Bewertet am 20. Juni 2022
Veröffentlicht von: Bild der Frau
Bis heute ist die Alzheimer-Erkrankung nicht heilbar, umso mehr suchen Patient*innen und Angehörige verzweifelt nach einer verheißungsvollen, neuen Therapie. In einem Artikel der Zeitschrift „Bild der Frau“ wird nun die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) als „Hoffnung bei Alzheimer“ angekündigt. Auch wenn im Artikel selbst mehrfach erwähnt wird, dass die wissenschaftlichen Belege für einen Erfolg der Behandlung noch fehlen, dürfte doch insgesamt bei den Leser*innen der Eindruck entstehen, dass es sich bei der TPS um eine vielversprechende neue Therapiemethode handelt, zumal unabhängige Expert*innen an keiner Stelle zu Wort kommen.

Zusammenfassung

Neue, wirksame Therapieverfahren gegen die Alzheimer-Erkrankung sind von großem öffentlichem Interesse. Die Frauenzeitschrift „Bild der Frau“ berichtet unter dem Titel „Hoffnung bei Alzheimer“ von einer neuartigen Methode, die an der Universitätsklinik Wien erforscht wird: die Transkranielle Pulstherapie, die mit Hilfe von Ultraschallwellen bestimmte Hirnzellen aktivieren soll. Der Nutzen wird jedoch übertrieben dargestellt, so ist gleich in der Überschrift von „Hoffnung bei Alzheimer“ die Rede, obwohl bislang Belege für die Wirksamkeit der Methode fehlen. Den Leser*innen wird suggeriert, das in Wien entwickelte Verfahren verbessere die Gedächtnisleistung von Alzheimerpatienten. Wie verfügbar das Verfahren ist und welche alternativen Therapien es gibt, wird dagegen nicht thematisiert. Es wird auch nicht erklärt, wie das Verfahren und die Sitzungen eigentlich ablaufen. Während einerseits der unzutreffende Eindruck eines etablierten Therapieverfahrens entsteht, erfolgt andererseits eine differenzierte Diskussion der noch nicht ausreichenden Evidenz im zweiten Teil des Textes. Dadurch entsteht ein irritierender Kontrast. So wird zwar relativierend berichtet, dass ausreichende wissenschaftliche Belege der Wirksamkeit fehlen und die Methode bislang nur in sehr kleinen Studien untersucht wurde. Konkrete Zahlen erfahren die Leser*innen jedoch nicht. Ihnen wird zudem verschwiegen, dass die Untersuchung von Storz Medical finanziert wurde, dem Hersteller des Geräts für die Stoßwellentherapie. Dies stellt einen Interessenkonflikt dar, da der Hersteller ein Interesse an positiven Studienergebnissen hat. Im Gesamteindruck dürfte überwiegen, dass hier ein neues vielversprechendes Verfahren gegen Alzheimer entwickelt wurde. Zumal keine unabhängigen Expert*innen im Text zu Wort kommen, die den Nutzen und die Risiken des Verfahrens einordnen.​

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht verfügbar.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel berichtet über die Methode der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS), die der Neurologe Roland Beisteiner an der Universität Wien gegen Alzheimer entwickelt. Zum Nutzen heißt es: „Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Stoßwellen an das Gehirn schicken, dadurch Gehirnzellen anregen, sich zu regenerieren, und so Alzheimer wirksam zu bekämpfen.“ Eine Zwischenüberschrift verspricht: „Wachstumsprozesse starten, Entzündungen klingen ab“ – erst im Text darunter erfährt man, dass dies für andere Anwendungen in der Medizin gilt. Die Stoßwellen, fährt der Text fort, wirkten offenbar „regenerierend auf die Nervenzellen im Gehirn“. Und weiter: TPS behandelte Patienten konnten sich angeblich „plötzlich besser erinnern, die Gedächtnisleistung nahm zu“. Quantifiziert wird die vermeintliche Wirkung nicht, daher bleibt das Ausmaß der behaupteten Verbesserung offen. Es heißt lediglich, in Erfahrungsberichten hätten Patienten berichtet, sich „insgesamt körperlich und seelisch wohler zu fühlen“. Die Stoßwellen könnten aber nur bei leichten bis mittelschweren Graden der Erkrankung helfen. Das liest sich, als sei ein Nutzen für die Behandlungsmethode erwiesen. Im Folgenden wird dieser Nutzen dann zwar deutlich relativiert („…fehlen noch ausreichende wissenschaftliche Belege der Wirksamkeit.“). Insgesamt aber lässt der Artikel die Leser*innen im Unklaren über den Nutzen der Therapiemethode.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Über Risiken und Nebenwirkungen liefert der Text die Aussagen: „Über Nebenwirkungen wurde bisher nichts berichtet. Und die Behandlung ist schmerzfrei.“ Das liest sich positiv, doch ohne Wissen über die Anzahl der bisher mit dieser Methode behandelten Personen ist dies eher irreführend. Diese Zahl ist sehr klein (35 Probanden einer Studie aus dem Jahr 2019), weshalb zuverlässige Aussagen über Nebenwirkungen nicht möglich sind. Immerhin heißt es einschränkend, dass „bisher“ keine Nebenwirkungen berichtet wurden. Und auch, dass die Methode „bisher nur in sehr kleinen Studien ohne Kontrollgruppe getestet“ wurde, findet Erwähnung. Eine Möglichkeit wäre gewesen darauf zu verweisen, welche Risken und Nebenwirkungen vom Einsatz bei anderen Erkrankungen bekannt sind. Wir werten deshalb nur knapp „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Ob die berichtete Therapie bereits verfügbar ist, geht aus dem Artikel nicht hervor. Man erfährt lediglich, dass sie „in der Uniklinik in Wien entwickelt“ wurde. Daraus lässt sich schließen, dass die Therapie dort verfügbar ist. Auch wird klar, dass es sich um eine noch nicht abschließend erforschte Therapieform handelt („Wie vielversprechend TPS wirklich ist, muss in Zukunft noch besser erforscht werden.“). Allerdings suggerieren manche Aussagen („Und es wird empfohlen, regelmäßig aufzufrischen“), es handele sich um ein etabliertes Verfahren, und vermittelt somit einen falschen Eindruck der Verfügbarkeit. Dies hätte noch genauer erklärt werden müssen. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Andere Therapiemethoden, die bei der Alzheimer-Erkrankung eingesetzt werden, kommen nicht zur Sprache. Die Stoßwellentherapie wird isoliert als neues Verfahren beschrieben. Da sich aber die Relevanz einer neuen Therapieform nur im Vergleich zu bereits verfügbaren Methoden darstellen lässt, werten wir dieses Kriterium als „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Im journalistischen Beitrag werden die Kosten der Therapiemethode erwähnt: „Ein Therapie-Zyklus, der aus sechs Einheiten besteht, kostet ca. 3000 Euro.“ Weiter heißt es, dass empfohlen werde „regelmäßig aufzufrischen.“ Und: „Die Therapie wird von Krankenkassen nicht übernommen…“ Der Grund dafür sei, dass dafür „noch ausreichende wissenschaftliche Belege der Wirksamkeit“ fehlen. Somit sind die Leser*innen über die Kosten des Verfahrens gut informiert.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Alzheimer-Erkrankung wird nicht übertrieben dargestellt. Es heißt korrekt, dass die Behandlung bislang nicht heilbar ist.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Bislang wurde das Verfahren lediglich in zwei Studien am Menschen untersucht, eine aus dem Jahr 2019 und eine aus diesem Jahr. Das wird im journalistischen Beitrag jedoch nicht konkret erläutert. Dass sich die Patient*innen plötzlich besser erinnern konnten, ihre Gedächtnisleistung zugenommen habe, lässt sich zumindest der aktuelleren der beiden Studien so nicht entnehmen. Darin ging es um eine mögliche Verminderung depressiver Symptome.

Zwar teilt der journalistische Artikel mit, dass „ausreichende wissenschaftliche Belege der Wirksamkeit“ fehlen und die Methode „nur in sehr kleinen Studien ohne Kontrollgruppe getestet“ wurde. Diese relativierende Einordnung wird aber durch die im Übrigen übertrieben positive Darstellung des Ansatzes konterkariert. Die Leser*innen erfahren auch nicht, dass die Therapie zusätzlich zu einer anderen Alzheimerbehandlung eingesetzt wurde. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Das Thema wird nicht durch unabhängige Experten oder Quellen eingeordnet. Der Artikel erwähnt nur den Wissenschaftler, der die Methode erforscht hat: „Diesen Ansatz hat der Neurologe Prof. Roland Beisteiner von der Uniklinik in Wien entwickelt.“ Gerade bei neuartigen medizinischen Verfahren ist es jedoch wichtig, sie unabhängig einordnen zu lassen, um eine möglichst objektive Darstellung zu erreichen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

In der Studie ist unter Interessenkonflikten vermerkt, dass die Untersuchung von der Storz Medical AG unterstützt wurde, die das Gerät für die Stoßwellentherapie zur Verfügung stellt. Der Hersteller hat ein genuines Interesse daran, dass Versuchsergebnisse positiv dargestellt werden, dies hätte dringend erwähnt werden müssen.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Da die Erkrankung Morbus Alzheimer bekanntermaßen nicht heilbar und auch nur begrenzt therapeutisch beeinflussbar ist, ist offensichtlich, dass neue Therapieverfahren wünschenswert sind. Dass es sich beim berichteten Verfahren um eine Neuentwicklung zumindest im besprochenen Anwendungsgebiet handelt, wird deutlich. Der Artikel erwähnt bisherige Anwendungsgebiete von gepulsten Ultraschallwellen: „Zuerst kamen die Ultraschallimpulse zum Einsatz, um Nierensteine zu zertrümmern.“ Dann heißt es: „Orthopäden behandeln mit Stoßwellen (deshalb) häufig Kalkschulter, Tennisarm, Karpaltunnelsyndrom und andere orthopädische Probleme.“ Aus dem vermuteten Wirkprinzip leitet der Text dann die neue neurologische Anwendung ab: „Und auch bei Alzheimer wirken die Stoßwellen offenbar regenerierend auf die Nervenzellen im Gehirn.“ Da es im Weiteren dann unter anderem um die Erforschung der Methode geht, wird deutlich, dass es sich um ein neues Verfahren handelt.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Dass infolge der Behandlung die Gedächtnisleistung der ProbandInnen zunimmt, ist zumindest in Bezug auf die zweite, aktuellere Studie nicht korrekt. Dass erstaunliche Verbesserungen der geistigen Leistungsfähigkeit beobachtet wurden, ebenfalls nicht. Allein in der ersten Studie aus dem Jahr 2019 waren womöglich Verbesserungen bei Patienten mit Demenz sichtbar, wobei hier eine Kontrollgruppe zum Vergleich fehlte, daher ist es gar nicht möglich, beobachtete Verbesserungen auf die Therapie zurückzuführen.

Auch vermittelt der Text die unzutreffende Botschaft, es handle sich um ein Verfahren, das bereits routinemäßig angewendet wird: „Stoßwellen können (nur) bei leichten und mittelschweren Graden der Erkrankung helfen.“ Später heißt es: „Ein Therapie-Zyklus, der aus sechs Einheiten besteht, kostet ca. 3000 Euro. Und es wird empfohlen, regelmäßig aufzufrischen.“ Das erweckt den unzutreffenden Anschein einer etablierten Methode, weshalb wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“ werten.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Es gibt eine Pressemeldung der Universität Wien zur berichteten Methode, die allerdings aus dem August 2021 stammt. Der Artikel vermittelt verschiedene, wesentliche Informationen darüber hinaus. So thematisiert er die bisherigen Anwendungsgebiete von gepulsten Ultraschallwellen, ebenso wie das vermutete Wirkprinzip (siehe Kriterium 10). Und die mangelnde Evidenz wird deutlich benannt: „ … dafür fehlen noch ausreichende wissenschaftliche Belege der Wirksamkeit. Denn die Methode wurde bisher nur in sehr kleinen Studien ohne Kontrollgruppe getestet.“ Somit ist eine journalistische Eigenleistung erbracht.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel ist aufgrund seines Themas interessant. Und er ist attraktiv in einem lockeren Stil geschrieben. So gibt es trotz der Kürze des Textes viele interessante Informationen, zum Beispiel zu bisherigen Anwendungsgebieten, dem vermuteten Wirkmechanismus und der Kosten. Ein Kasten vermittelt die durch eine Alzheimer-Erkrankung im Früh- und Spätstadium betroffenen Gehirnregionen. Problematisch erscheint uns allerdings, dass handfeste Informationen zur mangelnden Evidenz durch die Schilderung eines scheinbar etablierten Angebots konterkariert werden. Wir werten deshalb nur knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Schreibstil ist populär und über weite Strecken des Textes gut verständlich, auch für ein Laienpublikum. Die Leser*innen werden am Anfang abgeholt: „Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein.“ Der Aufbau des Textes ist über weite Strecken folgerichtig und damit gut nachvollziehbar. Auf Fachbegriffe wird weitgehend verzichtet. An einer Stelle erfordert er allerdings erweitertes Wissen über wissenschaftliche Studien: „Denn die Methode wurde bisher nur in sehr kleinen Studien ohne Kontrollgruppe getestet.“ Auch fehlt eine Beschreibung der Anwendung selbst. Man erfährt lediglich, dass „ein Therapiezyklus … aus sechs Einheiten besteht.“ Aber es bleibt unklar, wie eine Einheit aussieht, was da mit einem Patienten passiert und wie lange eine Sitzung dauert. Man kann sich zwar vorstellen, dass wie bei einer Ultraschall-Untersuchung ein „Schallkopf“ auf den Schädel aufgesetzt wird. Doch hätte es zur Verständlichkeit beigetragen, wenn die Leser*innen mehr über das Verfahren erfahren hätten. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Bei der Alzheimer-Krankheit mangelt es bekanntermaßen an wirksamen Therapieverfahren. Daher ist das Thema eines neuen Verfahrens für diese Indikation zunächst einmal interessant. In Anbetracht der gänzlich fehlenden Evidenz für die behauptete Wirkung der TPR-Methode stellt sich jedoch die Frage, ob mit dem Artikel nicht übertriebene Hoffnung geweckt wird. Womöglich spielt dabei eine Rolle, dass die Bild-Zeitung vor ein paar Wochen auf ihrer Titelseite über das Verfahren berichtete – und die Redaktion darauf brachte, es ihren Leser*innen zu erklären. Dennoch werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 6 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar