Bewertet am 28. Juli 2022
Veröffentlicht von: Neues für die Frau

Einen Durchbruch in der Krebstherapie kündigt ein Artikel in der Monatszeitschrift „Neues für die Frau“ an: Patient*innen mit Darmkrebs seien von ihrer Erkrankung geheilt worden, ohne Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie. Dass nur eine kleine Gruppe von Darmkrebspatienten bislang für diese spezielle Behandlung in Frage kommt, wird erst spät im Text erklärt, Nebenwirkungen und Kosten der Therapie gar nicht erwähnt. Auch kommt kein*e unabhängig*e Expert*in zu Wort, um die Studienergebnisse einzuordnen.

Zusammenfassung

Medikament HEILT Darmkrebs – das ist die Überschrift des kurzen Artikels in „Neues für die Frau“, in dem über Erfolge einer Immuntherapie mit dem Mittel Dostarlimab berichtet wird. „Ein neuer Therapiedurchbruch sorgt jetzt weltweit für große Hoffnung“, heißt es gleich im ersten Abschnitt. Die relevanten Informationen, um die Bedeutung dieses Durchbruchs einschätzen zu können, stehen dagegen erst ganz am Ende des Beitrags: „Doch das Medikament wurde in der Studie nur an einem kleinen Probandenkreis getestet (…). Die Forscher gaben ferner an, dass alle Studienteilnehmer an einer genetisch bedingten Krebsart litten.“  Zwölf Patientinnen und Patienten nahmen an der Studie teil, sie alle litten unter einer Darmkrebserkrankung mit einer genetischen Besonderheit (einer so genannten „Mismatch-Reparatur-Defizienz“). Diese genetische Abweichung findet sich nur bei fünf bis zehn Prozent aller Darmkrebsfälle, neun von zehn Darmkrebspatienten zeigen diese Besonderheit also nicht. Die Ergebnisse der Studie sind also keinesfalls automatisch auf andere Darmkrebsfälle übertragbar. Auch ist es noch zu früh, um von einer „Heilung“ der Patienten zu sprechen, dafür ist der Beobachtungszeitraum zu kurz. Schließlich fällt noch auf, dass der durchaus verständliche, aber übertrieben formulierte Text offenbar nicht selbst recherchiert wurde. Ein fast identischer Text findet sich auf der Webseite eines TV-Senders, was nicht kenntlich gemacht ist.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht verfügbar.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Es wird im journalistischen Beitrag deutlich, dass zwölf Patient*innen den Wirkstoff Dostarlimab erhielten und bei allen zwölf der Darmkrebs nach einem Jahr nicht mehr nachweisbar war. „Das überwältigende Ergebnis: Bereits ein Jahr nach der Behandlung galten alle Teilnehmer als krebsfrei. Der Krebs konnte nach der sechsmonatigen Behandlung bei keinem der Patienten mehr nachgewiesen werden.“ Zusätzlicher Plus-Punkt: „Durchschnittlich benötigten die Patienten auch bis zu einem Jahr nach der Therapie keine weiteren Behandlungen mehr.“ Der Text erklärt auch, dass der Wirkstoff nur bei einem bestimmten Patientenkollektiv eingesetzt wurde, wenn es heißt: „Die Forscher gaben ferner an, dass alle Studienteilnehmer an einer genetisch bedingten Krebsart litten. Jetzt müssen weitere Tests klären, ob das Medikament auch bei anderen Darmkrebsarten wirkt.“ Insgesamt wird der Nutzen der Therapie jedoch übertrieben dargestellt, so beeindruckend die Studienergebnisse für diese spezielle Patientengruppe auch sind.  So heißt es in der Überschrift sogar: „Medikament heilt Darmkrebs“. Ob dies der Fall ist, lässt sich nach einem Jahr noch nicht beurteilen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Der Artikel geht auf den Aspekt Risiken und Nebenwirkungen nur ein, als es um die Standardtherapie von Darmkrebs mit Bestrahlung, Chemotherapie und Operation geht: „Eigentlich ist bei Darmkrebspatienten eine Behandlungskombination aus Operationen, Bestrahlungen und Chemotherapien der Standard. Aber diese Maßnahmen können nicht alle Betroffenen retten, außerdem haben viele Patienten in der Folge mit zahlreichen Nebenwirkungen zu kämpfen.“ Mit welchen Risiken und Nebenwirkungen die Patienten nach der Gabe der Immuntherapie zu kämpfen hatten, bleibt offen. In der Fachpublikation zur Studie wird dagegen von leichten Nebenwirkungen wie etwa Hautausschlägen und Müdigkeit berichtet. Dass in dieser kleinen Studie keine schweren Nebenwirkungen auftreten, wäre eine interessante Information für Leser*innen gewesen. Vor allem aber wäre es wichtig gewesen zu erwähnen, welche Risiken Therapien bergen, die das körpereigene Immunsystem aktivieren.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird im journalistischen Beitrag deutlich, dass der Wirkstoff eigentlich gegen Gebärmutterkrebs eingesetzt wird, also dafür verfügbar ist. Es fehlen jedoch nähere Informationen dazu, was das für Darmkrebspatienten in Deutschland bedeutet. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“. Aufgrund der übertriebenen Schlagzeile entsteht ein hoher Druck für Betroffene, ihre Ärzt*innen nach dem Medikament zu fragen.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird deutlich, dass die Standardtherapie aus Operation, Chemotherapie und Bestrahlung besteht. Mit dieser Behandlung wird der Einsatz des Wirkstoffs Dostarlimab verglichen. Nicht erwähnt wird dagegen, dass es auch schon Untersuchungen mit anderen Immuntherapien gab, die jedoch weniger erfolgreich verliefen. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Zu den Kosten der neuen Therapie finden sich keinerlei Informationen im Text – auch nicht dazu, ob diese von den Krankenkassen übernommen werden könnten.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Angaben zur Häufigkeit von Darmkrebs im Text sind etwas verwirrend: „Allein in Deutschland kämpfen nach Zahlen des Robert Koch-Instituts rund 230 000 Frauen und 253 000 Männer gegen Darmkrebs. Jährlich treten 58 900 Neuerkrankungen auf.“
Die Zahlen zur Inzidenz, also die Zahl der neuen Krebsfälle in einem Jahr, sprechen für sich. Die Angaben zur Prävalenz, also wie viele Menschen mit Darmkrebs in Deutschland leben, sind dagegen interpretierungsbedürftig: Ist jemand 10 Jahre nach einer erfolgreichen Therapie noch Darmkrebs-Patient? Und nach 25 Jahren? Und „kämpft“ dieser Patient 25 Jahre nach seiner Diagnose noch immer gegen die Erkrankung, wie es im Text heißt? Diese Zahl nämlich wurde im journalistischen Beitrag gewählt. Nimmt man dagegen die Zahl der Menschen, die in den letzten fünf Jahren die Diagnose Darmkrebs bekommen haben, kommt man nicht auf rund 500 000, sondern auf rund 200 000 Fälle in Deutschland (siehe hier). Hier entsteht also womöglich ein verzerrter Eindruck der Häufigkeit von Darmkrebs, zumal in der Studie nur eine kleine Gruppe bestimmter Darmkrebspatienten behandelt werden konnte, die allgemeinen Zahlen zur Häufigkeit hier also gar nicht passen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Text macht in sehr kurzer Form deutlich, dass dies ein sehr kleine Studie ist, deren Aussagekraft begrenzt ist und größere Studien erfordert.  „Ein möglicher Haken: Der vermeintliche Wunder-Wirkstoff Dostarlimab hilft dem Immunsystem, Krebszellen zu erkennen und diese zu zerstören. Doch das Medikament wurde in der Studie nur an einem kleinen Probandenkreis getestet. Größere Studien sollen folgen.“ Auch findet sich am Ende des Artikels der Hinweis, dass das Mittel nur an Patienten mit einer bestimmten Form von Darmkrebs eingesetzt wurde. Hier hätte erwähnt werden müssen, dass es sich nur in 5 bis 10 Prozent der Darmkrebserkrankungen um Tumore mit dieser Besonderheit handelt. Bei Tumorzellen mit einer „Mismatch-repair deficiency“ sind Gene verändert, die für die Reparatur von Kopierfehlern bei der Zellteilung wichtig sind. Auch dass die Nachbeobachtungszeit bisher nur ein Jahr betrug, wäre ein wichtiger Hinweis gewesen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es wurden keine unabhängigen Forscher*innen zu den Studienergebnissen zitiert, es wird auch nicht erklärt, in welchem Fachmagazin die Studie veröffentlicht wurde – im New England Journal of Medicine. Es wird dagegen deutlich, dass es sich um Mediziner*innen vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York handelt. Als Quellen für die Zahlen zu Darmkrebs in Deutschland wird das Robert-Koch-Institut angegeben.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Laut der Fachpublikation haben einige der Forscher Interessenkonflikte, weil sie bestimmte Patente innehaben oder von dem Pharmaunternehmen Glaxo-Smith-Kline (GSK) Honorare erhalten haben. Dass die Studie unter anderem von GSK mitfinanziert wurde, bleibt ebenfalls unerwähnt.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Artikel macht deutlich, dass die Immuntherapie bereits gegen Gebärmutterkrebs eingesetzt wird, Dostarlimab also kein völlig neuer Wirkstoff ist. Indirekt kann man daraus schließen, dass der Einsatz gegen Darmkrebs ein neuer Ansatz ist.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Die wesentlichen Angaben zum Darmkrebs stimmen im weitesten Sinne, etwa der Wert zu den jährlichen Neuerkrankungen bei Männern und Frauen. Besser wäre es gewesen, genaue Jahreszahlen anzugeben, da diese im Laufe der Zeit variieren (siehe Kriterium zum Disease Mongering). In der Bildunterschrift heißt es: „Darmkrebs ist bei beiden Geschlechtern die dritthäufigste Krebserkrankung.“ Beim Krebsinformationsdienst heißt es dazu: „Damit ist Darmkrebs derzeit bei Männern die dritthäufigste und bei Frauen die zweithäufigste Tumorerkrankung hierzulande.“ Nicht korrekt dagegen ist die Überschrift „Medikament HEILT Darmkrebs“. Um von einer ‚Heilung‘ des Krebses zu sprechen, ist der Beobachtungszeitraum viel zu kurz. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Artikel basiert zwar nicht ausschließlich auf der Pressemitteilung der Klinik, vor allem weil der Text auch Informationen zur Darmkrebshäufigkeit in Deutschland nennt. Doch der Text ist bis auf wenige Änderungen mit einem Artikel identisch, der auf der Webseite des MDR und der Sendung „Brisant“ im Juni 2022 erschienen ist. Ob es sich hier um die Zweitverwendung eines Artikels handelt oder die Übernahme eines fremden Textes, lässt sich dem Beitrag nicht entnehmen. Daher werten wir dieses Kriterium in Unkenntnis der genauen Sachlage als „NICHT ANWENDBAR“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der knappe Artikel ist vom Ton her eher nachrichtlich gehalten, abgesehen von Phrasen wie „medizinische Sensation“ oder „der vermeintliche Wunder-Wirkstoff“, die Spannung erzeugen sollen. Insgesamt ist der Text gut zu lesen und arbeitet das Thema interessant auf – wenn auch an mancher Stelle übertrieben wird (siehe Kriterium Nutzen).

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der nachrichtliche Text ist weitgehend verständlich geschrieben, aber über weite Strecken des Textes wird dabei nicht klar, dass diese herausragenden Studienergebnisse nur für eine kleine Gruppe von Darmkrebspatienten gelten – und es noch viel zu früh ist, um aus dieser Untersuchung an nur zwölf Patient*innen weitreichende Schlüsse zu ziehen. Erst ganz am Ende wird dies kurz erläutert, was zu großen Missverständnisse bei den Leser*innen führen kann. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Fachartikel im New England Journal of Medicine erschien am 23. Juni 2022, der journalistische Beitrag in der August-Ausgabe der Monatszeitschrift – eine zeitliche Verzögerung, die vermutlich mit dem langen Vorlauf der monatlichen Heftproduktion zu erklären ist. Ohne Zweifel ist das Thema relevant und ungewöhnlich, da der Therapieansatz bei einer bestimmten Gruppe von Darmkrebspatienten zu herausragend guten Ergebnissen geführt hat.

Medizinjournalistische Kriterien: 5 von 14 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar