Bewertet am 13. September 2023
Veröffentlicht von: Berliner Morgenpost (online)

Ein Artikel der Berliner Morgenpost (online) berichtet, dass schon weniger als 10.000 Schritte pro Tag die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Leiden senken. Der journalistische Beitrag nimmt dabei eine aktuelle Studie zum Anlass, um die allseits bekannte Empfehlung zur täglichen Schrittzahl in Frage zu stellen. Der Nutzen wird im Artikel noch hinreichend, wenn auch übertrieben dargestellt, das Thema Risiken und Nebenwirkungen wird hingegen gar nicht angesprochen. Deutlich wird allerdings, woher die 10.000-Schritte-Regel stammt, was für viele Leserinnen und Leser erhellend sein dürfte.

Zusammenfassung

Ein Online-Beitrag der Berliner Morgenpost berichtet ausführlich über eine Meta-Analyse zu der Frage, wie viele Schritte man täglich gehen muss, um einen gesundheitlichen Nutzen davon zu haben. Es wird deutlich, dass die Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Problemen und auch die Sterblichkeit insgesamt schon bei weniger Schritten pro Tag sinkt als lange Zeit propagiert wurde. Die Leserinnen und Leser erfahren auch, dass die bekannte 10000-Schritte-Regel ursprünglich eine Marketingerfindung war. Leider fehlt der Hinweis, dass vielfältige andere Formen der körperlichen Betätigung ebenfalls Gesundheitsrisiken vorbeugen können, etwa Schwimmen oder Gartenarbeit. Ebenso versäumt es der Text, die Interessenkonflikte eines der Studienautoren zu erwähnen, der durch Hersteller von Schrittzählern unterstützt wurde. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang auch ein Hinweis auf die Kosten von Schrittzählern gewesen. Die Ergebnisse der Meta-Analyse werden als Fakten präsentiert, ohne die Aussagekraft einzuordnen. Da die Meta-Analyse 17 Beobachtungsstudien ausgewertet hat, weisen die Studienautoren selbst einschränkend darauf hin, dass ihre Ergebnisse kein Kausalbeweis sein können. Leider ist der Text wenig attraktiv geschrieben, teilweise reißerisch formuliert.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Text berichtet über eine Metaanalyse zu der Frage, wie viele Schritte man täglich gehen sollte, um einen gesundheitlichen Nutzen zu sehen. Die Lesenden erfahren, dass Daten aus verschiedenen Regionen der Welt ausgewertet wurden, von rund 227.000 Menschen, die im Durchschnitt 64 Jahre alt waren und unter keinen vorbestehenden Gesundheitsprobleme litten. Der Artikel gibt den Nutzen des Gehens mit einer bestimmten Anzahl der Schritte hinreichend konkret wieder. So heißt es: „Bereits bei etwa 2300 Schritten soll das Risiko für einen Tod durch eine Herz-Kreislauf-Erkrankung geringer sein. Mit 4000 Schritten pro Tag beginnt das allgemeine Sterberisiko zu sinken.“ Der Artikel quantifiziert in der Folge: „Mit jeden 500 bis 1000 Schritten wird das Risiko geringer. Bei 1000 Schritten mehr stellten die Forschenden ein 15-prozentig niedrigeres Sterberisiko fest. Bei 500 Schritten mehr wurde das Risiko um sieben Prozent gesenkt.“ Absolute Zahlen dazu, wie viele Menschen weniger sterben, werden weder im journalistischen Artikel noch in der Originalstudie genannt. Im Beitrag geht es in der Folge um Detailergebnisse: „Die größten Erfolge wurden bei Probanden unter 60 Jahren festgestellt. Hier sank das Sterberisiko bei 7000 bis 13.000 Schritten pro Tag um 49 Prozent.“ Allerdings klingt es im journalistischen Artikel so, als ob ein kausaler Zusammenhang zwischen der täglichen Schrittzahl und der Sterblichkeitsreduktion erwiesen werde. Dies jedoch ist bei einer Meta-Analyse aus 17 Beobachtungsstudien aber nicht möglich. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt

Auf das Thema Risken und Nebenwirkungen wird im Artikel gar nicht eingegangen. Dabei wäre etwa einer der Vorteile der Methode, dass sie etwa im Vergleich zu bestimmten Sportarten ein geringeres Verletzungsrisiko aufweist und auch im Vergleich zu Medikamenten kaum Nebenwirkungen hat.

Interessant wäre womöglich ein Hinweis auf die Effekte von extrem gesteigerter Bewegung gewesen. Hierzu findet sich eine Vorlage in der Pressemitteilung: „We still need good studies to investigate whether these benefits may exist for intensive types of exertion, such as marathon running and iron man challenges.” Insgesamt werten wir daher „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Dass das Gehen verfügbar ist, versteht sich von selbst. Hilfreiche Informationen wären in diesem Zusammenhang gewesen, für welche Strecken wie viele Schritte durchschnittlich nötig sind oder auch, wie es im Alltag durch Änderungen der Gewohnheiten möglich ist, seine Schrittzahl zu erhöhen.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Text nennt Fahrradfahren als Alternative, zitiert dabei aus dem „Global Status Report of Physical Activity 2022“ der WHO. Demnach sollten sich Erwachsene 150 Minuten pro Woche körperlich betätigen sollten, etwa durch schnelles Gehen. Es reiche aber auch, Fahrrad zu fahren. Weitere alternative Formen von Bewegung werden nicht erwähnt. Auch ein Hinweis auf die verbreitete Einnahme von Medikamenten zur Gesundheitsprävention wäre interessant gewesen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT”.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Sich zu bewegen ist kostenlos, das muss nicht weiter erläutert werden. Doch lässt sich die genaue Zahl der Schritte nur mit einem Schrittzähler erfassen. Wie viel diese Geräte kosten, hätte daher im Text erwähnt werden sollen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Folgen von zu wenig Bewegung werden nicht übertrieben dargestellt. Es heißt dazu im Text: „Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bewegen sich die Menschen weltweit zu wenig, was Grund für Millionen Kranke ist. Fast 500 Millionen Menschen könnten in den Jahren 2020 bis 2030 an Herzkrankheiten, Fettleibigkeit, Diabetes, Depressionen und Demenz erkranken.“

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Aussagekraft der Studie wird nicht korrekt eingeordnet. Die Meta-Analyse beruht auf Beobachtungsstudien, aus denen sich nur Korrelationen, jedoch keine kausalen Zusammenhänge ableiten lassen. Zudem erweckt der Artikel den Eindruck, als hätten die Forschenden eine Untersuchung über einen Zeitraum von sieben Jahren an rund 227.000 Menschen aus verschiedenen Regionen der Welt durchgeführt. Tatsächlich haben sie zahlreiche Studien zusammengefasst und das Gesamtergebnis analysiert.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Eine Einordnung durch unbeteiligte Forscher*innen findet nicht statt. Immerhin aber verweist der Beitrag auf den „Global Status Report of Physical Activity 2022“ der WHO, um zu belegen,  dass viele Menschen in Deutschland sich zu wenig bewegen. Dennoch werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

In der Publikation zur Studie wird unter Interessenkonflikten erwähnt, dass einer der Studienautoren durch Apple, Google und IHealth unterstützt wurde, allesamt Hersteller von Schrittzählern. Diese hätten thematisiert werden sollen. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird klar, dass seit langem die Empfehlung existiert, mindestens 10.000 Schritte am Tag zu gehen. So heißt es gleich im Einstieg: „Wer gesund sein möchte, sollte täglich mindestens 10.000 Schritte gehen. Nach dieser Faustregel leben viele Menschen, um fit zu bleiben. Jeden Tag werden die Schritte per Schrittzähler auf dem Handy oder der Smartwatch gezählt.“ Und weiter: „Diese Faustregel beruht nicht auf medizinischen Untersuchungen, sondern geht auf eine Werbekampagne für den ersten transportablen Schrittzähler zurück. ‚Manpo-kei‘ kam 1964 auf den Markt, pünktlich zu den Olympischen Spielen.“

Es wird auch klar, dass die nun erschienene Studie Neuheitswert hat: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um den Mediziner Maciej Banach von der Medizinischen Universität Lodz in Polen veröffentlichten nun in der Fachzeitschrift „European Journal of Preventive Cardiology“ eine Metaanalyse, die die 10.000-Schritt-Theorie widerlegt.“ Die Leser*innen erfahren allerdings nicht, dass es früher schon Studien gab, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen wie die nun vorgelegte Meta-Analyse. Deshalb werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Faktenfehler haben wir im Artikel nicht gefunden. Allerdings wird der Eindruck erweckt, die Forschenden hätten eine Studie mit 227.000 Proband*innen durchgeführt. Auch erscheint uns folgende Aussage spekulativ: „Die medizinische Versorgung für die weltweit durch Bewegungsmangel krank gewordenen Menschen könnte bis 2030 etwa 300 Milliarden US-Dollar kosten.“ Es dürfte kaum möglich sein, eine Erkrankung nur allein auf den Bewegungsmangel als einzelne Ursache zurückzuführen, daher erscheinen solche Kostenschätzungen fraglich.  Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag geht über die Pressemitteilung hinaus, So wird erzählt, dass die 10.000-Schritt-Regel ursprünglich ein Marketing-Trick war: „(…)diese Faustregel beruht nicht auf medizinischen Untersuchungen, sondern geht auf eine Werbekampagne für den ersten transportablen Schrittzähler zurück. „Manpo-kei“ kam 1964 auf den Markt, pünktlich zu den Olympischen Spielen.“ Auch wird der „Global Status Report of Physical Activity 2022“ der WHO zitiert. 

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Es ist aufschlussreich zu hören, dass die 10.000 Schritt-Regel ursprünglich eine Marketing-Erfindung war. Dass auch die Studie eine gewisse Marketingwirkung für Schrittzähler haben könnte, thematisiert der Text allerdings nicht. Interessant ist es auch zu erfahren, wie verbreitet Bewegungsmangel in Deutschland ist: „Nach Angaben des Berichts sind es 44 Prozent der Frauen und rund 40 Prozent der Männer über 18 Jahren, die aktiver werden müssen. Bei Jugendlichen sind die Zahlen noch höher. 88 Prozent der Mädchen und 80 Prozent der Jungen müssen sich mehr bewegen.“ Eine weitere spannende Information ist, dass die Corona-Pandemie die Bewegungsarmut verstärkt hat.

Allerdings fallen im Text reißerische Formulierungen auf („10.000-Schritt-Theorie ist Quatsch“, „den Wissenschaftlern zufolge nicht kompletter Nonsens“). Zumal finden sich in der ersten Hälfte des Artikels einige Redundanzen, was die Zahl der Schritte angeht, ab der die Sterblichkeit möglicherweise sinken könnte. Manche Formulierungen erscheinen zudem etwas ungeschickt, etwa: „Allein in Deutschland sind die Zahlen für zu wenig Bewegung hoch“ oder „Grund für die fehlende Bewegung sei vor allem die Corona-Pandemie gewesen, durch die die Bewegungsfaulheit beschleunigt wurde.“ Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel macht deutlich, dass mehr Bewegung mit einem reduzierten Krankheitsrisiko einhergeht. Es wird allerdings an keiner Stelle erklärt, wie es zu dieser Risikoreduktion kommt. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Artikel ist noch recht zeitnah nach der Veröffentlichung der Studie erschienen, es handelt sich um ein relevantes Thema, da viele Menschen sich an der Regel orientieren, 10.000 Schritte am Tag zu erreichen, um etwas Gutes für die Gesundheit zu tun oder zumindest davon gehört haben.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar