Ein Beitrag der FAZ (online) berichtet über eine Studie, die den Einfluss von Museumsbesuchen auf das Allgemeinbefinden von Patient*innen mit Demenz untersucht hat. Dabei weckt die Unterzeile zum Titel des Beitrags sofort die Neugier der Lesenden: „Menschen mit Demenz leiden häufig auch an Depressionen. Eine Therapie mit Medikamenten aber ist schwierig. Nun zeigt eine Studie, dass Kultur helfen kann.“ Das klingt vielversprechend und sympathisch, suggeriert, dass dieser Artikel anhand konkreter wissenschaftlicher Evidenz aufzeigen wird, dass Museumsbesuche Stimmungen zuverlässiger aufhellen können als Medikamente. Solche Belege allerdings bleibt der Beitrag den Lesenden schuldig. Stattdessen werden Textpassagen einer Pressemitteilung der TU Dresden – teils wörtlich – übernommen.
Zusammenfassung
Der Artikel „Depressionen: Hilft ein Museumbesuch dem Gehirn?“ der FAZ (online) behandelt die Frage, ob Museumsbesuche Demenzkranken, die unter depressiven Symptomen leiden, helfen könnten. Beschrieben wird eine randomisiert-kontrollierte Studie der TU Dresden, bei der 102 Menschen (51 Demenzkranke mit je einem Angehörigen) vor und nach dem Museumsbesuch und sechs Monate später befragt wurden. In den 33 teilnehmenden Museen in Sachsen hatten zuvor Schulungen für den demenzsensiblen Umgang mit Betroffenen stattgefunden. Doch trifft schon der Titel des Textes nicht den Kern der Untersuchung: Es geht nicht allein um Depressionen, sondern um Demenzkranke mit Depressionen. Leider versäumt es der Beitrag zudem, die zentralen Ergebnisse der Studie darzustellen und zu erklären, wie die Untersuchung ablief. Daher können sich die Lesenden kein vollständiges Bild machen und auch kein fundiertes Urteil bilden. Auch kommen leider keine unabhängige Expert*innen zu Wort. Insbesondere die Aussage, Museumsbesuche seien für Demenzkranke mit Depressionen deutlich wirksamer als Medikamente, könnte Betroffene und Angehörige verunsichern. Bleibt doch völlig unklar, worauf diese Aussage der Studienleiterin basiert und welche Medikamente konkret gemeint sind.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
In dem Text „Depressionen: Hilft ein Museumsbesuch dem Gehirn?“ geht es um die Frage, ob Demenzkranke mit Depressionen als Begleiterkrankung psychisch von Museumsbesuchen profitieren. Dazu haben Forschende der Technischen Universität Dresden eine Studie durchgeführt, die allerdings im Artikel nicht genau erläutert wird. Der Text stellt mit einem Zitat der leitenden Forscherin fest: „Die Ziele, die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu erhöhen und die seelische Gesundheit zu verbessern, haben wir durch die Museumsbesuche erreicht.“ Warum und wie genau die Forschenden zu diesem Schluss kommen, zeigt der Artikel nicht auf. Es fehlen auch genaue Angaben zu den untersuchten Personen (Anzahl, Geschlecht, Alter etc.), dem Ort und den Untersuchungszeitpunkten. Auch die Art der Studie wird nicht näher erläutert (randomisiert-kontrollierte interventionsbezogene Studie; Befragung). Aufgrund dieser Unschärfe erhalten die Lesenden nicht genug Informationen, um beurteilen zu können, inwiefern Museumsbesuche depressiven Demenzkranken helfen.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Der Text geht nicht auf die Frage ein, ob Museumsbesuche schwerwiegende Risiken und Nebenwirkungen haben könnten, allerdings erscheint das auch recht unwahrscheinlich. Denkbar wäre allerdings, dass Risiken dann bestehen könnten, wenn Museumsbesuche anstelle von erwiesenermaßen wirksamen Therapien eingesetzt werden. Insgesamt werten wir jedoch das Kriterium für „NICHT ANWENDBAR“.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Mit Begleitung wäre es vermutlich vielen Demenzkranken möglich, ein Museum zu besuchen. Allerdings waren im Rahmen der Studie geführte und nicht-geführte Museumsbesuche miteinander verglichen worden, für die Untersuchung waren Museumsmitarbeitende demenzsensibel geschult worden, laut Pressemitteilung in insgesamt 33 Museen in Sachsen. Ob und wo es diese Angebote gibt, lässt sich aus dem Artikel nicht erschließen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Zwar kommt im journalistischen Beitrag zur Sprache, dass depressive Demenzkranke medikamentös behandelt werden können. Allerdings wird auch erwähnt, dass diese Therapie „schwierig“ sei, die Forschungsleiterin und Soziologin Voigt wird folgendermaßen zitiert: „Eine Jahreskarte fürs Museum ist insbesondere mit Blick auf die Linderung depressiver Symptome bei Menschen mit Demenz offenbar jedoch deutlich wirksamer als Medikamente. Diese sind teuer, helfen aber laut aktuellen Studien Betroffenen nicht, ihre Lebensqualität zu verbessern.“ Welche Medikamente es gibt und was die Schwierigkeiten sind, wird nicht weiter erläutert. Ebenso wenig geht der Text auf andere Therapiemethoden ein, wie etwa Musik-, Ergo- oder Physiotherapie.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Der Beitrag geht nicht darauf ein, was es kosten würde, die Mitarbeitenden in Museen in Deutschland so zu schulen, dass sie demenzsensibel arbeiten. Im Nebensatz erwähnt die Hauptautorin der Studie Voigt, Medikamente seien „teuer“, sonst kommen Kosten an keinem Punkt zur Sprache. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Wie sich das Lebensgefühl demenzkranker Menschen verbessern und ihre Teilhabe am öffentlichen Leben stärken lässt, ist ein großes, wichtiges Thema, das in seiner Relevanz nicht übertrieben dargestellt wird. Auch die Demenz an sich und deren Häufigkeit werden nicht übertrieben dargestellt.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Die Qualität der Untersuchung wird im journalistischen Beitrag nicht eingeordnet. Es fehlen Angaben zur Anzahl der Teilnehmenden an der Studie, zum genauen Studiendesign, zur Art der Befragung. Auch erfahren die Leserinnen und Leser nicht, dass es sich um eine randomisiert-kontrollierte Studie handelt, an der 102 Personen teilgenommen haben, bestehend aus 51 Tandem-Paaren (ein Demenzkranker und sein Angehöriger). Diese Paare wurden dann wieder in zwei Gruppen aufgeteilt, die miteinander verglichen wurden. In jeder Gruppe waren also nur 25 bzw. 26 Demenzkranke – eine geringe Teilnehmerzahl. Die erste Gruppe erhielt demenzsensible Museumsführungen, die zweite ging ohne Führung ins Museum. Es gab vor und nach dem Museumsbesuch eine Befragung und sechs Monate später. All das wird im journalistischen Beitrag leider nicht erwähnt – und folglich auch nicht eingeordnet.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Es kommen neben der Studienleiterin und Soziologin Karen Voigt und dem Projektleiter und Arzt Michael Wächter keine weiteren Expertinnen und Experten zu Wort, ebenso wenig wie andere, unabhängige Quellen.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Der Beitrag geht nicht auf Interessenkonflikte ein. Allerdings gibt es nach kurzer Recherche auch keinerlei Hinweise darauf, dass es in Bezug auf die beschriebene Studie Interessenkonflikte gab, die im Text hätten erwähnt werden müssen. Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
In dem Beitrag wird deutlich, dass es sich nicht um einen gänzlich neuen Ansatz handelt, der Demenzkranken helfen soll. Es wird berichtet, dass etwa das Museum of Modern Art in New York schon seit Anfang des Jahrtausends die Wirkung von Museen auf Betroffene untersucht. Eine eigenständige journalistische Recherche, was für Angebote es seit wann und wo gibt, hat allerdings offenbar nicht stattgefunden. Lediglich zu Beginn des Textes steht, dass „Museumsbesuche auf Rezept“ gerade „en vogue“ seien und es Kooperationen zwischen Krankenhäusern und lokalen Ausstellungshäusern gebe. Ob sich das auf Deutschland bezieht, bleibt allerdings unklar. Frühere Studien zur Thematik werden nicht erwähnt, etwa hier: ijal.se, so dass unklar bleibt, ob sich die Ergebnisse der aktuellen Studie mit früheren Untersuchungen decken. Da jedoch die möglichen Auswirkungen der Museumsbesuche auf das psychische Befinden das Kernthema des Artikels bilden (nicht die Museumsangebote), werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Zwar werden in dem Artikel mehrere Fakten richtig reproduziert: Es gibt knapp zwei Millionen Betroffene in Deutschland, 80 Prozent werden zuhause gepflegt. Auch Teile der Studie werden richtig angegeben, wie etwa die Teilnahme von 50 Kunstvermittlern in 22 Museen in Sachsen, die Studienlaufzeit von 3 Jahren und Untergruppenuntersuchungen über einen Zeitraum von zehn Wochen. Es fehlt allerdings die wichtigste Information: Dass es sich um eine randomisiert-kontrollierte Untersuchung mit Tandempaaren handelt, um 102 Teilnehmende, also 51 Paare. Diese Information ist wichtig, weil erst dadurch deutlich wird, dass die untersuchten Untergruppen klein sind und die Aussagekraft der Studie damit sehr begrenzt ist. Ebenso fehlt die Angabe, dass die Teilnehmenden zu drei Zeitpunkten befragt wurden, vor und nach dem Museumsbesuch und sechs Monate später. Doch werten wir insgesamt noch „KNAPP ERFÜLLT“, weil es sich um keinen Faktenfehler handelt, sondern um eine Nicht-Erwähnung wichtiger Informationen.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Der journalistische Artikel gibt lediglich die Inhalte der Pressemitteilung der TU Dresden wieder, übernimmt in weiten Teilen sogar den exakten Wortlaut (siehe auch: tu-dresden). Auch die Zitate der Forschenden wurden übernommen, unabhängige Expert*innen nicht befragt. Eine journalistische Eigenleistung ist nicht zu erkennen.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Der journalistische Beitrag ist zwar klar strukturiert und flüssig geschrieben, aber für eine interessante und attraktive Vermittlung fehlen Aspekte wie O-Töne von Betroffenen oder ihren Angehörigen, von Museumsmitarbeitenden oder von unabhängigen Forschern. Auch hätte man den Artikel interessanter gestalten können, indem man zum Beispiel auf die Vorgänge bei Demenzkranken im Gehirn eingeht und beschreibt, wie sich das im Alltag auswirkt. Ebenso wäre es interessant gewesen, wie sich die Betroffenen im Museum verhalten und wie sie sich fühlen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Die Sprache ist einfach und klar, der Artikel ist gut strukturiert, und einige wichtige Informationen zur Erkrankung werden richtig dargestellt. Allerdings fehlen zentrale Erläuterungen zu Aufbau und Ergebnissen der Studie und auch zu der Aussage, dass die Therapie mit Medikamenten „schwierig“ sei. Insgesamt haben die Leserinnen und Leser am Ende des Artikels nur eine vage Idee davon, dass Museumsbesuche Menschen mit Demenz offenbar helfen könnten. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Wie der Artikel richtig wiedergibt, ist Demenz ein wichtiges medizinisches und gesellschaftliches Problem. Aufgrund der großen Zahl der Betroffenen sind Forschungsvorhaben, die sich mit dem alltäglichen Umgang mit der Erkrankung und der Verbesserung der Lebensumstände beschäftigen und nach neuen Ansätzen suchen, sehr relevant. Eine aktuelle Studie dazu ist ein guter Anlass, darüber zu berichten.
Medizinjournalistische Kriterien: 6 von 14 erfüllt
Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2 Sterne), Begründung: Die Informationen wurden (teils im Wortlaut) einer Pressemitteilung der TU Dresden entnommen, zudem wurde der Nutzen nur sehr vage formuliert und weder die Qualität der Studie noch die Thematik wurden eingeordnet.