Bewertet am 16. November 2022
Veröffentlicht von: Lisa

In einem Artikel der Zeitschrift „Lisa“ wird über die Therapie von Kreuzbandrissen im Kniegelenk berichtet – und über eine angeblich neue Studie, die den Erfolg einer konservativen Behandlung mit dem eines chirurgischen Eingriffs verglich. Auch wenn der Begriff Studie sehr weitläufig verwendet werden kann, entsteht so der Eindruck, die Forscher hätten selbst neue klinische Studiendaten erhoben. Tatsächlich handelt es sich bei der Fachpublikation um eine Meta-Analyse von Publikationen zu drei bereits abgeschlossenen Studien zum Thema. Vor allem aber ging es auch nicht um den Vergleich der konservativen Behandlung mit chirurgischen Eingriffen im Allgemeinen. Stattdessen sahen sich die Forschenden an, ob ein sofortiger Eingriff nach Kreuzbandriss gegenüber einer konservativen Therapie mit einer möglichen späteren Operation Vorteile bringt.

Zusammenfassung

Der journalistische Beitrag der Zeitschrift „Lisa“ nimmt eine im August erschienene Übersichtsarbeit zur Therapie des Kreuzbandrisses zum Anlass, über verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zu berichten. Leider wird jedoch auf die Art, den Umfang oder die Qualität des Reviews und die Belastbarkeit der Ergebnisse mit keinem Wort eingegangen. Selbst Unsicherheiten, auf die die Autoren des Reviews und auch die zugehörige Pressemitteilung mehrfach hinweisen, blendet der Artikel völlig aus. Im journalistischen Text wird stattdessen eher Allgemeinwissen zum Knie und Knieverletzungen vermittelt: Wie stark das Knie beim Laufen belastet wird, wie es zu einem Kreuzbandriss kommen kann, was die PECH-Regel bei akuten Sportunfällen besagt. Und zum Schluss geht es dann auch noch um spezielle OP-Methoden. Unabhängige Expert*innen kommen leider nicht zu Wort, auch auf das Thema Kosten geht der Text nicht ein.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht abrufbar. 

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im Artikel heißt es, dass eine konservative Behandlung eines Kreuzbandrisses „meist genauso effektiv ist, wie eine Operation“. Dies habe eine neue Studie ergeben. Tatsächlich ergab die Auswertung von drei Studien in einem relativ neuen Review, dass es wahrscheinlich keine besseren Ergebnisse bringt, stets sofort zu operieren. Wenn zunächst mit Physiotherapie oder ähnlichen Methoden behandelt wurde und später nur dann operiert, wenn die konservative Therapie nicht genügte, waren die Ergebnisse nicht schlechter. Unklar bleibt, wie viele der zunächst konservativ behandelten Patienten nach einiger Zeit doch operiert wurden. Damit ist der Nutzen von konservativer Behandlung vs. OP im Artikel nicht korrekt dargestellt.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Die Risiken einer chirurgischen Behandlung des Kreuzbandrisses werden im Artikel ebenso wenig angesprochen wie die Frage, ob eine Verzögerung der OP auch Risiken mit sich bringen könnte. Das IQWiG zum Beispiel fasst die Risiken so zusammen: „Ein Riss am vorderen Kreuzband kann erfolgreich konservativ behandelt oder operiert werden. Der Vorteil der konservativen Behandlung ist die schnellere Genesung. Ein Nachteil kann sein, dass das Knie danach nicht immer stabil genug ist. Etwa jeder Zweite lässt sich deshalb später doch noch operieren.“ Siehe auch: gesundheitsinformation.de oder auch die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie DGU: awmf.org,  Punkt 8.8

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Dass beide Behandlungsansätze verfügbar sind, wird im Artikel zumindest indirekt klar, da ja die Ergebnisse beider Ansätze verglichen werden. Unklar bleibt, wer (ambulante / stationäre Versorgung) welche Behandlungen für welche Patientengruppen (jüngere / ältere) anbietet. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es werden zwei alternative Behandlungsansätze verglichen. In einem Foto unterhalb des Artikels wird zudem auf Kinesiotapes verwiesen, ohne dass jedoch ersichtlich wäre, welche Rolle diese bei einem Kreuzbandriss spielen, da nur erklärt wird, dass sie bei Schmerzen helfen könnten.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Kosten spricht der Betrag nicht an, obwohl die geringeren Kosten einer konservativen Behandlung offenbar ein wichtiger Aspekt sind, der in der Studie genannt wird („a ,stepped care approach‘ with a primarily rehabilitation focused treatment approach seems appropriate, especially pertaining to cost-effectiveness“). Auch die Pressemitteilung erwähnt die „erheblichen finanziellen Kosten für das Gesundheitssystem“ bei der operativen Therapie.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es findet sich keine übertriebene Darstellung des Kreuzbandrisses.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Darstellung der Evidenz ist in mehrfacher Hinsicht zu bemängeln. So ist von einer „neuen Studie“ die Rede, während es sich tatsächlich um einen Review handelt, der drei zum Teil schon ältere Studien mit insgesamt 320 Patient*innen auswertet. Zwar kann der Begriff „Studie“ sehr breit verwendet werden, dennoch wäre zumindest ein Hinweis auf die Meta-Analyse hilfreich gewesen. Vor allem aber weisen die Autor*innen des Reviews mehrfach darauf hin, dass die Evidenz für die dargestellten Ergebnisse eher gering ist, und dass weitere Studien nötig sind, um die vorläufigen Trends zu bestätigen (oder zu widerlegen). Sie schreiben: „The task of future research will be to define valid predictors for an individual’s success or failure with primary non-surgical care to enable an evidence-based clinical decision-making process“. Das heißt, es ist noch viel Forschung nötig, bis für den individuellen Patienten zuverlässig vorausgesagt werden kann, ob eine nicht-operative Versorgung die Methode der Wahl ist.

Dies gilt etwa auch für die Aussage, bei einem gleichzeitig vorhandenen Meniskusschaden bringe eine OP der Vorteile. Der Artikel versäumt es, auf diese Einschränkungen hinzuweisen. Es fehlt zudem der wichtige Hinweis, dass es sich um einen „Living Review“ handelt, der jährlich aktualisiert wird.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Im journalistischen Beitrag bleibt unklar, woher die darin aufgeführten Informationen stammen. Dies ist auch deshalb bedauerlich, weil es sich um einen Open Access Fachartikel handelt, in dem Interessierte die Auswertungsergebnisse im Original nachlesen könnten. Leider wird keine zweite Quelle herangezogen, um die Ergebnisse einzuordnen, unabhängige Expert*innen werden nicht zitiert.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Der Artikel erwähnt keine Interessenkonflikte, uns sind allerdings auch keine Abhängigkeiten aufgefallen, die hier zu erwähnen gewesen wären. Daher werten wir „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag liefert zwar einige allgemeine Informationen zum Kreuzbandriss, jedoch wird die vorgestellte „neue Studie“ (tatsächlich ein neuer Review) nicht eingeordnet. Zu erwähnen gewesen wäre hier zumindest die aktuelle Leitlinie, die eine operative Behandlung eher für „jungen und aktiven Patienten“ empfiehlt, ansonsten sei aber auch eine konservative Therapie bei engmaschiger Kontrolle möglich. Auch die Leitlinie weist die insgesamt mangelnde Evidenz hin. Was das Neue an der vorgestellten Publikation ist, wird nicht ausreichend deutlich. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Es liegt nicht eine neue Studie, sondern eine neue Übersichtsarbeit vor, in der drei Studien aus den Jahren 2010, 2016 und 2021 ausgewertet wurden. Im journalistischen Beitrag aber wird der Eindruck erweckt, es lägen neue Studienergebnisse vor, die ein neues Licht auf die Diskussion um die verschiedenen Therapieoptionen bei Kreuzbandriss werfen. Da dies die Leser*innen in die Irre führt, werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Beitrag geht über die Pressemitteilung hinaus, da er einige allgemeine Informationen zum Thema Kreuzbandriss liefert. In Bezug auf die vorgestellte Publikation bleibt der Informationsgehalt des Artikels allerdings weit hinter der Pressemitteilung zurück. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag ist teilweise etwas holprig formuliert („bei einem gemütlichen Spaziergang durch einen ungeschickten Sturz“.  Auch gerät das Knie durch Bewegung nicht „aus dem Takt“. Insgesamt werden verschiedene Informationen zu Knieverletzungen, Sportunfällen und Kreuzbandriss ohne überzeugende Dramaturgie im Text aneinandergereiht. Bei einem Foto, auf dem Beine mit Kinesiotapes zu sehen sind, bleibt völlig offen, in welchem Zusammenhang dieses zum Artikel steht, obwohl es fast so groß wie der gesamte Artikel ist. Hilfreich ist eine Grafik, die zeigt, wo im Knie die Kreuzbänder zu finden sind.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Die einzelnen Aspekte werden verständlich beschrieben, Fachbegriffe vermieden. Eine anatomische Grafik macht deutlich, wo die Kreuzbänder im Knie zu finden sind.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema „Therapie des Kreuzbandrisses“ ist durchaus relevant, eine relative neue Übersichtsarbeit (publiziert im August 2022) stellt auch einen angemessen aktuellen Anlass für die Berichterstattung dar.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2), da zentrale Kriterien wie Nutzen, Risiken, Einordnung der Studienqualität „nicht erfüllt“ gewertet wurden.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar