Bewertet am 21. Juni 2025
Veröffentlicht von: dpa

Ein Artikel der dpa berichtet über eine Übersichtsstudie, die den Social-Media-Trend „Mouth Taping“ untersucht hat – eine Methode, die angeblich gegen Schnarchen, aber auch Schlafapnoe helfen soll. Das Thema ist aktuell und interessant, doch werden die Ergebnisse der Studie nicht in konkreten Zahlen wiedergegeben, stattdessen werden floskelartig Sätze zu „fehlender Evidenz“ wiederholt. Das Ganze klingt wie eine Übersetzung (aus dem Englischen), da einige Formulierungen ungelenk sind. Zudem fehlt eine Einordnung der Untersuchung in die bisherige Studienlage, wobei die Studienautoren die Limitationen ihrer Übersichtsarbeit in der Fachpublikation durchaus diskutieren. Auch kommen keine Wissenschaftler*innen zu Wort, die nicht an der Studie beteiligt waren.

Zusammenfassung

Ein Artikel der dpa berichtet über eine systematische Auswertung von Studien zu Nutzen und Risiken des „Mouth Taping“, siehe: pubmed. Diese oft von Prominenten und Influencern angepriesene Methode soll gegen Schnarchen helfen, Konzentrationsprobleme beheben und auch bei ernsten Atemstörungen wie Schlafapnoe helfen. Die Ergebnisse der Übersichtsarbeit werden im journalistischen Beitrag leider nicht deutlich genug dargestellt, weder absolute noch relative Zahlen zu Nutzen und Risiken erwähnt. Zwar benennt der Text, dass es keine ausreichende Evidenz für die angeblichen Wirkungen gebe und dass die Methode auch risikobehaftet sein kann, vor allem für Menschen mit Schlafapnoe und anderen Gesundheitsproblemen, die die Nase verschließen. Doch werden die Ergebnisse von zwei Studien der Übersichtsarbeit so dargestellt, dass die Methode womöglich doch manchen Menschen helfen könnte. Dies dürfte Lesende verwirrt zurücklassen oder gar den Eindruck erwecken, dass Mouth Taping eine vielversprechende Methode geben bestimmte Schlafstörungen sei.

 

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im journalistischen Beitrag wird erklärt, dass zwei der zehn ausgewerteten Studien der Übersichtsarbeit gezeigt hätten, dass das Zukleben des Mundes manchen Menschen mit einer leichten obstruktiven Schlafapnoe etwas helfen kann. Allerdings wurden diese Besserungen unter anderem mittels des AHI-Indexes gemessen, dessen Aussagekraft laut der Studie umstritten ist. Daher ist zweifelhaft, ob die positiven Ergebnisse klinische Bedeutung haben. Zudem wurden in den beiden Studien Personen mit Nasenatmungsproblemen von vornherein ausgeschlossen, Kontrollgruppen gab es nicht. Konkrete Zahlen zu den angeblich positiven Effekten werden im Text nicht genannt.

Insgesamt wird im Artikel nicht ausreichend klar, dass Mouth Taping keine oder kaum wissenschaftlich belastbare positive Effekte hat. Zwar wird im Text ein leitender Forscher zitiert, dass der Nutzen des Mouth Tapings „nicht wissenschaftlich untermauert“ sei und dass es „in manchen Fällen zu ernsthaften Gesundheitsgefahren führen kann“. Dann jedoch wird im Text ein angeblicher Nutzen der Methode bei einem so ernsten Gesundheitsproblem wie obstruktive Schlafapnoe erwähnt, was die Lesenden verwirrt zurücklassen dürfte und eine Evidenz für einen positiven Effekt nahelegt, der bislang nicht vorhanden ist. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Der Artikel benennt mehrere Risiken und Nebenwirkungen des Mouth Taping – dass es etwa zu ernsthaften Gesundheitsschäden führen kann und dass vier von zehn Untersuchungen der aktuellen Übersichtsstudie Risiken gezeigt haben. Diese Risiken werden allerdings im Text nur kurz erwähnt, etwa der drohende Sauerstoffmangel. Unklar bleibt auch, was die restlichen Studien ergeben haben. So hat ein Teil von ihnen mögliche Risiken gar nicht untersucht. Der Hauptautor der Übersichtsarbeit wird in der Pressemitteilung und dem dort eingebundenen Video sehr viel deutlicher: Das Mouth Taping sei gefährlich, vor allem wenn man nicht weiß, dass man Schlafapnoe hat und dass die sozialen Medien dazu Fehlinformationen verbreiten und es schlimmstenfalls zu Komplikationen durch die Schlafapnoe kommen kann. Hier hätte man sich im journalistischen Beitrag deutlichere Worte und mehr Informationen gewünscht. Daher werten wir, wenn auch knapp, „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird klar, dass sich verschiedene Produkte zum Mouth Taping nutzen lassen, etwa Pflaster, Klebeband oder spezielle Tapes.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Leider werden keine Alternativen zum Mouth Taping erwähnt, dabei werden diese sogar in der Studie angesprochen. So kann obstruktive Schlafapnoe mit einem Überdruckbeatmungsgerät CPAP-Gerät (Continuous Positive Airway Pressure) behandelt werden. Auch wenn dies von einigen Menschen als unkomfortabel bezeichnet wird und die Geräte kostspielig sind, hätte man diese Alternative erwähnen müssen. Ebenso wenig wird auf nötige Untersuchungen wie etwa Schlaffragebögen und Schlaflaboruntersuchungen eingegangen.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten müssen im journalistischen Beitrag in diesem Fall nicht im Detail berücksichtigt werden, da normale Pflaster oder Klebebänder für das Mouth Taping verwendet werden können. Dennoch wäre ein Satz zu den Kosten der speziellen Tapingbänder und was der Vorteil daran wäre für die Lesenden hilfreich gewesen. Darum werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Schlafbezogene Atemstörungen, deren ausgeprägteste Form die obstruktive Schlafapnoe ist, sind ernst  zu nehmende Erkrankungen. Von der obstruktiven Schlafapnoe sind 9 bis 38 Prozent der Menschen weltweit betroffen, siehe auch: journals.plos.org. Zudem sind schlafbezogene Atemstörungen mit kardiovaskulären Folgeerkrankungen assoziiert. Der Artikel stellt diese Erkrankungen nicht übertrieben dar, allerdings werden sie auch nicht im Detail erläutert.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Qualität der Studien der Übersichtsarbeit wird im journalistischen Beitrag leider nicht erläutert. So haben viele der Untersuchungen Limitationen, bei manchen fehlte eine Kontrollgruppe, bei anderen wurde der Mund der Probanden nicht vollständig zugeklebt.  Auch wurde in den Studien nicht untersucht, wie es den Teilnehmenden tagsüber erging, dabei ist Tagesschläfrigkeit ein wichtiges Symptom von Schlafstörungen. Lediglich die geringe Anzahl an Studienteilnehmenden kommt zur Sprache und geringe Qualität der Studiendaten. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es werden keinerlei unabhängige Expert*innen zitiert, keine weitere Quellen genannt.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Interessenkonflikte werden nicht genannt, sind für uns allerdings auch nicht erkennbar.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Wir erfahren im journalistischen Artikel nicht, ob Mouth Taping ein neues oder ein wiederkehrendes Phänomen ist. Auch wird die Methode nicht in einen größeren Kontext, etwa zur Abhilfe von Schlafstörungen, gesetzt. Dabei gab es im Jahr 2024 bereits eine Studie zum Thema (siehe doi.org/10.1016/j.amjoto), die hätte hier erwähnt werden können. Als Aufhänger für den aktuellen Artikel dient die Beobachtung, dass die Methode in sozialen Medien von Influencern und Berühmtheiten als Lösung für besseren Schlaf, schlafbezogenen Atmungsstörungen und Konzentrationsproblemen angepriesen wird. In der Pressemitteilung spricht der leitende Forscher immerhin von einem Trend und dass sein Team mit der Untersuchung darauf reagiere und die Methode daher auf ihre Risiken prüfen wollte. Eine Einordnung findet also leider nicht statt.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Wir haben keine Fehler gefunden. Allerdings wären einige Informationen wichtig zu erwähnen gewesen: Zum Beispiel eine Antwort auf die Frage, zu welchem Ergebnis die restlichen untersuchten Studien zum Mouth Taping gekommen sind (man liest von insgesamt zehn Studien der Übersichtsarbeit, zwei sollen die Methode stützen und vier andere nicht). Oder ob Schlafapnoe ernsthafte Folgeschäden wie Herzerkrankungen auslösen kann. Wichtig wäre es auch gewesen, die Schlussfolgerungen aus dem Paper genau wiederzugeben: Die Forscher sagen, dass „es weitere Studien braucht, um jegliche klinischen Vorteile, die diese Methoden haben könnte, zu erhellen“. Der Artikel macht daraus „Letztlich seien bessere Studien erforderlich, um die Sicherheit und Effizienz des Mouth Taping abschließend beurteilen zu können.“  Da es sich hierbei jedoch nicht um Fehler handelt, werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der journalistische Beitrag beruht zu großen Teilen auf einer englischsprachigen Pressemitteilung, manche ungelenke Formulierung lässt eine Übersetzung mancher Textpassagen aus dem Englischen vermuten, siehe: lhscri.ca/news/. Eine eigene journalistische Rechercheleistung können wir nicht finden.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Sprachlich ist der Artikel nicht sehr attraktiv geschrieben – es finden sich viele Substantivierungen, auch wirken manche Formulierungen ungelenk, etwa: „Im Fall von Zurückströmen könne Mageninhalt den Rachenraum nicht verlassen und die Atemwege versperren“ oder „Mund zu Mouth Taping“. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Text ist weitgehend verständlich geschrieben, doch ist der Aufbau bisweilen unübersichtlich. Auch werden manche Zusammenhänge nicht oder nicht genau erklärt – etwa, warum eine Nasenatmung durch das Mouth Taping vorteilhaft sein soll. Insgesamt werten wir aber noch „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema ist aktuell und relevant – Social Media-Phänomene verbreiten sich schnell und bergen das Risiko, das Laien womöglich gesundheitsschädliche Methoden aufgreifen. Auch sind Schlafstörungen und Schnarchen Themenbereiche, die viele Menschen betreffen und damit eine Relevanz für viele Lesende haben.

Medizinjournalistische Kriterien: 7 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2), Begründung: Die zentralen Kriterien Nutzen und Risiken, Einordnung und Qualität der Belege sind nicht erfüllt gewertet.  

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar