Bewertet am 15. November 2024
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau (online)

Ein Artikel der Frankfurter Rundschau (online) berichtet über eine aktuell erschienene Studie über die mögliche Vorbeugung von Alzheimer-Demenz bei Menschen mit Typ-2-Diabetes mit Hilfe einer so genannten „Abnehmspritze“. Der mögliche Nutzen des Wirkstoffs Semaglutid wird jedoch nur unzureichend beschrieben, Nebenwirkungen des Medikaments nicht erwähnt. Auch wird die Qualität der Studie nicht ausreichend eingeordnet. Vor allem jedoch fällt auf, dass ein Großteil des deutschen Textes eine Übersetzung eines Artikels aus Medical News Today darstellt, die Thematik nicht oder kaum selbst recherchiert wurde.

Zusammenfassung

Der Text der Frankfurter Rundschau (online) beschäftigt sich mit der Frage, ob der Wirkstoff Semaglutid bei Typ-2-Diabetikern das Risiko für die Entstehung von einer Alzheimer-Erkrankung reduzieren könnte. Die Überschrift „Abnehmspritze gegen Demenz? Hoffnung für Alzheimer-Patienten durch Studie“ führt daher in die Irre und erfasst nicht den Kern des Artikels, was die Leserinnen und Leser enttäuschen könnte. Denn „Hoffnung für Alzheimer-Patienten“ lässt sich aus der Studie keineswegs schöpfen. Vielmehr scheint die Arznei möglicherweise die Gefahr zu verringern, dass Typ-2-Diabetiker später an Alzheimer-Demenz erkranken. Abschließend lässt sich das jedoch auch nach dieser Untersuchung nicht sagen, „weitere Forschung ist notwendig“ lautet die Schlussfolgerung aus der Studie.

Positiv zu bewerten ist, dass im Text selbst keine übertriebenen Hoffnungen geweckt werden. Sprachlich allerdings wirkt der Text an einigen Stellen holprig und verwendet viele Fachbegriffe, die nicht erklärt werden. Die sprachlichen Probleme entstehen auch dadurch, dass der Artikel in weiten Teilen einfach nur eine Übersetzung eines englischen Fachmediums ist. Eigene Recherchen hat es in diesem Fall wohl keine gegeben. Es wäre hilfreich gewesen, mehr über die Nebenwirkungen der Arznei zu erfahren und die Wirkung von Lebensstil-Veränderungen in Bezug auf Diabetes und Alzheimer anzubringen.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Zum Nutzen des Wirkstoffs Semaglutid berichtet der Artikel: „Wissenschaftler haben entdeckt, dass Semaglutid, im Vergleich zu sieben anderen Diabetes-Medikamenten, dazu beitragen könnte, das Risiko von Alzheimer bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zu reduzieren“. Dann heißt es in einem Absatz: „Die Ergebnisse sind beeindruckend: Es gibt ein 40 bis 70 Prozent geringeres Alzheimer-Risiko durch Semaglutid, im Vergleich zu den anderen sieben Medikamenten“. Dabei erfahren Leserinnen und Leser nicht, wie groß das Alzheimer-Risiko für Typ-2-Diabetiker allgemein ist, um die Ergebnisse etwas einordnen zu können. Vor allem absolute Zahlen wären hier hilfreich gewesen, da relative Zahlen oft dazu führen, dass der Nutzen eines Medikaments überschätzt wird.

Schließlich übertreibt der Artikel in der Überschrift massiv, wenn es heißt: „Abnehmspritze gegen Demenz? Hoffnung für Alzheimer-Patienten durch Studie“, denn in der Studie ging es ja nicht um die Behandlung von bestehendem Alzheimer, sondern um das Auftreten der Erkrankung. Und auch dies nur in Zusammenhang mit Menschen, die an Typ-2-Diabetes leiden. Positiv ist, dass zumindest in der Einschätzung der unabhängigen Expertin von „vorsichtigem Optimismus“ gesprochen wird.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt

Der Beitrag geht nicht auf mögliche, bekannte Nebenwirkungen von Semaglutid ein. Dazu zählen etwa Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Verstopfungen. Auch Entzündungen der Bauchspeicheldrüse kommen (selten) vor und Komplikationen von Augenerkrankungen (diabetische Retinopathie). Auch thematisiert der Beitrag nicht, dass Semaglutid dauerhaft genommen werden müsste und Patienten sich somit umso mehr mit dem Thema Nebenwirkungen auseinandersetzen müssten. Im einleitenden Absatz des Artikels wird lediglich erwähnt, dass eine Expertin das Medikament „als riskant eingestuft“ habe. Warum und in welchem Zusammenhang, wird nicht erläutert.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Artikel erklärt nicht explizit, dass das Arzneimittel Semaglutid auf dem Markt ist. Vielmehr setzt er das Wissen voraus, dass die „Abnehmspritze“ verfügbar ist. Dies erscheint plausibel, da in den vergangenen Monaten sehr breit über die Thematik berichtet wurde.

Gleichzeitig wird im Text deutlich, dass es noch Gegenstand der Forschung ist, ob Semaglutid vorbeugend eingesetzt werden könnte, um die Entstehung von Alzheimer bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zu verhindern. Das wird deutlich in Formulierungen wie „dazu beitragen könnte“, „Wissenschaftlter vermuten…“, „Präklinische Beweise deuten darauf hin…“ oder „…klinische Studien erforderlich, um die Wirkung zu bestätigen.“ So wird indirekt deutlich, dass Patienten das Mittel derzeit nicht zur Vorbeugung von Alzheimer bekommen können.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

In dem Text werden sieben andere Arzneimittel zur Behandlung von Typ-2-Diabetes genannt. Damit wird deutlich, dass es für Semaglutid zahlreiche Alternativen gibt (in Bezug auf die Diagnose Diabetes). Lebensstil-Faktoren wie Ernährung, Bewegung, Schlaf etc. werden allerdings nicht erwähnt, obwohl sie großen Einfluss auf den Verlauf einer Diabetes-Typ-2-Erkrankung haben können. Der Kern des Textes dreht sich jedoch nicht um die Diagnose Diabetes, sondern die Frage, ob sich eine Alzheimer-Erkrankung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes durch Arzneimittel verhindern ließe.

In der zitierten Studie haben die Forschenden genau das untersucht: Welches Arzneimittel bewirkt eine Risikoreduktion? Auch diese Ergebnisse führt der Text auf, wenn auch in sehr allgemeiner Form („Es gibt ein 40 bis 70 Prozent geringeres Alzheimer-Risiko durch Semaglutid, im Vergleich zu den anderen sieben Medikamenten. Dies gilt unabhängig vom Adipositas-Status, der Altersgruppe oder dem Geschlecht.“). Auch in diesem Zusammenhang wäre es sinnvoll gewesen, auf die Lebensstilfaktoren und bekannten Risikofaktoren für eine Demenzerkrankung (mangelnde Bewegung, Rauchen, Schwerhörigkeit, Sehverlust, Bluthochdruck, Übergewicht, Depressionen etc.) einzugehen, um damit zu verdeutlichen, auf welchem Weg Prävention stattfinden könnte (Bewegung, gesunde Ernährung, Rauchstopp, Hörgeräteversorgung etc.). Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Der Beitrag geht nicht auf die Kosten ein, die durch die Verabreichung von Semaglutid entstehen. Da die Kosten dieses Medikaments jedoch bereits bekannt sind und ein vorbeugender Einsatz gegen Alzheimer-Demenz bei Menschen mit Typ-2-Diabetes enorme Kosten im Gesundheitswesen verursachen würde, wäre dies ein interessanter Aspekt der Thematik gewesen. Darum werten wir, wenn auch knapp, „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Artikel dreht sich um die Frage, wie das Alzheimer-Risiko von Menschen mit Typ-2-Diabetes reduziert werden könnte. Wie groß dieses ist, wird zwar nicht quantifiziert. Allerdings wird es auch nicht übertrieben. Im Text steht: „Es ist bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein erhöhtes Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken. (…) Darüber hinaus kann Diabetes die Blutgefäße im Gehirn schädigen, was das Demenzrisiko einer Person weiter erhöhen kann.“ Beide Feststellungen sind richtig und nicht übertrieben, daher werten wir „ERFÜLLT“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag geht kaum auf die Qualität der Belege ein, nennt die Ergebnisse aber „beeindruckend“. Es wird beschrieben, dass die „Krankheitsverläufe von etwa einer Million Menschen mit Typ-2-Diabetes in den USA über einen Zeitraum von drei Jahren“ untersucht wurden. Es wird nicht erläutert, dass es sich hierbei um eine „target trial emulation“, also die Simulierung einer randomisierten kontrollierten Studie geht, die versucht, aus Beobachtungsstudien Kausalitäten abzuleiten. Wie die Ergebnisse zu bewerten sind, ordnet die Hauptautorin der Studie ein, etwa hier: „Unsere Studie liefert vielversprechende Beweise aus der Praxis, die darauf hindeuten, dass Semaglutid bei der Vorbeugung oder Verlangsamung der Entwicklung von Alzheimer von Vorteil ist.“ Eine weitere Forscherin, Verna Porter, kommt ebenfalls zu Wort (als Zitat aus einem anderen Medium). Sie sagt: „Die mit Semaglutid verbundene signifikante Verringerung der Alzheimer-Inzidenz ist vielversprechend …“. Leserinnen und Leser können mit diesen Informationen jedoch nicht einordnen, wie die Ergebnisse zustande gekommen und wie sie zu bewerten sind.

Es wird im Text zwar erwähnt, dass „weitere Forschung“ nötig sei, um das Ergebnis zu bestätigen. Es wird aber keine weitere Erklärung dafür gegeben. Auch erweckt die Angabe, dass die Forscher die Krankheitsverläufe von rund einer Million Patienten untersucht haben, den Eindruck, dass besonders viele Daten vorgelegen haben. Ein Blick in den Fachartikel zeigt jedoch, dass es im Fall der von Alzheimer Betroffenen immer nur um Häufigkeiten von zehn bis vierzig Personen geht.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Im journalistischen Beitrag kommt neben einer Studienautorin eine US-amerikanische Expertin zu Wort: Verna Porter, vom Pacific Neuroscience Institute. Sie war nicht beteiligt an der im Artikel zitierten und besprochenen Studie, ist aber Neurologin und Alzheimer-Expertin, was im Artikel zu lesen ist. Sie sagt, die mit Semaglutid verbundene Verringerung des Auftretens von Alzheimer sei vielversprechend und es gebe Hinweise, die darauf hindeuteten, dass GLP1-Rezeptoragonisten (den Leserinnen und Lesern wurde zuvor erklärt, dass Semaglutid ein GLP-1Rezeptoragonist ist) neuroprotektive Eigenschaften haben könnten. Allerdings wird die Expertin lediglich aus einer anderen Quelle zitiert (Medical News Today).

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Laut Fachartikel haben die Autorinnen und Autoren keinerlei Interessenkonflikte, die Finanzierung erfolgte durch zwei Nationale Gesundheitsbehörden. Diese Informationen wären für den journalistischen Beitrag interessant gewesen, weil sie zeigen, dass es sich um unabhängige Forschung handelt, sie müssen aber nicht explizit erwähnt werden.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Artikel macht deutlich, dass Semaglutid bereits für die Behandlung von Diabetes-Typ-2 zugelassen ist. Außerdem wird thematisiert, dass der Wirkstoff ebenfalls zur Gewichtsreduktion eingesetzt wird. Mit dem Schlagwort „Abnehmspritze“ wird auf die breite Berichterstattung der vergangenen Monate Bezug genommen. Als weitere Information steht im Text, dass bekannt sei, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein erhöhtes Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken. Zudem wird kurz erklärt, welche Symptome bei Alzheimer-Demenz auftreten und dass es keine Heilung gibt. Damit wird deutlich, dass die im Text besprochene Studie eine mögliche zukünftige Methode zur Vorbeugung von Alzheimer bespricht, die allerdings noch Gegenstand der Forschung ist. Es wird allerdings nicht erwähnt, dass Semaglutid und verwandte Wirkstoffe derzeit für viele verschiedene medizinische Indikationen in Erprobung sind. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Die Überschrift des Artikels vermittelt ein falsches Bild: Es geht nicht um die Behandlung von Menschen, die bereits an Alzheimer-Demenz leiden. Es wurde in der Studie untersucht, ob Semaglutid das Auftreten der Erkrankung bei Menschen mit Typ-2-Diabetes verzögern kann. Der Text an sich macht diesen Fehler nicht, daher werten wir nur knapp „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der journalistische Artikel geht zwar über die Pressemitteilung einer der beteiligten Unikliniken hinaus, ist aber weitgehend eine übersetzte Kopie des englischen Artikels der Webseite Medical News Today. Von einer überwiegend eigenständigen journalistischen Leistung kann hier also nicht die Rede sein.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Text ist gespickt von medizinischen Fachbegriffen (inklusive einer detaillierten Aufzählung der Diabetes-Medikamente und länglichen Beschreibungen, von welchen Institutionen die Expertinnen und Experten stammen). Dies ist für Laien eher abschreckend, lässt sich allerdings damit erklären, dass der Text weitgehend eine Übersetzung eines Artikels aus einem medizinjournalistischen Nachrichtenportal darstellt.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Die ersten drei Absätze sind leicht zu verstehen, die folgenden allerdings weniger. Darin werden einzelne Wirkstoffe aufgelistet, mit denen Laien wenig anfangen können. Auch die Zitate der Studienautorin Xu und der unabhängigen Expertin Porter sind kompliziert geschrieben und voller Fachbegriffe und Fremdworte, die nicht erklärt werden. Es wird nicht erklärt, was genau bei der Untersuchung gemacht wurde und was die Ergebnisse sind, das 40- bis 70-Prozent geringere Alzheimer-Risiko vermittelt keine genaue Vorstellung vom Nutzen. Auch bleibt unklar, wie Semaglutid überhaupt wirkt und welche Wirkmechanismen eine Rolle dabei spielen könnten, das Auftreten einer Alzheimer-Demenz zu verzögern. Da zudem die Einordnung in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen und Kosten fehlt, kann das Thema mit Hilfe dieses Textes nicht vollständig erfasst werden.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Die Abnehmspritze ist ein hochaktuelles Thema, weil Typ-2-Diabetes eine wichtige und häufige Erkrankung darstellt, in Deutschland und weltweit. Zumal Expertinnen und Experten Semaglutid mitunter als „Gamechanger“ bezeichnen, bei der Therapie von Diabetes und Übergewicht und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebenserwartung. Eine aktuelle Studie zu der speziellen Fragestellung, ob sich mit dem Wirkstoff einer Alzheimer-Demenz vorbeugen lässt, stellt einen guten Anlass für eine Berichterstattung dar.

Medizinjournalistische Kriterien: 7 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2), Begründung: Da der Text weitgehend die Übersetzung eines Artikels aus Medical News Today darstellt und die Thematik nicht selbst recherchiert wurde, werten wir die Gesamtwertung um einen Stern ab.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar