Bewertet am 23. November 2022
Veröffentlicht von: Nürnberger Nachrichten

Das vorliegende Gutachten wurde im Rahmen des Medien-Doktor-Projekts ASSISTANCE angefertigt, das einen besonderen Fokus auf die Qualitätssicherung der Medizinberichterstattung in Regionalmedien legt. Zur Projektvorstellung geht es hier.

Inhaltsstoffe aus Kaffee sollen vor einer Corona-Infektion schützen, so berichtet die Regionalzeitung „Nürnberger Nachrichten“ in Bezug auf eine aktuelle Studie. Im journalistischen Beitrag finden sich allerdings sachliche Fehler, die teilweise bereits in der Pressemitteilung zur Studie enthalten sind. Obwohl es sich um Studienergebnisse aus Laborexperimenten handelt, wird im ersten Teil des Artikels behauptet, dass Kaffeekonsum „somit vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen“ kann. Eine Aussage, die sich aus dieser wissenschaftlichen Untersuchung nicht seriös ableiten lässt. Immerhin ordnet ein unabhängiger Experte die Studienergebnisse am Ende des Artikels ein, relativiert damit jedoch die insgesamt zu positive Gesamtdarstellung des Beitrags nur wenig.

Zusammenfassung

Ein journalistischer Beitrag der Nürnberger Nachrichten berichtet über eine Laborstudie der Jacobs University Bremen, wonach der Konsum von Kaffee vor einer Corona-Infektion schützen könne.  Ein Bestandteil des Heißgetränks, so der Artikel, könne das Andocken des Spike-Proteins verhindern. Vier von fünf Absätze des Artikels suggerieren, dass dieser Effekt so gut wie nachgewiesen sei: „Kaffeekonsum kann somit vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen. Wie lange die Wirkung jedoch in der Praxis anhält, ist noch unklar.“ Welchen Aussagewert die Laborstudie tatsächlich hat, erfahren die Leser*innen nur im letzten Absatz, in dem der Virologe Friedemann Weber zu Wort kommt. Auch genügt eine solche Laboruntersuchung allein als Anlass für die Berichterstattung über Effekte beim Menschen nicht, dafür hätte es mehr Einordnung und, vor allem, mehr Hintergrundinformationen bedurft.

Es bleibt zudem unerwähnt, dass die Jacobs University Bremen früher erheblich von der Jacobs Stiftung unterstützt wurde, deren Stiftungsrats-Präsident Christian Jacobs ist, geschäftsführender Teilhaber des Kaffee-Unternehmens Joh. Jacobs & Co. Auch wenn die Stiftung seit dem Jahr 2020 nicht mehr an der Finanzierung der Universität beteiligt ist, hätte ein möglicher Zusammenhang im Artikel zumindest erwähnt, bestenfalls hinterfragt werden können.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Zum Nutzen heißt es im Artikel: „Der Konsum von Kaffee soll die Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus deutlich mindern.“ Und weiter: „Die chemische Verbindung ,5-Caffeoylchinasäure´ soll das Andocken des Spike-Proteins an die menschlichen Zellen hemmen. In Laborversuchen stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass Kaffee die Wahrscheinlichkeit einer Corona-Infektion halbieren könnte.“ Allerdings werden keine konkreten Zahlen aus der Studie genannt, es bleibt unklar, wie die Forschenden zu diesem Ergebnis gekommen sind. Wobei ohnehin fraglich ist, ob sich die Beobachtungen im Laborexperiment auf den menschlichen Körper übertragen lassen.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Leser*innen könnten sich zu vermehrtem Kaffee-Konsum ermuntert fühlen, als einfache Schutzmaßnahme gegen Corona. Zu viel Kaffee kann aber auch schaden. Ein Übersichtsartikel der Apotheken-Umschau gibt dazu mehr Informationen. Menschen, bei denen Herzrhythmusstörungen im Zusammenhang mit Kaffeekonsum auftreten, sollten besser darauf verzichten. Auch Schweißausbrüche und Zittern, Nervosität und Schlafstörungen können Folge des Heißgetränks sein. Manchmal greifen die Bitterstoffe zudem die Magenschleimhaut an. Im journalistischen Beitrag der Nürnberger Nachrichten werden jedoch keine dieser Nebenwirkungen erwähnt. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Kaffee ist im Lebensmittelhandel verfügbar, das dürfte allen Leser*innen klar sein, ohne dass es im Artikel explizit erwähnt werden muss.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Im Verlauf der Covid-19-Pandemie wurden verschiedene Nahrungsbestandteile als potenzieller Schutz vor einer Corona-Infektion oder schweren Krankheitsverläufen diskutiert, so berichten es die Autor*innen der wissenschaftlichen Studie, die Anlass für den journalistischen Beitrag war: „Most notably an early report suggested that Vitamin D supplementation improves survival rate of critically ill patients. Further reviews summarize a series of potentially beneficial nutrition regimes.” Dies bleibt im journalistischen Text allerdings unerwähnt. Auch andere, bereits erwiesene Maßnahmen der Vorbeugung werden im Artikel nicht genannt, das Tragen von FFP2-Masken etwa oder das Lüften in geschlossenen Räumen.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Was Kaffee kostet, dürfte allgemein bekannt sein, und muss daher nicht thematisiert werden. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Symptome und mögliche Folgeprobleme einer Corona-Erkrankung werden im Text nicht benannt, also auch nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag zitiert am Ende zwar einen Experten, der die Laborversuche als wenig aussagekräftig einordnet: „Das ist es eine reine in-vitro-Studie (…). Es wurde nur biochemisch gezeigt, dass Kaffee-Inhaltsstoffe die Bindung des Spike-Proteins an den ACE2-Rezeptor hemmen können. Es gibt keine Daten mit echten Viren, und schon gar nicht mit Tierexperimenten.“ Demnach sei die Studie lediglich „ein Anfang“, so der Virologe Friedemann Weber. Allerdings kommt die Einordnung so spät im Text, dass sie die insgesamt viel zu positive Interpretation der Laborergebnisse nicht ausgleicht. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Der unabhängige Virologe Friedemann Weber wird – indirekt aus einem Beitrag auf Focus Online – zur Evidenz der Studie zitiert.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Interessenkonflikte des Forschungsteams werden im journalistischen Beitrag nicht thematisiert, obwohl manchen Leserinnen und Lesern aufgefallen sein könnte, dass die Jacobs Universität den Namen einer Kaffeemarke trägt. In der Danksagung der wissenschaftlichen Publikation findet sich ein Hinweis auf finanzielle Unterstützung durch die Jacobs University Bremen, an der das Forschungsteam angesiedelt ist. In jene Hochschule hatte die Jacobs-Stiftung im Jahr 2006 rund 200 Millionen Euro investiert und eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Gesellschafteranteile übernommen. Präsident des Stiftungsrat ist Christian Jacobs, geschäftsführender Teilhaber der Firma Joh. Jacobs & Co., die Kaffee vermarktet. Allerdings hat sich die Stiftung laut Wikipedia 2020 aus der Finanzierung der Jacobs University zurückgezogen. Deshalb kann hier zumindest kein direkter Interessenkonflikt postuliert werden. Auch hat ein kursorischer Check auf der Universitäts-Website und in zwei Publikationen von 2020 des zitierten Virologen keine Hinweise auf relevante Interessenkonflikte ergeben. Da jedoch die frühere Verbindung zur Jacobs-Stiftung unerwähnt bleibt, werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Kontext von SARS-CoV-2-Infektionen ist für durchschnittlich informierte Leser*innen im dritten Jahr der Pandemie selbsterklärend. Allerdings wäre es hilfreich gewesen zu erfahren, ob bereits andere Forschungsgruppen ähnliche Untersuchungen oder sogar Studien am Menschen durchgeführt haben. Oder warum eine Forschungsgruppe überhaupt auf die Idee kommt, solche Kaffeekomponenten als Mittel gegen SARS-CoV-2-Viren einzusetzen. Darüber ist im journalistischen Beitrag jedoch leider nichts zu finden.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Im Beitrag findet sich der Satz „Kaffeekonsum kann somit vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen.“ Das gibt die Publikation nicht richtig wieder. Dem hat allerdings die Pressemitteilung Vorschub geleistet, die Sätze enthält wie diesen: „So könnte sich eine Ansteckung mit dem Virus möglicherweise verhindern lassen.“ Selbst in der Pressemitteilung ist das schon übertrieben positiv dargestellt, im journalistischen Beitrag werden die vorsichtigen Relativierungen aber auch noch weggelassen. Zwar gibt es am Ende des journalistischen Beitrags noch die Einordnung als Labor-Studie, doch umfassen diese vorsichtig-kritischeren Passagen nur 20 Prozent des Textes.

Zudem werden Daten, die bereits in der Pressemitteilung missverständlich oder sogar falsch dargestellt sind, im journalistischen Beitrag noch weiter verzerrt. So wurde in dem Fachartikel, auf den sich die Pressestelle bezieht, die so genannte mittlere inhibitorische Hemmkonzentration der im Kaffee enthaltenden 5-Caffeoylchinasäure ermittelt. Diejenige Konzentration der Substanz also, die nötig ist, um die untersuchte Zielstruktur des Corona-Virus im Reagenzglas zu 50 Prozent zu hemmen. Die Pressemitteilung schreibt fälschlicherweise, dass die Substanz die Bindung des Spike-Proteins an den Rezeptor um den Faktor 50 hemmt. Daraus wird im journalistischen Artikel dann: „In Laborversuchen stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest, dass Kaffee die Wahrscheinlichkeit einer Corona-Infektion halbieren könnte.“ Das ist eindeutig falsch.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag greift die Einschätzung eines Virologen aus einem anderen Medium (Focus Online) auf, der offensichtlich nicht an der Studie beteiligt war. Das geht über die Pressemitteilung hinaus. Da es sich jedoch nicht um eine eigene Recherche handelt, werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der journalistische Beitrag ist locker geschrieben, enthält Zitate eines beteiligten Forschers und eines unabhängigen Experten. Sprachlich gesehen ist der Artikel allerdings inkonsistent: Im Anreißer steht: „soll (…) schützen“, im ersten Satz: „soll die Ansteckungsgefahr (…) mindern“. Das passt logisch nicht zum nächsten Satz: „Das fanden (…) heraus“. Hier hätte man eher schreiben müssen „Entsprechende Hinweise fanden…“. Im zweiten Absatz finden sich noch Relativierungen zur Wirksamkeit, während der vierte Absatz plötzlich alle Relativierungen fallen lässt: „Kaffeekonsum kann somit vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen.“ Aufmerksame Leser*innen dürfte das ratlos zurücklassen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Begriff Spike-Protein im Zusammenhang mit dem Corona-Virus ist inzwischen auch Nicht-Fachleuten geläufig. Dass es sich bei der Verbindung 5-Caffeoylchinasäure um einen Inhaltsstoff des Kaffees handelt, wird erklärt. Im Zitat des externen Experten wird der ACE2-Rezeptor benannt, aber nicht erläutert. Aus dem Kontext ist aber zu entnehmen, dass es sich um eine Struktur handelt, die im Zusammenhang mit dem „Andocken“ des Spike-Proteins steht.

Zudem verwendet der Virologe Weber den Ausdruck „in-vitro-Studie“, der einem Laienpublikum erklärt werden sollte. Auch spricht er davon, dass Kaffeeinhaltsstoffe „die Bindung des Spike-Proteins an den ACE2-Rezeptor hemmen können“. Was ein Rezeptor ist und welche Rolle er bei der Corona-Infektion spielt, hätte erklärt werden müssen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema ist zwar aktuell, aber nicht sonderlich relevant, da die Ergebnisse der Untersuchung noch keinerlei Aussage zum möglicherweise schützenden Effekt von Kaffee gegen Corona zulassen. Von Relevanz wäre zum Beispiel ein Text gewesen, der am Beispiel Kaffee die Ansätze schildert, in Nahrungsbestandteilen schützende Wirkungen gegen Corona zu finden. Dann wäre die Untersuchung in einen breiteren Kontext eingeordnet worden, der zudem die Schwierigkeit, solche Effekte nachzuweisen thematisiert hätte. Das hätte auch der Unausgewogenheit des Textes entgegengewirkt, der sich liest, als sei da ein simples wirksames Vorbeugemittel gegen Corona entdeckt worden. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2), da sich im Text schwerwiegende Faktenfehler finden.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar