Bewertet am 15. März 2023
Veröffentlicht von: Sächsische Zeitung

Ein „Neuro-Coach“ stellt in einem Interview der Sächsischen Zeitung eine neue Methode zur Selbsttherapie von unspezifischen Rückenschmerzen vor. Die positiven Effekte werden nicht konkret genug beschrieben, dem Thema Risiken und Nebenwirkungen wird keine einzige Frage gewidmet. Es wird auch nicht deutlich, in welchem Rahmen die Methode für Betroffene nutzbar ist. Als Alternative werden wichtige Verfahren nicht angesprochen, Bewegung etwa oder physiotherapeutische Maßnahmen. Ob für Patienten bei der Methode über das Buch hinaus Kosten entstehen, klärt das Interview nicht. Der Text stellt das Problem der Rückenschmerzen zwar nicht übertrieben dar, fragt jedoch an keiner Stelle nach, welche Belege es überhaupt für die Wirkung der Methode gibt.

Zusammenfassung

Die Sächsische Zeitung hat mit der „Mentalitätstrainerin“ Nina Olsson ein Interview über deren „Methode“ gegen unspezifischen Rückenschmerz geführt. Im Interview vermischt die Trainerin eigene Glaubenssätze mit Versatzstücken aus der Wissenschaft, etwa Erkenntnissen zum Schmerzgedächtnis. Ihre Antworten werden an keiner Stelle im Text kritisch hinterfragt. Dabei wurde ihre Methode bislang in keiner wissenschaftlichen Studie evaluiert. Die Interviewpartnerin liefert stattdessen nur anekdotische Evidenz und stellt ihre Erfolge übertrieben dar, indem sie behauptet, die Behandlungen würden zu 100 Prozent helfen. Eine Einordnung durch unabhängige Experten oder Quellen findet auch nicht statt. Ob Interessenkonflikte vorliegen, wird nicht hinterfragt. Der Text macht dagegen deutlich, dass es sich um eine neue Methode handelt, und dass ein Großteil der Rückenschmerzen unspezifischer Natur sind. Unklar bleibt jedoch, aus welchem Anlass das Interview geführt wurde, wenn nicht zur Bewerbung des neu erschienenen Buchs.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Das Interview beschreibt an mehreren Stellen, welche positiven Effekte die „Sieben Brücken“-Methode haben soll. Zunächst sehr allgemein: „Als ihre Rückenschmerzen vor drei Jahren unerträglich wurden, begann Nina Olsson, sich mit ihrem Wissen selbst zu helfen. Es funktionierte.“ Konkreter heißt es später: „Tatsächlich kam ich nach drei Tagen ohne Schmerzmittel aus, und nach sieben Wochen war ich schmerzfrei. Das bin ich bis heute.“  Oder: „Am Ende ist jeder in der Lage, seine Schmerzen selbstständig zu beherrschen.“ Und schließlich: „Als es mir besser ging, habe ich viele Bekannte mit Rückenschmerzen mit der Methode bekannt gemacht, und mein Sohn wendet sie bei seinen Patienten an. Jedes Mal hat es zu 100 Prozent funktioniert.“ Da es sich nur um anekdotisches Wissen handelt, belegen diese Aussagen nicht, dass die Angabe dem wirklichen Nutzen entspricht. Ob es irgendwelche, in Fachartikeln belegte Zahlen und Daten gibt, bleibt völlig offen. Zumal eine Erfolgsquote von „100 Prozent“ völlig unrealistisch ist, da chronische Rückenschmerzen schwierig zu behandeln sind, so etwa nachzulesen in einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung: „Die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen ist schwierig und erfordert insbesondere bei chronischen Verlaufsformen die Zusammenarbeit von Patienten und mehreren Fachärzten – was in der medizinischen Praxis oft nicht funktioniert (siehe auch hier).

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Lediglich an einer Stelle heißt es kurz: „(…) und mit dem Stiel eines Kochlöffels kräftig über die Oberschenkel gefahren bin. Das ist im Übrigen sehr schmerzhaft. Dann habe ich angefangen, die Sehnen meiner Beine zu dehnen. Auch das ist schmerzhaft.“ Darüber hinaus erfährt man nichts über mögliche Nebenwirkungen oder Risiken, weil dem Aspekt im Interview keine Frage gewidmet ist.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es handelt sich um eine Methode, die die beiden Autor*innen entwickelt haben und in ihrem Buch beschreiben. Damit ist diese Methode sozusagen „in der Welt“. Ob sie jedoch von anderen Therapeut*innen eingesetzt wird, ob man sie auch in Eigenregie nutzen kann oder eben in die Praxis der beiden Buchautor*innen kommen muss, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Artikel stellt nur die neue Methode vor, die als Alternative zur Behandlung mit Schmerzmitteln dargestellt wird. Nur indirekt werden operative Verfahren angesprochen. Andere Verfahren werden nicht vorgestellt, dabei empfehlen die aktuellen Therapieleitlinien bei chronischen Rückenschmerzen eine kombinierte Behandlung aus Schmerz-, Psycho- und Bewegungstherapie. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann zudem dabei helfen, den Schmerz besser zu verarbeiten (siehe auch hier). Diese Alternativen werden nicht benannt.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Das Thema Kosten wird im Interview nicht angesprochen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Rückenschmerzen werden im Text nicht übertrieben dargestellt. Laut einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung leiden 85 Prozent aller Erwachsenen irgendwann einmal an Rückenschmerzen. Sie gelten daher als Volkskrankheit.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Im Vorspann des Interviews heißt es zwar: „beruft sich bei ihrer Arbeit auf Erkenntnisse der Neurowissenschaft“. Auf welche Studien die Trainerin sich dabei konkret stützt, wird im Interview nicht offengelegt. Wie gut die Belege für die Wirksamkeit der Methode sind, wird nicht hinterfragt. Es wird lediglich über den Selbstversuch der Autorin und den Einsatz der Methode bei ihren Patienten berichtet. Das reicht als Wirksamkeitsbeleg nicht aus. Kritische Fragen dazu sucht man leider vergeblich.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Außer der interviewten Autorin kommt keine andere Expertin zu Wort. Es wird außer auf das Buch auch nicht auf unabhängige Quellen verwiesen, die Hinweise auf die Wirksamkeit der Methode geben könnten. An einer Stelle heißt es nur sehr vage: „Studien haben übrigens gezeigt, dass allein schon durch die gedankliche Suche nach Dingen, wofür man dankbar ist, Glückshormone ausgeschüttet werden.“ Konkreter wird es leider nicht.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Es ist klar, dass die Autorin Geld mit dem Buch verdient. Welche finanziellen Interessen darüber hinaus mit der „Sieben Brücken“-Methode verbunden sind (Workshops, Seminare für Mediziner*innen oder für Patient*innen) erfährt man leider nicht. Daher werten wir das Kriterium knapp „nicht erfüllt“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Das Interview macht deutlich, dass es sich um eine neue Methode handelt. Zugleich ordnet der Artikel ein, dass ein Großteil der Rückenschmerzen unspezifisch, also ohne erkennbare Ursache sind. Dass Rückenschmerzen auch eine psychische Komponente haben können, ist eine zentrale These des Artikels und der Methode. Eine Einordnung der neuen Methode in den Kontext bereits bestehender Therapieverfahren findet jedoch nicht statt. Nur so aber können die Leserinnen und Leser beurteilen, welchen Stellenwert diese neue Methode haben könnte. Daher werten wir insgesamt knapp „nicht erfüllt“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im journalistischen Beitrag finden sich praktisch keine konkreten, überprüfbaren Fakten oder Quellen, anhand derer man die Aussagen überprüfen könnte. Daher wenden wir das Kriterium nicht an.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Es handelt sich um ein Interview der Zeitung, das offenbar selbst geführt wurde. Wir haben zumindest kein von der Presseabteilung des Verlages vorbereitetes Interview dazu gefunden.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Es handelt sich um ein Interview mit kurzem, einleitenden Text. Dabei dienen die Fragen lediglich als Stichworte für die Antworten. Eine kritische Herangehensweise ist nicht erkennbar, etwa Fragen dazu, welche wissenschaftlichen Belege es für die Methode gibt oder was einen Neuro-Coach genau auszeichnet. Stattdessen findet sich ein sehr werbendes Interview, das nur die neue Methode abfragt, was sich für die Leserinnen und Leser nicht sehr attraktiv gestaltet.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel macht verständlich, wie die Methode zumindest teilweise funktionieren soll und erklärt plausible Mechanismen verständlich. Der Text verzichtet auf Fremdwörter. Jedoch versäumt es der Text, verständlich zu erklären, was eigentlich ein Neuro-Coach ist, welche Qualifikationen er oder sie dafür benötigt. Auch wird nicht erklärt, was ein „Osteopath“ ist. Daher werten wir nur insgesamt knapp „erfüllt“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Von Rückenschmerzen sind viele Menschen betroffen, was die Thematik grundsätzlich relevant macht. Doch der aktuelle Anlass für das Interview ist offensichtlich die Veröffentlichung des Buches, in dem die Autor*innen ihre Methode vorstellen. Das allerdings ist bereits im Oktober 2022 erschienen. Es bleibt zudem offen, ob die Methode überhaupt wirksam ist. Somit erscheint die Vorstellung des neuen Buchs in einem unkritischen Interview als Anlass zumindest in dieser Form unangebracht. Daher werten wir knapp „nicht erfüllt“.

Medizinjournalistische Kriterien: 3 von 14 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 2 auf 1), da drei wichtige Kriterien – positive, negative Effekte und Belege – nicht erfüllt sind. Zudem verzichtet der Artikel völlig auf andere Quellen.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar