Bewertet am 21. Januar 2025
Veröffentlicht von: Süddeutsche Zeitung (online)

Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung (online) berichtet darüber, dass Kaffeegenuss in den Morgenstunden womöglich das Sterberisiko senken kann. Der Nutzen des Kaffeekonsums wird nur knapp erklärt, auf mögliche Risiken und Nebenwirkungen geht der Text leider nicht ein. Allerdings verweist der Beitrag auf die begrenzte Aussagekraft von Beobachtungsstudien und lässt die Ergebnisse der vorgestellten Studie durch einen unbeteiligten Forscher einordnen. Dabei geht der Artikel nur wenig über die die Fachpublikation begleitende Pressemitteilung hinaus. Der Artikel ist insgesamt verständlich geschrieben, lässt sich nur am Ende etwas zu sehr von der Euphorie des kommentierenden Experten mitreißen.

Zusammenfassung

Der journalistische Beitrag der Süddeutschen Zeitung (online) berichtet über eine aktuelle Publikation zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Kaffee. Demnach wirkt sich Kaffeegenuss am Morgen positiv auf die Gesundheit aus; insbesondere hätten Menschen, die vormittags Kaffee trinken, ein geringeres Risiko, an Herzkreislauferkrankungen zu sterben. Der Artikel beschreibt die Studienergebnisse korrekt, allerdings wird nur die relative Verringerung des Risikos genannt, aussagekräftigere und besser verständliche absolute Zahlen fehlen. Es wird zwar darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, die keine kausalen Zusammenhänge nachweisen kann. Dennoch entsteht im journalistischen Beitrag für Laien leicht der Eindruck, ein Wirkungsmechanismus, den die Wissenschaftler als möglich, aber keinesfalls bewiesen darstellen, sei ein gesichertes Faktum. Hier hätte man stärker darauf hinweisen müssen, dass die Studie zu den Mechanismen keine Erkenntnisse liefert, da dies nicht Gegenstand der Untersuchung war.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel berichtet, dass bei Menschen, die morgens (und nur morgens) Kaffee trinken, innerhalb von 10 Jahren eine um 16 Prozent verringerte Sterblichkeit beobachtet wurde und eine um 31 Prozent geringere Sterblichkeit an Herzkreislaufleiden. Bei Menschen, die ganztags Kaffee trinken, war dagegen kein signifikanter Effekt festzustellen. Leider beschränkt sich der Beitrag auf diese Prozentangaben, aussagekräftige absolute Zahlen fehlen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Risiken und Nebenwirkungen von Kaffee werden thematisiert: „Wird den ganzen Tag über Kaffee getrunken, kann dieser zirkadiane Rhythmus gestört sein – der Organismus ist schon dabei, langsam herunterzufahren, doch mit Kaffee wird ein gegensätzlicher Reiz gesetzt. Diese unphysiologische Stimulation ist wohl der Grund dafür, dass viele Menschen, die nachmittags Koffein zu sich nehmen, nicht gut schlafen können, was wiederum zu einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko beiträgt.“ Allerdings werden viele andere mögliche Risiken nicht erwähnt – Nervosität etwa, Herzrasen und Herzrhythmusstörungen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Dass Kaffee allgemein verfügbar ist, kann als bekannt vorausgesetzt werden.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Interessant wäre es gewesen, wie die Wirkung von Kaffee beispielsweise im Vergleich zu Tee oder anderen Formen der Koffeinaufnahme oder im Vergleich zu anderen Aufputschmitteln ist. Zumindest ein kurzer Hinweis, dass die Studie dies nicht untersucht hat und ob es dazu Untersuchungen gibt, wäre für die Leserinnen und Leser interessant gewesen. Insgesamt werten wir daher „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten von Kaffee sind bekannt und müssen nicht näher beleuchtet werden.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es geht in diesem Beitrag nicht um eine Therapie bestimmter Erkrankungen, sondern um das allgemeine Sterberisiko sowie die Sterblichkeit an Herzkreislauferkrankungen. Die Krankheiten selbst sind nicht Gegenstand der Berichterstattung, daher wenden wir das Kriterium nicht an.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Erfreulicherweise weist der Artikel darauf hin, dass Beobachtungsstudien einige Probleme mit sich bringen. „Auch wenn es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, die eine Korrelation beschreibt, aber keinen ursächlichen Zusammenhang beweist, sprechen einige Indizien für eine Wechselwirkung zwischen Morgenkaffee und Gesundheit.“ Oder an anderer Stelle: „Zwar ist bekannt, dass die meisten Ernährungsstudien anfällig für Verzerrungen sind, weil sie auf Angaben der Teilnehmer beruhen, lediglich Korrelationen beschreiben und es selten eine Kontrollgruppe gibt, die zum Vergleich Placebos bekommt.“ Nur die Darstellung der Studie ist nicht ganz gelungen, weil der Eindruck entsteht, die Forscher*innen hätten selbst mit „Probanden“ gearbeitet. Tatsächlich haben sie Daten aus anderen Studien/Umfragen ausgewertet. Auch wird nicht erwähnt, dass der Kaffeekonsum nicht etwa über einen Zeitraum von zehn Jahren protokolliert wurde. Stattdessen wurde er an einem oder zwei Tagen per Telefoninterview für den jeweils vorausgehenden Tag, für eine kleine Gruppe der Konsum über eine Woche erfragt. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Der Beitrag zitiert einen Wissenschaftler, der zur Fachpublikation ein Editorial in der gleichen Fachzeitschrift verfasst hat, und der nicht an der Studie beteiligt war.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Wir haben keine Interessenkonflikte gefunden, die der Beitrag hätte erwähnen müssen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der journalistische Beitrag weist darauf hin, dass sich die Einschätzung zu gesundheitlichen Auswirkungen des Kaffeekonsums gewandelt hat – von früheren Warnungen vor zu hohem Konsum des „Aufputschmittels“ bis zu einer eher positiven Beurteilung. Diese Entwicklung wird allerdings nur sehr allgemein beschrieben, es fehlen konkrete Angaben und Quellen. Immerhin wird aber deutlich, dass in der aktuellen Studie als Besonderheit der Kaffeekonsum im Tagesverlauf untersucht wurde, hier wird also die Neuheit der Studienergebnisse deutlich. Insgesamt werten wir daher noch knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Die genannten Zahlen und Fakten entsprechen weitgehend den Angaben in der vorgestellten Studie. Nicht ganz gelungen ist jedoch die Darstellung, warum der Zeitpunkt des Kaffeetrinkens bedeutsam sein könnte. Durch den journalistischen Beitrag kann der Eindruck entstehen, es sein ein gesichertes Faktum, dass eine Störung des zirkadianen Rhythmus und die damit verbundene, erhöhte Sympathikus-Aktivität bei Kaffeekonsum in der zweiten Tageshälfte das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen erhöhe. Dies wird im Fachartikel jedoch nur als eine mögliche Erklärung angesprochen, nicht als gesichertes Studienergebnis.

In der dazu gehörigen Pressemitteilung erklärt der Studienleiter Lu Qi ausdrücklich: „This study doesn’t tell us why drinking coffee in the morning reduces the risk of death from cardiovascular disease. A possible explanation is that consuming coffee in the afternoon or evening may disrupt circadian rhythms” (etwa: Aus dieser Studie geht nicht hervor, warum das morgendliche Kaffeetrinken das Risiko eines Todes durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert. Eine mögliche Erklärung ist, dass der Kaffeekonsum am Nachmittag oder Abend die zirkadianen Rhythmen stören kann). Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag lehnt sich eng an die Pressemitteilung der European Society of Cardiology an. Auch die Zitate eines Studienautors und des unabhängigen Wissenschaftlers stammen daraus. Doch gehen die Ausführungen zu den früheren Annahmen zu schädlichen Effekten des Kaffees und zur eingeschränkten Aussagekraft von Beobachtungsstudien über den Inhalt der Pressemitteilung hinaus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Einerseits führt der Text gut zum Thema hin, ist gut strukturiert, macht an vielen Stellen auch sprachlich deutlich, dass es sich erstmal um einen statistischen Zusammenhang handelt („Eine aktuelle Studie mit mehr als 40 000 Teilnehmern weist (…) darauf hin, (…))“. Oder: „Üblicherweise geben wir bei Ernährungsempfehlungen ja keine Ratschläge zum richtigen Zeitpunkt, aber vielleicht sollten wir künftig darüber nachdenken.“ Das macht deutlich, dass das Ergebnis noch nicht endgültig gesichert ist. Gegen Ende lässt sich der Text jedoch ein wenig von der Euphorie des Kommentars zur Studie mitreißen, der enthusiastisch empfiehlt: „Also trinkt euren Kaffee und macht das morgens!“ – ganz so, als sei eben doch schon alles erwiesen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Insgesamt ist der Artikel verständlich verfasst, so zum Beispiel die möglichen Erklärungen, warum das Kaffeetrinken am Nachmittag den Schlaf stören könnte.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema ist zwar nicht ungewöhnlich – Beiträge zu Nutzen und Schaden des Kaffeekonsums gibt es immer wieder. Doch geht es im Artikel um eine aktuell publizierte Studie, die offenbar erstmals den Zeitpunkt des Kaffeetrinkens und dessen Auswirkungen auf die Gesundheit untersucht hat. Da Kaffee ein weit verbreitetes Genussmittel darstellt, ist das Thema für viele Menschen relevant.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 14 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 5 auf 4 Sterne), Begründung: Fünf Kriterien sind nur knapp erfüllt.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar