Bewertet am 7. Oktober 2022
Veröffentlicht von: brigitte.de

In einem Artikel des Online-Auftritts der Zeitschrift Brigitte wird über eine Studie berichtet, die den Einfluss von Sport auf die mentale Gesundheit untersucht hat. Demnach sollen drei bis fünf Einheiten für je 30 bis 60 Minuten „ideal“ sein, längere Einheiten dagegen das psychische Befinden wieder verschlechtern. Es werden indes keine unabhängigen Expert*innen oder Quellen im journalistischen Beitrag erwähnt, auch wird nicht deutlich gemacht, dass es sich bei diesen Studienergebnissen nur um Korrelationen handelt, ein ursächlicher Zusammenhang damit also nicht belegt ist.

Zusammenfassung

Der Online-Auftritt der Frauenzeitschrift Brigitte greift in einem journalistischen Beitrag die Frage auf, inwiefern Sport die mentale Gesundheit verbessert. Anlass für die Berichterstattung ist eine als neu bezeichnete Studie aus dem Fachjournal „The Lancet Psychiatry“, die jedoch bereits vor vier Jahren erschienen ist. Hier wird den Leserinnen und Leser also eine Aktualität suggeriert, die so nicht gegeben ist. Auch werden leider keine unabhängigen Expert*innen zitiert, die die Studienergebnisse einordnen. Damit bleibt auch unerwähnt, dass die in der Untersuchung gemessenen Beobachtungen lediglich eine Korrelation zwischen der psychischen Gesundheit der Probanden und deren sportlicher Aktivität  darstellen. Ob und wie die Bewegung kausal mit dem mentalen Befinden der Studienteilnehmer zusammenhängt, lässt sich aus dieser Studie nicht ersehen. Zumal der Artikel ein anderes Studienergebnis unerwähnt lässt: Achtsamkeitsbasierte Trainingspragramme wie Tai-Chi und Yoga reduzierten die Tage, an denen die Proband*innen unter psychischen Problemen litten, besonders deutlich. Das wäre für Leserinnen und Leser noch eine interessante Information gewesen. Stattdessen wird im Artikel behauptet, dass ein regelmäßiges Workout für das psychische Wohlbefinden besser ist als finanziell gut gestellt zu sein. Das jedoch geben die Studienergebnisse gar nicht her, sie zeigen lediglich einmal mehr, dass finanziell besser gestellte Menschen weniger gesundheitliche Probleme haben.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Es wird zutreffend berichtet, dass mäßige körperliche Aktivität mit besserer mentaler Gesundheit einhergeht, so geht es aus der Fachpublikation in „Lancet Psychiatry“ hervor. Zugleich wird aber behauptet, dass der Sport die Ursache für das größere Wohlbefinden sei. Dies ist aus der Studie jedoch nicht abzuleiten. Wie in der Lancet-Publikation zumindest ansatzweise diskutiert wird, könnte es auch sein, dass Personen mehr Sport treiben, weil es ihnen mental besser geht – und nicht etwa umgekehrt.

Zudem wird teilweise irreführend über die möglichen positiven Effekte berichtet: „Offenbar macht uns regelmäßiges Workout auf Dauer glücklicher als Geld.“, heißt es im journalistischen Beitrag. Doch ist in der Studie nicht explizit von Glück und schon gar nicht von dauerhaftem Glück die Rede.

In der Studie mit Gesundheitsdaten von mehr als einer Million Amerikanerinnen und Amerikanern ging es um den Zusammenhang zwischen sportlicher Aktivität und seelischem Wohlbefinden. Auch soziökonomische Daten wie Bildungsabschlüsse und monatliches Einkommen wurden erfasst. Dabei zeigte sich auch in dieser Studie: je gebildeter und je reicher, desto gesünder. Immerhin wird später im Beitrag korrekt berichtet: „Die körperlich aktiven Teilnehmenden fühlten sich genauso gut wie diejenigen, die keinen Sport machen, aber rund 25.000 Dollar mehr im Jahr verdienten als die aktiven Personen.“ Völlig aufgelöst wird dieser Aspekt jedoch nicht. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Dass sehr viel Sport auch zu viel Sport sein kann, wird thematisiert:  „(…) die Studie belegt auch, dass unser Wohlbefinden durch Sport nur für eine bestimmte Trainingszeit pro Woche verbessert wird. Genauer: Drei bis fünf Einheiten für je 30 bis 60 Minuten sollen ideal sein. Dagegen war die mentale Gesundheit der Proband:innen, die länger als drei Stunden pro Tag trainierten, schlechter als die der Personen, die gar nicht aktiv waren.“ Auf die genauen Folgen von zu intensivem Training oder falschen Training hätte noch genauer eingegangen werden können. Dennoch werten wir insgesamt noch knapp „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es ist offensichtlich, dass die Möglichkeit Sport zu treiben allgemein verfügbar ist. Das muss hier also nicht eigens angesprochen werden.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Welche anderen modifizierbaren Faktoren neben Bewegung und Sport Einfluss auf das seelische Wohlbefinden haben, wird nicht thematisiert. Es sei denn, wir akzeptieren diese Passage als alternative Behandlungsart, die vorgestellt wird: „ (…) man müsste deutlich mehr Geld verdienen, um den gleichen Glücks-Boost zu erreichen, den Sport hat.“ Sonstige Ansätze, um etwa Depressionen oder andere psychische Probleme zu behandeln, spricht der Beitrag nicht an.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Dass es durchaus mit Kosten verbunden ist, regelmäßig Sport zu treiben – Vereinsbeiträge zum Beispiel, Kosten für Fitnessstudios, Sportausrüstung – wird im Beitrag nicht erwähnt. Die mangelnde Teilhabe beispielsweise von Kindern aus armen Familien in Sportvereinen ist ein Problem. Mädchen und Jungen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus treiben weniger Sport; zugleich kommen bei Kindern aus Familien mit niedrigem sozialen Status psychische Auffälligkeiten häufiger vor (siehe auch hier S. 20 ff.) Da der journalistische Beitrag auf diese sehr relevanten, sozialen Faktoren nicht eingeht, werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es werden keine spezifischen Krankheiten angesprochen, insofern sind auch keine diesbezüglichen Übertreibungen möglich. Daher werten wir das Kriterium als „nicht anwendbar“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die dem Beitrag zugrunde liegende Quelle ist ein vier Jahre alter Beitrag im Fachjournal „The Lancet Psychiatry“. Zum Vorgehen der Forschenden finden sich nur wenige Angaben. So wird die Zahl der in der Studie erfassten Personen genannt. Auch wird erwähnt, dass die Angaben zur mentalen Gesundheit wie auch zu Art und Umfang sportlicher Aktivitäten auf Selbstauskünften der Teilnehmenden in Fragebögen beruhen. Dass sich viele Angaben auf telefonische Selbstauskünfte der Proband*innen beziehen, bleibt dagegen unerwähnt. Auch wird nicht deutlich gemacht, welche Unsicherheiten mit diesem Vorgehen verbunden sind. Da es sich bei dieser Querschnittsstudie um eine Momentaufnahme des psychischen Befindens und der sportlichen Aktivität der Probanden handelt, lässt sich aus den Ergebnissen nicht eindeutig sagen, ob Sport die psychische Gesundheit fördert, oder ob mangelnde psychische Gesundheit zu weniger Sport und anderen körperlichen Aktivitäten führt. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Die Studie wird nicht von unabhängigen Expert:innen eingeordnet, auch unabhängige Quellen kommen im Artikel nicht vor.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Der Beitrag macht keine Angaben zu Interessenkonflikten. Für uns sind aber auch keine Konflikte ersichtlich, die hier hätten genannt werden müssen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Lancet-Artikel erläutert, dass es schon vor dieser Studie eine Vielzahl von Untersuchungen zum Zusammenhang von Sport und mentaler Gesundheit gegeben hat – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Der journalistische Beitrag dagegen weist nicht auf diesen Hintergrund hin. Auch bleibt offen, ob es seit der schon länger zurückliegenden Lancet-Publikation (siehe Kriterium 11) weitere Studien zum Thema gegeben hat. Der Beitrag liefert keinerlei Informationen, die über die Lancet-Studie hinausgehen.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Falsch ist die Aussage gleich in der ersten Zeile des Beitrags, es handele sich um „neue Studienergebnisse“. Der zugrunde liegende Beitrag in „Lancet Psychiatry“ ist vier Jahre alt. (Auch die Aussage „Sport macht glücklich“ und weitere ähnliche Aussagen im Text, sind durch die Studienergebnisse nicht belegt, siehe auch Kritierium 7.) Auch manche Formulierungen im Text sind irreführend, etwa hier: „Offenbar macht uns regelmäßiges Workout auf Dauer glücklicher als Geld.“ Und auch kleine Missverständnisse finden sich im Artikel. Da ist von „Cycling-Kursen“ die Rede, im Fachartikel wird dagegen nur das Cycling erwähnt, also Fahrradfahren.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir haben keine Pressemitteilung gefunden. Daher gehen wir von einer eigenen Rechercheleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Einstieg, Gliederung und Zwischenüberschriften laden zum Lesen ein, einige Formulierungen sind allerdings recht unbeholfen, etwa: „Personen, die sich regelmäßig bewegten, fühlten sich durchschnittlich 35 Tage im Jahr auf mentaler Ebene unwohl.“ Erst im folgenden Satz wird klar, dass sie sich besser fühlten als diejenigen, die keinen Sport treiben. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Im Beitrag wird deutlich, dass die vorgestellte Lancet-Studie die sportliche Aktivität und die mentale Gesundheit der Probanden untersucht hat. Auch wird erklärt, dass vor allem jene Studienteilnehmer mit mäßiger sportlicher Aktivität ein größeres psychisches Wohlbefinden zeigten als andere. Schade ist, dass der Text wiederholt einen kausalen Zusammenhang suggeriert (siehe auch Kriterien 1 und 7). Manche Aussagen bleiben zudem unverständlich, etwa hier: „Das Fazit: Personen, die sich regelmäßig bewegten, fühlten sich durchschnittlich 35 Tage im Jahr auf mentaler Ebene unwohl. Bei Probanden, die körperlich kaum aktiv waren, waren es 18 Tage mehr.“ Dies ist nicht nur ungelenk formuliert (siehe Kriterium 13). Es bleibt auch unklar, was damit genau gemeint ist und wie das in Fragebögen oder Telefonaten erfasst wurde. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Welche Rolle körperliche Aktivitäten für unser körperliches und seelisches Befinden spielen, ist ein äußerst relevantes Dauerthema. Allerdings sollte als Anlass für eine Berichterstattung keine vier Jahre alte Studie dienen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 5 von 14 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar