Bewertet am 8. Dezember 2022
Veröffentlicht von: Hannoversche Allgemeine Zeitung

Das vorliegende Gutachten wurde im Rahmen des Medien-Doktor-Projekts ASSISTANCE angefertigt, das einen besonderen Fokus auf die Qualitätssicherung der Medizinberichterstattung in Regionalmedien legt. Zur Projektvorstellung geht es hier.

Ein Artikel der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nimmt Postings von Influencern und Sportlerinnen zum Anlass, über die Folgen eines Vitamin-D-Mangels zu informieren. Es wird klar, dass Vitamin D für den Knochenstoffwechsel im Körper eine wichtige Rolle spielt. Allerdings wird der konkrete Nutzen nicht genau beschrieben. Der Text stützt sich in großen Teilen auf die Aussagen eines Experten, der zwar Präsident einer Fachgesellschaft ist, selbst aber seit Jahrzehnten nicht mehr zu forschen scheint. Auch wird er mit einer Aussage zum täglichen Vitamin-D-Bedarf zitiert, die so nicht korrekt ist.

Zusammenfassung

Hoch umstritten ist das Thema des Vitamin D-Mangels seit Jahren, nun widmet sich ein journalistischer Beitrag der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung dieser Diskussion. Das ist an sich lobenswert, leider werden jedoch die vorhandenen wissenschaftlichen Belege zum Thema nur kurz erwähnt, zumal in einer Form, die für Leser*innen ohne wissenschaftliche Vorkenntnisse nicht nachzuvollziehen sein dürfte. Im Text kommt nur ein einziger Experte zu Wort, dessen Aussage zum täglichen Vitamin-D-Bedarf den gängigen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung widerspricht. Der Artikel weist jedoch korrekt darauf hin, dass eine Überdosierung zu gesundheitlichen Problemen führen kann, benennt diese auch. Ebenso wird im Text deutlich, dass eine Supplementierung nur eine Alternative neben der UV-Licht-Exposition und der Vitamin-D-Aufnahme durch die Nahrung darstellt. Insgesamt wäre der Text lesenswerter gewesen, wenn eine Influencerin oder ein Sportler konkret zitiert und die mutmaßlich irreführende Information zu Vitamin D direkt analysiert worden wäre.

Hinweis: Der Beitrag wurde vom Redaktionsnetzwerk Deutschland erstellt und in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel beschreibt mögliche positive Effekte von Vitamin D3 und damit auch einer Vitamin-D-Supplementierung: „Die Beteiligung am Knochenstoffwechsel ist die bekannteste Funktion. Laut RKI wird Vitamin D auch nachgesagt, präventiv gegen chronische Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ 2 und sogar gegen Krebskrankheiten zu wirken.“

Allerdings hätten die Symptome eines Vitamin D-Mangels bei Erwachsenen detaillierter geschildert werden müssen. Beim RKI heißt es: „Bei Erwachsenen kann es durch die Entkalkung des Knochens zu Verformungen der tragenden Knochen, zu Knochenschmerzen und Muskelschwäche sowie zu Kraftminderung kommen – und damit zum Krankheitsbild der Osteomalazie. Eine weitere Erkrankung, zu der ein Vitamin-D-Mangel beitragen kann, ist Osteoporose, die sich vor allem im höheren Lebensalter manifestiert. Sie ist durch eine erniedrigte Knochenmasse sowie eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes gekennzeichnet, was zu einer geringeren Bruchfestigkeit des Knochens führt.“ (siehe auch hier). Leider bleibt auch unerwähnt, dass ein Mangel nicht an einem punktuellen Messwert festgemacht werden kann, weil er nicht bedeuten muss, dass klinische Symptome auftreten werden. Auch fehlen konkrete Zahlen dazu, welche Effekte eine Supplementierung konkret haben kann, etwa wie stark eine beginnende Osteoporose so ausgebremst werden kann. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Der journalistische Beitrag warnt eindringlich vor einer Überdosierung von Vitamin D, wie sie etwa von Influencern und Influencerinnen empfohlen wird. Zitiert wird Experte Wechsler: Wer über einen längeren Zeitraum deutlich mehr Vitamin D als empfohlen zu sich nehme, riskiere schlimmstenfalls schwerwiegende Erkrankungen. Das RKI verweise darauf, dass eine Überdosierung auch schleichend möglich sei, da Vitamin D im Körper gespeichert werden kann. „Bei einer übermäßig hohen Einnahme von Vitamin D entstehen im Körper erhöhte Kalziumspiegel, die akut zu Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfen, Erbrechen oder in schweren Fällen zu Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und Tod führen können.“ Wie schnell eine solcher Überdosierung auftreten kann, wäre noch eine wichtige Information gewesen. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Aus der Information, dass Krankenkassen die Kosten für ein Vitamin-D–Präparat übernehmen, falls ein Mangel von einem Arzt festgestellt wurde, lässt sich schließen, dass Präparate in Apotheken verfügbar sind. Ferner gibt der Experte den Tipp, dass Präparate auch in Drogerien gekauft werden können.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es werden sowohl die Ernährung genannt, über die es zu einem geringen Teil möglich ist, Vitamin D aufzunehmen. Welche Lebensmittel sich da besonders anbieten, bleibt allerdings unerwähnt. Zusätzlich wird ein Ratschlag des Bundesamts für Strahlenschutz im Artikel erwähnt: Ab und zu auch einmal ungeschützt in die Sonne gehen. Denn laut BfS reiche es schon, „Gesicht, Hände und Arme zwischen März und Oktober zwei- bis dreimal pro Woche etwa zwölf Minuten der Sonne auszusetzen, um sich mit genug Vitamin D zu versorgen“. (siehe auch hier)

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Der journalistische Beitrag geht auf die Thematik der Kosten und auch der Kostenübernahme der Krankenkassen ein: „Nur mit einer vorherigen Vitamin-D-Bestimmung übernimmt dann übrigens auch die Krankenkasse die Kosten für das Präparat. Sollte das nicht der Fall sein, muss das Präparat, Wechsler zufolge, gar nicht teuer sein und kann ruhig in der Drogerie gekauft werden.“ Leider erfährt man nicht, was Vitamin D-Tabletten in den erforderlichen Mengen kosten und ob es tatsächlich ausreicht, Präparate aus dem Supermarkt oder der Drogerie zu kaufen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Seit Jahren wird das Thema des Vitamin-D-Mangels kontrovers diskutiert. Darauf allerdings weist der Artikel leider nicht hin. Stattdessen werden Schreckensszenarien aufgebaut, so dass fast Leserinnen und Leser eigentlich davon ausgehen müssen, selbst von einem Vitamin-D-Mangel betroffen zu sein, wenn es etwa heißt: „Untersuchungen zeigen, dass mindestens jeder zweite einen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel hat“ oder „So hat der Mensch jeden Tag ein Defizit von etwa 1000 IE Vitamin D – und es ergibt durchaus Sinn, dieses Defizit zu substituieren“ (siehe dazu auch das Kriterium FAKTENTREUE).

Den Leser*innen wird zudem suggeriert, dass ein punktuell niedriger Vitamin-D-Spiegel mit Mangelsymptomen oder gar Erkrankungen gleichzusetzen ist. Dabei hätten sie dringend darauf hingewiesen werden müssen, dass der Vitamin-D-Spiegel bei einmaliger Messung eine Momentaufnahme ist und nicht bedeuten muss, der diejenigen tatsächlich Mangelsymptome entwickeln. So heißt es bei gesundheitsinformation.de, der Patientenseite des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen: „Sinnvoll sind Nahrungsergänzungsmittel nur für wenige. Dazu gehören vor allem pflegebedürftige Menschen, die oft nur wenig Zeit im Freien verbringen und mit der Nahrung nicht immer genug Kalzium aufnehmen. Bei Bewohnerinnen und Bewohnern von Alters- und Pflegeheimen senken Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin D und Kalzium aber nachweislich das Risiko von Knochenbrüchen.“ (siehe auch hier). Zu der Übertreibung passt, dass Experte Wechsler, obwohl er doch rät, einen mutmaßlichen Mangel ärztlich abklären zu lassen, mit dem Hinweis zitiert wird, dass man Vitamin-D-Präparate auch ohne Verordnung in Drogerien kaufen kann. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Bedeutung von Vitamin D für den Knochenstoffwechsel wird als bekannt zitiert. Weitere positive Wirkungen werden korrekt eingeordnet: „Laut RKI wird Vitamin D auch nachgesagt, präventiv gegen chronische Krankheiten wie Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ 2 und sogar gegen Krebskrankheiten zu wirken. Dazu konnten Zusammenhänge in Beobachtungsstudien gefunden werden, bislang gibt es laut RKI aber keine Beweise für kausale Zusammenhänge.“ Für viele Leserinnen und Leser dürfte diese Erklärung in ihrer Kürze jedoch schwer nachzuvollziehen sein. Hier wäre eine ausführliche, laienverständliche Erläuterung wichtig gewesen. Offen bleibt auch, wie die Studienlage zur Substituierung von Vitamin D aussieht und auch, wie häufig und in welchem Ausmaß der Vitaminmangel in der Bevölkerung vorliegt. Daher werten wir alles in allem – wenn auch knapp „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es kommt im journalistischen Beitrag nur ein Experte zu Wort, der die Empfehlung der namenlosen Influencer kritisch einordnet. Der Experte ist zwar Präsident des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner, selbst allerdings seit Jahren nicht mehr als Ernährungsforscher aktiv (Arbeiten in den 1980er und 1990er Jahren, darunter offensichtlich auch keine Studien zu Vitaminen). Hier wäre ein aktiv forschender Wissenschaftler möglicherweise eine bessere Alternative gewesen. Über den Experten hinaus wird auf Informationen des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) verwiesen.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Wir haben keine Hinweise auf Interessenkonflikte gefunden, daher müssen sie auch nicht im Text thematisiert werden.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird im Text zwar deutlich, dass neue Entwicklungen zu bemerken sind: die Postings von Influencerinnen und Influencern, die offenbar in der dunklen Jahreszeit vermehrt dazu auffordern, Vitamin-D-Präparate einzunehmen. Allerdings erweckt der Artikel den Eindruck, als sei die Diskussion um den Vitamin-D-Mangel an sich und seine Bekämpfung ein neues Thema. Tatsächlich gibt es diese Debatte seit Jahrzehnten und mindestens einmal im Jahr, wenn es in die dunkle Jahreszeit geht. Darüber erfährt man im Beitrag jedoch leider nichts. Da diese Einordnung für die Leserinnen und Leser wichtig gewesen wäre, werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im Artikel heißt es: „Wechsler erklärt, dass die durchschnittliche Zufuhr von Vitamin D heute bei etwa 800 Internationalen Einheiten (IE) liegt – der Bedarf des Menschen laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) liegt allerdings bei etwa 1500 bis 2000 IE.“ Auf der Seite der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) wird der Bedarf für eine Zufuhr indes mit 800 I.E. angegeben (Menschen ab dem Alter von einem Jahr 20 Mikrogramm täglich, bei 1 Mikrogramm gleich 40 I.E.), siehe auch hier. Damit kann also auch die Aussage des Experten nicht stimmen.

Der journalistische Beitrag neigt zudem wiederholt zu Übertreibungen („Heute wird meist schon der kleinste Sonnenstrahl mit einer dicken Schicht Sonnencreme abgewehrt.“) und stellt viele Behauptungen dar, ohne sie zu belegen. Ein Mangel wird immer als klinisch relevant betrachtet, obwohl dies nicht zutrifft.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir haben keine Pressemitteilung gefunden, aber es wird aus dem Artikel deutlich, dass der Beitrag auf einer eigenen Recherche beruht (Zitate des Experten sowie von RKI, BfS und DGE).

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag hat einen aktuellen Aufhänger – die Werbung von Influencern und Sportlerinnen für Vitamin D. Es wäre naheliegend und womöglich attraktiv gewesen, eine solche Werbung konkret zu zitieren und die irreführenden Aussagen darin zu analysieren. Stattdessen beschränkt sich der Text darauf, mehrfach ein und denselben Experten sowie verschiedene Fachinstitute zu zitieren. An mancher Stelle mindern sprachliche Schwächen teilweise die Attraktivität der Darstellung, zum Beispiel: „könne das schlimmstenfalls sogar zu schwerwiegenden Erkrankungen führen“ enthält eine unschöne Dopplung, auch die Formulierung „um sich mit genug Vitamin D zu versorgen“ liest sich etwas ungelenk. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Im Artikel finden sich teilweise schwer nachvollziehbare Textpassagen. Gut erklärt wird zwar, was Vitamin D3 ist, warum eine Überdosierung problematisch ist und warum zum Beispiel Babys Vitamin D bekommen. Kaum verständlich ist dagegen, wie der Experte auf ein tägliches Defizit von 1000 I.E. kommt oder warum eine Überdosierung mit Vitamin D zu einem erhöhten Kalziumspiegel führt. Es wird zudem gar nicht nach Bevölkerungsgruppen differenziert, womit unklar bleibt, für wen eine Supplementierung tatsächlich sinnvoll ist (ältere Menschen etwa), weil sie klinisch relevante Defizite haben. Es wird auch nicht erklärt, was Beobachtungsstudien sind.

Etwas widersprüchlich ist der Hinweis an die LeserInnen, dass sie Vitamin-D-Präparate auch ohne Verordnung in Drogerien kaufen können. Das suggeriert, dass man das auch tun sollte. Aber ohne ärztliche Empfehlung ist das gerade nicht ratsam, wie der Experte ansonsten betont. Damit ist der Text in diesem Punkt verwirrend. Auch eine übergenaue Angabe zur Aufenthaltsdauer in der Sonne, irritiert eher, als dass sie hilfreich wäre („Gesicht, Hände und Arme zwischen März und Oktober zwei- bis dreimal pro Woche etwa zwölf Minuten der Sonne auszusetzen“).

Hinzu kommt: Ein Absatz konfrontiert Leserinnen und Leser dann mit genaueren Zahlen zum Hautkrebs, was in einem solchen Text kaum von Relevanz ist und vermutlich verwirrt. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Mit Einsetzen der dunklen Jahreszeit ist ein Anlass gegeben, das Thema des Vitamin-D-Mangels anzubringen. Auch die offenbar aktuelle Entwicklung, dass Influencer*innen vermehrt eine Vitamin-D-Substitution auf ihren Kanälen bewerben, stellt einen Anlass für die Berichterstattung dar.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 15 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar