Bewertet am 3. Mai 2024
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau (online)

Kann ein Diabetes-Medikament Parkinson stoppen? In einem Artikel der Frankfurter Rundschau (online) geht es um den Wirkstoff Lixisenatid, der womöglich das Fortschreiten einer Parkinson-Erkrankung ausbremsen kann. Darauf deuten zumindest erste Ergebnisse einer aktuellen Phase-2-Studie hin, in der Patient*innen das Medikament über einen Zeitraum von zwölf Monaten erhielten.  Im journalistischen Beitrag werden die Ergebnisse vorsichtig und nuanciert dargestellt, auch andere Forschungsarbeiten erwähnt. Und es wird klar, dass längere klinische Studien nötig sind, um mehr über die Wirkung von Lixisenatid bei Parkinson zu erfahren.

Zusammenfassung

Ein journalistischer Beitrag in der Frankfurter Rundschau (online) berichtet, dass das Diabetes-Medikament Lixisenatid gegen Symptome der Parkinsonerkrankung wirksam sein könnte. Dabei bezieht sich der Text auf eine aktuelle Studie im Fachblatt New England Journal of Medicine (siehe auch: hier). Der Artikel zitiert einen nicht an der Studie beteiligten Experten, der die Ergebnisse in den bisherigen Stand der Forschung einordnet und auch Limitationen der Studie klar benennt, zum Beispiel die relativ kurze Dauer von zwölf Monaten. Auch wird deutlich, dass die genaue Wirkweise des Medikaments bislang unverstanden ist. Leider wird jedoch der Nutzen der Therapie nicht quantifiziert. Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen werden zwar angesprochen, doch wird nicht erwähnt, wie häufig sie auftraten. Über weite Passagen lehnt sich der Beitrag zudem eng an die vorliegenden Pressemitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen an.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der mögliche Nutzen des untersuchten Medikaments wird qualitativ beschrieben. Es heißt, „dass diejenigen, die über ein Jahr Lixisenatid – allerdings unter Beibehaltung der laufenden Medikation – erhielten, keine Verschlechterung ihrer Symptome zeigten – im Gegensatz zu denjenigen in der Placebo-Gruppe“. Quantifiziert wird der Nutzen dagegen nicht, auch ist die Beschreibung eher verwirrend (siehe auch Kriterium 11, Verständlichkeit): Einerseits heißt es, es habe nach zwölf Monaten keine Verschlechterung der Symptome gegeben. Andererseits wird jedoch berichtet, das Fortschreiten der Symptome sei nur „in geringem, aber signifikanten Umfang verlangsamt worden“. Der Nutzen ist für Leserinnen und Leser also nur begrenzt nachvollziehbar. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Nebenwirkungen werden im Artikel genannt: Übelkeit und Erbrechen seien bei vielen Studienteilnehmer*innen nach Einnahme des Diabetes-Medikaments aufgetreten. Auch wird erklärt, dass die Studiendauer zu kurz gewesen sei, um die Unbedenklichkeit sicher nachzuweisen. Wie häufig die genannten Nebenwirkungen auftraten, erfahren Leser*innen allerdings nicht. Tatsächlich litt fast die Hälfte der Behandelten (46%) an Übelkeit. Bei einem guten Drittel der Proband*innen musste die Dosis wegen der Nebenwirkungen reduziert werden. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Lixisenatid ist als Diabetes-Medikament zugelassen. Gleichzeitig macht der Beitrag klar, dass es für eine Parkinson-Behandlung noch nicht ausreichend erforscht ist: „Die Ergebnisse sind sehr wichtig, jedoch ist die Studiendauer zu kurz, um die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sicher nachzuweisen.“ Es wird also deutlich, dass es für Patient*innen mit Parkinson noch nicht verfügbar ist.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Beitrag erwähnt, dass Parkinson oft gut kontrollierbar ist, „die medikamentöse Therapie spielt dabei eine entscheidende Rolle, aber auch körperliche Aktivität, wie Sport, kann dazu beitragen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen.“ Auch wird im Artikel deutlich, dass andere Medikamente gegen die Parkinson-Erkrankung existieren, und dass weitere Diabetes-Medikamente auf ihre Wirkung gegen Parkinson untersucht werden. Ferner werden Physiotherapie und chirurgische Eingriffe als Behandlungsmöglichkeiten genannt.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Zu den Kosten des Medikaments erfahren Leser*innen nichts. Da es sich um ein zugelassenes Medikament gegen Diabetes handelt, wäre diese Information leicht zu recherchieren gewesen. Sollte sich die Therapie tatsächlich bewähren, werden die Kosten der Behandlung ein wichtiges Thema sein – eben, weil Parkinson eine häufige Erkrankung ist. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Beitrag listet Symptome auf, die mit einer Parkinson-Erkrankung einhergehen, ohne diese zu dramatisieren. Die Zahl von etwa 400.000 Betroffenen in Deutschland ist mit einer Quelle belegt und scheint nicht übertrieben.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Einige wesentliche Qualitätsmerkmale der Studie werden im Artikel genannt: die Zahl der Proband*innen, dass es sich um eine Placebo-kontrollierte Studie handelt, auch die Dauer der Studie wird erwähnt. Erwähnt wird dagegen nicht, dass es sich um eine Phase-2-Studie handelt, die in einem renommierten Fachblatt veröffentlicht wurde. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Im journalistischen Beitrag ordnet Professor Joseph Claßen, ein an der Studie unbeteiligter Experte, die Studienergebnisse ein, zum Beispiel hier: „Die Ergebnisse sind sehr wichtig, jedoch ist die Studiendauer zu kurz, um die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sicher nachzuweisen.“ Zudem sind im Beitrag auch Hintergrund-Informationen der Deutsche Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V. sowie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen enthalten.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Im journalistischen Beitrag fehlt die Information, dass der Erstautor der Studie, Wassilios Meissner, als Berater für Sanofi tätig ist (siehe auch hier), ebenso der Studienautor Olivier Rascole. Und der Autor Jean-Christophe Corvol hat Zuwendungen von Sanofi erhalten, siehe auch hier.

Auch hätte erwähnt werden können, dass der Pharmakonzern Sanofi als Hersteller von Lixisenatid das Medikament zur Verfügung gestellt hat und auch beratend an der Studie beteiligt war: „Sanofi provided the drug and placebo and advised investigators on the expected characteristics of the drug and potential safety issues associated with it but had no other role in the conduct of the trial”. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT”.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Die Ergebnisse der Studie werden gut in den bisherigen Stand der Forschung eingeordnet. Leser*innen erfahren, welche Hinweise aus anderen Studien es bislang gab, dass Diabetes-Medikamente gegen Parkinson-Symptome helfen könnten, und dass eine weitere Studie derzeit läuft. Dass es – neben den kurz erwähnten Substanzen im Espresso – auch weitere erfolgsversprechende Ansätze gibt, Parkinson zu stoppen, hätte mit einem halben Satz erwähnt werden können. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Wir haben keine Faktenfehler gefunden.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Text übernimmt weitgehend Informationen aus Pressematerial der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V., siehe auch hier und hier.

Auch die Zitate von Claßen finden sich wörtlich oder zumindest sinngemäß in diesen Pressemitteilungen. So heißt es etwa im journalistischen Beitrag: „Ließe sich Parkinson mit dieser Klasse von Medikamenten einfrieren, wäre das natürlich eine Sensation“. In der Pressemitteilung findet man: „Wenn sich Parkinson mit dieser Klasse von Medikamenten bremsen ließe, wäre das ein Riesenerfolg“. Alle Informationen zur Studie sind den Pressemitteilungen entnommen. Lediglich die Auflistung der Parkinsonsymptome und der nicht weiter erläuterte Verweis auf „Substanzen im Espresso“ stammen nicht aus dem Pressematerial. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Text ist flüssig geschrieben, die ausgewogene Darstellung von interessanten neuen Entwicklungen für die Parkinson-Therapie und noch ungeklärten Fragen macht den Beitrag interessant. Allerdings ist der Aufbau des Beitrags etwas verwirrend: Erst geht es um Parkinson und die aktuelle Studie, dann um erste Anzeichen einer Parkinson-Erkrankung, dann andere mögliche Ansätze und schließlich zurück zur aktuellen Studie, dann wieder zu Behandlungskonzepten heute, dann zu anderen Studien mit Diabetes-Medikamenten. Hier hätte die Struktur des Artikels anders gestaltet werden müssen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Insgesamt ist der Artikel gut verständlich geschrieben. Doch an manchen Stellen werden die Leser*innen allein gelassen: Was ist ein GLP-1-Rezeptoragonist? Was soll es heißen, dass auch Neuronen schlecht auf Insulin reagieren können? Auch hätte erläutert werden müssen, warum es einerseits heißt, die Verschlechterung der Symptome sei gestoppt worden, andererseits, sie seien nur  „in  geringem, aber signifikanten Umfang verlangsamt worden“. Immerhin wird auf die Ähnlichkeit zum Wirkstoff Semaglutid (also zu den aktuell diskutierten Abnehmspritzen) hingewiesen und auf einen anderen Artikel verlinkt, in dem das Medikament erläutert wird. Insgesamt werten wir jedoch knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Es handelt sich um eine aktuelle Studie aus einem renommierten Fachjournal. Eine mögliche neue Parkinson-Therapie wäre für viele Menschen relevant.

Medizinjournalistische Kriterien: 10 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar