In dem Artikel des Magazins SPIEGEL (online) werden verschiedene Therapien sowie Vorbeugemaßnahmen gegen Gebärmutterhalskrebs dargestellt. Aufhänger ist eine aktuelle Studie in der Zeitschrift Lancet, in der zwei bereits eingesetzte Therapien kombiniert wurden und bessere Heilungsraten erzielten. Auch eine weitere neue Behandlungsmethode mit Antikörpern ist am Rande Thema. Neben Therapiemöglichkeiten wird zudem die HPV-Impfung beschrieben, mit der man der Tumorentwicklung vorbeugen kann. Die Vorteile der neuen Methoden und die Evidenz der Studienergebnisse sind ausreichend klar dargestellt, allerdings kommen mögliche Nebenwirkungen leider nicht zur Sprache.
Zusammenfassung
Verschiedene Therapieansätze und Präventionsmaßnahmen gegen Gebärmutterhalskrebs werden in dem Text des SPIEGEL (online) beleuchtet. Als Einstieg dient eine aktuelle Studie aus der Zeitschrift Lancet, die zeigt, dass die Kombination zweier bereits genutzter Therapien zu verbesserten Heilungserfolgen führt. Neben den therapeutischen Optionen wird auch die HPV-Impfung thematisiert, die helfen kann, die Entstehung von Tumoren zu verhindern. Die Qualität der Evidenz wird thematisiert, auch wird auf die Verfügbarkeit der Behandlung eingegangen. Im Text findet sich allerdings nur eine Wissenschaftlerin, die vielfach zitiert wird. Für eine umfassende Darstellung von Therapiemöglichkeiten beim Gebärmutterhalskrebs wäre eine weitere Stimme hilfreich gewesen. Auf die Kosten der Behandlung wird leider nicht eingegangen, wobei immerhin jene der vorbeugenden HPV-Impfung erwähnt werden. Sprachlich ist der Artikel gut gelungen und für Laien gut verständlich. Insgesamt liegt uns ein Artikel vor, der Leserinnen und Leser sehr umfassend und auf attraktive Weise über ein medizinisch relevantes und aktuelles Thema informiert.
Hinweis: Der Originalbeitrag befindet sich hinter der Paywall.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Zum Nutzen heißt es im Text: „Fünf Jahre nach Studienbeginn lebten noch 80 Prozent der Patientinnen, die die Kombinationstherapie bekommen hatten. Bei 73 Prozent von ihnen war der Krebs nicht zurückgekehrt und nicht metastasiert. In der Gruppe, die die Standardbehandlung bekommen hatte, lebten nach fünf Jahren noch 72 Prozent, bei 64 Prozent breitete sich der Krebs nicht erneut oder weiter aus.“ Der Nutzen der Kombinations-Therapie wird dadurch eindeutig und verständlich dargestellt. Leider werden allerdings keine absoluten Zahlen genannt, wobei die Gesamtzahl der Studienteilnehmerinnen (500) im Artikel erwähnt wird und sich damit die absoluten Zahlen leicht ableiten lassen. Die Wirkung der Kombination aus Antikörper und Radiochemotherapie wird dagegen nur durch ein Zitat einer Wissenschaftlerin dargestellt: „Der Vorteil, den diese Untersuchung bringt, ist Fehm zufolge sogar noch größer“. Die Wirksamkeit der Impfung wird hingegen gar nicht quantifiziert, es wird lediglich auf die Empfehlung der Ständigen Impfkommission verwiesen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Im journalistischen Artikel werden keine Risiken oder Nebenwirkungen erwähnt. Dabei geht aus der Lancet-Studie hervor, dass gerade höhergradige Nebenwirkungen bei 59 Prozent der mit Chemotherapie vorbehandelten Patientinnen auftraten. Vor allem Neutropenien traten auf, also ein Mangel an weißen Blutzellen für die Immunabwehr oder auch eine Blutarmut (Anämie). Ebenso wenig werden die Nebenwirkungen der Antikörper-Therapien erwähnt, siehe auch hier oder hier. Und die Nebenwirkungen der HPV-Impfung werden ebenfalls nicht beschrieben.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Da es sich um eine Kombination bereits auf dem Markt befindlicher Therapien handelt, wird im Text klar, dass diese bereits verfügbar und zugelassen sind. Klar wird auch, dass in der Praxis derzeit verschiedene Varianten der Behandlung angeboten werden. In einer Leitlinie sollen in zwei Jahren vermutlich diese beiden neuen Therapiemöglichkeiten aufgenommen werden. Die Impfung ist bereits seit 2007 möglich.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Der Text behandelt nicht nur eine neue Therapiemöglichkeit, sondern vergleicht diese mit einer weiteren Neuentdeckung und beschreibt auch die vorbeugende Impfung. Allerdings wäre es in diesem Zusammenhang wichtig gewesen, noch mehr auf die im Text nur kurz erwähnte Operation und verschiedene operative Vorgehensweisen einzugehen. So gibt es inzwischen chirurgische Alternativen, die sehr erfolgreich sind und hier gar nicht genannt werden. Eine wichtige Operationsmethode, die vor allem ohne die Nebenwirkungen der Bestrahlung (zum Beispiel auf Darm und Harnblase) auskommt, ist zum Beispiel die radikale Operation im Beckenraum (oder Total Mesometrial Resection/TMMR), siehe auch hier. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Es ist klar, dass die Kosten für eine Behandlung eines bereits fortgeschrittenen Tumors im Gebärmutterhals eine Kassenleistung sind. Die Kosten für die Impfung werden genauer erklärt, diese werden nur von der Kasse getragen, wenn bei einer Patientin bereits Vorstufen gefunden wurden oder die Patientinnen jünger als 18 Jahre sind. Sonst kostet eine Dosis 160 Euro.
Allerdings spielen gerade bei neueren Therapieansätzen wie etwa der im Text erwähnten Antikörperbehandlung die Kosten eine wichtige Rolle – und die Frage, die kostspielige neue Therapien für viele Patientinnen und Patienten künftig finanziert werden können. Daher wäre es schön gewesen, mehr über die Kosten der Kombinationstherapie zu erfahren. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Gebärmutterhalskrebs ist eine schwerwiegende und anerkannte Krankheit, dies wird im Text deutlich. Nur die zu Beginn des Textes gemachte Bemerkung, dass Gebärmutterhalskrebs zu den häufigsten Krebserkrankungen gehört, macht zunächst stutzig. Doch wird die Bemerkung sogleich mit einem Vergleich zur Häufigkeit von Brustkrebs relativiert: 4600 Neuerkrankungen pro Jahr von Gebärmutterhalskrebs versus 70 000 von Brustkrebs. Da die Sterberate der einen Erkrankung genannt wird (ein Drittel der an Gebärmutterhalskrebserkrankten stirbt) wäre es für die Leserinnen und Leser hilfreich gewesen, im Rahmen dieses Vergleichs auch die Sterberate bei Brustkrebs zu kennen. Hier sterben prozentual weniger, nur ein Viertel der Erkrankten (rund 18 000). Was bedeutet, dass trotz einer intensiven Vorsorge Gebärmutterhalskrebs lebensbedrohlicher für die Betroffenen ist. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Es handelt sich bei der neuen Studie um eine randomisierte Studie mit relevanten Endpunkten (Überlebensrate nach fünf Jahren oder Rückfallquote/Metastasierung). Diese Art der Studie ist sehr vertrauenswürdig. Es sind zwar nur 500 Patientinnen behandelt worden, allerdings wird erläutert, warum: Gebärmutterhalskrebs ist eine eher seltene Tumorerkrankung, daher sind größere Studien schwierig durchzuführen.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Es werden unabhängige Quellen (Wissenschaftler, Robert-Koch-Institut, Ständige Impfkommission) benannt, allerdings nur eine Expertin zitiert, die nicht an der Studie beteiligt war. Angesichts der Länge des Textes wäre eine zweite Stimme wünschenswert gewesen.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
In der Studie findet sich eine lange Liste von möglichen Interessenskonflikten mit Pharma- oder Diagnostikunternehmen (GSK, MSd, Eisai). Diese hätte man zumindest erwähnen können, auch wenn das natürlich nicht heißen muss, dass auf die Studie und deren Ergebnis tatsächlich Einfluss genommen wurde. Bei der im Text zitierten Expertin hätte noch erwähnt werden können, dass sie in einem anderen Fachartikel angegeben hat, Honorare von Pharmaunternehmen angenommen zu haben, die Antikörper-Therapien (so genannte Checkpoint-Inhibitoren) entwickeln (siehe auch hier). Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Der Beitrag geht zunächst von einer aktuell erschienenen Therapiestudie aus, lässt dann eine Expertin deren Bedeutung einordnen, insbesondere durch Erläuterung einer wichtigen neuen Alternativtherapie. Zudem wird die Schwierigkeit der Methodik (Fallzahl) der Studien benannt, schließlich auf die Prävention durch Impfung bzw. Vorsorgeuntersuchungen eingegangen. Ebenso wird auf frühere Therapiemöglichkeiten eingegangen.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Wir haben keine Fehler gefunden.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Der journalistische Beitrag zitiert ausreichend Quellen, etwa dazu, wie viele Frauen und in welchem Alter an dieser Krebsvariante in Deutschland erkranken, was Standardtherapie ist und dass es eine Impfung gegen den Krebs gibt. Zudem wird eine von der aktuellen Studie unabhängige Expertin ausführlich zitiert. Damit geht der Artikel deutlich über die Pressemitteilung zur Studie hinaus.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Der Text ist klar strukturiert (Neues zuerst, Fakten zur Krankheit, alternative Methoden, Vorbeugung) und navigiert die Leserschaft dadurch sicher durch das Thema. Die Sprache ist einfach und klar. Satzlängen sind angemessen, weder zu lang noch verschachtelt. Die Zitate lockern den Sachtext auf. Die Darstellungsweise entspricht damit gutem wissenschaftsjournalistischen Handwerk. Es wäre allerdings hie und da noch ein bisschen mehr Kreativität schön gewesen. Formulierungen wie „ein vielversprechender Ansatz“ oder „dass die Impfung die Rückfallquote senken kann“ fallen etwas nüchtern aus.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Die Darstellung und Wortwahl sind weitgehend allgemeinverständlich gehalten. Allerdings werden an mancher Stelle Begriffe wie „klassische Radiochemotherapie“ oder „Standardtherapie“ verwendet, die nicht erklärt werden. Auch die Wirkmechanismen der vorgestellten Therapien hätten noch etwas ausführlicher dargestellt werden können. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich (THEMENAUSWAHL).
Das Thema ist aufgrund der evaluierten neuen Therapieoptionen aktuell und weltweit wegen der andernorts höheren Inzidenzen sehr relevant.