Bewertet am 20. März 2024
Veröffentlicht von: Berliner Morgenpost (online)

Ein journalistischer Beitrag in der Berliner Morgenpost (online) beschreibt die Ergebnisse einer Studie zum Thema Scheinfasten. Allerdings übernimmt der Artikel weitgehend die Pressemitteilung der Universität, an der die Studie durchgeführt wurde. Es fehlen unabhängige Stimmen, um die Ergebnisse einzuordnen, auch wird die Studie nicht in einen größeren Kontext eingeordnet. Interessenkonflikte, die selbst in der Pressemitteilung erläutert werden, bleiben im journalistischen Text leider unerwähnt.

Zusammenfassung

Ein Artikel der Berliner Morgenpost (online) berichtet über die Effekte, die ein sogenanntes „Scheinfasten“ auf das biologische Alter haben soll. Dabei wird die die Methodik der vorgestellten Studie leider  ungenau und fehlerhaft dargestellt, der Nutzen des „Scheinfastens“ wird nicht ausreichend deutlich. Wie die „Verjüngung“ der Studienteilnehmer*innen gemessen wurde, erklärt der journalistische Beitrag nicht. Auch fehlt die Information, dass bei einem erheblichen Anteil der Fastenden das biologische Alter zunahm, statt zu sinken. Mögliche Risiken der Diät spricht der Artikel nicht an. Der Text ähnelt an vielen Stellen der Pressemitteilung zur Studie, bezieht keine zweite Quelle ein und verschweigt einen erheblichen Interessenkonflikt des Studienleiters: Er hat der das Unternehmen gegründet, das die in der Studie eingesetzten Diätprodukte herstellt.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der journalistische Beitrag beschreibt den Nutzen des „Scheinfastens“ nicht ausreichend genau. Zwar wird berichtet, dass ein positiver Effekt auf Risikoanzeichen für Diabetes und ein Rückgang des Bauchfetts beobachtet wurden. Doch werden diese Angaben nicht quantifiziert und damit für die Leserinnen und Leser nicht fassbar. Zum biologischen Alter heißt es, dieses sei in der „Scheinfasten“-Gruppe „um durchschnittlich 2,5 Jahre“ gesunken. Dabei wird versäumt zu erwähnen, dass keineswegs bei allen Proband*innen das biologische Alter gesunken war war: Bei 16 von 52 in der ersten Studie und bei 8 von 34 in der zweiten Studie stieg das biologische Alter an. Ob es messbare Wirkungen auf die tatsächliche Gesundheit der Teilnehmer*innen gab, bleibt unklar. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Mögliche Risiken oder Nebenwirkungen des „Scheinfastens“ werden im journalistischen Beitrag nicht erwähnt. Dabei gibt es durchaus Vorgaben, wann nur unter ärztlicher Aufsicht gefastet werden sollte, bei Patient*innen mit Diabetes mellitus zum Beispiel und bei schweren psychischen Erkrankungen.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Zum journalistischen Beitrag wurde ein Video aus dem Herbst 2022 gestellt, in dem es ebenfalls um das „Scheinfasten“ geht. Aus dem Kurzfilm wird deutlich, was darunter zu verstehen ist. Auch wird im Text zwar genannt, was die Proband*innen während der Fastentage zu sich nahmen: Suppen, Energieriegel, Energydrinks, Tees und Nahrungsergänzungsmittel. Es wird jedoch im Artikel nicht deutlich, dass die Studienteilnehmer*innen nicht irgendeinem „Scheinfasten“ gefolgt sind, sondern während ihrer Fastentage die kommerziell vertriebenen Produkte der Firma L-Nutra erhielten (siehe auch Kriterium Faktenfehler). Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Leider kommen im Text keine alternativen Möglichkeiten der biologischen „Verjüngung“ zur Sprache. So wird nicht klar, ob man vielleicht mit einem allgemein gesunden Lebensstil das gleiche oder sogar ein besseres Ergebnis erzielen würde.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Es fehlen Angaben zu den Kosten. Suppen und Tees sind eher kostengünstig während Energieriegel und vor allem Nahrungsergänzungsmittel teuer sein können und darum nicht für alle Diätwillige erschwinglich. Eine „ProLon-Fastenbox“ des Studienleiters Valter Longo kostet sogar 179,00 Dollar für 5 Tage.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Krankheiten, z.B. Diabetes, Herzerkrankungen, Krebs, werden nur kurz genannt und nicht übertrieben dargestellt. Auch der Alterungsprozess selbst wird nicht als krankhafter Vorgang dramatisiert.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die dem Beitrag zugrunde liegende Studie wird nicht genau genug beschrieben, ihre Qualität nicht eingeordnet. Wie ist zu bewerten, dass es sich nur um eine Interventionsstudie mit Risikomarkern handelt? Ist eine Studie mit nur 100 Teilnehmenden aussagekräftig? Was war eigentlich mit der Kontrollgruppe, die sich mediterran ernährt hat? Hätte die Studie länger durchgeführt werden müssen?

So macht der Beitrag nicht deutlich, wie stark beispielsweise die Kalorienaufnahme während der Fastentage reduziert war, während derer z.B. Suppen und Energieriegel konsumiert wurden. Auch heißt es im Artikel fälschlich, die fünf Fastentage pro Monat seien nicht am Stück, sondern in 4 Zyklen (einmal zwei Tage, dreimal ein Tag) durchgeführt worden; in der Publikation heißt es dagegen „5 consecutive days per month“, also 5 aufeinanderfolgende Tage (siehe dazu auch das Kriterium Faktentreue). Die Dauer der Studie (3 bis 4 Monate) wird im Artikel gar nicht erwähnt.

Die Einschränkungen der Studie erwähnt der Beitrag leider auch nicht. So waren die Studienteilnehmer*innen schon zu Beginn der Studie überdurchschnittlich gesund, was womöglich die Aussagekraft der Ergebnisse schmälert. Auch spricht der journalistische Text das Problem nicht an, dass solche Studien nicht verblindet durchgeführt werden können. Auch wird nicht klar, wie die Forschenden das biologische Alter der Proband*innen überhaupt gemessen haben.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Der journalistische Beitrag gibt im Wesentlichen die Inhalte der Pressemitteilung in verkürzter Form wieder. Unabhängige Expert*innen oder Quellen kommen nicht vor.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Der Pressemitteilung der Universität kann man entnehmen, dass der Studienleiter Valter Longo eine Firma namens L-Nutra besitzt, die Scheinfasten-Produkte vertreibt (s.o.). Auch die University of South California (USC) ist Anteilseigener des Unternehmens und kann daher Lizenzgebühren erhalten. Die Interessenkonflikte des Studienleiters und auch der Universität werden also deutlich gemacht. Im journalistischen Beitrag werden sie dagegen leider nicht erwähnt.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Text ordnet die Neuheit der aktuellen Studienergebnisse kurz ein: Es wird beschrieben, was bereits in früheren Studien zum Scheinfasten herausgefunden wurde (verringert das Risiko für Krebs u.a.). Auch wird erläutert, warum die neue Studie wirklich neue Ergebnisse liefert: „Ob sich die Diät auf das biologische Alter auswirken kann, war bisher noch nicht erforscht.“ Da diese Einordnung jedoch insgesamt sehr knapp ausfällt und nur Studien dieser Studiengruppe angerissen, solche anderer Forschungsgruppen gänzlich unerwähnt bleiben, werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Das Vorgehen in der Studie wird nicht korrekt dargestellt. Im Artikel heißt es „Bei der FMD handelt es sich um eine Art Fasten-Diät. Dabei wird für fünf Tage im Monat eine Wasserfastenkur nachgeahmt. Diese Tage werden allerdings nicht am Stück, sondern in drei bis vier Zyklen durchgeführt. Also: eine Woche im Monat für zwei Tage, die anderen Wochen dann je einen Tag.“ In der Fachpublikation und auch in der Pressemitteilung heißt es dagegen, die Diät sei jeweils an fünf aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt worden, danach hätten die Proband*innen sich 25 Tage normal ernährt.

Zudem ist das dem journalistischen Beitrag hinzugefügte Video aus dem Herbst 2022 zumindest irreführend. Hier wird ebenfalls eine Form des „Scheinfastens“ vorgestellt. Allerdings wird nicht klar, dass die Proband*innen der aktuellen Studie bestimmte kommerziell erhältliche Produkte erhalten hatten. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der journalistische Beitrag enthält keinerlei Informationen, die über die Pressemitteilung hinausgehen. Die Pressemitteilung ist sogar insgesamt informativer als der Artikel, z.B. hinsichtlich der Interessenkonflikte. Es fehlen im Text weitere Studien zu dem Thema sowie weitere Experten. Auch Erklärungen dazu, was genau beim Scheinfasten in den Zellen passiert, wären interessant gewesen. Zudem hätte man das Scheinfasten auch mit dem Intervallfasten etc. vergleichen können.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag verwirrt schon am Anfang mit der Aussage, „rein wissenschaftlich“ sei eine Verjüngung wohl nie möglich, gleichwohl könne man „zumindest ein biologisches Alter nach unten korrigieren“. Hier bliebt unklar, was mit „wissenschaftlich“ gemeint ist (vermutlich das chronologische Alter). Die Ergebnisse der Studie werden erst im vorletzten Absatz des Artikels genannt, was die Attraktivität des Textes deutlich schmälert. Es finden sich leider auch keine attraktiven sprachlichen Formulierungen, Zitate oder Beschreibungen, die den Artikel ansprechender gemacht hätten. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Es wird im journalistischen Beitrag nicht klar, was unter einem „Scheinfasten“ zu verstehen ist. Wurde die Kalorienzufuhr tatsächlich oder nur scheinbar reduziert?  Wie wurde die „Verjüngung“ um 2,5 Jahre festgestellt, was ist mit der „Funktionsfähigkeit der Zellen und des Gewebes“ gemeint? Hat sich die Gesundheit der Probanden tatsächlich verbessert? Der Beitrag beantwortet leider keine dieser Fragen.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Die Fasten-Forschung ist ein Thema, das aktuell und auch relevant ist, weil viele Menschen immer wieder verschiedene Fastenkuren ausprobieren – für ihre Gesundheit oder, um an Gewicht abzunehmen.

Medizinjournalistische Kriterien: 4 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 2 auf einen Stern), weil die wesentlichen Kriterien Nutzen, Risiken und Qualität der Belege nicht erfüllt sind.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar