Der journalistische Beitrag in der Märkischen Allgemeinen (online, Paywall) berichtet über eine Magenverkleinerung bei einer Patientin mit Adipositas. Er beschreibt dabei lediglich diesen Einzelfall, es fehlen sämtliche Informationen zu Nutzen und Risiken solcher Operationen. Über das Verfahren selbst erfährt man leider nur wenig, welche unterschiedlichen OP-Methoden es gibt, spricht der Beitrag nicht an.
Zusammenfassung
Der Artikel in der Märkischen Allgemeinen über eine Magenverkleinerungs-Operation beschränkt sich auf die Beschreibung eines Einzelfalls. Nutzen und die Risiken thematisiert er nicht. Auch alternative Behandlungsarten und die Kosten der Therapie kommen nicht zur Sprache. Unabhängige Experten kommen nicht zu Wort und die Evidenz für das beschriebene Verfahren ist nicht dargestellt. Aber die Beschreibung des Einzelfalls stellt eine journalistische Eigenleistung dar, die Durchführung der Operation und auch die Atmosphäre im OP-Saal werden auch für Laien verständlich dargestellt. Allerdings hat der journalistische Beitrag einen werblichen Charakter, der operierende Chirurg wird mit seiner Expertise sehr in den Mittelpunkt gestellt, eine kritische Distanz findet sich leider nicht.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Über die positiven Effekte der beschriebenen Therapieform, der Magenverkleinerungsoperation, berichtet der Artikel nur am Rande, und ohne jede quantifizierende Angabe einer Wirksamkeit. Es heißt lediglich: „Ihr Magen wurde auf ein Zehntel reduziert. ,Eine einfache Banane wird sie jetzt schon satt machen‘, meint Lenz. Er hat während der Operation nicht nur einen Teil des Magens entfernt, sondern auch die hormonbildenden Zellen reduziert, die für das Hungergefühl zuständig sind.“ Dass diese Maßnahme bei starkem Übergewicht hochwirksam sein kann, erschließt sich nur indirekt: „Sabine kann nun ein neues Leben beginnen.“ Gleich darauf heißt es allerdings einschränkend: „Vor ihr liegt aber noch ein langer Weg. Denn eine Magenverkleinerung sei nur der erste Schritt. Jetzt folgen strenge Diät und viel Bewegung, um Gewicht zu verlieren.“ Auch das Ziel der Operation wir genannt: Das Gewicht der hier vorgestellten Patientin von 132,8 kg auf unter 100 kg zu senken. Ob dies in der Folge gelungen ist, erfährt man aber nicht. Auch wie die Erfolgsrate bei solchen Operationen allgemein ist, wieviel Gewicht die Patientinnen und Patienten durchschnittlich verlieren, und ob mit dem Gewichtsverlust auch immer gesundheitliche Vorteile erzielt werden, geht aus dem Beitrag nicht hervor.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt
Risiken, die mit der Operation einhergehen, werden nur in sehr allgemeiner Form angesprochen: „Über die hohen Risiken ist sich auch Sabine bewusst“ (siehe dazu auch Kriterium 13). Immer wieder geht es im Artikel darum, dass es sich um eine außergewöhnlich schwierige Operation handele: „Es sei eine technisch extrem anspruchsvolle operative Herausforderung,…“ Welche Risiken es aber konkret gibt, und wie häufig Komplikationen während der OP und spätere Nebenwirkungen auftreten, geht aus dem Beitrag nicht hervor.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Der Artikel berichtet über eine Operation in einem örtlichen Krankenhaus; damit wird für Leserinnen und Leser des Regionalmediums klar, dass das Verfahren hier verfügbar ist. Es fehlen allerdings Informationen darüber, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit ein solcher Eingriff vorgenommen wird. Immerhin heißt es knapp: „Die Magenverkleinerung werde … von der Krankenkasse übernommen. Etwa einmal in der Woche führt der Chefarzt einen solchen Eingriff durch.“ Daraus lässt sich schließen, dass diese Therapie auch anderswo angeboten wird und allgemein verfügbar ist. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Die Möglichkeit durch eine Diät abzunehmen, taucht nur in einer kurzen Selbsteinschätzung der Patientin auf („mit ein bisschen Diät funktioniert das nicht“). Es fehlt aber eine Darstellung, welche Erfolge mit Diäten und mit verschiedenen OP-Verfahren (z.B. Magenbypass, Magenschlauch, Magenband) zu erzielen sind. Damit wird auch nicht deutlich, in welchen Fällen eine Magenverkleinerung in Betracht gezogen werden sollte, und wo diese eher nicht sinnvoll erscheint. Auf einer Webseite des IQWIG heißt es: „Nach aktuellen Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften kommt eine Operation infrage, wenn der BMI bei 40 oder darüber liegt (Adipositas Grad 3) oder der BMI zwischen 35 und 40 liegt (Adipositas Grad 2) und zusätzlich andere Erkrankungen bestehen wie Diabetes, Herzerkrankungen oder Schlafapnoe.“ (siehe auch hier)
Auch ist derzeit in den Medien viel die Rede von dem Wirkstoff Semaglutid, der in einigen Fällen Effekte auf Übergewicht hat und möglicherweise eine Alternative zur Magenverkleinerungs-OP sein könnte. Die fehlende Vorstellung alternativer Behandlungsarten macht es unmöglich, die Bedeutung des vorgestellten Verfahrens richtig einzuschätzen. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Zum Aspekt der Kosten erwähnt der Artikel lediglich, dass sie von den Krankenkassen übernommen würden. Tatsächlich ist die OP aber keine Regelleistung der Kassen. Die Kosten werden in Einzelfällen auf Antrag übernommen.
Dafür allerdings müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, darüber erfahren die Leser*innen leider nichts. Unter welchen Bedingungen die Kosten übernommen werden ist jedoch eine notwendige Information, um verstehen zu können welche Relevanz die Magenverkleinerung im Einzelfall hat. Zudem wäre es gut zu erfahren, ob es auch möglich ist, die Kosten selbst zu tragen – und wie hoch sie dann sind.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Übergewicht und Adipositas als Gesundheitsproblem wird nicht übertrieben dargestellt.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Welche Belege es für den Nutzen der Magenverkleinerung gibt, erwähnt der journalistische Beitrag nicht. Es wird lediglich ein einzelner Fall geschildert, ohne auf einschlägige Studien Bezug zu nehmen, die beispielsweise den Nutzen verschiedener Verfahren vergleichen (siehe z.B. hier)
Zwar handelt es sich um ein etabliertes Verfahren und es geht im Artikel lediglich um die Deskription eines Einzelfalls. Berichte über Therapieverfahren erfordern es jedoch, Angaben zur vorhandenen Evidenz zu liefern, denn nur dann lassen sich die Wirksamkeit und Sicherheit einschätzen.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Unabhängige Experten kommen nicht zu Wort, sondern lediglich der Arzt, der den operativen Eingriff durchführt. Auch Quellen werden nicht genannt. So fehlt damit jeder Maßstab, der es ermöglichen würde, den Wert des Verfahrens einzuordnen.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Protagonist und einziger genannter Experte ist der Chefarzt, der am Klinikum Prignitz ein Adipositas-Zentrum aufgebaut hat. Er führt die vorgestellte OP zur Magenverkleinerung durch und spricht somit auch in eigener Sache. Das wird im Beitrag nicht verschleiert. Der Tonfall ist an einigen Stellen allerdings ausgesprochen werblich, siehe Kriterium 12. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Der Beitrag beschränkt sich völlig auf eine Einzelfallbeschreibung, jegliche Einordnung in größere Zusammenhänge fehlt. Seit wann solche Magenverkleinerungen durchgeführt werden, erfährt man in diesem Beitrag nicht. Hintergrundinformationen zur Entwicklung des Adipositasproblems fehlen. Somit ist das Thema nicht in einen Kontext eingeordnet.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Fachliche Fehler sind uns nicht aufgefallen. Etwas irritierend ist die Aussage im Text „Etwa einmal in der Woche führt der Chefarzt einen solchen Eingriff durch“, während es in einer Einladung der Klinik zu einer Infoveranstaltung heißt, von der Eröffnung des Adipositatszentrums Anfang 2021 bis Juli 2023 seien 38 Patienten operiert worden. Einer pro Woche in zweieinhalb Jahren wären aber mehr als hundert. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Der journalistische Beitrag bezieht sich zwar nicht auf eine Pressemitteilung, hat jedoch einen stark werblichen Charakter. Es finden sich im Text zum Beispiel Zitate, in denen der Chefarzt sein herausragendes Können anpreist, so heißt es etwa man müsse „technisch viel genauer arbeiten als bei anderen Operationen“. In Hinblick auf neurochirurgische Eingriffe erscheint diese Aussage zumindest fraglich. Auch die Behauptung, die Hand-Auge-Koordination könne nicht trainiert werden, erweckt den Eindruck, dieser Operateur habe ganz besondere Fähigkeiten. Diese Selbstdarstellung hätte im Artikel zumindest hinterfragt werden müssen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Die Berichterstattung über eine einzelne Operation, in diesem Fall eine laparoskopische Magenverkleinerung bei starkem Übergewicht, ist nah am Geschehen und beschreibt die Atmosphäre im Operationssaal. Ganz am Anfang heißt es: „Mit kleinen und präzisen Handgriffen führt Stefan Lenz die Klemme durch den Körper seine Patientin. Insgesamt sieben OP-Schwestern, Assistenzärzte und Anästhesisten in grünem Kasack befinden sich mit ihm im Operationssaal. Das Licht ist gedimmt. Die Luft klimatisiert.“ Und weiter heißt es: „Das Lied ,3 Tage am Meer‘ von AnnenMayKantereit ertönt aus einem Lautsprecher. Im Hintergrund ist hin und wieder ein Piepen zu hören. Niemand spricht in diesem Moment.“ So gelingt es dem Text gleich zu Beginn zu fesseln. Dann lernt man die Person, die operiert wird, kennen: „Die 61-Jährige aus dem Nachbarkreis OPR bekommt eine Magenverkleinerung. ,Das hier ist ein harter Schritt, aber mit ein bisschen Diät funktioniert das nicht‘, sagt sie vor der OP. Aktuell wiegt sie 132,8 Kilo. Das soll sich aber bald ändern. Unter 100 Kilo ist das erste Ziel. Seit der Pubertät hat sie mit ihrem Gewicht zu kämpfen.“ Im Weiteren bleibt der Artikel hautnah am Geschehen: „Hin und wieder wird es still im Raum. Das Team weiß, wenn Lenz ruhig wird und wenig spricht, ist er angespannt. Ist die Stressphase geschafft, werde auch mal über den Musikgeschmack der Kollegen gesprochen. Denn im OP gilt: Wer zuerst da ist, darf die Playlist aussuchen.“
Allerdings finden sich auch sprachliche Mängel im Text: Grammatikalisch falsch ist der Satz „Über die hohen Risiken ist sich auch Sabine bewusst.“ Richtig ist der Genitiv „Der hohen Risiken ist sich auch Sabine bewusst.“ Auch werden allgemeinbekannte Tatsachen herausgestellt, etwa, dass sich die Patientin nach einer Vollnarkose an nichts erinnern wird. Hier wären mehr konkrete Details zur OP schön gewesen, zumal im Text offen bleibt, ob die Autorin oder der Autor tatsächlich bei dem Eingriff dabei war – oder der Chirurg das Vorgehen im OP beschrieben hat.
Auch wirken manche Sätze unbeholfen oder nichtssagend, etwa im Einstieg: „Mit kleinen und präzisen Handgriffen führt Stefan Lenz die Klemme durch den Körper seine Patientin“ – welche Klemme wo „durch den Körper“ geführt wird, bleibt unklar. Oder auch hier: „Im OP kennt jeder seine Aufgabe und kommuniziert mit den anderen“ – das würde man eigentlich voraussetzen und hätte keiner besonderen Erwähnung im Text bedurft. Insgesamt werten wir daher nur knapp „ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Die ausführliche Schilderung der Operation ist gut verständlich geschrieben. Der Artikel verzichtet auf Fachbegriffe, beschreibt aber leider auch nicht, was genau bei der Magenverkleinerung geschieht. Wie etwa werden 90 Prozent des Magens durch „kleine Löcher in der Bauchdecke“ entfernt? Welche „Meilensteine“ sind es, die während der OP erreicht werden müssen? Welche hormonbildenden Zellen wurden wo entfernt? Weder werden die verschiedenen möglichen OP-Methoden genannt, noch erläutert, welches Verfahren in diesem Fall zum Einsatz kommt und warum. Siehe auch hier.
Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich (THEMENAUSWAHL).
Magenverkleinerungen werden seit vielen Jahren durchgeführt. Laut Leitlinie hat die Zahl adipositaschirurgischer OPs in Deutschland zugenommen (siehe hier) . Das Thema ist also nicht ungewöhnlich. Ein aktueller Anlass für diesen Artikel – etwa der Bezug auf eine neue Fachpublikation – ist nicht erkennbar. Wie relevant die OP gegenüber anderen Ansätzen zur Gewichtsreduzierung ist, bleibt unklar. Relevante Informationen für Patient*innen – etwa Kriterien für die Entscheidung zur OP – enthält der Beitrag nicht.