einnahme von Kreatin könnte schwerwiegendere Nebenwirkungen haben, etwa bei Menschen mit Nierenerkrankungen. Diese potenziellen Risiken hätten im journalistischen Beitrag erwähnt werden müssen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es gibt offenkundig viele Firmen, die Kreatin als Nahrungsergänzungsmittel anbieten. Das muss hier nicht extra thematisiert werden.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Die Lesenden erfahren im Artikel, dass es zur Behandlung von Depression bereits Psychopharmaka gibt und dass diese teils ernste Nebenwirkungen haben. Aus der Beschreibung der in „European Neuropsychopharmacology“ erschienen Pilotstudie wird zumindest indirekt klar, dass auch eine Verhaltenstherapie bei der psychischen Erkrankung zum Einsatz kommt. Da diese Erwähnungen allesamt etwas kurz ausfallen, werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten von Kreatin werden im Text leider nicht erwähnt. Dabei wäre es interessant gewesen zu erfahren, wie profitabel der Handel mit Kreatin ist. Eine kurze Internetsuche ergibt einen Preis ab 12 Euro pro Kilogramm. Das könnte man auf eine tägliche Dosis umrechnen: Nimmt man etwa die fünf Gramm aus der besprochenen Pilotstudie, würde die Tagesdosis bei 6 Cent liegen, ein Kilogramm für 200 Tage ausreichen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die im Text erwähnten psychischen oder neurologischen Erkrankungen werden nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Aussagekraft von Pilotstudien mit kleinen Stichproben wird genauso thematisiert wie Probleme der Übertragbarkeit von Ergebnissen aus Tierversuchen und Probleme von Metastudien, die sich auf unbefriedigendes Datenmaterial stützen müssen. Bei der Depressionsstudie wäre es allerdings für die Einordnung der Ziele und Ergebnisse (und der hohen Abbrecherquoten) doch interessant gewesen zu erfahren, dass diese Studie in Indien während der Corona-Pandemie in einer medizinisch schlecht versorgten Gegend ausgeführt wurde. Und dass es in den acht Wochen insgesamt nur fünf verhaltenstherapeutische Sitzungen gab.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es werden im Artikel zwei unabhängige Experten zitiert. Der erste ordnet das Phänomen ein, dass kleinere Studien oft positive Effekte zeigen, die sich später mit mehr Probanden nicht mehr bestätigen. Dazu ordnet er das Anpreisen von Kreatin als Hype ein und sagt deutlich: „Daraus jetzt ein Wundermittel zu kreieren, halte ich aufgrund der Datenlage für absolut übertrieben“. Das ist eine hilfreiche und wichtige Einordnung. Der zweite Experte liefert eher eine Einschätzung dazu, wie Kreatin eventuell helfen könnte: indem es Energie für das Gehirn in Stress-Situationen liefert, zu denen er auch Erkrankungen wie Depression zählt.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Leider wird der Interessenkonflikt des im Artikel prominent erwähnten Influencers Robert Love nicht benannt: er verkauft über seine Webseite Nahrungsergänzungsmittel – darunter auch mehrere Kreatinprodukte (prohealth.com). Das hätte im journalistischen Beitrag erwähnt werden müssen. Immerhin ordnet der Text Robert Love aber als Influencer ein und stellt nicht seine – auf der Webseite angepriesene – neurowissenschaftliche Ausbildung in den Vordergrund. Bei den im Text aufgeführten Experten sind uns keine Interessenskonflikte aufgefallen, die hätten erwähnt werden müssen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der journalistische Beitrag gibt einen guten Einblick in aktuelle Forschungen und Debatten und bettet Einzelergebnisse einen größeren Kontext ein.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE). ROE ERFÜLLT VSK KNAPP ERFÜLLT

Wir haben keine Fehler gefunden.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir haben keine Pressemitteilung dazu gefunden, daher gehen wir von einer journalistischen Eigenleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Mit der steilen Tiktok-These steigt der journalistische Beitrag spannend ein, der Text ist klar gegliedert und flüssig geschrieben. Zudem baut er durch die gut nachvollziehbaren Argumentationsketten immer wieder Spannungsbögen auf.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel ist gut verständlich geschrieben. Wissenschaftliche Erklärungen sind einfach und klar gehalten, vor allem bei der grundsätzlichen Rolle von Kreatin als Energielieferant für Muskeln. Zudem ist der Artikel logisch aufgebaut und gut strukturiert.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Kreatin ist kein Wundermittel, aber sicher ein Wirkstoff, der sich zu erforschen lohnt und der ein überraschend breites Anwendungsspektrum haben könnte. Zwar bezieht sich der Artikel vor allem auf eine Pilotstudie, die bereits Ende 2024 publiziert wurde. Da jedoch besagter Influencer iese Fachpublikation wiederholt als Beleg für seine Behauptungen verwendet hat, ist hier dennoch ein aktueller Anlass gegeben.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 15 erfüllt

 

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar