Bewertet am 22. Juli 2024
Veröffentlicht von: NDR Info

Der journalistische Beitrag von NDR Info greift das wichtige Thema der therapieresistenten Depression auf und berichtet über zwei Behandlungsansätze: die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) und transkranielle Magnetstimulation. Es werden mehrere Expert*innen zitiert, die sich positiv zu diesen Verfahren äußern. Mehrfach wird nur recht vage auf „Studien“ Bezug genommen, ohne dass jedoch deren Aufbau oder Ergebnisse genauer erläutert werden. Die Leserinnen und Leser erfahren nicht, wie vielen depressiven Patient*innen, die nicht auf Medikamente und Psychotherapie ansprechen, eine nichtinvasive Hirnstimulation in Studien oder der Klinik hilft. Auch werden Nebenwirkungen nur kurz angesprochen.

Zusammenfassung

Der Text des Hörfunkbeitrags widmet sich einem relevanten Thema: der Therapieresistenz bei Depressionen. Allerdings werden zwei Verfahren der Hirnstimulation teilweise als die neuen Heilsbringer dargestellt, die Hoffnung schöpfen lassen. Es kommen nur Wissenschaftler*innen zu Wort, die die Verfahren positiv bewerten, Studien und andere Quellen werden nicht genannt. Aussagen zur Wirksamkeit sowie zu den Nebenwirkungen werden nicht ausreichend quantifiziert. Wie gut die Alternativen also wirklich sind, und ob es noch weitere Therapieoptionen gibt, wird im Text nicht deutlich. Unklar bleibt auch, worin die neuen Entwicklungen der beiden Methoden liegen, wenn es die Verfahren bereits fast 100 Jahre gibt. Positiv zu erwähnen ist, dass der Text gut strukturiert ist und auf die Verfügbarkeit sowie die Kosten der Behandlungen zumindest kurz eingeht.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Nutzen wird nur vage beschrieben und nicht ausreichend quantifiziert. Zwischen einem Drittel und der Hälfte der Patienten mit Depressionen seien therapieresistent oder schwer behandelbar. Ob diese alle für die Elektrokrampftherapie in Frage kommen, bleibt offen. Bei den Behandelten gebe es „Besserungsraten zwischen 50 und 90 Prozent“. Die Magnetstimulation habe eine Wirksamkeit von „bis zu 70 Prozent“. Was das genau heißen soll und wie ausgeprägt die Besserung ist, wie lange sie anhält, wird im Text nicht erläutert. Ferner heißt es: „Expert:innen sind vom therapeutischen Nutzen der Methoden bei schwer behandelbaren Depressionen überzeugt.“ Ob es unter Ärztinnen und Ärzten auch andere Meinungen dazu gibt, spricht der Beitrag nicht an.   So findet ein – allerdings nicht ganz aktueller – Übersichtsartikel aus dem Jahr 2017 keinen Nutzen, der über den Placeboeffekt hinausgeht (siehe auch hier). Ob dies inzwischen widerlegt ist, ist dem Beitrag nicht zu entnehmen. Insgesamt hätte genauer ausgeführt werden müssen, welcher Nutzen unter welchen Bedingungen tatsächlich nachgewiesen ist.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Als „leichte Nebenwirkungen“ werden im journalistischen Beitrag Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Hautirritationen genannt, ferner „bei einigen Patienten“ Gedächtnisstörungen. Zudem berichtet eine der im Text zitierte Expertin, dass sie in ihrer 20-jährigen Forschungspraxis unter Tausenden hirnstimulierten Patienten nur einen epileptischen Anfall gesehen habe, was eher als anekdotischer Hinweis zu werten ist. Zusätzlich zu den im Beitrag genannten Nebenwirkungen finden sich unter patienten-information.de noch weitere, Schwindel zum Beispiel und Muskelkater, sehr selten auch Komplikationen wie Herz-Rhythmus-Störungen oder Blutdruckprobleme. Zudem seien die üblichen Risiken einer Narkose zu bedenken. Aktuelle Reviews nennen ferner kognitive Störungen als Nebenwirkung (siehe hier und hier). Damit ist die Auflistung der möglichen Nebenwirkungen im journalistischen Beitrag unvollständig, auch werden die im Text genannten nicht quantifiziert.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Bericht macht deutlich, dass diese Therapien bereits in der Nationalen Versorgungsleitlinie empfohlen und in vielen Krankenhäusern angewandt werden. Wobei die Angaben dazu sehr vage sind: Fast die Hälfte der Kliniken in Deutschland setze die EKT ein, heißt es am Ende des Beitrags. Gemeint ist vermutlich die Hälfte der Kliniken, die überhaupt Patient*innen mit Depressionen behandeln, siehe auch Kriterium Fakten. Zur Magnetstimulation sind keine Angaben zu finden, nur, dass „immer mehr“ Patient*innen in Deutschland mit Hirnstimulationen behandelt werden. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird deutlich, dass es andere Verfahren zur Behandlung von Depressionen gibt, Medikamente, Psychotherapie und Soziotherapie werden zu Beginn des journalistischen Beitrags genannt. Wichtig sei, dass man „ein großes therapeutisches Netz strickt“, wird zudem ein Experte zitiert.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Es wird erläutert, dass nur die EKT von den Kassen erstattet wird, nicht aber die Magnetstimulation. Konkrete Angaben zu den Kosten wären hier allerdings hilfreich gewesen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Depressionen und ihre Folgen für die Betroffenen werden nicht näher beschrieben und daher auch nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Wiederholt ist im Beitrag von „Studien“ die Rede, ohne dass diese näher benannt werden. Es bleibt völlig offen, mit welchen Methoden diese wann, wo und von wem durchgeführt wurden, wie groß die Anzahl der Behandelten jeweils war und welche Ergebnisse konkret erzielt wurden. Daher ist nicht klar, ob im Text wirklich die Fakten dargelegt werden, oder eben nur Expert*innen zitiert werden, die gute Erfahrungen mit der Anwendung der Therapie gemacht haben.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Im vorliegenden Beitrag geht es nicht um eine aktuelle Studie zu Hirnstimulationen, die bewertet oder diskutiert wird. Die drei im Text erwähnten Wissenschaftler*innen erwähnen nur an verschiedenen Stellen recht vage „Studien“, die zu der Thematik durchgeführt worden sind – ohne dass daraus ersichtlich ist, ob sie diese Studien selbst durchgeführt haben. Es bleibt also unklar, wie unabhängig die zitierten Forschenden sind. Klar wird nur, dass alle drei zu Hirnstimulationen forschen und/oder die Methoden an Kliniken einsetzen. Zudem fehlen Statistiken und Zahlen aus Studien oder Leitlinien. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Eine Kurzrecherche zeigt, dass Niklas Schade und Helge Frieling keine Interessenkonflikte zu haben scheinen. Andrea Antal hat zumindest Honorare von NeuroCare, einem Anbieter der transkraniellen Magnetsimulation erhalten, das hätte erwähnt werden können. Insgesamt erscheint es jedoch angemessen, das Thema Interessenkonflikte im Text nicht aufzugreifen. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Die Hirnstimulation bei Depressionen ist kein neues Verfahren, dies wird flüchtig im Bericht angesprochen. Eingeordnet wird es jedoch nicht (es wurde bereits in den 1930er Jahren entwickelt). Auch wird nicht erläutert, welche neuen Entwicklungen es bei diesen Methoden in den vergangenen Jahren gegeben hat, gerade auch bei der Behandlung von Depressionen.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Fehlerhaft ist die Angabe, fast die Hälfte der Kliniken in Deutschland setze EKT schon ein. Tatsächlich sind es etwa die Hälfte aller psychiatrischen  Kliniken (siehe auch hier). Doch betrachten wir den Fehler nicht als gravierend. Andere Zahlen im Text sind sehr allgemein gehalten und damit kaum zu überprüfen.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir haben keine Pressemitteilung finden können, die für den Artikel hergenommen wurde. Daher gehen wir von einer journalistischen Eigenleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Text beginnt mit einem konkreten Patientenbeispiel, was für Leserinnen und Leser interessant sein dürfte. Der weitere Aufbau erscheint logisch und strukturiert, von der Vorstellung der beiden Methoden über die möglichen Wirkmechanismen und Nebenwirkungen bis hin zur Verfügbarkeit und Kostenfrage.

Allerdings finden sich im Text ein paar ungeschickte Formulierungen, etwa, wenn von Hirnarealen die Rede ist „die von Depression betroffen sein könnten“. Von Depression betroffen sind die Patient*innen; bestimmte Hirnareale können allenfalls an der Entstehung der Symptome beteiligt sein. Insgesamt werten wir knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Es werden im journalistischen Beitrag viele Fachbegriffe verwendet, die nicht erklärt werden. Oft kommen Details zu den Verfahren zur Sprache, die wenig relevant sind, darum dürften Leserinnen und Leser an manchen Stellen etwas ratlos zurückbleiben. Zum Beispiel hier: „(…) Dazu sendet eine an die Kopfhaut angelegte Magnetspule eine Reihe von magnetischen Impulsen aus, die elektrische Ströme im Hirn erzeugen. Andere Methoden arbeiten mit schwachem Gleichstrom(…)“. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Angesichts der Häufigkeit von Depressionen könnte der Beitrag relevant sein, doch bleibt unklar, warum dieser Artikel jetzt erscheint. Gab es eine neue Studie zur Wirksamkeit? Gibt es neue Leitlinien? Werden die Verfahren endlich von der Kasse bezahlt? Nichts davon ist im Beitrag zu finden. Lediglich am Ende des Textes findet sich die Information, dass in Niedersachsen nun eine neue Studie beginnen soll, die alle so behandelten Patient*innen erfasst. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2), da die zentralen Kriterien Nutzen, Nebenwirkungen, Qualität der Evidenz und Einordnung „nicht erfüllt“ gewertet wurden.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar