Bewertet am 4. Juli 2022
Veröffentlicht von: Tina

Kreisrunder Haarausfall ist zweifellos eine Erkrankung, die psychisch belastet. Da erscheint es wichtig und sinnvoll, über eine mögliche neue Therapie dagegen zu berichten, wie im vorliegenden Artikel der Zeitschrift „Tina“. Leider werden die im Text erläuterten Studien jedoch nicht durch unabhängige Expert*innen eingeordnet, auch auf Risiken oder Nebenwirkungen geht der Text nicht ein.

Zusammenfassung

Die Frauenzeitschrift „Tina“ weist in einem kurzen Artikel auf eine neue, erfolgversprechende Therapie gegen kreisrunden Haarausfall hin. Der Nutzen wird konkret in Zahlen gefasst, Risiken und Nebenwirkungen werden indes kaum thematisiert. Es wird deutlich, dass es bisher keine gut wirksamen Therapien gibt und dass dieser neue Ansatz (Jak-Hemmer) bereits bei anderen Erkrankungen eingesetzt wird. Zu den Kosten gibt der Texte leider keine Informationen und auch nicht, ob die Therapie bereits über die Studien hinaus zugelassen und verfügbar ist. Dabei wurde in den vergangenen Monaten eines der Medikamente aus dieser Wirkstoffgruppe zur Behandlung ebendieser Erkrankung erstmals zugelassen. Das erfährt man im journalistischen Beitrag jedoch nicht. Auch findet keine Einordnung durch unabhängige Expert*innen statt, wie aussagekräftig die Studien sind, wird nicht erklärt. Der Text ist gut lesbar und verständlich, nur leider erscheint er vier Monate nach Veröffentlichung der Pressemitteilung zum Thema. Ein aktueller Anlass wird nicht ersichtlich.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht verfügbar. 

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der journalistische Beitrag nennt konkrete Zahlen zum Nutzen der Behandlung: „72 Prozent der Betroffenen sprachen auf die Wirkstoffe an – rund 45 Prozent gut (mit 50 bis 100 Prozent Nachwachsen der Haare) sowie 21 Prozent mit bis zu 50 Prozent Nachwachsen.“  Der Artikel thematisiert nicht, ob dieses Ausmaß für alle JAK-Hemmer zu erwarten ist, zum Beispiel auch für die beiden in der weiteren erwähnten Studie getesteten oder mit dem bereits zugelassenen Baricitinib. Da sich die angeführten Zahlen hauptsächlich auf einen Wirkstoff beziehen, der offenbar nicht weiter getestet wird (Tofacitinib, vgl. Kriterium 3), werten wir hier nur knapp „ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Der Artikel geht nicht auf mögliche Risiken ein, nur an einer Stelle heißt es kurz, dass die Wirkstoffe „gut verträglich“ seien. Besonders wichtig wäre ein Hinweis gewesen, dass die europäische Arzneimittelbehörde EMA derzeit für alle JAK-Hemmer eine umfassende Sicherheitsbewertung durchführt. Das umfasst explizit auch Baricitinib bei Alopecia areata. In den Zulassungsstudien für Baricitinib wurde deutlich, dass selbst bei Anwendung über wenige Monate das Risiko für schwerwiegende Infektionen steigt. In längeren Studien mit JAK-Hemmern in anderen Anwendungsgebieten wurde auch ein erhöhtes Risiko u.a. für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beobachtet. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der journalistische Beitrag weist nicht darauf hin, dass die allermeisten der JAK-Inhibitoren für kreisrunden Haarausfall noch nicht zugelassen sind (Ausnahme: Baricitinib, s. Kriterium 15). Zudem werden nur JAK-Hemmer als Wirkstoff-Gruppe genannt, es wird aber nicht ausgeführt, wie weit die Forschung zu den einzelnen Wirkstoffen fortgeschritten ist. Im US-amerikanischen Studienregister finden sich aktuell nur relativ wenige Studien zu JAK-Hemmern bei Alopecia areata, z.B. für Ritlecitinib. Tofacitinib scheint für diesen Zweck gar nicht mehr weiter beforscht zu werden.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Zu den bisherigen Therapien heißt es an einer Stelle: „Bisherige Mittel halfen kaum, (…).“ Das stimmt in dieser Kürze, auch wenn man hier noch ein wenig mehr Informationen erhofft hätte. So beschreibt das Zulassungsdossier der europäischen Arzneimittelbehörde EMA für den JAK-Inhibitor Baricitinib (neu zugelassen bei schwerer Alopecia areata), dass Betroffene sehr unterschiedlich auf die bisher verfügbaren Therapieoptionen ansprechen. Dazu gehören Mittel zum Auftragen auf die Haut, die üblicherweise zuerst probiert werden, wenn die Haare nicht von selbst nachwachsen. Diese hätte der Beitrag nennen können.   Den Bedarf für neue Therapien sieht die EMA zunächst für schwere Alopecia areata, für die der JAK-Hemmer Baricitinib zugelassen wurde. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Zu den Kosten der neuen Therapien gibt es leider keine Angaben, auch nicht, ob die Krankenkassen diese Kosten übernehmen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Der Beitrag schreibt zur Krankheitslast der Erkrankung: „Der kreisrunde Haarausfall […] ist ein Fluch für betroffene Frauen. Denn diese Autoimmunerkrankung belastet die Psyche.“ Richtig ist, dass der Haarausfall gerade Frauen belasten kann. Allerdings wird nicht thematisiert, dass es verschiedene Schweregrade von kreisrundem Haarausfall gibt, bei denen die Belastung geringer sein dürfte. Deshalb werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der journalistische Beitrag nennt Zahlen zum Nutzen der Behandlung: „72 Prozent der Betroffenen sprachen auf die Wirkstoffe an – rund 45 Prozent gut (mit 50 bis 100 Prozent Nachwachsen der Haare) sowie 21 Prozent mit bis zu 50 Prozent Nachwachsen.“ Wie gut die Belege sind, wird aber nicht eingeordnet. Es fehlt zum Beispiel der Hinweis, dass die Zahlen zwar aus einer systematischen Übersichtsarbeit stammen, dafür aber relativ unzuverlässige Studien zusammengefasst wurden. Studien mit zufälliger Zuteilung (randomisierte kontrollierte Studien), die für Untersuchungen zum Nutzen als besonders aussagekräftig gelten, waren in der Analyse gar nicht vertreten. Das Forschungsteam selbst bezeichnet die Auswertung als nicht besonders aussagekräftig („low quality evidence“). Der Beitrag bezieht sich außerdem auf eine weitere Studie: „Die Therapie über 24 Wochen mit Tabletten war in einer Studie mit 124 Betroffenen effektiv und gut verträglich.“ Hierbei handelt es sich in der Tat um eine randomisierte kontrollierte Studie. Da jedoch insgesamt die Qualität der beschriebenen Studien nicht eingeordnet wird, werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es gibt keinerlei Einordnung durch unabhängige Expert*innen. Es wird jedoch zumindest deutlich, dass der Hinweis auf die Studien vom Berufsverband der Dermatologen stammt – wobei jedoch nicht klar ist, wie unabhängig der Verband tatsächlich ist. Daher werten wir knapp „nicht erfüllt“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Im Übersichtsartikel sind keine Interessenkonflikte vermerkt – und es wäre eine enorme Leistung, für alle 30 eingeschlossenen Studien zu überprüfen, ob Interessenkonflikte eine Rolle spielen. Bei der einzeln hervorgehobenen Studie jedoch haben die Autoren eine Vielzahl von möglichen Interessenkonflikten, was man zumindest kurz hätte erwähnen müssen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Text macht deutlich, dass die Jak-Hemmer eigentlich nicht neu sind, sondern nur neu für die Behandlung der Alozepie: (..) und werden bereits mit überzeugender Wirkung bei rheumatoider Arthritis, mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis und Schuppenflechte eingesetzt.“

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Der Beitrag zitiert eine neuere Studie sowie eine Übersichtsarbeit. Fälschlicherweise wird jedoch behauptet, die neuere Studie wäre in der Übersichtsarbeit enthalten: „Eine Analyse dieser weiterer 29 kleiner Studien mit JAK-Hemmern…“ Das ist jedoch nicht richtig. Bereits in der Pressemitteilung (s. Kriterium 12) war angegeben, wann die Arbeiten veröffentlicht wurden (die Übersichtsarbeit 2019, die neuere Studie 2021). Außerdem suggeriert die Wortwahl, dass es sich um aktuelle Erkenntnisse handelt: „Und sie helfen auch gegen den kreisrunden Haarausfall, wie jetzt feststeht.“ Die Übersichtsarbeit stammt aber eben aus dem Jahr 2019. „Feststeht“ ist angesichts der erheblichen Unsicherheit der Ergebnisse in der Übersichtsarbeit (vgl. Kriterium 7) und bezogen auf alle JAK-Hemmer vermutlich auch nicht die richtige Formulierung. Deshalb werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Ergebnisteil stammt aus der Pressemitteilung des Berufsverbands der Deutschen Dermatologen und Deutschen Dermatologischen Gesellschaft aus dem Februar 2022. Darüber hinaus gibt es die wichtige Info, dass die Therapie mit Tabletten besser ist als die Therapie, bei der das Mittel eingerieben wird.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Ein insgesamt interessanter Artikel, der recht kurz die Leserinnen und Leser darüber informiert, dass es offenbar eine neue erfolgversprechende Therapie gegen den kreisrunden Haarausfall gibt. Die Ergebnisse sind recht trocken referiert, hier hätte es die Einordnung durch Experten gebraucht. Ansonsten ist der Text gut lesbar. Als Hingucker gibt es ein Bild mit einer Frau, die ihre beneidenswert vollen Haare herumwirbelt. Hier könnte man die Frage aufwerfen, ob die Bildauswahl dem Thema angemessen ist. Insgesamt werten wir daher knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Text ist durchaus verständlich, auch wenn nicht so recht klar wird, wie sich eigentlich das Haarbild bei der Erkrankung darstellt, dafür wird sie nicht hinreichend genug beschrieben. Der Mechanismus der Erkrankung wird verständlich erklärt. „Sie wirken direkt in den Haarfollikeln. Diese Bestandteile der Haarwurzeln sorgen für den Wuchs. Bei AA greift das Immunsystem sie aber an: Bestimmte Botenstoffe (Zytokine) aktivieren Abwehrzellen, die dafür sorgen, dass die Follikel sich entzünden – Haare fallen aus.“ In der Zwischenüberschrift heißt es: „Wirkstoffe versperren den Angriffsweg der Abwehr“. Und weiter heißt es: „Die getesteten Wirkstoffe, sogenannte JAK-Hemmer, richten sich gegen mehrere Zytokine (…)“. Daher werten wir insgesamt knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema betrifft viele Frauen (und einige Männer) und über Jahrzehnte gab es keine befriedigende Therapie. Daher ist das Thema auf jeden Fall relevant. Jedoch stammt die Pressemitteilung und das Review schon aus dem Februar. Von einer aktuellen Berichterstattung kann daher Ende Juni also nicht mehr die Rede sein bei einem Wochenmagazin. Wobei es durchaus einen aktuellen Anlass gegeben hätte:  Im Juni 2022 wurde mit Baricitinib der erste JAK-Inhibitor für das Anwendungsgebiet kreisrunder Haarausfall in der EU zugelassen. Der journalistische Beitrag erschien am 22. Juni 2022. Der zuständige Ausschuss der europäischen Zulassungsbehörde hatte bereits Mitte Mai eine Zulassungsempfehlung ausgesprochen, die Zulassungsstudien wurden bereits Ende März veröffentlicht. Wir werten daher knapp „NICHT ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 6 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar