Bewertet am 17. Mai 2023
Veröffentlicht von: Hannoversche Allgemeine Zeitung (online) | Redaktionsnetzwerk Deutschland
Ein Artikel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (online) berichtet über die weltweit erste Zulassung eines Impfstoffs gegen das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) in den USA. Im Text wird der Stand der Entwicklung dargelegt, der Beitrag bezieht sich auf eine aktuelle Fachpublikation und noch weitere Quellen. Der Nutzen des Impfstoffs wird jedoch nur unzureichend dargestellt:  Statt absoluten Zahlen werden nur Prozentangaben verwendet. Gut gelungen ist die Erläuterung der verschiedenen anderen RSV-Impfstoffe, die derzeit in der Entwicklung sind.

Zusammenfassung

Zum ersten Mal überhaupt wurde in den USA ein Impfstoff gegen RSV-Viren zugelassen, so ein journalistischer Beitrag der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (online). Infektionen mit diesen Erregern kommen häufig vor und können vor allem für ältere oder immungeschwächte Menschen und Kinder gefährlich sein.  Der Artikel ist gut gegliedert, detailreich und vermittelt auf angemessene Weise, was über Risiken und Nebenwirkungen des Impfstoffs bekannt ist. Die Leser*innen erfahren, welche weiteren Impfstoffe in Entwicklung sind und auf welchen Wirkprinzipien sie beruhen. Dabei beruht der Text nicht allein auf der Pressemitteilung einer aktuellen Fachpublikation, sondern zitiert mehrere unabhängige Experten sowie das Paul-Ehrlich-Institut. Erzählt wird auch die Vorgeschichte der Impfstoffentwicklung, die von Fehlschlägen gekennzeichnet war, was den Erfolg des nun in den USA zugelassenen Wirkstoffs noch berichtenswerter macht. Allerdings gibt der Text den Nutzen der Impfung nur in Prozentzahlen, nicht in absoluten Zahlen an. Auch geht der Artikel leider nicht auf die zu erwartenden Kosten des neuen Impfstoffs ein.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Die Leserinnen und Leser erfahren im Artikel, dass die Zulassung des Impfstoffs von der US-Arzneimittelbehörde FDA vorerst auf Menschen ab 60 Jahren beschränkt ist, bei denen schweren Erkrankungen vorgebeugt und Todesfälle verhindert werden sollen. Das Ergebnis der Zulassungsstudie mit rund 25.000 Freiwilligen wird – basierend auf einer Fachpublikation im New England Journal of Medicine – so zusammengefasst: „Bei Menschen ab 60 Jahren verringerte das Vakzin das Risiko einer Erkrankung der unteren Atemwege durch RSV um 82,6 Prozent. Bei schweren Erkrankungen betrug die Wirksamkeit sogar 94,1 Prozent. Ähnlich hoch (94,6 Prozent) war sie bei älteren Erwachsenen, die mindestens eine Grunderkrankung hatten.“.

Der Text gibt allerdings keine absoluten Zahlen an, was für die Leser*innen sehr viel klarer und aussagekräftiger gewesen wäre, da nicht klar wird, auf was sich die Prozentzahlen beziehen.  Auch bleibt unerwähnt, dass die Wirksamkeit vorerst nur für den Zeitraum von sechs Monaten untersucht wurde. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Die Risiken und Nebenwirkungen werden ausführlich berichtet. „Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren Schmerzen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Muskel-, Kopf- sowie Gelenkschmerzen und Gelenksteifigkeit.“ Allerdings hätten zehn Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung Vorhofflimmern entwickelt. Zitiert wird auch aus zwei kleineren Studien, bei denen der RSV-Impfstoff zusammen mit einem Grippeimpfstoff getestet wurde. Hier habe sich bei zwei Teilnehmenden „eine akute disseminierte Enzephalomyelitis“ gezeigt, eine seltene Form der Entzündung, die das Gehirn und das Rückenmark befällt – und für eine Testperson tödlich endete. Außerdem sei bei einem Studienteilnehmer neun Tage nach der Impfung das Guillain-Barré-Syndrom aufgetreten, „eine seltene Erkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem Nervenzellen schädigt, was zu Muskelschwäche und manchmal zu Lähmungen führt“.

Die Angaben zu den schwerwiegenden Nebenwirkungen (zehn Fälle von Vorhofflimmern in der Gruppe der Geimpften) sind aus der Fachpublikation allerdings nicht ganz nachzuvollziehen, dort heißt es „most  common system organ class, nervous system disorders“.  Außerdem wird ein Todesfall in einer weiteren Studie angeführt, zu der leider die Quellenangabe fehlt.  Erwähnt wird auch eine Studie zur Impfung von Schwangeren mit einem ähnlichen Vakzin von Pfizer, ohne dabei anzusprechen, dass diese Studie zwischenzeitlich gestoppt wurde, weil die Impfung möglicherweise Frühgeburten auslösen könnte (siehe hier).

Im Artikel wird aber noch erwähnt, dass die Arzneibehörde FDA den Hersteller aufgefordert hat, „die Impfnebenwirkungen nach der Markteinführung des Vakzins genau zu überwachen“. Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Zur Verfügbarkeit in den USA heißt es: „Sollte auch die Gesundheitsbehörde CDC ihre Zustimmung geben, könnte das Vakzin ab Herbst in Apotheken und Kliniken erhältlich sein – gerade rechtzeitig, wenn die Verbreitung des RS-Virus wohl wieder ihren Höhepunkt erreichen wird.“ Zudem habe der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA eine Zulassung empfohlen. Eine endgültige Entscheidung der europäischen Behörden wird in den kommenden Monaten erwartet. Das heißt, auch Europa könnte bald vom weltweit ersten RSV-Impfstoff profitieren.“ Die Leser und Leserinnen erfahren auch, dass GlaxoSmithKline bereits eine Studie zur Impfstoffwirksamkeit mit 50- bis 59-Jährigen abgeschlossen habe, Ergebnisse würden für 2023 erwartet. Auch arbeite die Firma an einem RSV-Vakzin für Schwangere, das ungeborenen Kinder eine Immunität verschaffen solle.

Allerdings hätte die Rolle der CDC noch genauer erklärt werden können, vielen Leserinnen und Lesern dürfte nicht klar sein, dass die Zustimmung dieser Behörde sich nur auf den US-Markt bezieht. Alles in allem werten wir dennoch „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Text berichtet, dass weitere Unternehmen an RSV-Impfstoffen arbeiten und teils vielversprechende Ergebnisse vorweisen können. Der Pharmakonzern Pfizer habe sich ebenfalls für einen proteinbasierten Impfstoff gegen das Virus entschieden, den Schwangere erhalten sollen. Das US-Unternehmen Moderna arbeite derweil an einem mRNA-Impfstoff gegen RSV. In einer Studie mit 37.000 Erwachsenen ab 60 Jahren habe der mRNA-RSV-Impfstoff von Moderna eine Wirksamkeit von 83,7 Prozent erzielt. Die Firma wolle noch im ersten Halbjahr dieses Jahres eine behördliche Zulassung beantragen.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten des Impfstoffs werden nicht thematisiert. Zwar ist der Impfstoff noch nicht auf dem Markt, der wahrscheinliche Preis wird jedoch in der Branchenpublikation Biopharmadive bereits thematisiert: “The company has not yet disclosed a specific price, but executives have previously indicated they will charge between $60 and $185 a dose, around what vaccines for influenza and shingles cost.” (auf Deutsch: „Das Unternehmen hat noch keinen konkreten Preis genannt, aber Führungskräfte haben bereits angedeutet, dass sie zwischen 60 und 185 Dollar pro Dosis verlangen werden, etwa so viel wie Impfstoffe gegen Grippe und Gürtelrose kosten.“ Ein voraussichtlicher Preis hätte also genannt werden können. (siehe auch hier) Da zu erwarten ist, dass viele ältere Menschen (und später auch Kinder oder Schwangere) diesen Impfstoff erhalten werden, wäre das eine interessante Information gewesen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die RSV-Erkrankung wird nicht übertrieben dargestellt. Es heißt im Text: „RSV, das steht für das Respiratorische Synzytial-Virus. Ein in der Regel unauffälliger Atemwegserreger, der leichte Erkältungen verursacht. Trifft er jedoch auf Risikopersonen wie Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen wie Lungen- und Herzkrankheiten oder Diabetes mellitus, kann er auch zu lebensbedrohlichen Lungenentzündungen und Bronchitis – also einer Entzündung der Schleimhaut in den unteren Atemwegen – führen. Auch für kleine Kinder kann RSV mitunter gefährlich sein.“ Allein in den USA würden jedes Jahr etwa 60.000 bis 120.000 Menschen wegen einer RSV-Infektion im Krankenhaus behandelt, 6000 bis 10.000 Erwachsene ab 65 Jahren sterben.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Es wird korrekt berichtet, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs in einer großen Studie mit knapp 25.000 Freiwilligen gezeigt wurde. Auch wird richtig dargelegt, dass eine Hälfte der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer den Impfstoff bekommen hat, die andere ein Placebo-Präparat ohne Wirkstoff. Für Laien wäre zur Einordnung noch wichtig gewesen, dass eine solche kontrollierte Studie eine recht hohe Aussagekraft besitzt. Es wird auch nicht erwähnt, ob die Studie verblindet war, und die Studiendauer wird nicht dargelegt (siehe Kriterium 1). Insgesamt werten wir jedoch knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Zitiert wird Peter Marks, Direktor des FDA Center for Biologics Evaluation and Research, zusätzlich auch die Virologin Lara Herrero und der Mikrobiologe Wesley Freppel von der Griffith University. Zudem wird das Paul-Ehrlich-Institut mit Aussagen zur Art des Impfstoffs zitiert: „Proteinbasierte Impfstoffe enthalten einige Mikrogramm eines ausgewählten Proteins eines Erregers – in diesem Fall eine gentechnisch veränderte Version des Fusionsproteins des RS-Virus. Diese fungiert als Antigen, erklärt das Paul-Ehrlich-Institut. Das heißt, es wird vom Immunsystem als ,fremd´ erkannt und der Körper stellt entsprechende Antikörper her.“

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Es wird nicht explizit erwähnt, dass Hersteller GlaxoSmithKline die Studie finanziert hat, was für Zulassungsstudien die Regel ist, aber Laien meist nicht bewusst ist. Es heißt nur: „Den RSV-Impfstoff weiter zu überwachen wird auch deshalb wichtig sein, weil GSK schon Nachschub plant. Wie das Unternehmen mitteilt, sei eine Studie zur Impfstoffwirksamkeit mit 50- bis 59-Jährigen abgeschlossen. Ergebnisse würden für 2023 erwartet – wann genau, ist nicht bekannt. Auch arbeitet die Firma an einem RSV-Vakzin für Schwangere.“ Im Artikel hätte jedoch deutlich werden müssen, dass die aktuelle Studie, über die im New England Journal of Medicine, berichtet wird, von GSK finanziert wurde. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird klar, dass der Impfstoffentwicklung eine Reihe von Fehlschlägen vorangingen und dass es sich bei Arexvy um den weltweit ersten zugelassenen Impfstoff gegen RSV-Infektionen handelt. Eine Entscheidung der europäischen Behörden werde in den nächsten Monaten erwartet, so heißt es im Artikel. Auch ältere Studien zum Impfstoff sowie die Entwicklung anderer RSV-Impfstoffe werden im Text erwähnt.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Uns sind keine Faktenfehler aufgefallen.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der journalistische Beitrag geht deutlich über die Pressemitteilung hinaus, da er unabhängige Experten bzw. das Paul-Ehrlich-Institut zitiert, Informationen zur Vorgeschichte der Impfstoffentwicklung gibt und einen Ausblick enthält: „(…) die Forschung ist noch nicht vorbei. Denn alle Studien haben einen Knackpunkt: Die darin verwendeten RSV-Impfstoffe sind alle nur bei Erwachsenen eingesetzt worden. ,Um die größte Wirkung zu erzielen, müssen die Impfstoffe auch bei Kleinkindern und Säuglingen getestet werden´, erklären Virologin Lara Herrero und Wesley Freppel von der Griffith University gegenüber ,The Conversation´.“

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der journalistische Beitrag beginnt mit einem Ereignis, das vielen Leserinnen und Lesern noch in Erinnerung sein und sie für das Thema interessieren dürfte: Im vergangenen Jahr waren viele Kinder am RSV-Virus erkrankt und Kinderkliniken an ihre Kapazitätsgrenzen gelangt. Der Text ist detailreich, berichtet etwa sehr ausführlich über seltene, jedoch gravierende Nebenwirkungen des Impfstoffs. Eine Formulierung hat jedoch einen allzu werbenden Charakter und wirkt daher unpassend: „Der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittel-Agentur Ema hat sich ebenfalls vom Vakzin von GSK begeistert gezeigt.“ Insgesamt werten wir aber noch „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Text handelt von einem komplexen Thema, erklärt aber fast alle Fachausdrücke auf vorbildliche Art. So erfahren LeserInnen, dass es sich beim Vorhofflimmern um eine Herzrhythmusstörung handelt, dass eine „akute disseminierte Enzephalomyelitis“ eine seltene Form der Entzündung ist, die Gehirn und Rückenmark befällt, und das Guillain-Barré-Syndrom eine seltene Erkrankung ist, „bei der das körpereigene Immunsystem Nervenzellen schädigt, was zu Muskelschwäche und manchmal zu Lähmungen führt“. Auch die Wirkprinzipien der verschiedenen RSV-Impfstoffe werden nachvollziehbar beschrieben. So heißt es zum mRNA-Impfstoff, der von der Firma Moderna entwickelt wird: „Der Impfstoff enthält den mRNA-Bauplan für das Fusionsprotein des RS-Virus, der mithilfe der Impfung in den Körper eingeschleust wird. Die Körperzellen lesen die mRNA ab, stellen das Fusionsprotein eigenständig her und präsentieren es dem Immunsystem, das daraufhin Antikörper produziert.“

Nur der Begriff Fusionsprotein hätte noch erklärt werden können, auch „The Conversation“ (siehe auch hier) dürfte nur wenigen Leserinnen und Lesern in Deutschland bekannt sein. Etwas irritierend ist die Darstellung des „Durchbruchs“, der die Impfstoffentwicklung ermöglichte. Ob die Gensequenzierung des RS-Virus in den 1980er-Jahren heute noch als „neue Technologie“ zu bezeichnen ist? Und was genau trug sie zur Impfstoffentwicklung bei? Wenig verständlich ist auch die Formulierung: „Das ermöglichte es den Impfstoffentwicklern, ihre Strategien gegen das Virus zu ändern.“ Welche Strategie die Forscher vorher verfolgt haben, wird dabei nicht klar. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Artikel ist relevant, weil RSV-Infektionen verbreitet und für Risikogruppen gefährlich sind. Dass in Kürze der weltweit erste zugelassene Impfstoff auf den Markt kommen wird, ist deshalb eine wichtige Information. Die amerikanische Behörde FDA hat diesen Impfstoff von GlaxoSmithKline erst kürzlich zugelassen, stellt also den aktuellen Anlass dar. Die Publikation zur Zulassungsstudie erfolgte bereits im Februar 2023, was im Text allerdings auch deutlich gemacht wird.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 15 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar