Bewertet am 16. April 2025
Veröffentlicht von: Zeit Online

Der journalistische Beitrag von ZEIT online berichtet über eine aktuelle Studie im Fachjournal „Nature“, die darauf hinweist, dass eine Impfung gegen Gürtelrose das Risiko senken könnte, an Demenz zu erkranken, zumindest bei Frauen. Es fehlen jedoch absolute Zahlen zum Nutzen; Nebenwirkungen der Impfung werden nicht erwähnt. Mehrere Experten, die nicht an der Studie beteiligt waren, ordnen die Ergebnisse ein. Es wird noch ausreichend erklärt, wie die Studie aufgebaut war, und dass sie trotz vielversprechender Ergebnisse keinen kausalen Zusammenhang nachweisen kann. Der Beitrag macht deutlich, dass die Wissenschaftler noch nicht wissen, worauf der schützende Effekt beruhen könnte, und stellt verschiedene Hypothesen dazu vor.

Zusammenfassung

Der Artikel von ZEIT online setzt sich mit der Frage auseinander, ob ein in Deutschland nicht mehr verwendeter Lebendimpfstoff gegen Gürtelrose das Risiko für die Entstehung von Demenz reduzieren oder einen schweren Verlauf verhindern könnte. Nach einem beschreibenden Einstieg der Symptome einer Gürtelrose wird das außergewöhnliche Design jener Studie vorgestellt und deren Ergebnisse im Text vorgestellt und diskutiert. Der journalistische Beitrag beschreibt im Folgenden detailliert und korrekt die wissenschaftlichen Hintergründe der Studie: Warum könnte eine Impfung gegen Varizellen einen Einfluss auf das Demenzrisiko haben? Warum unterscheiden sich die Ergebnisse von Männern und Frauen? Was bedeuten die Ergebnisse für Deutschland, wo seit 2018 ein anderer Impfstoff verwendet wird? Und: Sind die Ergebnisse so zuverlässig, dass eventuell die Impfempfehlungen hierzulande verändert werden sollten? Diese und andere Fragen wirft der Text auf und gibt Antworten. Wo allerdings keine abschließenden Aussagen möglich sind, lässt der Beitrag das Ergebnis offen und zitiert unabhängige Experten mit ihren Einschätzungen. Auch die Limitationen der Studie werden nicht vernachlässigt. Insgesamt ein lesenswerter und vorbildlicher Text über ein wissenschaftlich komplexes Thema, das viele Menschen betrifft.

Hinweis: Der Originalbeitrag befindet sich hinter einer Paywall. 

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der journalistische Beitrag beschreibt detailliert und verständlich, dass die im Fachmagazin „Nature“ veröffentlichte Studie (www.nature.com) zu dem Schluss kommt, dass die Impfung gegen Gürtelrose mit einem in Deutschland nicht mehr verwendeten Lebendimpfstoff das Risiko für eine spätere Demenzerkrankung reduzieren kann. Es wird im Detail beschrieben, dass in einer Gruppe von 80-Jährigen, denen eine Gürtelroseimpfung zur Verfügung stand, 20 Prozent weniger Demenzerkrankungen in den sieben Folgejahren beobachtet wurden als bei einer Gruppe von nahezu Gleichaltrigen, denen keine solche Impfung angeboten wurde.  Auch wird erklärt, dass der Nutzen bei Frauen sogar mit etwa 30 Prozent noch größer war, bei Männern der Effekt dagegen nicht signifikant ausfiel. Lobenswert ist auch, dass deutlich zwischen absolutem und relativem Risiko unterschieden wird: „Die Impfung senkte die Wahrscheinlichkeit, eine Demenzdiagnose zu erhalten, um rund 3,5 Prozentpunkte von 17,5 Prozent auf 14 Prozent. Das entspricht einer relativen Risikoreduktion von 20 Prozent.“ Und weiter: Bei den Frauen „sank die Wahrscheinlichkeit einer Demenzdiagnose von 19,4 auf 13,8 Prozent, was einer relativen Risikoreduktion von knapp 30 Prozent entspricht“.

Leider fehlen jedoch absolute Zahlen zu den jeweiligen Probandengruppen – wie viele Fälle von Demenz in beiden Gruppen jeweils diagnostiziert wurden, ist dem Beitrag nicht zu entnehmen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Wie jede andere Impfung, kann auch jene gegen Gürtelrose Nebenwirkungen haben. Dazu zählen etwa lokale Reaktionen wie Rötungen an der Einstichstelle oder Infektionen und Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Fieber, die normalerweise nach wenigen Tagen wieder abklingen, siehe zum Beispiel hier (auf Seite 7), zum Totimpfstoff: rki.de oder zum Lebendimpfstoff  ec.europa.eu . Diese möglichen Nebenwirkungen werden im Text leider nicht erwähnt.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der journalistische Beitrag erklärt, dass die Studienpopulation in Wales in der Nature-Studie einen Lebendimpfstoff erhielt, der in Deutschland nicht mehr erhältlich ist. Stattdessen wird in Deutschland seit 2018 ein Totimpfstoff verwendet. Der Text geht allerdings auch darauf ein, dass eine vorangegangene Studie bereits Hinweise darauf gefunden hatte, dass der Totimpfstoff möglicherweise noch besser vor dem Auftreten von Demenz schützen oder die Symptome abschwächen könnte. Insofern geht der Artikel vorbildlich in die Tiefe und vermittelt dem Lesenden viel hilfreiches Hintergrundwissen.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Im journalistischen Beitrag geht es um die Frage, ob ein Impfstoff gegen Gürtelrose einen Zusatznutzen in Bezug auf die Entwicklung und den Verlauf von Demenz hat. Es geht also nicht zentral um die Frage, ob und wie man Demenz vorbeugen kann. Dennoch hätten im Artikel andere Faktoren erwähnen können, die bei der Entwicklung einer Demenz eine Rolle spielen, Ernährung zum Beispiel, Bewegung, Medikamente. Da dies jedoch vom zentralen Thema des Artikels weggeführt hätte, werten wir nur knapp „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Im Artikel wird kurz erwähnt: „Die Impfung könnte damit eine kostengünstige Möglichkeit darstellen, Demenz vorzubeugen oder ihren Ausbruch zumindest hinauszuzögern.“ Die konkreten Kosten der Impfung gegen Gürtelrose spricht der Beitrag jedoch nicht an. Daher bleibt auch offen, welche Kosteneffekte die im Beitrag erwähnte mögliche Senkung des Alters für die Impfempfehlung hätte. Daher werten wir, wenn auch knapp, „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Einstieg des Textes beschreibt anschaulich und ohne Übertreibung, welchen Verlauf eine Gürtelrose-Erkrankung nehmen kann. Auf die Krankheitssymptome von Demenz geht der Beitrag nicht ein, dies ist aber auch nicht das Ziel des Beitrags.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag ordnet die Qualität der Belege vorbildlich ein, indem sowohl das Studiendesign konkret und nachvollziehbar beschrieben wird, relative Wahrscheinlichkeiten genau erklärt werden, unabhängige Experten zu Wort kommen und auch die Limitationen etwa in Bezug auf die Frage nach Kausalität oder Korrelation benannt werden. Zudem wird auf vorangegangene Forschung verwiesen und offene Fragen (Unterschiede zwischen Schutzwirkung bei Männern und Frauen, Zeitpunkt der Impfung, Impfstoff) besprochen. Allerdings wird die Größe der beiden Gruppen der Studie nicht erwähnt, ebenso wie die absolute Zahl der jeweils an Demenz erkrankten Personen (siehe Kriterium 1). Es fehlt ein Hinweis darauf, dass es verschiedene Demenzerkrankungen gibt, zwischen denen in der aktuellen Studie nicht unterschieden wurde. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt

Es kommen mehrere Experten zu Wort, die nicht an der Studie beteiligt waren: Martin Korte von der TU Braunschweig, Konstantin Sparrer vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Hartmut Hengel vom Institut für Virologie und Mitglied der Stiko und Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.  Außerdem wird auch auf frühere Studien verwiesen, mit dahinführenden Links.  

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Uns sind keine Interessenkonflikte bekannt, die hätten erwähnt werden müssen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Artikel ordnet die aktuelle Nature-Studie sehr gut in den Stand der Forschung ein. Es wird deutlich, dass sich bereits andere wissenschaftliche Gruppen mit der Frage beschäftigt haben, ob die Varizella-zoster-Impfung vor Demenz schützen könnte. Mehrere Untersuchungen hatten bereits einen Zusammenhang gefunden, die aktuelle Studie bestätigt daher bisherige Ergebnisse. Gleichzeitig betont der Text, dass noch Fragen offenbleiben, und dass ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Impfung gegen Gürtelrose und einem niedrigeren Demenzrisiko auch mit dieser Studie nicht belegt ist. Der Text informiert auch darüber, dass der in der Studie verwendete abgeschwächte Lebendimpfstoff in den USA und Deutschland nicht mehr hergestellt wird und die Stiko seit 2018 den Totimpfstoff für Menschen ab 60 Jahren empfiehlt.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Der journalistische Beitrag beschreibt ausführlich und verständlich die wichtigsten Fakten zur Studie: Das Besondere an der Studienpopulation in Wales, die Unterschiede bei den Ergebnissen zwischen Männern und Frauen, relative und absolute Risikoreduktionen, offene Fragen, Limitationen und Überlegungen, wie der Schutzmechanismus einer Impfung gegen Gürtelrose in Bezug auf die Entstehung von Demenz aussehen könnte. Der Text versucht nicht, einseitige Sichtweisen und Überzeugungen darzustellen, sondern präsentiert dem Lesenden einen fundierten Über- und Einblick in den Forschungsstand, wissenschaftliche Überlegungen und mögliche Auswirkungen auch auf die deutsche Bevölkerung. Uns sind hier keine Faktenfehler aufgefallen.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Mit zahlreichen Zitaten von Experten, die nicht an der Studie beteiligt waren, Zitaten von zwei Studienautoren sowie Hintergrundinformationen zur Situation in Deutschland geht der Beitrag weit über die vorliegende Pressemitteilung (idw-online.de) hinaus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Die Titelzeile und der Teaser zum Text übertreiben nicht, machen aber trotz sachlicher Sprache neugierig. Diese Texthaltung zieht sich durch den gesamten Beitrag. Die klare, sachliche Sprache ist für diesen Artikel ein Gewinn: Das Thema ist komplex, und es hier gelungen, die wissenschaftliche Arbeit und die damit verbundenen Fragen und Unsicherheiten gut zu erklären. Man folgt dem Text gerade deshalb gern, weil komplizierte Sachverhalte einfach erscheinen und die unterschiedlichen Expertenaussagen unterstreichen, wie relevant die Forschung ist.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Nicht nur die Sprache ist klar und gut strukturiert, sondern auch der Beitrag an sich, was dem anspruchsvollen Inhalt zugutekommt. Obwohl sehr lang, lässt sich dem Textfluss gut folgen und die zahlreichen Hintergrundinformationen helfen dabei, das Thema, die besondere Art der Daten, die Überlegungen zu den möglicherweise dahinter liegenden Mechanismen und die offenen Fragen gut zu verstehen.

Ein paar Aspekte hätten allerdings noch besser erklärt werden können. So taucht der Begriff „natürliches Experiment“ in der Überschrift und im zweiten Absatz auf, ohne dass dieser erläutert würde. Das Design der Studie wird zwar später beschrieben, ist aber für Laien nicht einfach nachzuvollziehen. Es hätte noch deutlicher gemacht werden können, dass hier nicht einfach Geimpfte mit Nichtgeimpften verglichen wurde, sondern eine Gruppe, der die Impfung zur Verfügung stand, und in der sich knapp die Hälfte impfen ließ, mit einer fast gleichaltrigen Gruppe, der die Impfung nicht zur Verfügung stand. Fachbegriffe wie „Autoimmunreaktion“ und „Off-Target-Effekte“ sind nicht allgemeinverständlich. Insgesamt wertem wir aber noch knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Die Möglichkeit einer Impfung, die das Demenzrisiko senken könnte, ist angesichts einer alternden Bevölkerung relevant, auch wenn ein ursächlicher Zusammenhang noch nicht definitiv nachgewiesen ist. Die Studie ist aktuell und in einer hochrangigen Fachzeitschrift publiziert.

Medizinjournalistische Kriterien: 11 von 15 erfüllt

 

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar