Der journalistische Beitrag des RND-Netzwerks hinterfragt kritisch die derzeit von Influencern beworbene Longevity-Medizin. Dabei kommen Behandlungsmethoden wie etwa die Kältekammer zum Einsatz, eine Rotlichttherapie, das Immunsuppressivum Rapamycin, das Blutplasma jüngerer Personen und Gentherapien. Es wird deutlich, dass es bislang keine wissenschaftliche Evidenz dafür gibt, dass diese Methoden das Altern aufhalten oder Menschen sogar verjüngen können. Leider werden mögliche Nebenwirkungen der Therapien im Text nicht erwähnt. Im Artikel kommen verschiedene Vertreter der Longevity-Medizin zu Wort, ebenso wie eine Altersforscherin, die kein Geld mit der Vermarktung der Behandlungen verdient. Auch werden unabhängige Statistiken und Studien zitiert.
Zusammenfassung
Der Artikel des RND-Netzwerks berichtet über neue Trends in der Longevity-Medizin. Verschiedene Methoden, mit denen das Altern aufgehalten oder mit denen sich Menschen sogar biologisch verjüngen lassen wollen, werden vorgestellt – und auch hinterfragt. So wird etwa die vorhandene wissenschaftliche Evidenz vorgestellt, die bislang vor allem auf Studien an Mäusen beruht. Auch auf die mangelnde Übertragbarkeit dieser Studienergebnisse auf den Menschen wird hingewiesen. Neben Medizinern, die sich der Longevity-Medizin verschrieben haben, kommen auch andere Stimmen zu Wort. Wie groß der Markt für diese Therapieversprechen ist, wird im Text anschaulich erklärt. Ebenso wird erläutert, was man unter biologischem Altern versteht und wie versucht wird, es zu messen. Der Artikel ist sprachlich gelungen, ist für Laien gut verständlich und wählt den Besuch der Boxweltmeisterin Regina Halmich in einer Longevity-Klinik als attraktiven Einstieg und als wiederkehrenden Aspekt, der sich durch den gesamten Text zieht. Schade nur, dass mögliche Nebenwirkungen der beworbenen Methoden nicht erwähnt werden, auch längt erwiesene Möglichkeiten, möglichst lange gesund zu altern, werden nur am Ende des Textes kurz erwähnt.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Der Artikel behandelt verschiedene Methoden, die derzeit unter dem Begriff „Longevity“ firmieren. Es werden dabei Behandlungen wie Kältekammer, Rotlichttherapie, Rapamycin (ein Immunsuppressivum), Verabreichung von Blutplasma jüngerer Personen oder Gentherapien kritisch unter die Lupe genommen und klargestellt, dass diese zumeist nicht auf evidenzbasierter Medizin beruhen, sondern auf Tierversuchen oder Erfahrungen einzelner Personen. Es wird also kein Nutzen beschrieben, daher bewerten wir dieses Kriterium als „NICHT ANWENDBAR“.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Es wird nicht auf mögliche Nebenwirkungen von Kältekammern, Rapamycin, Gentherapien oder Verabreichungen von Blutplasma eingegangen. Rapamycin kann etwa zu Blutbildveränderungen, Infektionen oder Unterleibsschmerzen führen und die Blutfette erhöhen (gelbe-liste.de). Auch die Gentherapie mit Follistatin ist nicht ungefährlich; es kann zum Beispiel zu schweren Immunreaktionen kommen, zudem gibt es Hinweise darauf, dass es womöglich die Tumorbildung begünstigt.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Der Artikel beinhaltet einen Klinikbesuch in Berlin, damit ist klar, dass es einen Teil der Behandlungen wie Kältekammern, Rotlicht- oder Sauerstofftherapie in Deutschland verfügbar sind. Zudem wird von einer Gentherapie berichtet, die in Honduras an einem US-Amerikaner durchgeführt wurde, da diese Behandlungen in den USA nicht erlaubt sind. Damit wird auch klar, dass noch nicht alle der erwähnten Behandlungen allseits verfügbar sind.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Im Text wird zunächst nur erwähnt, was die Boxweltmeistern tut, um lange fit zu bleiben. Im letzten Satz des Artikels jedoch wird noch eine Forscherin des Max-Planck-Instituts folgendermaßen zitiert: „Gesund leben, Sport, machen, Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, soziale Kontakte pflegen, Sonnenschutz tragen, das ist wirklich fundamental.“ Hier wären etwas ausführlichere Informationen hilfreich gewesen, daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Die Kosten werden im Text mehrfach thematisiert. Zitat: „Es gibt immer mehr Ressorts und Privatkliniken, in denen Menschen sich teils kostspielige Behandlungen kaufen können (…). Eine Beratung gibt es ab 80 Euro, einen speziellen Langlebigkeits-Check-up ab 400 Euro.“ Dass Krankenkassen die Verfahren nicht übernehmen, wird ebenfalls dargestellt. Wieviel allerdings die angebotenen Behandlungen selbst kosten, wäre für die Leserinnen und Leser zumindest beispielhaft interessant gewesen. Insgesamt werten wir aber noch knapp „ERFÜLLT“.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden.
Wir haben keine Anzeichen von Übertreibungen oder Krankheitserfindungen in Bezug auf das Altern gefunden.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Es wird deutlich, dass einige der Longevity-Behandlungen auf wissenschaftlicher Forschung basieren, allerdings nur auf Mäuseversuchen, welche nicht unbedingt auf den Menschen übertragbar sind. Dass es an klinischen Studien mangelt, macht das Zitat einer Expertin klar: „Großangelegte Untersuchungen an Menschen mit Anti-Aging-Medikamenten gibt es bisher nicht. Sie sind schwierig umzusetzen und scheitern bisweilen an der Finanzierung.“ Allerdings wird erläutert, dass es einzelne Personen wie Bryan Johnson gibt, die sich selbst verschiedenen Therapien unterziehen. Solche Einzelfälle können jedoch nicht als Beweis dienen, so etwa das Zitat einer Altersforscherin: „Ihn als wissenschaftliches Objekt zu bezeichnen, halte ich für waghalsig.“ Langzeitstudien mit einer ausreichend großen Teilnehmerzahl fehlen, das wird mehrfach im Artikel klargestellt.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Es wird neben einem gemäßigten Befürworter der Longevity-Therapien auch eine unabhängige Altersforscherin des Max-Planck-Instituts sowie die Barmer-Krankenkasse zitiert. Zudem werden unabhängige Statistiken im Text genannt.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Es wird thematisiert, dass einer der genannten Experten ein eigenes Longevity-Center hat, er also von diesen Behandlungen finanziell profitiert. Dass die Altersforscherin Ina Huppertz am Immunsuppressivum Rapamycin forscht, bleibt allerdings unerwähnt. Auch zu Bryan Johnson hätte man ergänzen können, dass dieser seine Testkits und Nahrungsergänzungsmittel über einen Shop vertreibt. Darum werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Es wird deutlich, dass es sich bei der Longevity-Medizin um einen neuen Trend handelt, bei dem große wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen. Auch wird deutlich, dass die verwendeten Ansätze nicht unbedingt neu sind. Wie sich die Longevity-Medizin in den vergangenen Jahren entwickelt hat und was für neue Ansätze tatsächlich hinzugekommen sind, wird allerdings nicht deutlich. Auch auf ethisch-gesellschaftliche Diskussionen zur Longevity-Medizin wird nicht eingegangen Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Wir haben keine Fehler gefunden.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Wir haben keine Pressemitteilung zum Artikel gefunden und gehen daher von einer journalistischen Eigenleistung aus.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Im Artikel wird die Boxerin Regina Halmich bei einem Klinikbesuch begleitet. Die Darstellung des Themas wird auf diese Weise anschaulich, lebendig und nahbar. Auch die mehrfachen Erläuterungen zu Longevity-Star Bryan Johnson machen den Text attraktiv. Wissenschaftliche Informationen etwa dazu, wie man das biologische Alter misst, sind in einem Kasten untergebracht. Die Satzlängen sind abwechselnd kurz und lang, was zur guten Lesbarkeit des Textes beiträgt. Auch der Aufbau des Textes ist gelungen, von den Versprechen über die Faktenlage bis hin zur Präventionsmedizin und den – wenn auch kurzen – Empfehlungen, wie ein gesundes Altern tatsächlich möglich ist.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Der Beitrag schafft es, über das wissenschaftliche Thema so zu informieren, dass auch Laien es verstehen. Lediglich bei einigen Therapien wie Follistatin oder Rapamycin wären ein paar Erläuterungen hilfreich gewesen.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Die Lebenserwartung der Menschen in Europa stagniert oder sinkt sogar, gleichzeitig nimmt die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen im Alter zu. Darum ist es wichtig, sich damit zu beschäftigen, wie diese Entwicklungen aufgehalten werden können. Der Artikel greift die Longevity-Medizin auf, die hier Gegenmittel verspricht und die derzeit viele Menschen vor allem über die sozialen Medien erreicht. Es ist wichtig, diese Versprechen zu hinterfragen und klarzustellen, wo die Grenzen sind.
Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 14 erfüllt
Abwertung um einen Stern (von 5 auf 4 Sterne), Begründung: Drei Kriterien sind nur knapp „ERFÜLLT“.