Bewertet am 24. Mai 2022
Veröffentlicht von: Bild der Frau

Ein neues Hüftgelenk, nur an einem Tag – darüber berichtet die Zeitschrift „Bild der Frau“ in ihrer aktuellen Ausgabe. Eine besondere OP-Methode wird darin vorgestellt, die es den Patient*innen erlaubt, oft schon am gleichen Tag aus der Klinik entlassen zu werden. Das Verfahren wird im journalistischen Beitrag anschaulich geschildert, auch die Voraussetzungen für die OP erklärt. Allerdings wird der Nutzen der Methode nicht in konkreten Zahlen beschrieben, Risiken und Kosten nicht genannt. Vor allem aber werden im Beitrag keine unabhängigen Expert*innen dazu zitiert.

Zusammenfassung

Morgens operiert und abends mit einer neuen Hüfte nach Hause entlassen – ein Beitrag in der Zeitschrift „Bild der Frau“ berichtet über die Möglichkeit, sich an einem Klinikum in Rüsselsheim ambulant ein neues Hüftgelenk einsetzen zu lassen. „Je kürzer, desto besser – das wollen auch die Patienten“, wird Chefarzt Dr. Manfred Krieger zitiert. Im Beitrag stellt er das Rapid-Recovery-Programm vor, das solche aufwändigen Operationen ambulant möglich macht. Ein Schlüsselelement ist dabei die Vorbereitung auf die OP: „In einer Schulung lernen die Patienten von den beteiligten Ärzten und Therapeuten, wie alles abläuft, wie man nach dem Eingriff auf Krücken läuft und wie es zu Hause mit der Reha weitergeht.“ Dazu kommen eine besonders schonende OP-Technik und eine abgestimmte Schmerztherapie. Wie erfolgreich ist diese Strategie? Wissenschaftliche Studien dazu werden in dem Beitrag nicht zitiert, keine konkreten Zahlen genannt, mögliche Risiken und Nebenwirkungen nicht thematisiert. Auch kommen keine unabhängigen Expert*innen zu Wort. Der Beitrag macht aber klar, welche Voraussetzungen für den Erfolg einer ambulanten OP erfüllt sein müssen, und dass es sich dabei um ein Verfahren handelt, das in Ländern wie den Niederlanden und Dänemark längst üblich ist.  Wie verbreitet die OP-Methode in Deutschland ist, wird allerdings nicht erklärt.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht verfügbar.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im Text werden die Vorteile der OP-Methode beschrieben, vor allem auch die Äußerungen der behandelten Patientin tragen dazu bei. Es finden sich Formulierungen wie: „sind Patienten schneller mobil, können so das Krankenhaus schneller verlassen“, „fünfeinhalb Stunden nach der OP war Treppensteigen wieder möglich“. Oder auch: „Schon über 200 Patienten wurden morgens operiert und konnten abends wieder nach Hause entlassen werden, weitere 1000 Patienten nach 48 Stunden.“ Das Ganze wird als sanfte Methode beschrieben: „(…) dass die Patienten früh nach der OP wieder fit sind. ,Sie haben in der Regel weniger oder keine Schmerzen und Kreislaufprobleme und können die Hüfte schnell uneingeschränkt bewegen´, sagt Dr. Manfred Krieger.“ Und weiter: „,Ich setze bei der Amis Methode einen kleinen Schnitt von vorne statt von der Seite, Muskeln und Sehnen werden dadurch erhalten und wir können auf eine Drainage verzichten´, erklärt der Chefarzt.“ Das macht insgesamt schon deutlich, welche positiven Effekte zu erwarten sind.

Auch wird klar, dass nur eine bestimmte Gruppe von Patient*innen für diese schnelle Hüft-OP geeignet ist. In einem eigenen Kasten wird erklärt, wer dafür in Frage kommt: „,Um ambulant ein neues Hüftgelenk erhalten zu können, müssen die Patenten körperlich fit sein. Sie sollten zum Beispiel keine internistischen Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Herzbeschwerden haben´, sagt Dr. Manfred Krieger. Außerdem nötig: Unterstützung zu Hause. Am Tag der Hüft-OP entlassen wird nur, wer ins Bett und aus dem Bett steigen, 300 Meter laufen, zwei Etagen Treppen steigen kann, einen guten Allgemeinzustand und eine gute Wundheilung hat.“ Leider gibt es jedoch keine konkreten Zahlen über den Einzelfall oder das Krankenhaus hinaus; es wir nicht erklärt, was dieses „in der Regel“ genau bedeutet. Bei wie vielen PatientInnen gelingt der Eingriff, bei wie vielen dauert es wirklich nur einen Tag, bis sie entlassen werden? Auch die Zahlen zum Aufenthalt in diesem Klinikum sind nur bedingt hilfreich, da man ja nicht weiß, bei wie vielen die OP insgesamt eingesetzt wurde. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Risiken und Nebenwirkungen werden nur indirekt angesprochen. „,Sie haben in der Regel weniger oder keine Schmerzen und Kreislaufprobleme und können die Hüfte schnell uneingeschränkt bewegen´, sagt Dr. Manfred Krieger. ,Da ihr auch nicht übel war und die Wunde gut heilte, wurde sie gegen 17 Uhr schon nach Hause entlassen.´“ Daraus lässt sich indirekt folgern, dass Wundheilungsstörungen und Übelkeit als Nebenwirkungen auftreten können – wobei diese nach jeder OP und Anästhesie möglich und nicht für diesen speziellen Eingriff typisch sind. Dennoch wäre es für die Leser*innen wichtig gewesen, zu erfahren, welche möglichen Risiken besonders bei dieser OP-Methode bestehen, vielleicht auch im Vergleich mit den Standardverfahren. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Artikel macht deutlich, dass die Methode an diesem Klinikum und vermutlich auch an anderen deutschen Krankenhäusern nicht so oft angewendet wird wie in anderen Ländern. „Auf die Idee zu ambulanten Hüftoperationen kam Dr. Krieger durch holländische Kollegen – dort sind diese längst Standard, ebenso in Dänemark.“ Wie verbreitet die OP an deutschen Kliniken ist, erfahren die Leserinnen und Leser jedoch nicht, da der Haupttext sich nur auf die eine Klinik in Rüsselsheim fokussiert: „(…) aufgrund des deutschen Krankenhausfinanzierungssystems können wir jedoch aktuell nur eine bestimmte Anzahl durchführen“, sagt der Chefarzt.“ Immerhin wird jedoch in einem Infokasten erwähnt, dass die Fast-Track-Chirurgie in Deutschland „immer häufiger bei verschiedenen Eingriffen angewandt“ wird, Menschen also nach einem Eingriff schneller wieder mobil sind als früher. Daher werten wir insgesamt noch knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird im journalistischen Beitrag darauf hingewiesen, dass diese OP-Methode eine Alternative zum üblichen Standardverfahren ist, bei dem Patienten laut Text üblicherweise „mehr als eine Woche“ im Krankenhaus bleiben. Daher werten wir knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Was das Verfahren kostet und wer diese Kosten übernimmt, erfahren Leserinnen und Leser nicht. Lediglich mit einem Zitat wird angedeutet, dass „Kosten“ ein Grund dafür sind, dass an der Klinik in Rüsselsheim nur eine begrenzte Anzahl von Operationen stattfinden kann: „aufgrund des deutschen Krankenhausfinanzierungssystems können wir jedoch aktuell nur eine bestimmte Anzahl durchführen“, wird der Chefarzt im Artikel zitiert. Hier wäre es für die Leser*innen und mögliche Patient*innen wichtig gewesen, mehr darüber zu erfahren. Insgesamt werten wir daher „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Hüftschmerzen bzw. Arthrose werden im journalistischen Beitrag nicht übertrieben dargestellt. Es wird deutlich, dass Arthrose zu großen Schmerzen führen kann.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Wie gut das Verfahren in Studien untersucht ist, wird nicht deutlich. Es wird nur kurz darauf verwiesen, dass die OP-Methode in anderen Ländern bereits zu den Standardeingriffen gehört.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es kommen keine Expert*innen jenseits des GPR-Klinikums Rüsselsheim zu Wort.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Dass der im Beitrag erwähnte Chefarzt einen Interessenkonflikt hat, weil er das besprochene Verfahren selbst anwendet, ist offensichtlich, muss also nicht thematisiert werden.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Im Artikel wird deutlich, dass die OP-Methode nicht neu ist: „Der Chefarzt der orthopädischen Klinik führt seit 30 Jahren Gelenkersatz-OPs durch. Seit sechs Jahren macht das der 61-Jährige auch ambulant.“ Wichtig wäre ein Hinweis gewesen, dass in Deutschland weit mehr Hüft-OPs durchgeführt werden als im Ausland, die Notwendigkeit also in vielen Fällen fraglich ist (siehe dazu auch hier). Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Faktenfehler haben wir keine gefunden. Allerdings lassen sich viele Informationen kaum überprüfen, so etwa die Angaben zur Patientin.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Es liegt uns keine Pressemitteilung vor, daher gehen wir von einer journalistischen Rechercheleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Die anderthalb bunten Seiten mit Fotos und Kästen (und Zitaten vom Chefarzt und seiner Patientin) bereiten das Thema Hüft-OPs anschaulich und mit einer angenehmen Ansprache auf.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Artikel erklärt das Verfahren in einfacher Sprache, englische Begriffe werden übersetzt, lediglich bei der Amis-OP-Methode bleibt offen, warum sie so heißt. Es wird deutlich, was bei dieser Methode anders gemacht wird als beim Standardverfahren: „bei der Amis Methode einen kleinen Schnitt von vorne statt von der Seite, Muskeln und Sehnen werden dadurch erhalten und wir können auf eine Drainage verzichten“. Deutlich wird vor allem, dass das Fast-Track Konzept auf mehreren Säulen ruht: „Wie er das schafft? ,Mit der schonenden Amis-OP- Methode, einer speziellen Schmerztherapie, dem Rapid- Recovery-Programm und motivierten Patientinnen´, sagt Dr. Manfred Krieger.“

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

In Deutschland werden sehr viele Hüftoperationen durchgeführt, daher besteht ein breites Interesse an Alternativen zur normalen Hüft-OP. Bedauerlich ist allerdings, dass in der Rubrik „Aus der Klinik“ der Zeitschrift nur über ein Krankenhaus und eine Patientin berichtet wird, was die Relevanz für die Leser*innen natürlich deutlich schmälert. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar