Bewertet am 6. August 2024
Veröffentlicht von: tagesschau.de

Der journalistische Beitrag von tagesschau.de widmet sich der Erforschung des Darmmikrobioms. Anlass des Berichts ist eine aktuelle Studie, in der das Erbgut bestimmter Darmbakterien mit Hilfe gentechnischer Methoden gezielt verändert wurde. Dabei kommt ausführlich zur Sprache, dass es sich um Grundlagenforschung handelt, die Versuche bislang nur in Zellkultur und Mäusen stattgefunden haben. Auch ein unabhängiger Experte kommt im Text zu Wort.

Zusammenfassung

Der Online-Artikel auf tagesschau.de berichtet über eine im Fachjournal Nature publizierte Studie, in der das Darmmikrobiom von Mäusen gentechnisch verändert wurde. Zunächst führt der Text auf attraktive Art und Weise in die Thematik ein und beschreibt dann den möglichen Nutzen wie auch die zu erwartenden Risiken der berichteten Methode. Die Verfügbarkeit und alternative Behandlungsarten kommen angemessen zur Sprache. Die Qualität der Belege wird deutlich durch einen unabhängigen Experten, der die Aussagen eines interessengeleiteten Studienautors relativiert, wobei allerdings dessen Interessenkonflikt nicht hinterfragt wird. Der Beitrag ordnet die Thematik kontextuell gut ein und geht inhaltlich deutlich über eine Pressemeldung zur Publikation hinaus. Die Vermittlung der komplexen Wissenschaft gelingt dabei informativ und attraktiv, nur an mancher Stelle hätten laienverständliche Erläuterungen dem Text noch gutgetan.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im Text wurde eine Grundlagenstudie aufgegriffen, in der Darmbakterien in Mäusen gentechnisch verändert wurden. Die Studie zeigt, dass es grundsätzlich möglich ist, Gene von Bakterien in vivo und mit großer Effizienz (bis über 90 Prozent) zu verändern. Diese Gene spielen eine Rolle etwa bei der Entstehung von Darmkrebs, neurodegenerativen und Autoimmunerkrankungen oder Antibiotikaresistenzen, das wird zum Beispiel hier erläutert: „Auf diese Weise konnten die Forschenden beispielsweise ein Gen verändern, von dem man weiß, dass es mit der Entstehung von Darmkrebs zusammenhängt.“ Und schließlich heißt es: „Außerdem konnten er und das Forschungsteam im Darmbakterium E. coli ein Gen verändern, das für Antibiotikaresistenzen verantwortlich ist. Eine solche Genveränderung könnte dafür sorgen, dass eine Antibiotika-Therapie wieder anschlagen kann.“ Was genau dann im menschlichen Mikrobiom abläuft, wenn man solch ein Verfahren anwendet, wie hoch eine Risikoreduktion für die betreffenden Krankheiten ausfallen würden, ist noch unklar und das wird auch so im Text benannt. Ein weiterer möglicher Nutzen der Studie wäre die weitere Erforschung des Mikrobioms. Damit wird der mögliche Nutzen der vorgestellten Methode insgesamt gut verständlich dargestellt.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Der Artikel thematisiert, warum die vorgestellte Methode recht schonend sei: „…die schädlichen Gene werden inaktiviert, aber die Bakterienpopulation an sich bleibt im Darm vorhanden.“ Das sei deutlich schonender – für die Bakterien, aber auch für die Mäuse im Versuch und in Zukunft möglicherweise für Menschen. „Die Versuchstiere hätten keine Nebenwirkungen gezeigt, die Veränderungen der Gene passiere sehr gezielt ausschließlich in den Bakterien.“ Und es wird auch erwähnt, dass die Bakterien womöglich Resistenzen gegen die gentechnische Veränderung entwickeln könnten.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Artikel berichtet über ein Forschungsprojekt in einem frühen wissenschaftlichen Stadium. Es wird deutlich, dass das beschriebene Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt nicht für eine klinische Anwendung verfügbar ist. Zum Schluss heißt es: „Die Forschenden … wollen die therapeutische Anwendung jetzt bei weiteren Bakterien untersuchen, auch eine Phase 1-Studie beim Menschen wird geplant.“ Damit vermittelt der Text verständlich, in welcher frühen Phase sich die Erforschung der neuen Methode befindet (wobei nicht alle Leserinnen und Leser wissen dürften, was eine Phase-1-Studie bedeutet, siehe Kriterium Verständlichkeit).

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Alternative Behandlungsarten thematisiert der Beitrag nicht auf einzelne Krankheitsbilder bezogen, sondern auf die Beeinflussung des Mikrobioms: Aktuell habe man nur recht grobe Maßnahmen zur Verfügung, wenn man ins Mikrobiom eingreifen wolle – von Antibiotika bis Stuhltransplantationen, ein Experte erläutert das Vorgehen: „Da tauschen wir im Prinzip eine große unbekannte Gemeinschaft von Mikroorganismen gegen eine neue große Gemeinschaft von unbekannten Mikroorganismen aus und wissen dann immer noch nicht so genau, was passiert.“ Allerdings hätte der Text auch auf wichtige andere Alternativen aus dem Alltag eingehen können, etwa, dass als wichtiger Faktor auch die Ernährung das Darmmikrobiom beeinflusst. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten werden nicht angesprochen, auch nicht geschätzt. Da das Verfahren bislang nur im Tierversuch getestet ist, finden wir es jedoch angemessen, diesen Aspekt nicht zu thematisieren.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es gibt keine Anzeichen für Krankheitsübertreibungen.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die besprochene Studie hat nicht die Wirksamkeit eines Verfahrens untersucht, sondern ein neuartiges Therapieprinzip. Das wird im journalistischen Beitrag deutlich. Der Artikel macht auch klar, dass sich die Ergebnisse aus den Tierversuchen nicht direkt auf eine Anwendung am Menschen übertragen lassen. Indem ein externer Experte das untersuchte Prinzip kritisch einordnet („Wir wissen bei einigen Genen, dass sie etwas mit der Entstehung von Darmkrebs zu tun haben, ihn begünstigen, aber noch ist es sehr schwer abzuschätzen, wie groß der therapeutische Nutzen ist, wenn man eingreift.“), ordnet er die Qualität der referierten Belege angemessen ein.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Neben dem Studienautor Andreas Brödel vom Biotech-Unternehmen Eligo Bioscience kommt auch Florian Fricke von der Universität Hohenheim zu Wort und ordnet die Studienergebnisse ein. Der relativiert die Aussagen des Studienautors und ordnet die Studienergebnisse gut ein. So entsteht ein differenziertes Bild der Forschungsarbeit, das es den Leserinnen und Lesern ermöglicht, die Relevanz der vorgestellten Ergebnisse nachzuvollziehen.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Die im Fachjournal publizierte Studie stammt von dem Biotech-Unternehmen Eligo, was im Artikel auch klar benannt wird. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, diesen Interessenkonflikt auch direkt im Text anzusprechen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird im vorliegenden Artikel deutlich, dass es sich um einen neuartigen Forschungsansatz handelt: „Forschenden aus Paris ist es nun erstmals gelungen, einzelne Bakterienarten im Darm einer Maus genetisch zu verändern.“ Auch im Abstract der Studie findet sich ein Bezug auf die Neuheit der Methode: „Our work demonstrates the feasibility of modifying bacteria directly in the gut“. Zudem wird zu Beginn des Textes dargestellt, welche Bedeutung das Mikrobiom des Darms für die Gesundheit hat und setzt die aktuelle Studie damit in einen allgemeineren Kontext: „Ihre Zusammensetzung hat einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit. Die Bakterien verhindern zum Beispiel, dass sich Krankheitserreger ausbreiten können, helfen bei der Verwertung von Lebensmitteln und beeinflussen unser Gehirn. Wenn sich die ,falschen‘ Mikroorganismen im Darm ausbreiten, kann das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben.“  

Allerdings wäre es bei dieser Thematik wünschenswert gewesen, auf medizinethische Aspekte der Methode einzugehen – so ist das gentechnische CRISPR/Cas-Verfahren mit direktem Eingriff ins Erbgut durchaus umstritten. Dies wird jedoch im Text nicht angesprochen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Wir haben keine Fehler gefunden.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Artikel geht deutlich über die Pressemitteilung der Firma zur Studie hinaus: Der Text liefert einführende Informationen über das Mikrobiom, ebenso wie Aussagen eine Studienautors und eines unabhängigen und kritischen Experten. Eine journalistische Eigenleistung ist somit gegeben.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel liefert einen informativen und sprachlich attraktiven Einstieg ins Thema: „Unser Darm ist ein geschäftiger Ort: Billionen von Bakterien und anderen Mikroorganismen leben dort in komplexen Gemeinschaften. Alle ,Darmbewohner‘ zusammen werden Mikrobiom des Darms genannt. Ihre Zusammensetzung hat einen großen Einfluss auf unsere Gesundheit.“ Die dann folgenden Erklärungen des Forschungsprojekts und ebenso die kritischen Anmerkungen des außenstehenden Experten sind schlüssig aufgebaut und gut lesbar. Insbesondere kommt dem Text auch zugute, dass die berichtete Wissenschaft durch emotionale Zitate der Experten erlebbar wird: „Dass es aber dann in Mäusen so gut funktioniert, war auch für uns überraschend.“ Und gleich darauf der andere Experte: „Das ist schon faszinierend: In so eine komplexe mikrobielle Gemeinschaft vieler Bakterien hereinzugehen und dann aber nur eines rauszupicken und da etwas zu verändern.“

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Dem Artikel gelingt es zunächst, diese schwierige Materie der Mikrobiomforschung für ein Laienpublikum weitgehend verständlich zu vermitteln: „Das Mikrobiom des Darms ist komplex – es zu erforschen oder gar gezielt zu behandeln, wenn etwas aus der Balance geraten ist, ist sehr schwierig.“ Sodann heißt es: „Dafür nutzen sie eine moderne gentechnische Methode: Das sogenannte Base Editing, eine Weiterentwicklung der Genschere CRISPR/Cas. Mit einer Art Transportvirus brachten sie das genverändernde Werkzeug in die gewünschten Bakterienarten. Bei ihnen wurden dann einzelne Bausteine des Erbguts ausgetauscht.“ Allerdings wären für Leserinnen und Leser, die bislang noch gar nichts über diese gentechnische Methode, ausführlichere Erläuterungen wünschenswert gewesen. So bleibt der Text für nicht fachkundige Leser*innen recht anspruchsvoll, Fachbegriffe wie Editing, Stuhltransplantation, Genschere CRISPR/Cas und Phase-1-Studie werden nicht oder nur ansatzweise erklärt. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Anlass für die Berichterstattung ist eine aktuell im Fachjournal Nature veröffentlichte Studie. Die Erforschung des Mikrobioms als Ort der Entstehung von Krankheiten auf der einen Seite, als auch derer therapeutischen Beeinflussung ist zudem für viele medizinische Fachgebiete relevant.

Medizinjournalistische Kriterien: 13 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar