Bewertet am 15. Juli 2022
Veröffentlicht von: Bild der Frau

Ein journalistischer Beitrag aus „Bild der Frau“ berichtet über eine neue Behandlungsmöglichkeit gegen Arthrose. Allerdings wird die Therapie übertrieben positiv dargestellt, eine Einordnung – etwa durch unabhängige Expert*innen – findet nicht statt. Da es bislang keine effektive Behandlung gegen Arthrose gibt und die Betroffenen oft unter großem Leidensdruck stehen, werden hier Hoffnungen geschürt, von denen unklar ist, ob sie erfüllt werden können.

Zusammenfassung

Ein Artikel in der Zeitschrift „Bild der Frau“ berichtet über ein neuartiges Therapieverfahren gegen Knorpeldefekte, bei dem Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand in kranke Gelenke implantiert werden. Dabei stellt der Text den bisher belegten Nutzen der Methode übertrieben dar, verspricht nicht weniger als den Sieg über die Arthrose. Wobei im journalistischen Beitrag das Krankheitsbild der Kniegelenksarthrose mit unfallbedingten Knorpelschäden vermischt wird. Mögliche Risken und auch die Kosten des Verfahrens kommen nicht zur Sprache. Die Qualität der wissenschaftlichen Belege für die neue Therapiemethode wird nicht erläutert und auch nicht eingeordnet. Auch kommen keine unabhängigen Expert*innen zu Wort. Immerhin aber liefert der Text interessante Informationen zum Entstehen des Forschungsgebiets und zur klinischen Anwendung der vorausgehenden Grundlagenforschung. Insgesamt bleibt jedoch zu befürchten, dass die fast euphorische Darstellung der neuen Therapiemethode Leser*innen in die Irre führt.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht abrufbar. 

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Den Nutzen der besprochenen Therapiemethode gegen Arthrose in den Knien stellt der Artikel nicht verständlich dar. Unzutreffend suggeriert der Titel „Nie wieder Knieschmerzen“ einen medizinischen Durchbruch. Im Untertitel heißt es dann: „Mediziner der Uni Basel züchten Knorpelgewebe nach, besiegen so Arthrose“. Auf der Titelseite der Zeitschrift ist sogar von einer „Medizin-Sensation“ die Rede. Die Universität selbst ist in ihrer eigenen Pressemitteilung dagegen viel vorsichtiger und formuliert: „Nasenknorpel lindert Arthrose im Knie“, dass gezüchtete Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand „helfen könnten“ und man „die biologische Basis für eine Therapie gelegt“ habe. Man sei „vorsichtig optimistisch“.

Erst spät im journalistischen Text erfahren die Leser*innen, dass bisher erst drei Menschen mit Kniearthrose mit der Methode behandelt wurden. Die etwa 100 anderen bisher Behandelten hatten alle Knorpelschäden durch Unfälle in Schulter und Sprunggelenk, also keinen vorerkrankten Knorpel. Erfahrungen mit diesen lassen sich jedoch nicht auf die Arthrose anwenden. Der Text vermittelt zwar die Wirkung der Therapie, nennt jedoch keine konkreten Zahlen dazu: „Ein Forscherteam der Universität Basel hat es nun geschafft, mit Knorpelzellen aus der Nase beschädigte Gelenk-Knorpel zu reparieren.“ Und später: „…heilt er Schäden im Kniegelenk“. Des Weiteren heißt es: „Und die drei jungen Patienten (…) (mit Kniegelenksarthrose) sind auch vier Jahre nach der Therapie (…) zufrieden“. Auch erfährt man, dass bei diesen Patienten die Arthrose „durch eine Fehlstellung der Beinknochen“ verursacht, und diese im Zuge der Behandlung auch behoben wurde. Der Rückgang der subjektiven Beschwerden könnte also allein dadurch bedingt sein. Am Ende des Textes heißt es immerhin, dass die Forscher mit einer Studie beweisen wollen, „dass die Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand speziell auch bei Kniescheibenarthrose helfen“. An dieser Stelle macht der Artikel zumindest indirekt deutlich, dass es sich um sehr vorläufige Forschungsergebnisse handelt – was den geradezu euphorischen Titel konterkariert. Insgesamt werten wir jedoch „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Mögliche Risiken und Nebenwirkungen des neuen Therapieverfahrens werden im journalistischen Beitrag nicht erwähnt. Dabei handelt es sich um ein chirurgisches Verfahren, das schon die allgemeinen Risiken operativer Eingriffe wie Infektionen oder Wundheilungsstörungen mit sich bringt. Gelenke sind besonders infektionsgefährdet, die Therapie also durchaus risikobehaftet. Zumal auch das gezüchtete und transplantierte Gewebe unvollständig anwachsen kann. Auch wenn in der dem Artikel zugrundeliegenden wissenschaftlichen Publikation keine Nebenwirkungen beobachtet wurden, wäre es wichtig gewesen, mögliche Risiken zu erwähnen. Sonst entsteht fälschlicherweise der Eindruck, dass so ein operativer Eingriff mit keinerlei Gefahren verbunden ist. Auch zu möglichen langfristigen Problemen gibt es keinerlei Informationen.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

In einem Infokasten gleich am Anfang des Artikels steht sehr konkret: „Am Universitätsspital Basel können mit der Methode derzeit Patienten mit Arthrose hinter der Kniescheibe sowie mit Knorpeldefekten an Schulter und Sprunggelenk behandelt werden.“ Später heißt es: „Aufgrund der Erfolge kann das Universitätsspital Basel nun mit einer Ausnahmegenehmigung Patienten mit Kniescheibenarthrose sowie bestimmten Knorpeldefekten (…) mit der Nasenknorpelmethode behandeln. Sie ist einzigartig auf der Welt.“ Damit wird zwar indirekt klar, dass die Therapie bislang nur am Universitätsspital verfügbar ist. Dies hätte jedoch noch deutlicher formuliert werden können. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Alternative Therapien gegen Arthrose-bedingte Beschwerden werden im Text von einem Forscher erklärt: „Derzeitige Behandlungen beschränken sich auf Schmerzmedikamente, Symptombekämpfung, Korrektur von Fehlstellungen oder im Endstadium auf den Einsatz eines künstlichen Kniegelenks.“ Damit sind die wichtigsten Therapieprinzipien gegen die Folgen der Arthrose genannt. Es wird auch deutlich, dass diese Behandlungsmöglichkeiten oft unzureichend und neue, innovative Therapieverfahren wünschenswert sind. Allerdings gibt es zu den therapeutischen Alternativen bei unfallbedingten Knorpelschäden keine Informationen, ebenso wenig wird deutlich gemacht, dass bei leichteren Verläufen von Arthrose zum Beispiel Bewegung oder eine Gewichtsabnahme helfen kann. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Über die Kosten der neuen Therapiemethode erfahren die Leser*innen nichts. Zwar handelt es sich um ein Verfahren, dass sich noch im Stadium seiner Erforschung befindet. Da aber von der Verfügbarkeit für betroffene Menschen am Universitätsspital in Basel die Rede ist, hätten die Kosten thematisiert werden sollen. Einige gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Zelltransplantation offenbar, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und auf Antrag. Die Kosten für das Verfahren dürften mindestens vierstellig sein, inklusive Knorpelentnahme und Gewebezüchtung auch fünfstellig.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Beitrag vermittelt den Eindruck einer gewissen Ausweglosigkeit bei Kniearthrose, übertreibt und schürt Ängste. Viele Menschen mit Arthrose haben über Jahre nur wenig Beschwerden, bei manchen lassen die Beschwerden mit der Zeit wieder nach oder treten nur schubweise auf. Eine Arthrose bedeutet nicht zwangsläufig, dass das Knie irgendwann so stark geschädigt ist, dass man einen Gelenkersatz benötigt. Im Zusammenhang mit dem möglichen Einsatz eines künstlichen Kniegelenks wird in einem Zitat vom „Endstadium“ der Erkrankung gesprochen – statt von einer fortgeschrittenen Kniearthrose. Informationen zum Kniegelenksersatz werden mit einem roten Kreis eher warnend untermalt: „Jedes Jahr werden in Deutschland rund 190000 künstliche Kniegelenke pro Jahr eingesetzt.“ Auch wird im Text erwähnt, dass 15 Prozent dieser Patienten mit ihrem künstlichen Gelenk unzufrieden seien. Gleichzeitig verschweigt der Beitrag jedoch, dass ein solcher Kniegelenksersatz die Beschwerden bei den meisten Betroffenen deutlich lindern kann. Deshalb bewerten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Evidenz zu dem neuen Therapieverfahren erschließt sich durch den Beitrag nur unzureichend. Einerseits liest es sich, als handele es sich um eine bereits weitgehend erforschte Methode („Mediziner der Uni Basel züchten Knorpelgewebe nach, besiegen so Arthrose.“ „Ein Forscherteam der Universität Basel hat es nun geschafft, mit Knorpelzellen aus der Nase beschädigte Gelenk-Knorpel zu reparieren.“) Andererseits erfährt man, dass erst daran geforscht wird: „Sein Team sucht bereits Betroffene für die nächste Studie. Mit ihr wollen die Forscher beweisen, dass die Knorpelzellen aus der Nasenscheidewand speziell auch bei Kniescheibenarthrose helfen.“ Letzteres entspricht der Realität: Bisher gibt es zur Anwendung bei Kniearthrose nur drei Einzelfälle, die mit der neuen Methode behandelt wurden – und damit keine belastbaren Erkenntnisse zur Wirksamkeit. Die Grenzen der bisher kleinen Studien werden jedoch nicht thematisiert. In der wissenschaftlichen Publikation zur Studie heißt es dagegen:  „A suitably powered clinical trial is now required to assess its efficacy in the treatment of patients with OA.”

Dagegen geht der journalistische Beitrag so weit über die vorsichtigen Formulierungen der Pressemitteilung hinaus, dass es fast gegen Ziffer 14 des Pressekodex verstößt. Danach ist bei Berichten über medizinische Themen eine unangemessen sensationelle Darstellung zu vermeiden, die unbegründete Hoffnungen beim Leser erwecken könnte. Forschungsergebnisse, die sich in einem frühen Stadium befinden, sollten zudem nicht als abgeschlossen oder nahezu abgeschlossen dargestellt werden. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es kommt ausschließlich der Forscher zu Wort, der die neue Therapiemethode maßgeblich entwickelt. Dieser hat sicher ein ausgeprägtes Eigeninteresse, seine Wissenschaft positiv darzustellen. Gerade bei neuartigen medizinischen Anwendungen, die ein ganz neues Prinzip darstellen, ist jedoch die Einordnung des Themas durch unabhängige Experten enorm wichtig. Besonders, wenn es um eine klinische Anwendung geht, die Linderung für viele schmerzgeplagte Menschen verspricht. Andernfalls werden womöglich falsche Hoffnungen geweckt.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Wenn ein Wissenschaftler über sein eigenes Forschungsgebiet berichtet, kann er beim besten Willen nicht objektiv darüber urteilen. Er selbst hat also einen natürlichen Interessenkonflikt, was allerdings aus dem Artikel deutlich herauszulesen ist. Daher werten wir hier „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird deutlich, dass die beschriebene Behandlungsmethode ein neuer Ansatz in der Therapie von Knorpelerkrankungen ist: „Zwar forschen auch andere Wissenschaftler daran, doch wir sind die Einzigen, die sie bereits an Patienten anwenden können.“ Und am Ende heißt es: „Zudem wollen wir die Methode künftig auch für weitere Arten von Arthrose weiterentwickeln.“ Damit ist die Thematik als eine Entwicklung eingeordnet, die noch an ihrem Anfang steht, wobei teilweise der Eindruck entsteht es handele sich um eine bereits als hochwirksam bewiesene Therapie (siehe Kriterium Nutzen).

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Der journalistische Artikel hält sich im Großen und Ganzen an die Fakten, macht aber einige falsche Aussagen. Der Untertitel „Mediziner der Uni Basel … besiegen so Arthrose“ und eine Bildunterschrift („Mit Gewebe aus der Nase heilt Prof. Martin von der Uni Basel Gelenkverschleiß“) führen in die Irre, weil bisher nur drei Patienten mit Arthrose behandelt wurden. Problematisch ist auch, dass Erfahrungen mit dem Therapieprinzip bei unfallbedingten Knorpeldefekten als Beleg für die Wirksamkeit des Verfahrens angeführt werden („Die 100 Patienten mit Knorpeldefekten haben größtenteils sehr gut auf die Implantation reagiert. Sie konnten wieder Sport treiben(…).“). Diese unfallbedingten Knorpeldefekte lassen sich aber nicht mit der bei Kniegelenksarthrose vergleichen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Es gibt eine Pressemitteilung der Universität Basel zu dem berichteten Thema, die vor etwa zehn Monaten anlässlich einer wissenschaftlichen Publikation herausgegeben wurde. Der journalistische Beitrag geht über diese Pressemeldung hinaus, indem er einen aktuellen Stand vermittelt (mittlerweile drei behandelte Arthrose-Patienten gegenüber zwei in der Publikation), zusätzliche Informationen liefert („Die 100 Patienten mit Knorpeldefekten haben größtenteils sehr gut auf die Implantation reagiert.“) und den Wissenschaftler zu Wort kommen lässt, der die Forschung durchführt.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Obwohl er inhaltliche Mängel aufweist, vermittelt der Beitrag das Thema auf attraktive Weise. Er erzählt, wie die Forscher auf die Idee gekommen sind, Nasenknorpelzellen als Ausgangsmaterial zu verwenden („Sie haben eine sehr gute Qualität, können sich gut vermehren und an ihre Umgebung anpassen.“). Auch beschreibt der Artikel, welche Grundlagenwissenschaft der Anwendung am Menschen vorausging („Bevor es den Arthrose-Patienten implantiert wurde, testeten die Forscher erst an Modellen, ob es der Umgebung im Knie bei Arthrose standhält.“). Leser*innen erfahren etwas zur konkreten Durchführung: „Für die Behandlung wird den Patienten unter einer örtlichen Betäubung zuerst eine Gewebeprobe aus der Nasenscheidewand entnommen.“ Und es gibt am Ende einen Ausblick auf die weitere Erforschung der Therapie („Sein Team sucht bereits Betroffene für die nächste Studie.“ „Zudem wollen wir die Methode künftig auch für weitere Arten von Arthrose weiterentwickeln.“) In einem separaten Kasten wird der Begriff „Tissue Engineering“ erklärt. Insgesamt entsteht trotz der relativen Kürze des Artikels ein lebendiges Bild von einem spannenden Forschungsgebiet.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel geht teilweise in die Tiefe, indem er relevante Ergebnisse aus der Grundlagenforschung referiert. Dennoch ist der Text auch für Laien gut verständlich geschrieben. Allerdings erschwert die Vermischung von unfallbedingten Knorpeldefekten mit dem Krankheitsbild der Kniegelenksarthrose das Verständnis des Nutzens der Therapiemethode. Für Laien erscheint die Methode gut erforscht („Die 100 Patienten mit Knorpeldefekten haben größtenteils sehr gut auf die Implantation reagiert.“), obwohl es beim eigentlichen und sehr viel populäreren Thema der Arthrose erst sehr wenige Einzelfallberichte gibt. Die an sich gute Verständlichkeit bekommt so eine Schieflage. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Aktuell ist der Beitrag sicher nicht, wenn man in Betracht zieht, dass die wissenschaftliche Veröffentlichung in Science Translational Medicine und die Pressemitteilung der Universität im September 2021 erschienen. Allerdings betrifft das Krankheitsbild der Kniegelenksarthrose und anderer arthrotischer Gelenkerkrankungen angesichts der alternden Gesellschaft sehr viele und immer mehr Menschen. Innovative Therapieansätze sind dementsprechend für viele Leser*innen relevant. Das referierte Thema ist zudem ungewöhnlich („Mit Knorpelzellen aus der Nase heilt er Schäden im Kniegelenk“) und liefert damit Anlass zum Staunen. Dementsprechend werten wir die Themenauswahl dennoch als gelungen.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 3 auf 2), weil der Nutzen der neuen Therapie für die Leser*innen irreführend positiv dargestellt wird.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar