Bewertet am 30. März 2023
Veröffentlicht von: Berliner Zeitung
Ein journalistischer Beitrag der Berliner Zeitung greift die Pressemitteilung eines Pharmaunternehmens auf, die über den Beginn einer neuen Studie berichtet. Ein bekanntes pflanzliches Medikament soll daraufhin überprüft werden, ob es bei ambulant behandelten Covid-19-PatientInnen Husten und Atemnot lindern kann. Der journalistische Beitrag übernimmt jedoch unkritisch die Aussagen der Pressemitteilung, eine eigene Recherche ist nicht erkennbar, weitere Quellen und Fachleute werden nicht herangezogen.

Zusammenfassung

Ein Artikel der Berliner Zeitung widmet sich dem bekannten pflanzlichen Erkältungsmittel GeloMyrtol der Firma Pohl-Boskamp, das bisher als Schleimlöser bei Erkältungskrankheiten verkauft wird. Nun wird in einer Studie geprüft, ob es auch im Rahmen einer ambulanten Therapie bei Covid-19 hilft, vor allem, ob es den damit verbundenen Husten lindern kann. Dafür sollen 120 Hausarzt-Patientinnen und Patienten beobachtet werden, die sich zu Hause auskurieren. In einer vorausgehenden Studie mit stationär aufgenommenen Patient*innen habe das Mittel geholfen, heißt es im journalistischen Beitrag. Dabei wird verschwiegen, dass diese erste Studie gar nicht geeignet war, den Nutzen nachzuweisen und dies auch gar nicht für sich beansprucht. Die Teilnehmerzahl war dafür zu gering, die Studie wurde vorzeitig beendet. Auch wurden keine unabhängigen Experten befragt, vielmehr ist der Beitrag zum großen Teil eine wörtliche Wiedergabe der Pressemitteilung des Herstellers Pohl-Boskamp. Eine Einordnung der Studie und des Studienvorhabens findet nicht statt.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Ein Nutzen wäre gegeben, wenn der Wirkstoff von GeloMyrtol einen mit Covid-19 einhergehenden Husten bei Patienten lindern kann, die sich zu Hause auskurieren. Der Artikel berichtet darüber, dass eine neue Studie dazu geplant ist. Aussagen über die Ergebnisse, und somit über die Frage des Nutzens, sind deshalb noch nicht möglich. Daher kann der Artikel noch keine Ergebnisse liefern. Er könnte aber die Ergebnisse einer früheren Studie mit Patienten im Krankenhaus beschreiben, die recht ausführlich erwähnt wird. Hierbei fehlen jedoch konkrete Angaben zum Nutzen. Er wird im Text nicht quantifiziert, es heißt nur, dass „Patienten, die mit ELOM-080 zusätzlich therapiert wurden“, (…) „signifikant weniger zusätzlichen Sauerstoff benötigt“ hätten und „deutlich weniger unter Atemnot bei Belastung leiden“. (…) Das Mittel „verbessere den natürlichen Schutz- und Reinigungsmechanismus bis in die tiefen Atemwege“, die Aktivität der Flimmerhärchen werde „deutlich gesteigert“, das Sekret „schneller abtransportiert“. Hinzu kommt, dass die Forschenden der früheren Studie selbst gar nicht behaupten, dass ein signifikanter Nutzen nachgewiesen sei. Daher werten wir das Kriterium insgesamt als „nicht erfüllt“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt

Mögliche Risiken oder Nebenwirkungen werden im Artikel nicht thematisiert. Dabei wird in der vorliegenden ersten Studie von zahlreichen unerwünschten Ereignissen berichtet, davon ein Fall (von insgesamt 21 mit ELOM-080 Behandelten), der auf das getestete Medikament zurückzuführen sein könnte (milde Gastritis). Weitere Daten zu den Nebenwirkungen des Medikaments hätten leicht aus Studien zu anderen Anwendungsbereichen recherchiert werden können. Der Beipackzettel nennt u.a. „Häufig: Magen- oder Oberbauchschmerzen; Gelegentlich: allergische Reaktionen (wie Atemnot, Gesichtsschwellung, Nesselsucht, Hautausschlag, Juckreiz); Entzündung der Magenschleimhaut oder der Darmschleimhaut, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder andere Verdauungsstörungen; Geschmacksveränderungen; Kopfschmerzen oder Schwindel“, siehe auch hier.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird klargestellt, dass das Mittel bekannt und verfügbar ist, aber die Therapie an Covid-19-Patienten nun erforscht wird („Es handelt sich um ein altbekanntes pflanzliches Mittel“). Allerdings wird leider nicht deutlich, dass die Arznei nicht rezeptpflichtig ist. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Alternative Behandlungsmöglichkeiten werden nicht genannt, es wird nur angeführt, dass „Therapieoptionen für Hausärzte“ bei Covid-19 „bis heute“ fehlen. Eine objektive Einordnung der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) von 2022 erfolgt nicht, stattdessen werden die Formulierungen der Pressemitteilung des Herstellers übernommen. Dabei hätte man erwähnen können, was bei ambulanten COVID-19-Erkrankten ohne Impfschutz und mit mindestens einem Risikofaktor für einen schweren Verlauf eingesetzt werden kann, nämlich laut Leitlinie „in der Frühphase Sotrovimab, Remdesivir oder Nirmatrelvir/Ritonavir“ (siehe auch hier). Bei einem milden Verlauf werden in der Regel übliche Mittel zur Symptomlinderung bei Husten und Schnupfen eingesetzt. Daher werten wir „nicht erfüllt“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten für die Arznei werden nicht angegeben. Es wird auch nicht klar, ob das Mittel selbst bezahlt werden muss oder ob die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen. Daher werten wir dieses Kriterium als „nicht erfüllt“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Verlauf und die Symptome einer Covid-19-Erkrankung werden nicht dramatisiert oder übertrieben dargestellt. Daher werten wir dieses Kriterium als „erfüllt“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Das Design der erst startenden Studie ist mit einschlägigen Fachbegriffen erklärt: Sie ist „doppelblind“ und „placebokontrolliert“ angelegt. Sie ist zudem multizentrisch, weil 15 niedergelassene Ärzte beteiligt sind. 120 Patientinnen und Patienten mit einer Corona-Erkrankung und „ausgeprägter akuter Hustensymptomatik“ sollen daran teilnehmen. Fachkundige wissen somit, dass es sich um eine qualitativ hochwertige Studie handelt, für Laien dürfte das ohne weitere Erläuterungen nicht ohne Weiteres ersichtlich sein (siehe Kriterium 14).

Indes fehlen wichtige Angaben zur vorausgehenden Studie, auf die allein sich die Aussagen zur Wirksamkeit von ELOM-080 stützen. Diese Studie war mit 35 PatientInnen viel kleiner als geplant, sie musste wegen Problemen bei der Rekrutierung (Pandemie-bedingt) vorzeitig abgebrochen werden, mit der Folge, dass sich „der klinische Gesamtzustand nicht signifikant zwischen den beiden Behandlungen“ unterschied (siehe auch hier). Zum anderen ist die vorsichtige Schlussfolgerung der Fachpublikation („Die Daten deuten darauf hin, dass ELOM-080 den Atemstatus während und nach dem Krankenhausaufenthalt von Patienten mit COVID-19 verbessern kann“) im Zeitungsbericht hinter wörtlich übernommenen Fachbegriffen aus der Pressemitteilung des Herstellers verklausuliert („Insgesamt deuteten die Ergebnisse der Studie auf schlüssige Signale dahingehend, dass der Enhancer der mukoziliären Clearance ELOM-080 den respiratorischen Status von an Covid-19-Erkrankten verbessern könnte“). Daher werten wir das Kriterium insgesamt „nicht erfüllt“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Der Beitrag bezieht keine unabhängigen Quellen ein, sondern nennt lediglich die vom Hersteller Pohl-Boskamp finanzierte COVARI-Studie zu ELOM-080 als wissenschaftliche Quelle. Zitiert wird mit Michael Dreher der Leiter und Erstautor dieser Studie. Außerdem kommt die Studienleiterin der neu beginnenden COVARI-2-Studie Manuela Thinesse-Mallwitz zu Wort, niedergelassene Hausärztin aus München, die u.a. an homöopathischen Therapien bei Atemwegserkrankungen geforscht hat (z.B. hier). Beide Zitate stammen aus der Pressemitteilung. Daher werten wir „nicht erfüllt“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Das Pharmaunternehmen Pohl-Boskamp wird zwar im Beitrag kurz genannt. Dass es aber nicht nur der Hersteller des untersuchten Medikaments ist, sondern auch die beschriebene COVARI-Studie sowie die jetzt neu gestartete COVARI-2-Studie finanziert, wird im Artikel nicht deutlich gemacht. Drei der Autor*innen der COVARI-Studie sind bei Pohl-Boskamp angestellt, eine weitere Autorin erhielt Fördermittel des Unternehmens – auch dies wird im Artikel nicht angesprochen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag greift am Anfang den Vorwurf auf, es sei zu viel an Impfstoffen und zu wenig an Medikamenten gegen Covid-19 geforscht worden. Dies mag man als Versuch einer Kontextualisierung sehen. Indes geht er nicht der Frage nach, ob diese Kritik berechtigt ist, wie viel tatsächlich in Impfstoffe / Medikamente investiert wurde, welche Ansätze zu Covid-Medikamenten es gibt und wie erfolgversprechend die bisherige Forschung dazu ist. Die wenigen vagen Sätze zu diesem Thema sind daher keine ausreichende Einordnung in den Kontext dieser Debatte.

Auch wird nicht deutlich, ob auch andere schleimlösende Medikamente zur symptomatischen Behandlung eingesetzt oder erprobt werden, siehe z.B. zu Acetylcystein: ichgcp.net/de/clinical-trials-registry. Insgesamt wird der Stand der Forschung von Covid-19-Medikamenten unzureichend dargestellt. Daher werten wir knapp „nicht erfüllt“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Faktenfehler haben wir nicht gefunden.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Text entspricht in weiten Teilen den Formulierungen der Pressemitteilung des Gelomyrtol-Hersteller Pohl-Boskamp, die am 21.3.2023 verkündete, man habe den ersten Patienten „in seine Covari-2-Studie eingeschlossen“ (siehe auch hier). Beide Expert*innen-Zitate stammen ebenfalls aus der Pressemitteilung. Mit Ausnahme der allgemeinen Einordnung zu Beginn geht der Artikel nicht wesentlich über die Pressemitteilung hinaus. Deshalb werten wir dieses Kriterium als „nicht erfüllt“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Umständliche und fachsprachliche Formulierungen (siehe auch Kriterium 14) dürften Leser*innen eher abschrecken als Interesse für das Thema zu wecken. Lange Sätze machen den Text schwer lesbar (z.B. „Diese ,schlüssigen Signale´ und das positive Votum der Ethikkommission sowie des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn) hätten dafür gesorgt, dass jetzt eine zweite Studie für den ambulanten Bereich stattfinden könne, also für Patienten, die ihre Covid-19-Erkrankung zu Hause auskurieren können und sollen.“). Unschön sind viele Substantivierungen („den Verlauf der Erkrankung positiv hinsichtlich Symptomschwere und Dauer beeinflussen“, „um einer Verschlimmerung oder Ausweitung des Infekts in den Atemwegen entgegenzuwirken“). Zudem fehlt dem Artikel eine klare Struktur.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der journalistische Beitrag enthält viele Fachbegriffe, die meist nicht erläutert werden. Vor allem dieser Satz dürfte für Laien unverständlich sein: „Insgesamt deuteten die Ergebnisse der Studie auf schlüssige Signale dahingehend, dass der Enhancer der mukoziliären Clearance ELOM-080 den respiratorischen Status von an Covid-19-Erkrankten verbessern könnte.“ Das Zitat des COVARI-Studienleiters von der Uniklinik Aachen wird zwar danach so „übersetzt“: „Bedeutet: Der Selbstheilungsmechanismus der Bronchien wird angeregt.“ Doch folgen noch weitere unverständliche Textstellen, die nicht erklärt werden, etwa zweimal „die mukoziliäre Clearance“ sowie die „doppelblinde, placebokontrollierte, multizentrische Phase-2-Studie“. Auch die Begriffe „Phytotherapeutikum“, „evidenzbasiert“ und „Leitlinienempfehlungen“ können je nach Medium und Zielgruppe nicht als Allgemeinwissen vorausgesetzt werden. Daher werten wir insgesamt knapp „nicht erfüllt“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Die Erforschung eines Covid-19-Medikaments ist zwar relevant. Dass eine Pharmafirma auf Grundlage einer nicht aussagekräftigen früheren Studie nun mit der Rekrutierung von PatientInnen für eine neue Studie startet, erscheint uns jedoch kein ausreichender Anlass zur Berichterstattung. Daher werten wir „nicht erfüllt“.

Medizinjournalistische Kriterien: 3 von 15 erfüllt

Wegen der fehlenden journalistischen Unabhängigkeit der Darstellung (Kriterien 8, 9 und 12) werten wir um einen Stern ab (von 1 auf 0 Sterne).

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar