Ein journalistischer Beitrag der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (online) beschreibt eine Studie, in der es chinesischen Forschenden gelang, die Fruchtbarkeit alternder Mäuseweibchen durch die Gabe von Spermidin zu verlängern. Die Qualität der Eizellen habe sich verbessert, heißt es im Text, ohne jedoch die erzielten Effekte im Einzelnen zu benennen. Die verschiedenen Experimente und deren Ergebnisse werden nicht einmal exemplarisch beschrieben. Ob es Nebenwirkungen gab, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Die Studie wird durch eine Reproduktionsmedizinerin eingeordnet, die nicht an den Arbeiten beteiligt war, damit geht der Beitrag immerhin über die Pressemitteilung hinaus.
Zusammenfassung
Chinesische Forschende haben an Mäusen beobachtet, dass Spermidin die Fruchtbarkeit der Tiere verlängern kann, so wird in einem Artikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (online) berichtet. Der Nutzen der Arbeit wird jedoch nur knapp und oberflächlich dargestellt und impliziert, dass damit auch eine krankheitsbedingte Unfruchtbarkeit behandelt werden könnte. Risiken und Nebenwirkungen werden nicht thematisiert. Es wird deutlich, das Spermidin frei verkäuflich in Apotheken zu beziehen ist, die Kosten der Präparate allerdings nicht erwähnt. Welche anderen Verfahren gegen altersbedingte Unfruchtbarkeit eingesetzt werden, bleibt offen. Eine unbeteiligte Expertin ordnet die Aussagekraft der Untersuchung ein, womit der Text über die Pressemitteilung zur Studie hinausgeht. Warum altersbedingte Unfruchtbarkeit behandelt werden sollte und welche ethischen Probleme damit verbunden wären, erörtert der Text jedoch nicht. Lobenswert ist, dass der Artikel von Anfang an deutlich macht, dass es sich um Untersuchungen an Mäusen handelt und die Ergebnisse schwer auf Menschen zu übertragen sind.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Die positiven Effekte, die Spermidin auf die Fruchtbarkeit älterer Mäuseweibchen hat, werden nur sehr vage beschrieben: Spermidin verbessere die Qualität der Eizellen, heißt es fast gleichlautend in der Überschrift, im Vorspann und im 2. Absatz. Was damit gemeint ist, bleibt offen. So erfahren Leserinnen und Leser nicht, dass die Substanz z.B. die Follikelentwicklung und die Reifung der Eizellen förderte, („Spermidine boosts in vitro maturation of oocytes from aged mice“, „Spermidine enhances the in vivo maturation competency of oocytes from aged mice“), dass mehr Spermien an die behandelten Eizellen banden („spermidine supplementation increased the number of sperm binding to oocytes from aged mice“), und dass ältere Mäuse nach der Gabe von Spermidin größere Würfe hatten als ohne die Behandlung („litter size of female mice was considerably lowered by aging, whereas it was restored to some degree after spermidine supplementation“). Da solche konkreten Informationen zu den positiven Effekten im Artikel fehlen, werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Auf das Thema Risiken und Nebenwirkungen geht der Text leider nicht ein. So wird auch nicht berichtet, dass zu hohe Dosen Spermidin laut Studie die Eizellreifung verlangsamen. Nur durch den Hinweis, dass vor einer Einnahme ohne ärztliche Aufsicht gewarnt wird, können Leserinnen und Leser erahnen, dass es auch Risiken gibt. So heißt es etwa bei der Verbraucherzentrale: „Risiken einer langfristig erhöhten Zufuhr an Spermidin können nicht ausgeschlossen werden“, siehe auch hier.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Es wird deutlich, dass es sich um Tierversuche handelt und Effekte auf die menschliche Fortpflanzung bisher unerforscht sind. Spermidin sei zwar für andere Zwecke rezeptfrei erhältlich, heißt es im Artikel, doch „von einer Einnahme ohne medizinische Aufsicht raten Experten und Expertinnen aber ab. Bis zu einer ausgereiften Behandlung zur Verlängerung der Fruchtbarkeit ist es noch ein weiter Weg.“
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Ob noch andere Mittel und Verfahren zur Verlängerung der Fruchtbarkeit erforscht werden, lässt der Text offen, Alternativen werden nicht erwähnt.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Zwar beschreibt der Beitrag lediglich Tierversuche und informiert korrekt darüber, dass ein Einsatz am Menschen noch nicht bevorsteht. Doch da Spermidin etwa als „Anti-Aging-Mittel“ bereits erhältlich ist, wären Informationen zu den Kosten für die Leserinnen und Leser interessant gewesen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Die mit dem Alter abnehmende Fruchtbarkeit von Frauen wird kaum thematisiert, allerdings nicht hinterfragt, ob dieses natürliche Phänomen überhaupt behandelt werden muss. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Es wird klar, dass es sich um Versuche an weiblichen Mäusen handelt, die mit dem Trinkwasser oder per Injektion Spermidin erhielten. Welche Effekte dann konkret gemessen wurden, beschreibt der journalistische Beitrag jedoch nicht. Es ist nur von einer besseren Qualität der Eizelle die Rede, die allerdings nicht genauer definiert wird. Wie viel länger die Fruchtbarkeit der Tiere anhielt und wie sich die Behandlung mit Spermidin auf die Anzahl der geborenen Jungtiere war, bleibt im Text unerwähnt. Die verschiedenen Versuche im Zellversuch und an Mäusen werden nicht einmal exemplarisch beschrieben. Selbst grundlegende Informationen fehlen, etwa, wie viele Nager überhaupt das Spermidin erhielten. Immerhin aber ordnet eine unabhängige Expertin die Qualität der Studie ein: „Es sei zwar eine sehr gute und auch solide Studie´, urteilt etwa Reproduktionsmedizinerin Verena Nordhoff vom Universitätsklinikum Münster gegenüber dem Science Media Center (SMC). ,Allerdings muss bedacht werden, dass sich Mäuse sehr stark vom Menschen unterscheiden, insbesondere was den Alterungsprozess betrifft.´“ Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Im Beitrag wird die Reproduktionsmedizinerin Verena Nordhoff vom Universitätsklinikum Münster zitiert, die nicht an der Studie beteiligt war, und die die Studie kritisch einordnet (z.B. „Allerdings muss bedacht werden, dass sich Mäuse sehr stark vom Menschen unterscheiden, insbesondere was den Alterungsprozess betrifft“).
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Wir haben keine Interessenkonflikte gefunden, die hier zu nennen gewesen wären. Daher werten wir das Kriterium als „ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Der Beitrag ordnet die Studienergebnisse nicht in einen größeren Kontext ein. So fehlen jegliche Hintergrundinformationen zur Verschiebung der Familienplanung in ein höheres Lebensalter, die möglichen Gründe dafür oder die damit zusammenhängenden sozialen Faktoren und Risken. Ethische Fragen wie etwa zu den Folgen für Kinder, die von besonders alten Müttern zur Welt gebracht zu werden, werden ebenfalls nicht diskutiert.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Wir haben keine Faktenfehler gefunden.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Mit der Stellungnahme einer unabhängigen Wissenschaftlerin geht der Beitrag über die Pressemitteilung hinaus.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Der Text ist logisch aufgebaut und in nüchternem, nachrichtlichem Stil geschrieben. Allerdings wiederholt sich zu Beginn des Beitrags mehrfach die Formulierung, die „Qualität der Eizellen“ werde verbessert, ohne dass wenigsten exemplarisch konkrete Effekte genannt würden. Auch im weiteren Text finden sich nur sehr vage Aussagen („hält die Zellgesundheit aufrecht“, „könnte mit altersbedingten Krankheiten im Zusammenhang stehen“). Auch erfahren Leserinnen und Leser, Spermidin werde als „Anti-Aging- und Pro-Langlebigkeitsmittel eingesetzt“, ohne aber zu berichten, ob diese Effekte auch nachgewiesen sind. Insgesamt bleibt der Text oft im Ungefähren und ist damit wenig attraktiv. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Die enthaltenen Informationen sind im Großen und Ganzen verständlich. Allerdings fehlt die wichtige Information, dass bei alternden Mäusen der Gehalt an Spermidin in den Eierstöcken natürlicherweise zurückgeht. Dies ist indes die Grundlage für die vorgestellten Versuche, mit der Supplementierung von Spermidin die Fruchtbarkeit zu erhöhen. Damit fehlt eine wichtige Information, um das Vorgehen der Forschenden zu verstehen. Lobenswert ist, dass der Text von Anfang an klarmacht, dass es sich um Forschung an Mäusen handelt. Auch im Zwischentitel wird deutlich, dass diese Forschung nicht unbedingt auf Menschen übertragbar ist. Ein Manko des Textes ist indes, dass nicht zwischen altersbedingter Unfruchtbarkeit (was bei den Mäusen untersucht wurde) und krankheitsbedingter frühzeitiger Unfruchtbarkeit unterschieden wird. Die Leserinnen und Leser erhalten also insgesamt zu wenig Information, um die Thematik des Artikels wirklich zu verstehen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Es handelt sich um eine zeitnahe Berichterstattung eines Forschungsergebnisses aus einem relevanten Fachmagazin. Forschungsansätze, die darauf abzielen die fruchtbare Phase von Frauen zu verlängern, dürften für viele LeserInnen interessant sein. Allerdings befindet sich diese Forschung noch im Maus-Stadium, ob die Behandlung jemals beim Menschen zur Anwendung kommen wird, ist noch offen. Auch wenn Artikel über Studien in Tierversuche durchaus interessant sein können, stellt sich in diesem Fall die Frage, ob Leserinnen und Leser einer Regionalzeitung sich dafür interessieren werden. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.