In einem journalistischen Beitrag in „Bild der Frau“ wird über den Trend berichtet, dass zunehmend jüngere Menschen ein künstliches Kniegelenk erhalten. Vor allem geht es im Text um alternative Maßnahmen, die ergriffen werden können, um die Operation zumindest hinauszuschieben. Der Nutzen des Kniegelenkersatzes kommt dabei jedoch zu kurz. Zudem wird als alternative Behandlungsmöglichkeit die Einnahme von Trinkampullen mit Kollagen erwähnt, das den Gelenkknorpel angeblich geschmeidig halten soll, gleich neben einer großen Anzeige für ein solches Produkt. Unabhängige Experten oder Quellen kommen im Artikel leider nicht vor.
Zusammenfassung
Ein Artikel der Zeitschrift „Bild der Frau“ berichtet, dass auch wirtschaftliche Interessen von Kliniken bei der Entscheidung für ein künstliches Kniegelenk eine Rolle spielen – und zunehmend jüngere Menschen operiert würden. Allerdings vermittelt der journalistische Beitrag dabei nicht den Nutzen des Kniegelenkersatzes. Stattdessen werden explizit Risiken und Nachteile der Operation benannt, um dann die Vorzüge der konservativen Therapie herauszuarbeiten. Dabei kommen keine unabhängigen Experten zu Wort und die Qualität der Evidenz wird nicht thematisiert. Am Schluss des Beitrags findet sich zudem eine deutliche Empfehlung für ein fragwürdiges Präparat, das in einer großflächigen, optisch ähnlich aufgemachten Anzeige direkt daneben beworben wird. Dies stellt einen Verstoß gegen den Pressekodex dar, der die strikte Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt fordert. Insgesamt entsteht dadurch der Eindruck, dass die Nachteile des operativen Vorgehens deutlich betont sind, um zum Einsatz alternativer Verfahren und damit auch das beworbene Präparat hinzuführen.
Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht abrufbar.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Obwohl der operative Gelenkersatz den Schwerpunkt des Artikels bildet, geht es fast gar nicht um den Nutzen der medizinischen Maßnahme, sondern nur um deren Nachteile und die Alternativen. („Ein Gelenkersatz ist dabei aber tatsächlich nicht die vermeintlich schnellste und einfachste Lösung.“) Gleich darauf folgt eine Warnung: „Wer ungeduldig einfach ein neues Knie will, blendet aus, dass immerhin 20 Prozent aller Patienten auch nach der Operation noch an Schmerzen leiden.“ Im Weiteren geht es dann um Risiken und konservative Behandlungen. Der Artikel endet mit dem „Extra-Tipp: Auch mit einer Sonder-Portion Kollagen, etwa aus Trinkampullen, kann man den Gelenkknorpel stärken (…).“ Dieser Hinweis korrespondiert mit Werbung für ein solches Kollagen-Präparat, die auf den zwei Seiten des Artikels ebenso viel Raum einnimmt wie der Text. Diese zu verstärken scheint also die Intention des Artikels zu sein, und nicht über den Nutzen der medizinischen Methode zu informieren. Für oral einzunehmende Kollagen-Präparate gibt es keinen Nachweis eines Nutzens.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Die Risiken und Nebenwirkungen werden im Unterschied zum Nutzen ausführlich geschildert: „Ein chirurgischer Eingriff ist darüber hinaus jedes Mal mit Risiken verbunden: Das Kunstgelenk kann sich lockern, entzünden, verrutschen. Und es muss nach rund 15 Jahren ausgetauscht werden…“, „Mit der immer weiter steigenden Zahl wächst auch die Komplikationsrate: 35.000 Ersatzhüften müssen jedes Jahr wieder ausgetauscht werden.“ Auch erfahren die Leserinnen, dass 20 Prozent der Patientinnen nach dem Eingriff noch unter Schmerzen leiden. Hier hätte allerdings genauer formuliert werden können. Laut der Patienteninformationsseite des IQWIG leiden 20 Prozent unter starken Schmerzen oder anderen Problemen, etwa, dass sie das Knie nicht richtig beugen können: siehe hier. Die Leserinnen erfahren weiter, dass jeder Eingriff mit Risiken verbunden sei, da sich die Prothese lockern oder verrutschen könne. Es könne auch zu einer Entzündung kommen, heißt es schließlich.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Dass die operative Gelenkprothetik eine weithin verfügbare medizinische Maßnahme ist, kann man als Allgemeinwissen voraussetzen. Indem der Artikel hohe Zahlen nennt („200.000 künstliche Hüften werden in Deutschland pro Jahr eingesetzt.“) wird klar, dass solche Operationen an vielen Orten häufig durchgeführt werden.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Alternativen zur Gelenkersatz-Operation thematisiert der Artikel ausführlich: „Konservative Methoden zur Behandlung stützen sich vor allem auf gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung.“ Es geht um die Verringerung von Übergewicht („Jedes Kilo mehr auf den Hüften müssen die Knie schließlich jeden Tag tragen…“) und um „gelenkschonende Sportarten“. Das seien „zum Beispiel Radfahren, Nordic Walking, Schwimmen.“ Im Weiteren geht es um gelenkfreundliches Schuhwerk. Wünschenswert wäre allerdings noch gewesen, die Leser*innen auch über die Möglichkeit des Teilgelenkersatzes zu informieren.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Die Kosten des Gelenkersatzes werden nicht konkret beziffert, allerdings erfahren die Leserinnen, dass die Operation für Kliniken „extrem lukrativ“ sei. Wobei allerdings unerwähnt bleibt, dass der Gelenkersatz bei gegebener Indikation eine Kassenleistung darstellt. Und gerade, weil es um den Vergleich zwischen OP und konservativer Therapie geht, wären mehr Informationen über die Kosten wünschenswert gewesen, um die Vor- und Nachteile der verschiedenen Therapieverfahren richtig abwägen zu können. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Der Beitrag stellt die Knie- und Hüftgelenksarthrose nicht übertrieben dar. Dass die Arthrose mit zunehmendem Alter ein häufiges Gesundheitsproblem ist, setzt der Artikel legitimerweise als bekannt voraus. Und der Tenor, nicht vorschnell zu operieren, sondern konservative Therapiemethoden auszureizen, ist dem Thema angemessen.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Der Artikel kritisiert zwar, dass Gelenkersatz-Operationen häufig revidiert werden müssen („35.000 Ersatzhüften müssen jedes Jahr wieder ausgetauscht werden.“) und quantifiziert die Rate der Misserfolge bezogen auf das Symptom Schmerz („(…), dass immerhin 20 Prozent aller Patienten auch nach der Operation noch unter Schmerzen leiden.“). Die Leser*innen erfahren jedoch nicht, worauf die Angabe zu den Schmerzen beruht. Ebenso wenig wird klar, wie sicher belegt ist, dass eine Prothese nach 15 Jahren ausgewechselt werden muss.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Unabhängige Experten kommen in dem Artikel nicht zu Wort und für genannte Fakten werden keine Quellen genannt. Zwar nennt der Bericht diverse interessante Zahlen („200.000 künstliche Hüften werden in Deutschland pro Jahr eingesetzt… 35.000 Ersatzhüften müssen jedes Jahr wieder ausgetauscht werden.“ „Laut Experten ist jedes 5. Kunstgelenk überflüssig.“) Aber woher die Zahlen stammen und wer diese Experten sind, bleibt unklar. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
In diesem journalistischen Beitrag ist das Thema des Interessenkonfliktes auf zwei verschiedenen Ebenen zu betrachten. Zunächst einmal geht es um einen Interessenkonflikt als zentrale These des Berichts und wird gleich zu Anfang benannt: „Weil der Einsatz von künstlichen Gelenken für Krankenhäuser in Deutschland so extrem lukrativ ist, würde in den Kliniken nicht immer nur aus medizinischen Gründen zum Skalpell gegriffen.“
Doch findet sich darüber hinaus offensichtlich auch ein Interessenkonflikt von Seiten der Redaktion bzw. des Verlags: Am Ende des journalistischen Beitrags werden Trinkampullen mit Kollagen als konservative Behandlungsmethode als „Extra-Tipp“ beworben – und links und rechts des redaktionellen Inhalts findet sich eine großflächige, optisch ähnliche Anzeige, die für ebensolche Trinkprodukte wirbt. Ein Vorgehen, das gegen den Pressekodex verstößt. Da dieser zweite Interessenkonflikt nicht benannt wird und von uns als gravierende Irreführung gewertet wird, werten wir hier „NICHT ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Knieprothesen werden bereits seit Ende der 1960er Jahre in größeren Zahlen eingesetzt. Operationstechnik und Materialien haben sich im Laufe der Jahrzehnte weiterentwickelt, so dass es sich um eine häufige Standardoperation handelt. Dies wird implizit deutlich, da es heißt, der Eingriff werde von Kliniken wohl zu häufig vorgenommen. Wichtig ist der Hinweis, dass zunehmend jüngere Patientinnen und Patienten operiert werden, für die es Alternativen gibt, die eine Operation zumindest hinauszögern können.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Die Behauptung, dass „Kollagen-Peptide“ die Körperscharniere von innen gesund halten können, ist nicht belegt – und erscheint auch widersinnig, da das Kollagen im Magen-Darm-Trakt abgebaut und verdaut wird und nicht etwa in das Kniegelenk gelangt.
Zudem ist die Zahl von jährlich ca. 200.000 „künstlichen Hüften“ in Deutschland zwar richtig, aber nur etwa 150.000 davon erfolgen wegen einer Arthrose. Missverständlich erscheint zudem eine Formulierung im Kasten zum Hüftgelenkersatz: „Mit der immer weiter steigenden Zahl wächst auch die Komplikationsrate: 35.000 Ersatzhüften müssen jedes Jahr wieder ausgetauscht werden.“ Das klingt so, als müssten von den 200.000 jedes Jahr neu eingesetzten Hüftgelenken 35.000 noch mal getauscht werden. Tatsächlich bezieht sich die Zahl 35.000 vermutlich auf die jährlichen Re-Operationen bei künstlichen Hüftgelenken – sie werden beim einzelnen Patienten nach 15 bis 20 Jahren nötig.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Uns liegt keine Pressemitteilung zu diesem Beitrag vor. Wir gehen daher von einer journalistischen Eigenleistung aus, auch wenn wir nicht ausschließen können, dass hier womöglich Pressematerial verwendet wurde bzw. auch direkte Informationen von Seiten des Herstellers der Trink-Ampullen eingeflossen sind.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Der Artikel macht auf mit einer besorgniserregenden Meldung, die zum Lesen anreizt: Womöglich werden aus kommerziellen Gründen zu viele Kniegelenke ersetzt. Dass seit einiger Zeit zunehmend Menschen unter 60 operiert werden, wird als Beleg angeführt, der diese Annahme stützt, allerdings sind die Zahlen dazu sechs bzw. neun Jahre alt. Warum ausgerechnet diese beiden Jahre ausgewählt wurden, bleibt offen. Dadurch könnte das Thema dramatisiert werden. Im Folgenden fasst der Text insbesondere Informationen zu Maßnahmen zusammen, die alternativ zu einer Prothesenoperation in Frage kommen. Leider kommen jedoch keine Betroffenen zu Wort, was den Text noch viel attraktiver gemacht hätte. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Die Art und Weise der Vermittlung des Themas ist gut verständlich. Der Artikel liefert zahlreiche Informationen über die verschiedenen Therapie- und Vorbeugungsmöglichkeiten, die nah an der Lebenswirklichkeit der Leserinnen und damit laiengerecht sind.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Das Thema ist relevant, da weit mehr als 100.000 Menschen jedes Jahr ein neues Kniegelenk erhalten. Der Trend zu jüngeren Patientinnen und Patienten macht das Thema latent aktuell, allerdings präsentiert der Artikel Zahlen aus den Jahren 2013 und 2016, damit fehlt ein aktueller Anlass und bleibt offen, warum der Artikel gerade jetzt erscheint: Der Kniegelenkersatz ist ein Standardverfahren, Neuigkeiten sind im Text nicht enthalten. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.
Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt
Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2), weil Werbung und redaktioneller Inhalt nicht klar voneinander getrennt wurden.