Bewertet am 22. März 2023
Veröffentlicht von: Augsburger Allgemeine

Ein Artikel in der Zeitung „Augsburger Allgemeine“ berichtet in einem übersichtlichen Frage-Antwort-Format über den dritten Fall einer Heilung von einer HIV-Infektion. Der Text macht die Besonderheit des Einzelfalls deutlich und übertreibt die positiven Effekte nicht. Es wird deutlich, dass es sich um einen Therapieansatz handelt, der nur für ganz spezielle Fälle geeignet ist und somit nicht breit verfügbar. Auch wird klar, dass kein anderer Ansatz zur Heilung führt. Auf Risiken und Nebenwirkungen geht der Artikel jedoch nicht hinreichend ein, die Kosten der Therapie werden leider gar nicht erwähnt. Auch wie gut die Heilung durch die Studie belegt ist, lässt der Text offen.

Zusammenfassung

Ein journalistischer Beitrag der Zeitung „Augsburger Allgemeine“ beschreibt den Heilungserfolg beim „Düsseldorfer Patienten“, einem mittlerweile 53-jährigen Mann, der mit HIV infiziert und an einer aggressiven Form von Blutkrebs erkrankt war. Vor neun Jahren erhielt er deshalb Knochenmark von einer Spenderin mit einer bestimmten Genmutation transplantiert. Nachdem beim „Düsseldorfer Patienten“ seit Jahren kein HIV mehr nachweisbar ist, betrachten ihn die behandelnden Ärzte und Wissenschaftler jetzt als geheilt, wie sie im Fachblatt Nature Medicine berichten (siehe auch hier). Im journalistischen Text wird deutlich, dass der Therapieansatz nur für HIV-Patienten mit bestimmten schweren Krebserkrankungen in Frage kommt. Über Nebenwirkungen des Patienten, die gerade bei einer Knochenmarkstransplantation erheblich sein können, wird jedoch leider nicht berichtet. Es kommt ein unabhängiger Experte zur Einordnung der Studienergebnisse zu Wort, allerdings sind seine Zitate wie auch andere einem Beitrag der Tagesschau entnommen. Der Zeitungsartikel vermittelt das komplexe Thema insgesamt aber klar strukturiert und verständlich und berichtet hinreichend aktuell über das ungewöhnliche Thema.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Dass der „Düsseldorfer Patient“ unter einer HIV-Infektion und einer aggressiven Form von Blutkrebs litt, und dank einer Stammzelltransplantation von Knochenmarkszellen mit einer seltenen genetischen Mutation geheilt werden konnte, wird ausreichend und mehr oder weniger verständlich (s. Kriterium 14) dargestellt. Klar wird, dass es sich um einen extremen Einzelfall handelt, der nicht als Beispiel für eine Therapie für alle HIV-Patienten dient: „Bisher handelt es sich bei dieser Form der Behandlung mit einer Stammzellentransplantation nur um eine Therapie für Menschen, die mit HIV infiziert und an Leukämie erkrankt sind.“ Allerdings wird nicht deutlich, ab wann Mediziner eigentlich von Heilung sprechen können. Wir werten insgesamt nur knapp „erfüllt“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt

Risiken und Nebenwirkungen werden nur für die Stammzelltransplantation erwähnt und auch nur auf sehr allgemeine Art und Weise: „Hintergrund ist, dass eine Knochenmarktransplantation ein erheblicher und mitunter auch tödlicher Eingriff ist, sagt Esser weiter“. Dass vor einer Knochenmarkstransplantation eine hochgefährliche Unterdrückung des gesamten Immunsystems stattfinden muss, wird nur sehr verkürzt erzählt: „…die Knochenmarktransplantation‚ die ja eigentlich dazu durchgeführt wird, um eine bösartige Erkrankung wie Leukämie zu heilen, bringe den größten Teil des Immunsystems um.“ Und auch auf die riskante Zeit nach der Transplantation geht der journalistische Beitrag nicht ein. An welchen Nebenwirkungen der „Düsseldorfer Patient“ konkret litt, erklärt der Text leider ebenso wenig. Wir werten insgesamt knapp „nicht erfüllt“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Text macht deutlich, dass diese Therapie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen einsetzbar ist: „(…)handle es sich zwar um einen Meilenstein in der HIV-Forschung, aber nicht um eine generelle Therapie für alle Betroffenen.“ Es wird auch erwähnt, dass Spender*innen von Stammzellen mit jener Genmutation selten sind. Allerdings werden dazu keine Zahlen genannt. Statt des langen Satzes „Die Mutation CCR5-Delta32 kommt vor allem bei Menschen aus Mittel- und Nordeuropa vor, ist aber insgesamt sehr selten“, hätte vielleicht der Hinweis genügt, dass nur einer von hundert Europäer*innen diese Mutationen aufweist, siehe auch: sciencemediacenter.de

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Text macht klar, dass es derzeit keine andere Möglichkeit der heilenden Therapie gibt. Es gehe bei den übrigen Behandlungen lediglich darum, das Virus in Schach zu halten: „Wer sich mit dem HI-Virus infiziert hat, kann bis heute nicht davon geheilt werden – ausgenommen die drei Fälle aus London, Berlin und Düsseldorf – und auch eine Impfung, die vor einer Infektion schützt, gibt es nicht. (…) Bei der Behandlung von HIV geht es laut der Deutschen Aidshilfe aktuell vor allem darum, das Virus in Schach zu halten. Bei der HIV-Therapie werden demnach mehrere Wirkstoffe miteinander kombiniert, die beispielsweise verhindern, dass das Virus in Zellen eindringt, dort das Kommando übernimmt oder dass eine infizierte Zelle neue Viren freisetzt.“ Dass das mittlerweile so gut gelingt, dass HIV-Patient*innen heute in Deutschland eine weitgehend normalen Lebenserwartung haben, hätte allerdings noch erwähnt werden können (siehe auch hier). Daher werten wir insgesamt nur knapp „erfüllt“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Das Thema Kosten wird im Artikel nicht thematisiert, wäre aber aufgrund der langwierigen Therapie ein interessanter Aspekt gewesen. Zumindest eine Größenordnung der Kosten wäre hilfreich gewesen, auch um zu verdeutlichen, wie singulär solche Einzelfalltherapien sind.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

HIV / Aids wird nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Text macht nicht deutlich, wie gut belegt ist, dass der Patient tatsächlich geheilt ist. Dabei war dies eigentlich ein besonderer Fokus der vorliegenden Forschungsarbeit. Auch die Qualität der Studie wird nicht eingeordnet. Daher werten wir insgesamt „nicht erfüllt“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es wird der Vorsitzende der Deutschen AIDS-Gesellschaft Stefan Esser vom Uniklinikum Essen mit einer Einordnung zitiert: „Wer sich mit dem HI-Virus infiziert hat, kann bis heute nicht davon geheilt werden – ausgenommen die drei Fälle aus London, Berlin und Düsseldorf – und auch eine Impfung, die vor einer Infektion schützt, gibt es nicht.“ Zudem werden die Deutsche Aidshilfe und das Bundesgesundheitsministerium als Quellen zu Informationen über HIV/Aids angegeben.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Im Fachartikel werden bei den Studienautoren zwar einige Honorare der Pharmaindustrie genannt. Da es sich hier jedoch um einen sehr speziellen Einzelfall handelt, erscheint es uns nachvollziehbar, diese nicht im Artikel anzusprechen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag macht zwar deutlich, dass der „Düsseldorfer Patient“ erst der dritte Patient ist, der vollständig von einer HIV-Infektion befreit wurde. Auch wird klar, dass die beiden ersten Patienten ebenso mit einer aggressiven Therapie gegen ihre Krebskrankheit behandelt werden mussten. Ob es aber bereits andere erfolgversprechende Forschungsansätze gibt, die nicht auf die Kombination mit hoch aggressiven Krebstherpien angewiesen sind, wird nicht erwähnt. Das Science Media Centre dagegen beschreibt in einem Pressebriefing auch solche Bestrebungen: „ (…) Vor diesem Hintergrund gibt es sowohl international als auch im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (das auch die vorliegende Arbeit unterstützt hat) vielfältige Anstrengungen, kombinierte Gen-/Immuntherapien zu entwickeln, die eine langfristige Kontrolle oder sogar Eliminierung von HIV ermöglichen sollen“. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Uns sind keine groben Fehler aufgefallen. Daher werten wir das Kriterium als „erfüllt“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Inhaltlich geht der Artikel teilweise über den Text der Pressemitteilung hinaus. So gibt es Informationen zu HIV/Aids, die so nicht in der Pressemitteilung zu finden sind, sondern laut Text vom Bundesgesundheitsministerium und der Deutschen Aidshilfe stammen. Die Zitate allerdings stammen allesamt aus einem Beitrag der Tagesschau (was immerhin deutlich gemacht wird). Insgesamt erscheint uns die journalistische Eigenleistung insgesamt gering und werten daher nur knapp „erfüllt“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag ist in einer klaren, gut lesbaren Sprache geschrieben. Allerdings ist die Abhandlung in Frage/Antwort-Blöcken an sich wenig attraktiv, eine andere Form wäre vielleicht für Leser*innen, die sich nicht per se für die Thematik interessieren, ansprechender gewesen. Daher werten wir nur knapp „erfüllt“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel ist klar in Frage- und Antwortblöcken strukturiert. Lobenswert ist es auch, dass die zeitliche Abfolge aufgelistet ist. So wird deutlich, über welch großen Zeitraum die gesamte Entwicklung ablief. Positiv ist ebenfalls, dass von Anfang an deutlich wird, dass es sich bei den HIV-Fällen, um extreme Einzelfälle handelt. Gegen Ende bleibt jedoch ein Fragzeichen, weil nicht deutlich wird, welche wichtigen Erkenntnisse der Fall des „Düsseldorfer Patienten“ für die Forschung geliefert hat, insbesondere in Zusammenhang mit der „denkbaren Behandlung“ mit einer Gentherapie.

Etwas irritierend ist allerdings, dass an mancher Stelle gesichertes Wissen über eine HIV-Infektion mit der Formulierung „Laut dem Bundesgesundheitsministerium…“ eingeleitet wird. Manche Fachdetails sind überflüssig und im Zweifel verwirrend, zum Beispiel der „CCR-5 Ko-Rezeptor“ für die Andockstelle von HIV auf den Immunzellen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „erfüllt“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Artikel ist wenige Tage nach der Veröffentlichung des Fachartikels erschienen, ein aktueller Anlass für die Berichterstattung ist also gegeben. Auch ist die Heilung von HIV nach wie vor eine extreme Seltenheit und für sich allein schon berichtenswert.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 4 auf 3 Sterne), weil sechs Kriterien nur knapp „erfüllt“ sind.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar