Der Artikel der „Berliner Morgenpost“ liest sich leicht und flüssig und bietet einen sympathisch anmutenden Alltagstipp: Lächle Schmerzen einfach weg! Dafür wird eine Studie beleuchtet, die angeblich genau dies gezeigt hat: Dass Lächeln die Schmerzen reduzieren kann. Tatsächlich aber hat die Untersuchung keinen Hinweis darauf ergeben. Allein die Herzfrequenz der Lächelnden fiel während eines Schmerzreizes niedriger aus als bei anderen – und die Stimmung hellte sich danach schneller wieder auf. Leider werden im journalistischen Beitrag auch keine alternativen Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung, zur Reduktion der Herzfrequenz oder zur Stimmungsaufhellung bei Schmerzen genannt. Es kommen zudem keinerlei unabhängige Expertinnen oder Experten im Text zu Wort.
Zusammenfassung
Ein journalistischer Beitrag in der „Berliner Morgenpost“ berichtet, dass Lächeln angeblich das Schmerzempfinden senken kann. Der Artikel bezieht sich auf eine aktuell im „Journal of Positive Psychology“ veröffentlichte Studie. Darin waren 57 Probandinnen und Probanden einem schmerzhaften Kältereiz ausgesetzt – sie sollten eine Hand so lange wie möglich in eiskaltes Wasser tauchen. Die Forschenden stellten fest, dass diejenigen, die während des Kältereizes spontan lächelten, eine niedrigere Herzfrequenz zeigten als andere. Nach eigenen Angaben waren sie nach dem Versuch auch schneller wieder positiv gestimmt. Einen Einfluss des Lächelns auf das Schmerzempfinden konnten die Forschenden dagegen nicht finden. Im journalistischen Beitrag werden die Studienergebnisse also falsch dargestellt. Zudem wird der Studienaufbau im Text nicht erklärt, und es werden keine weiteren Quellen herangezogen, um die Studie einzuordnen.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Die positiven Effekte des Lächelns während einer schmerzhaften Situation sind nicht korrekt beschrieben. Insbesondere zeigt die Studie nicht – anders als im journalistischen Beitrag behauptet – dass Lächeln sich auf die Schmerzempfindung auswirkt (siehe auch Kriterium Faktentreue). Tatsächlich wurde eine niedrigere Herzfrequenz bei Teilnehmenden beobachtet, die während der schmerzhaften Situation spontan lächelten, sowie eine schnellere Erholung: Jene Versuchspersonen, die während des Experiments lächelten, waren schneller wieder guter Stimmung (siehe auch: tandfonline). Leider wird dieser Nutzen des Lächelns im Text jedoch nicht in Zahlen wiedergegeben. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Ob es auch negative Effekte haben kann, während einer schmerzhaften Situation zu lächeln, thematisiert der Beitrag nicht. So wäre es denkbar, dass Menschen, die über Schmerzen lange tapfer hinweg lächeln, zu spät medizinische Hilfe suchen. Dies hätte zumindest erwähnt werden können. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Es handelt sich nicht um eine Therapie oder ein Produkt, daher ist das Kriterium nicht anwendbar.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Ob es auch andere nichtmedikamentöse Wege gibt, um Schmerzen zu reduzieren oder mit ihnen besser umzugehen, spricht der Beitrag nicht an. Dabei kommt eine Vielzahl anderer Methoden in Frage, Entspannungsübungen zum Beispiel oder eine Psychotherapie.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Es ist klar, dass in diesem Zusammenhang keine Kosten anfallen. Das muss nicht eigens erwähnt werden, daher werten wir das Kriterium als „ERFÜLLT“.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden.
Schmerzen werden im journalistischen Beitrag nicht übertrieben dargestellt.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Der journalistische Beitrag erläutert nicht, wie die Studie durchgeführt wurde. Doch gerade bei psychologischen Studien ist dies besonders wichtig, da diese sich in der Vergangenheit oft nicht replizieren ließen. Stattdessen ist nur sehr allgemein von einer „schmerzhaften Kältetemperatur-Aufgabe“ die Rede. Es wird nicht deutlich, dass dabei aufgezeichnet wurde, ob die Proband*innen spontan lächelten, während sie eine Hand in eiskaltes Wasser tauchten.
Über die in der Studie selbst genannten Limitationen berichtet der journalistische Text, etwa, dass die Untersuchung nur an 57 Teilnehmenden durchgeführt wurde und lediglich 21 von ihnen während des Experiments gelächelt hatten. Ob Lächeln tatsächlich dazu führt, dass die Herzfrequenz sinkt, wird bei dieser Versuchsanordnung letztlich nicht nachgewiesen. So weist die Studie ausdrücklich darauf hin, dass die Versuchspersonen, die während des Kälteversuchs lächelten, auch vorher schon eine niedrigere Herzfrequenz zeigten als die anderen Versuchspersonen. Zudem waren sie vorher schon in besserer Stimmung. Womöglich gibt es für diese Assoziationen eine gemeinsame, noch unbekannte Ursache (so heißt es in der Studie dazu: „there may be something different about the type of individual who smiles during acute pain“). Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Neben der Studie im „Journal of Positive Psychology“, die den Anlass der Berichterstattung darstellt, werden keine weiteren Quellen einbezogen. Eine Einordnung durch unabhängige Expert*innen fehlt.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Wir haben keine Interessenkonflikte gefunden, die hätten genannt werden müssen. Daher werten wir das Kriterium als „ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Der Beitrag erweckt den Eindruck, dass hier erstmals der Zusammenhang zwischen Mimik, Herzfrequenz und Schmerzempfindung untersucht wurde. Dies ist nicht zutreffend, diese Zusammenhänge werden seit langem in Studien untersucht, die in der Fachveröffentlichung auch zitiert werden. Das eigentlich Neue an der aktuellen Studie wird im journalistischen Beitrag nicht benannt: Im Gegensatz zu früheren Arbeiten wurden die Versuchspersonen nicht aufgefordert zu lächeln. Stattdessen wurde über eine Facereader-Software ermittelt, ob die Teilnehmenden während der schmerzhaften Situation von sich aus spontan lächelten. Die Studie wird also leider nicht in den durchaus vorhandenen Studienkontext eingeordnet.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Im Beitrag wird fälschlich behauptet, Schmerzen würden durch Lächeln gelindert („wie eine neue amerikanische Studie zeigt, soll es sogar Schmerzen lindern“, „körpereigene Superkraft“). Dagegen heißt es in der Studie ausdrücklich: „(…) spontaneously smiling during pain and smile duration were not associated with lower self-reported pain.” (etwa: „(…) waren spontanes Lächeln während der Schmerzen und die Dauer des Lächelns nicht mit geringeren selbstberichteten Schmerzen verbunden.“) Auch die Behauptung „Schmerz-Studie überrascht“ ist unzutreffend. Es wird, wie in der Studie ausführlich dargelegt, schon lange über Zusammenhänge zwischen Mimik und Schmerzempfinden geforscht, mit teils widersprüchlichen Ergebnissen. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Eines Pressemitteilung zu der im Text vorgestellten Studie haben wir nicht gefunden. Allerdings stützt sich der journalistische Beitrag allein auf eine einzige Quelle, übertreibt die Ergebnisse der Studie und deren Neuheit (siehe Kriterien 1 und 11) und bedient sich zum Teil einer stark werblichen Sprache („körpereigene Superkraft kann helfen“ oder „wertvolle ergänzende Strategie zur Schmerzbewältigung“, könnte „die allgemeine Lebensqualität steigern“). Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Der Text ist gut lesbar und gut strukturiert. Er macht mit Zwischenfragen neugierig und spielt auf Alltagsituationen an, die das Thema anschaulich machen. Der Einstieg in der Ich-Form („Wenn mir meine Kollegin einen Witz erzählt…“) wird allerdings später im Artikel als Erzählform nicht mehr aufgegriffen, was etwas irritiert. Dennoch werten wir insgesamt noch knapp „ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Im journalistischen Beitrag finden sich Aussagen wie dass regelmäßiges Lachen die allgemeine Lebensqualität steigern könnte und die „Entspannung des Körpers“ sowie „den Heilungsprozess“ unterstützen würde. Dass die Studie dies gar nicht untersucht hat, wird nicht erläutert; auch bleibt unklar, um welchen Heilungsprozess es hier gehen soll. Was sich hinter der „Kälteaufgabe“ der im Text erwähnten Studie verbirgt, erschließt sich leider auch nicht. Unnötige Fremdwörter („nonverbal kommunizieren“, „die kognitiven und emotionalen Reaktionen“) erschweren Laien womöglich, den Text auf Anhieb zu verstehen. Auch wird nicht erläutert, welchen Zusammenhang es zwischen dem im Artikel erwähnten Vagusnerv und der Herzfrequenz gibt. Der letzte Satz des Artikels legt schließlich nahe, es könne bei Schmerzen helfen, absichtlich zu lächeln. Darum aber ging es in der Studie nicht, die Teilnehmenden hatten (zum Teil) während des Kälteversuchs spontan gelächelt. Daher werten wir, wenn auch knapp, „NICHT ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Wenn die Studie tatsächlich nachgewiesen hätte, dass Lächeln schmerzlindernd wirkt, wäre sie berichtenswert gewesen. Da dies jedoch nicht der Fall ist, hat die kleine Studie für Laien wenig Relevanz. Eine aktuelle Publikation in einem außerhalb von Fachkreisen weitgehend unbekannten Journal stellt allein keinen Anlass für eine Berichterstattung dar. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.
Medizinjournalistische Kriterien: 4 von 14 erfüllt
Abwertung um einen Stern (von 2 auf 1 Stern), Begründung: Die Kriterien Nutzen, Risiken, Qualität der Belege und Einordnung sind allesamt nicht erfüllt.