Bewertet am 9. August 2022
Veröffentlicht von: Laura
In einem journalistischen Beitrag der Zeitschrift „Laura“ wird über die persönliche Erfahrung einer Redakteurin bei einer Augen-Operation berichtet. Da die Journalistin keine Gleitsichtbrille tragen möchte, entscheidet sie, sich multifokale Kunstlinsen einsetzen zu lassen. Leider erwähnt der Artikel jedoch nicht in konkreten Zahlen, welche Vorteile diese Operation für die Patientin bietet, auch auf mögliche Risiken geht der Text nicht ein. Zu Wort kommt nur der behandelnde Arzt, unabhängige Expert*innen werden leider nicht zitiert.

Zusammenfassung

Im vorliegenden Artikel der Zeitschrift „Laura“ wird zunächst die persönliche Abneigung der Autorin gegen Gleitsichtbrillen thematisiert. Obwohl es sich bei der Alterssichtigkeit um einen natürlichen Prozess und keine Krankheit handelt, wird nur eine Augen-Operation als Alternative zur Brille genannt. Kontaktlinsen dagegen werden als Option nicht erwähnt.  Im Artikel wird ein einziger Mediziner zitiert, wobei nur indirekt deutlich wird, dass es sich um einen Arzt handelt, der genau diese Eingriffe am Auge durchführt, also einen Interessenkonflikt hat. Außer der persönlichen und sehr allgemein gehaltenen Erfahrung der Autorin finden sich im Text keinerlei Quellen und Belege für Nutzen oder Nachteile des Verfahrens. Auch wird im Text – sehr werbend – nur eine einzige Klinikkette genannt, die diesen Eingriff anbietet. Dabei handelt es sich um eine Operation, die bereits breitflächig in Deutschland zum Einsatz kommt.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht verfügbar.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Die positiven Effekte werden nicht ausreichend dargestellt. Beschrieben werden ausschließlich die persönlichen Erfahrungen der Autorin, die sich nicht an eine Lesebrille gewöhnen konnte und sich nach der OP freut, wieder Kleingedrucktes lesen zu können. Irreführend ist die Angabe, es handle sich um die zweithäufigste OP in Deutschland mit einer Erfolgsquote von über 99 Prozent. Gemeint ist, dass die gleiche OP-Technik bei der Behandlung des grauen Stars verwendet wird, worauf sich die Erfolgsquote bezieht, bleibt jedoch unklar. Dass es gelingt, die neue Linse einzusetzen? Dass die Patienten damit zurechtkommen? Dass es keine Komplikationen gibt? Das wird im Text nicht näher erklärt.

Auch wird nicht darauf eingegangen, was eine solche Multifokallinse – bei einer erfolgreichen Therapie – leisten sollte: Nach dem Eingriff sollten nämlich drei Ebenen der Scharfeinstellung gewährleistet sein, in die Weite scharf sehen (Autofahren), ganz in der Nähe (beim Buch lesen oder Einfädeln eines Fadens in eine Nadel) und in einem mittleren Bereich (zum Beispiel am Computerarbeitsplatz oder Verrichtungen im Alltag). Nicht alle Kunstlinsen decken diese drei Bereiche ab, was im Beitrag jedoch nicht thematisiert wird. Insgesamt bleibt also leider unklar, wie erfolgreich diese OP-Methode beim Einsatz von Multifokallinsen tatsächlich ist und was als Erfolg definiert wird. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Risiken der OP werden nicht angemessen beschrieben. So hätte im Text das allgemeine Infektionsrisiko bei einem operativen Eingriff erwähnt werden müssen, und auch, dass die hintere Wand der Linsenkapsel eintrüben kann, was nicht so selten vorkommt und erneute Eingriffe notwendig macht (siehe hier). Auch der im journalistischen Beitrag genannte Anbieter Smile Eyes nennt auf seiner Webseite diesen Nachstar.

Auch wenn die OP-Risiken insgesamt nicht hoch sind, hätten sie doch genannt werden müssen, um die Leser*innen umfassend zu informieren, siehe hier: Verletzung der Linsenkapsel bei etwa 2 bis 3 von 100 Operationen, Verletzung der Iris oder des Augapfels bei weniger als 1 von 100 Operationen, Schwellung der Netzhaut: bei etwa 2 bis 3 von 100 Operierten, Verschiebung der Linse bei etwa 1 von 100 Operierten, Netzhautablösung: bei etwa 1 von 100 Operierten, Entzündung des Augeninneren (Endophthalmitis) bei weniger als 1 von 100 Operierten.

Genannt wird im Beitrag lediglich die eingeschränkte Nachtsicht, an die man sich „gewöhne“. Dies ist aber durchaus nicht immer der Fall. Laut eines Cochrane Reviews ist unklar, ob die Vorteile der Multifokallinsen die negativen Effekte aufwiegen, wie eben die häufiger auftretenden Lichtkreise (Halos) und Blendungseffekte, siehe auch hier.

Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird zwar berichtet, dass die Behandlung durch das Unternehmen Smile Eyes an 14 Standorten in Deutschland angeboten wird. Es könnte so bei den Leser*innen der Eindruck entstehen, dass dies der einzige Anbieter des Verfahrens sei. Immerhin wird im Text indirekt deutlich, dass es sich um keine seltene Therapie handelt, weil die Patientin offensichtlich schon länger mit dem Gedanken gespielt hat, die Behandlung ihr offensichtlich bereits bekannt war. Auch wird erwähnt, dass die Krankenkassen unter bestimmten Bedingungen die Kosten übernehmen. Daher werten wir insgesamt noch knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Eine der wichtigsten Alternativen, um die Brechung am Auge zu beeinflussen, ist die Brille, die wird genannt. Allerdings werden Kontaktlinsen als risikoarme, weitere Alternative zu einem operativen Eingriff, nicht erwähnt.

Klar ist, dass die Kunstlinsen-OP eine Alternative zur Brille sein kann. Wichtige Unterschiede zwischen den Kunstlinsen, (Bifokal, Trifokal, Gleitsicht, siehe z.B. hier) werden nicht erläutert. Leserinnen und Leser erfahren auch nicht, ob mit Multifokallinsen in allen Bereichen die gleiche Sehschärfe erreicht wird, wie mit einer Brille. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Es werden zwar die Kosten der OP (bis zu 7000 €) genannt. Irreführend ist dagegen die Aussage: „Die Krankenkassen zahlen nur, wenn man unter grauem Star leidet“. Auch dann sind nur die einfachen Kunstlinsen Kassenleistung, nicht aber die hohen Zusatzkosten für Multifokal-Linsen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es wird nur kurz und nur indirekt auf die Alterssichtigkeit eingegangen, ein natürlicher Alterungsprozess der Augenlinse, die im Laufe der Jahre an Elastizität verliert, so dass die Betroffenen in der Nähe nicht mehr gut sehen können. Im Text wird allerdings deutlich, dass es bei der Autorin keinen medizinischen Grund gab, sich an den Augen operieren zu lassen. Die Gleitsichtbrille war ihr lediglich lästig oder auch ein kosmetisches Problem.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Es wird im Text nur eine einzige Zahl genannt: die Erfolgsquote von 99 Prozent. Sie kommt in einem  persönlichen Statement eines Arztes vor (Augenarzt, Forscher, Kliniker – das wird nicht deutlich). Es bleibt also unklar, woher diese Angabe stammt. Auch wird Erfolg nicht definiert (siehe Kriterium 1). Sonst werden keine Quellen und Belege genannt, die eingeordnet werden könnten. Daher bleibt völlig offen, welche Evidenz für oder gegen eine solche OP spricht.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Unabhängige Experten oder Quellen zieht der journalistische Beitrag nicht heran. Im Text wird allein Dr. Bechmann zitiert, Geschäftsführer der Klinikkette „Smile Eyes“, die diese OP anbietet. Dabei hätte man als unabhängige*n Expert*in jemanden von einer Verbraucherorganisation fragen können, womöglich eine*n Kliniker*in, der zu einschlägigen Nebenwirkungen forscht oder vielleicht jemanden von einer Schlichtungsstelle, um zu erfahren, wie viele Beschwerden wegen solcher Linsen eingehen.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Der Beitrag bezieht sich auf einen einzigen Anbieter namens „Smile Eyes“.  Der im Beitrag genannte Dr. Bechmann ist im Impressum  als einer der beiden Geschäftsführer der „Augenklinik Airport GmbH“ genannt und auch als Augenexperte genannt.

Dieser Interessenkonflikt hätte im Beitrag thematisiert werden müssen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Seit wann die beschriebene Therapie angeboten wird, inwieweit es sich hier um eine sinnvolle medizinische Neuerung handelt oder eher um ein gutes Geschäftsmodell, wird nicht erörtert. Auch wird nicht thematisiert, ob dies nur für jene Menschen zur Verfügung stehen soll, die sich die Linsen für zum Beispiel 7000 Euro leisten können – oder ob dies auch einer größeren, ärmeren Gruppe von Patienten womöglich gewährt werden sollte. Solche Aspekte tauchen jedoch im Text nicht auf.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Der Artikel schildert vor allem persönlich Erlebtes, lediglich im Infokasten werden ein paar Zusatzinformationen zur Operation aufgeführt. Zu bezweifeln ist die Angabe der Erfolgsquote von 99 Prozent, die sich offensichtlich nicht auf das hier beschriebene Verfahren bezieht, sondern auf Linsen-OPs beim Grauen Star. Im Beitrag wird dazu auch keine Quelle genannt. Falsch ist auch die suggerierte Angabe, die Krankenkassen würden für Patienten mit Grauem Star diese Linsen bezahlen. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Es liegt keine Pressemitteilung vor. Daher müssen wir von einer eigenen journalistischen Recherche-Leistung ausgehen. Da der Text jedoch einen stark werbenden Charakter hat, werten wir dennoch  „NICHT ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der persönliche Erfahrungsbericht ist sehr arm an Informationen und regt nicht zum Weiterlesen an. Weder wird der Versuch unternommen, in Bezug auf die vielfältigen Krankheitsbilder am Auge zu differenzieren, noch auf die verschiedenen Modelle der Bi- oder Multifokallinsen einzugehen. Wesentlich ist zum Beispiel, dass der Patient mit diesen Linsen erst neu „sehen lernen“ muss, indem er sich auf die verschiedenen Brennweiten einstellen lernt. Zudem wird indirekt Werbung für die Klinikkette gemacht, indem die freundliche Zuwendung des Personals hervorgehoben wird. Das mag manche Leser*innen beruhigen, regt jedoch leider nicht zum Lesen des Artikels an.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Weder wird im Beitrag die Alterssichtigkeit erklärt, noch die Augen-Operation, um diese mit Hilfe einer Multifokallinsen zu beheben. Auch wird nicht erläutert, dass es verschiedene Arten von Multifokallinsen gibt, welche Überlegungen (bifokal, multifokal, gar kein Linsenersatz im Auge) man hierbei anstellen könnte, um sich für oder gegen einen solchen Eingriff zu entscheiden. Im journalistischen Beitrag erscheint die Linsenoperation als einfache, optimale Lösung, ohne dass deutlich wird, dass dies längst nicht in jedem Fall so ist.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Linsen, die statt einer Lesebrille eingesetzt werden können, gibt es bereits seit vielen Jahren. Über eine neue Entwicklung in diesem Bereich wird nicht berichtet. Ein aktueller Anlass ist – über die persönliche Situation der Autorin hinaus – nicht zu erkennen. Da die Alterssichtigkeit aber einen Großteil der Bevölkerung betrifft und damit eine gewisse Relevanz hat, werten wir noch knapp „ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 3 von 15 erfüllt

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar