Bewertet am 17. September 2025
Veröffentlicht von: tagesschau.de

Der Artikel auf Tagesschau (online) berichtet über eine Studie, in der Forschende mitochondriale Spenden erfolgreich durchgeführt haben. Daraus sind acht gesunde Kinder entstanden. Leider finden sich keine Details dazu, wie der Gesundheitszustand der Kinder ermittelt wurde, was für die Nutzendarstellung hilfreich gewesen wäre. Es werden jedoch die Risiken thematisiert sowie Alternativen besprochen. Hervorzuheben ist, dass im Text die Euphorie der Studienautoren nicht ungefiltert zur Sprache kommt. Stattdessen wird Optimismus mit einer Prise Vorsicht vermittelt. Dies ist bei schwerwiegenden Krankheiten besonders wichtig, um keine falschen Hoffnungen zu wecken.

Zusammenfassung

​Über eine Mitochondrien-Spende zur Vermeidung schwerer Erbkrankheiten berichtet ein journalistischer Beitrag von Tagesschau (online). Der Artikel nimmt eine aktuelle Studie aus Großbritannien zum Anlass, in der untersucht wurde, ob sich mit dieser Methode jene schon im Kindesalter auftretenden Erkrankungen verhindern lassen (siehe nejm.org), im Rahmen künstlicher Befruchtungen. Von zwei in der Studie beschriebenen Therapien stellt der Artikel jedoch nur die Mitochondrien-Spende vor: Weil die Kinder gesunde Mitochondrien einer Spenderin erhalten, schreibt ihnen die Presse oft drei Eltern zu.

Gut gelungen ist die Einordnung der wissenschaftlichen Belege durch zahlreiche Wissenschaftler, die nicht an der Studie beteiligt waren. Dadurch entstand ein Text, der trotz der komplizierten Thematik gut lesbar und weitgehend verständlich ist. Auch beleuchtet der Artikel wichtige ethische und juristische Aspekte der in Deutschland nicht verfügbaren Therapie.

 

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im Artikel wird erklärt, dass jene acht Kinder, die nach der Mitochondrien-Spende zur Welt kamen, weitgehend gesund sind. Es ist nur von „medizinischen Schwierigkeiten“ die Rede, die gut behandelt werden konnten und „wahrscheinlich nicht im direkten Zusammenhang mit der Mitochondrien-Spende“ stehen, etwa eine vorübergehende Form der Epilepsie. Das heißt: Die Kinder sind – zumindest bis dato – nicht von den schlimmen Folgen der Erbkrankheiten mit Symptomen wie etwa Krampfanfällen, Muskelschwäche oder Herzprobleme betroffen. Die Vermeidung dieser Erbkrankheiten als Nutzen der Mitochondrien-Spende wird also deutlich.

Allerdings hätte man noch ein wenig mehr über die Kinder sagen können, etwa dass sie normalgewichtig waren und man die Konzentration an mitochondrialer DNA gemessen hat. Zudem haben die Kinder mit 18 Monaten einen Test absolviert, bei dem die individuelle Entwicklung gemessen wurde. Dies hätte den Lesenden einen noch besseren Einblick in den Nutzen des Eingriffs vermittelt. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Im Text wird darauf hingewiesen, dass beim Transfer der Kerne aus der Eizelle der Mutter in die Eizelle der Spenderin fehlerhafte Mitochondrien der Mutter mitübertragen werden können. Zudem kommt eine Wissenschaftlerin zur Sprache, die auf die kurze Nachbeobachtungsphase hinweist. Womöglich gibt es also Risiken, die sich bislang noch nicht gezeigt haben, weil die Kinder bis zum Ende der Studie höchstens zwei Jahre alt waren, fünf davon sogar jünger als ein Jahr.

Im Artikel wird auch auf wenige medizinische Schwierigkeiten verwiesen, die behandelt werden konnten und wahrscheinlich nicht im direkten Zusammenhang mit der Mitochondrien-Spende stehen. Insgesamt hätte es dem Text allerdings gutgetan, bei einer so neuen Methode etwas ausführlicher auf mögliche Risiken einzugehen – auch die Risiken einer künstlichen Befruchtung an sich zum Beispiel und was vielleicht in Tierversuchen beobachtet wurde. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Text macht deutlich, dass das Verfahren in Großbritannien zugelassen ist, in Deutschland aber noch nicht – und erklärt auch, dass es rechtlich umstritten ist.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Frauen mit mitochondrialen Erkrankungen haben bei im Falle eines Kinderwunsches auch andere Möglichkeiten als eine Mitochondrien-Spende, das wird im journalistischen Artikel deutlich: die genetische Untersuchung des Embryos zum Beispiel, eine Eizellspende oder Adoption. Doch hätte man sich noch mehr Erläuterungen zu den einzelnen Alternativen gewünscht, etwa, dass die genetische Untersuchung der wenige Tage alten Embryos dazu dient, den Anteil der Mitochondrien mit krankmachenden Mutationen zu bestimmen. Ist deren Anzahl nämlich klein, kommen diese Embryonen für eine Einpflanzung in die Gebärmutter in Frage, weil es als unwahrscheinlich gilt, dass die Kinder dann erkranken. Dieses Präimplantationsdiagnostik genannte Verfahren wurde in der Studie auch durchgeführt, aber nur Frauen angeboten, bei denen nicht alle Mitochondrien betroffen sind. Sonst kam nur die Kerntausch-Methode in Frage. Dies bleibt im journalistischen Beitrag leider unerwähnt. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten werden im Text nicht berücksichtigt, weil es sich um völlig neues Verfahren handelt, das erstmals im Rahmen einer klinischen Studie getestet wurde. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die im Text geschilderten mitochondrialen Erbleiden werden nicht übertrieben dargestellt. Allerdings wird im Artikel der Aspekt der „drei Eltern“ mehrfach erwähnt. Dies soll vermutlich die Neugier der Lesenden wecken. Doch gerät so ein wenig aus dem Blickfeld, das es hier darum geht, das Risiko für schwerste Erbkrankheiten zu verringern. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Tatsächlich ist aus der Studie selbst keine wirkliche Evidenz abzuleiten, da es sich nur um sehr wenige Probanden handelt (siehe nejm.org). Der Text ordnet die Qualität der Studie dadurch ein, dass andere Experten zu Wort kommen. Dabei wird zum Beispiel die kurze Nachbeobachtungszeit angesprochen und auch, dass es sich bei dem Verfahren nicht um eine Heilung, sondern um eine Risikominderung handelt.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Der Artikel zitiert sogar vier Expertinnen und Experten, drei davon aus Deutschland, so dass auch die heimische Rechtslage angesprochen wird.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Interessenkonflikte sind nicht erkennbar und müssen daher auch nicht thematisiert werden.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird im Artikel klar, dass es sich um eine echte Neuheit handelt. Zudem werden ethische Aspekte eines solchen Eingriffs thematisiert. Eine Expertin deutet darauf hin, dass man trotz der Erfolge bis dato nur vorsichtig optimistisch sein sollte. Zudem wird darauf hingewiesen, wie wichtig eine Beratung der betroffenen Paare mit Kinderwunsch ist.

Allerdings hätte man sich an mancher Stelle mehr Informationen gewünscht. So heißt es zum Beispiel im Vorspann des Artikels: „auf diese Daten hat die Fachwelt gewartet“. Doch wird im Text nicht erklärt, aus welchem Grund (abgesehen von der Not der betroffenen Frauen). Auch erfährt man nichts über ähnliche Ansätze, um den Kontext des neuen Verfahrens noch besser zu verstehen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Es waren nicht 8 Frauen und 8 Kinder, sondern 7 Frauen und 8 Kinder, da ein Zwillingspaar dabei war.  Auch steht bei der Beschreibung des Kerntausches, dass eine Eizelle gespendet wird, tatsächlich ist es eine befruchtete Eizelle. Zudem werden die elterlichen Kerne nicht separat der Eizelle und dem Spermium entnommen, sondern aus der befruchteten Eizelle. Wegen dieser kleinen, aber doch fachlichen Mängel werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Artikel geht über die Pressemitteilung hinaus und enthält ausschließlich unabhängige Expertenmeinungen. Diese bewerten die Ergebnisse und die Verfahren aus wissenschaftlichen und ethischen Blickpunkten und bringen beispielsweise die neue Perspektive mit ein, dass die beiden Verfahren das Krankheitsrisiko nicht beseitigen, sondern nur mindern.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel beschäftigt sich mit einem komplexen Thema und legt erkennbar großen Wert auf einfache Erklärungen, um die Lesenden mitzunehmen. Zudem machen ihn die ergänzten ethischen und juristischen Details ebenfalls interessant. Einige Sätze sind etwas lang und verschachtelt geraten, zum Beispiel: „Erkrankungen, die durch Fehler in der Mitochondrien-DNA ausgelöst werden, kommen – laut den Autoren der jetzt in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie – bei geschätzt einem pro 5.000 Menschen vor.“ Insgesamt werden wir jedoch „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der journalistische Beitrag ist bei den biologischen Erklärungen weitgehend verständlich. Allerdings macht es der Aufbau des Textes schwer, die eigentlich wichtigen Neuigkeiten zu erkennen: Mithilfe zweier Verfahren kann das Risiko für schwere mitochondrialen Krankheiten deutlich gesenkt werden. Dazu sind die Expertenkommentare teils unklar, sie sprechen von einem Durchbruch, aber wir erfahren nicht, was damit gemeint ist (die Symptomfreiheit?). Auf ähnliche Weise spricht eine weitere Expertin von Mutationslast, ohne dass das erklärt wird.

Der erste Hinweis auf die Krankheitsschwere kommt erst im 3. Absatz, und auf die Therapie im 4. Absatz. Warum die Fachwelt auf die Daten gewartet hat, wie es der Vorspann anteasert, wird nicht erklärt. Dass die Spenden bisher gut verlaufen sind, kommt erst im 8. Absatz vor, wird dann aber noch im selben Satz mit einem Caveat versehen: die Kinder sind „weitestgehend“ gesund, wobei im Anschluss erläutert wird, dass die gesundheitlichen Probleme nichts mit dem Verfahren zu tun haben. Insgesamt könnte die Struktur des Textes daher nicht sachkundige Lesende verwirren. Darum werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

 

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema erfüllt alle drei Kriterien: Die Aktualität ist durch die Fachpublikation gegeben, die Ergebnisse der ersten britischen Humanstudie einer Therapie mit der Spende von Mitochondrien darstellt. Es ist eines der weltweit zwei Länder, in denen solche Behandlungen (neben Australien) gesetzlich erlaubt sind. Ungewöhnlich ist das Thema ebenfalls, da die geborenen Kinder nicht nur vor unheilbaren Krankheiten bewahrt werden sollen. Sie tragen sogar das Erbgut dreier Menschen in sich, ihrer Eltern und der Mitochondrien-Spenderin.

Medizinjournalistische Kriterien: 13 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 5 auf 4), Begründung: Zentrale Kriterien wie Nutzen, Risiken, Einordnung und Alternativen sind nur „knapp erfüllt“ gewertet.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar