Ein Artikel in der Badischen Zeitung (online / Paywall) berichtet über die grundlegende Erforschung eines neuartigen Corona-Impfstoffs an Hamstern. Dabei stellt er den bisher erkennbaren Nutzen verständlich dar, geht aber nicht auf mögliche Risiken ein. Die schon verfügbaren Alternativen zu dem neuartigen Impfstoff kommen zur Sprache und die Qualität der Evidenz wird zumindest teilweise beschrieben. Dabei geht der Bericht über eine die Publikation begleitende Pressemitteilung hinaus und gewährt Einblicke in ein spannendes Forschungsprojekt. Der Text ist attraktiv geschrieben, geht teilweise aber so ins Detail, dass die Verständlichkeit darunter leidet.
Zusammenfassung
Ein journalistischer Beitrag der Badischen Zeitung (online / Paywall) nimmt noch unveröffentlichte Forschungsarbeiten an der Universität Basel zum Anlass, um über die Erforschung eines neuen Corona-Impfstoff zu berichten. Zumindest bei Hamstern führt dieser über die Nase verabreichte experimentelle Impfstoff vermutlich dazu, dass geimpfte Tiere nicht erkrankten und im Experiment keine Artgenossen infizierten. Diese Ergebnisse werden im Artikel durch einen unabhängigen Experten eingeordnet, der u.a. darauf hinweist, dass noch unklar ist, ob dieser Ansatz auch auf den Menschen übertragbar ist, und dass die Beobachtungszeit bisher nur kurz war. Im Beitrag fehlen präzise Angaben zur Qualität der Studie – etwa zur Zahl der geimpften Versuchstiere oder zur Beobachtungszeit. Neben dem Hauptautor der Studie werden weitere Experten zitiert, ohne darauf hinzuweisen, dass sie ebenfalls zu den Autoren der Fachpublikation zählen. Vorhandene Interessenkonflikte einzelner Forschender werden nicht angesprochen.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Im journalistischen Beitrag wird erläutert, dass der neue Impfstoff vermutlich verhindert, dass die behandelten Versuchstiere erkranken – und auch, dass sie andere Artgenossen infizieren, Forschende sprechen dann von einer sterilen Immunität. Auch wird erwähnt, dass die Wirkung bislang nur im Tierversuch erzielt wurde. Es wird allerdings nicht beschrieben, an wie vielen Tieren der Impfstoff getestet wurde. Dabei ist das in der Pressemitteilung zur noch unveröffentlichten Studie nachzulesen: „Nach der per Nasentropfen verabreichten Immunisierung waren 20 von 20 Tieren geschützt“.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt
Auf Risiken und Nebenwirkungen geht der Artikel nicht ein. Zwar handelt es sich nicht um eine Anwendungsstudie, sondern um die Prüfung eines neuartigen Konzepts am Tiermodell, bei dem die Risiken nicht im Vordergrund stehen. Allerdings ist bekannt, dass ein verfügbarer Impfstoff gegen Grippeviren, der wie der hier besprochene ebenfalls über die Nase verabreicht wird, zu gravierenden neurologischen Komplikationen führen kann. Daher wäre es angemessen gewesen, den Risikoaspekt zu thematisieren. Wir werten deshalb „NICHT ERFÜLLT“.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Es wird deutlich, dass der Impfstoff nicht verfügbar ist, und bislang nur in Versuchen an Hamstern getestet wurde. Schön wäre es allerdings gewesen, das etwas früher im Text zu erfahren, die Leserinnen und Leser erfahren das erst im fünften Absatz des Artikels. Immerhin aber wird dort ein unabhängiger Experte zitiert: „Hamsterexperimente kann man nicht auf den Menschen übertragen – es ist noch ein weiter Weg“. Am Ende des Artikels wird deutlich, dass eine Markteinführung frühestens Ende 2024 möglich sein wird, wenn überhaupt. Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Dass es bereits andere Impfstoffe gegen Coronaviren gibt, wird gleich zu Beginn in einer Unterzeile des Artikels deutlich: „Was sind die Vorteile im Vergleich zu den bisherigen Impfstoffen?“ Kurz darauf heißt es: „Denn obwohl in der EU bereits acht Impfstoffe gegen Corona zugelassen sind, war der Super-Impfstoff, der das Coronavirus effektiv und langfristig ausbremst, bislang noch nicht dabei.“ Und es kommt zur Sprache, dass auch andere Forschergruppen an nasalen Corona-Impfstoffen arbeiten: „Neben dem Basler Impfstoff befinden sich noch zwei weitere Kandidaten in der Entwicklungspipeline – einer von der Universität Bern und einer von der Berliner Charité, der in der Entwicklung derzeit die Nase vorn hat.“
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Zu den möglichen Kosten einer zukünftigen nasalen Corona-Impfung nennt der Artikel keine Zahlen. Das ist aber angemessen, da es sich erklärtermaßen um ein frühes Forschungsstadium handelt, in dem die Kosten für eine klinische Anwendung noch keine Rolle spielen.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
In dem Artikel finden sich keine Anzeichen einer Krankheitsübertreibung. Es heißt gleich zu Beginn angemessen: „Das Coronavirus ist nicht weg. Selbst wenn viele Menschen das nicht gerne hören und die Pandemie offiziell als beendet gilt, wird uns der Erreger auch in Zukunft begleiten – und krank machen. Deshalb wird weiter an Impfstoffen geforscht.“
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Die Qualität der Evidenz ordnet der Artikel insofern ein, als er den Stand der Forschung vermittelt: „Der Basler Impfstoff ist – laut einer vorveröffentlichten, noch nicht begutachteten Studie – erfolgreich an Hamstern getestet worden.“ Es wird deutlich, dass es sich um die Überprüfung eines neuartigen Prinzips der Impfstoffentwicklung handelt, und nicht um eine Wirksamkeitsstudie. Und auch die limitierte Aussagekraft von Tierversuchen kommt in einem Zitat zur Sprache: „Hamsterexperimente kann man nicht auf den Menschen übertragen – es ist noch ein weiter Weg.“
Allerdings hätte man sich an mancher Stelle ein paar mehr Informationen zu den Experimenten gewünscht, etwa, wie viele Tiere geimpft wurden, wie die Schutzwirkung überprüft wurde, wie lange die Tiere beobachtet wurden. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Ein unbeteiligter Experte kommentiert und relativiert verschiedene Aspekte des Impfstoffs im Artikel: „Dieses Single-Cycle-Konzept macht den Impfstoff interessant.“ Und weiter heißt es im Text: „In Sachen steriler Immunität ist Hengel ebenfalls vorsichtig: In der Studie habe durch die kurzen Abstände zwischen Impfung und Infektion noch keine Abnahme der Immunität stattfinden können.“ Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Dass die Autoren Klimkait und Mittelholzer laut Pressemitteilung bereits einen Patentantrag für den Impfstoff gestellt haben, legt der Text nicht offen.
Kritisch sehen wir auch, dass der Text neben dem als „Entwickler des Impfstoffs“ vorgestellten Thomas Klimkait zwei weitere Experten nennt, ohne darüber aufzuklären, dass diese an dem Paper mitgearbeitet haben. So heißt es in einem Zitat von Klimkait zum Friedrich-Löffler-Institut: „Der Leiter, Professor Behr, hat uns kontaktiert und gesagt, so etwas hätte er mit einem Impfstoff, der sich nicht vermehren kann, noch nicht erlebt.“ Dass Prof. Martin Beer, der hier mutmaßlich gemeint ist, zu den Autoren des Papers gehört, wird dabei verschwiegen (siehe auch Kriterium 11). Auch der im letzten Absatz zitierte Geschäftsführer von RocketVax, Vladimir Cmiljanovic, ist Mitautor der Studie, was Leserinnen und Leser ebenfalls nicht erfahren. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Derzeit über einen neuartigen Corona-Impfstoff zu lesen kann überraschen, weil die Corona-Pandemie – und damit die Notwendigkeit von Impfungen – weit weg erscheint. Der Beitrag ordnet das Thema aber gleich zu Beginn gut verständlich ein, indem er den Stand der Pandemie und der Impfstoffversorgung zusammenfasst: „Das Coronavirus ist nicht weg. Selbst wenn viele Menschen das nicht gerne hören und die Pandemie offiziell als beendet gilt, wird uns der Erreger auch in Zukunft begleiten – und krank machen. Deshalb wird weiter an Impfstoffen geforscht. Denn obwohl in der EU bereits acht Impfstoffe gegen Corona zugelassen sind, war der Super-Impfstoff, der das Coronavirus effektiv und langfristig ausbremst, bislang noch nicht dabei.“ Es wird klar, dass weitere Forschung auf dem Gebiet notwendig ist und welchen Fortschritt der neue Impfstoff bedeuten würde.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Thomas Klimkait wird unter Bezugnahme auf das Friedrich-Löffler-Institut (FLI) mit der Aussage zitiert: „Der Leiter, Professor Behr, hat uns kontaktiert und gesagt, so etwas hätte er mit einem Impfstoff, der sich nicht vermehren kann, noch nicht erlebt.“ Leiterin des FLI ist jedoch Prof. Dr. Christa Kühn. Gemeint ist in dem Zitat vermutlich Prof. Dr. Martin Beer, er leitet dort das Institut für Virusdiagnostik. Es handelt sich also um eine falsche Schreibweise des Namens und eine falsche Zuordnung einer Leitungsfunktion. Daher werten insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Der journalistische Beitrag erklärt die Forschungsarbeiten in enger Anlehnung an die Pressemitteilung der Universität Basel. Die Zitate von Klaus Klimkait sind dabei nicht der Pressemitteilung entnommen, es wurde also offenbar ein Gespräch mit ihm geführt. Darüber hinaus wird die kritische Einschätzung eines weiteren Experten zitiert, der an der Studie nicht beteiligt war. Der Verweis auf vergleichbare Entwicklungen anderer Teams von Forschenden entstammt ebenfalls nicht dem Pressematerial.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Es wird gleich zu Beginn deutlich, dass neue Impfstoffe gegen Coronaviren wünschenswert sind. Und dann gewährt der Artikel tiefe Einblicke in die Erforschung eines neuartigen Impfstoffs: „Er hat zwei Besonderheiten: Anders als die bisherigen RNA-Impfstoffe enthält er das ganze Virus. Dank eines technischen Kniffs gilt der Impfstoff trotzdem als sicher. Die zweite Besonderheit: Der Impfstoff wird nicht gespritzt, sondern wie ein Nasenspray verabreicht.“ Erklärt wird, welche Vorteile ein nasal verabreichter Impfstoff bei der Corona-Infektion hat, und wie die Forscher*innen vorgehen, um eine möglichst gute Wirksamkeit bei gleichzeitig hoher Sicherheit zu erreichen: „Sie haben ein Single-Cycle-Virus geschaffen. Darunter versteht man Viren, die sich nur für eine einzige Infektionsrunde vermehren können, weil ihnen mindestens eine wesentliche Funktion fehlt.“ Teilweise verliert sich der Artikel dabei etwas in den Details. Manche Formulierungen im Text sind etwas unglücklich, etwa „das Virus glaubt“ oder „merkt es, dass ihm etwas fehlt“, solche Personalisierungen erscheinen uns unpassend. Schade ist, dass wichtige Informationen spät im Text erwähnt werden, etwa, dass der Impfstoff bislang nur an Hamstern getestet wurde. Insgesamt werten wir daher nur knapp „ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Der Beitrag geht bei der Darstellung der Impfstoffforschung teilweise so ins Detail, dass die Verständlichkeit darunter leidet. So heißt es zum Beispiel: „Corona ist eines der größten menschlichen RNA-Viren, das heißt, die Erbsubstanz liegt dort in Form von RNA vor, nicht wie beim Menschen in Form der verwandten DNA. Um sie besser bearbeiten zu können, haben die Wissenschaftler die Viren-RNA in DNA umgewandelt. Denn zum Bearbeiten von DNA gibt es viele bekannte Werkzeuge. Sie unterteilten die DNA in vier Stücke, um nur jeweils ein Stück bearbeiten zu müssen.“ Und an anderer Stelle: „Dann bauten die Wissenschaftler eine Produktionszelllinie auf, die genau dieses E-Protein dauerhaft herstellt. ‚Diese Zelllinie infizierten wir nun mit dem modifizierten Virus.’“ Die Erklärungen sind schlüssig, erfordern aber eine hohe Aufmerksamkeit und sind für Laien nicht gut verständlich. Wir werten deshalb, wenn auch nur knapp, „NICHT ERFÜLLT“.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Die Entwicklung neuer Corona-Impfstoffe bleibt ein relevantes Thema, da das Virus weiterhin präsent ist und neue Mutationen auftreten, (wie die Variante EG.5, die von der WHO gerade in die Kategorie „Virusvarianten von Interesse“ hochgestuft wurde). Ein Impfstoff, der möglicherweise zu einer sterilen Immunität führen könnte, und sich schnell an neue Virusvarianten anpassen ließe, wäre eine wichtige Neuentwicklung. Daher finden wir die Themenauswahl gelungen.