In der aktuellen Ausgabe der Frauenzeitschrift „Tina“ werden auf drei Seiten homöopathische Mittel als „Sommerapotheke“ empfohlen. Wissenschaftliche Belege für die angebliche Wirkung der verschiedenen Präparate werden nicht vorgelegt. Stattdessen wird erklärt, dass die Wissenschaft noch dabei sei, herauszufinden, wie „Globuli & Co“ genau wirken. Die öffentliche Debatte um die weißen Kügelchen und ihr Wirksamkeit sowie zur Erstattung dieser Behandlungen durch die Krankenkassen bleibt im Text leider unerwähnt.
Zusammenfassung
Als Service-Teil für ihre Leserinnen bietet die Frauenzeitschrift „Tina“ in ihrer aktuellen Ausgabe eine homöopathische Sommerapotheke an. Darin werden Ratschläge erteilt, welche Mittel bei welchen Beschwerden helfen sollen. Auch gibt der Artikel Empfehlungen, wie vorzugehen ist, wenn das erste Präparat nach zwei Tagen keine Wirkung zeigt. Dies alles ist anschaulich und verständlich geschrieben. Allerdings wird im Text nicht darauf eingegangen, dass es bis heute keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege für homöopathische Verfahren gibt. Stattdessen werden die Leserinnen sogar in die Irre geführt, indem erklärt wird, dass die Wissenschaft noch dabei sei, die Wirksamkeit der Globuli zu ergründen. Das erweckt den Anschein, dass die Mittel in jedem Fall wirken, lediglich noch unverstanden ist, wie genau sie den Betroffenen helfen.
Auch wird im Text nicht auf die öffentliche Diskussion um Homöopathie und deren Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen eingegangen. Die Indikationen für die verschiedenen Mittel dürften zudem für die Leserinnen verwirrend sein, so heißt es bei Aconitum zum Beispiel, es wirke für das Herz-Kreislaufsystem. Was das bedeuten soll, bleibt unklar. Auch wird erläutert, dass diese Mittel die Selbstheilung in Gang bringen, besonders auch bei Frauen im Alter 40 plus. Das suggeriert, dass Frauen ab diesem Alter schlechtere Selbstheilungskräfte haben als jüngere, was nicht der Fall ist. Schließlich wird noch für einen Hersteller von Homöopathika geworben. Alles in allem also ein journalistischer Beitrag, der viele Fragen offenlässt.
Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht verfügbar.
Die Kriterien
1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).
Im journalistischen Beitrag werden konkrete homöopathische Mittel für bestimmte Beschwerden empfohlen, zum Beispiel: „Cocculus D12 ist ein bewährtes Mittel, weil es den gestörten Schlaf-wach-Rhythmus wiederherstellt.“ Es wird also deutlich, dass die Präparate gegen verschiedene Symptome oder Erkrankungen wirksam sein sollen. Wie genau sie ihre Wirkung entfalten sollen, wird nicht erklärt. Es ist nur etwas diffus von „bewährten Multitalenten“ die Rede sowie von der „erstaunlich schnellen“ Linderung der Beschwerden nach Einnahme der Globuli. Zudem heißt es im Text: „Dass die Homöopathie bei vielen Beschwerden hilft, steht für viele Menschen außer Frage, sie haben damit beste Erfahrungen gemacht“. Der Nutzen wird jedoch weder weiter erläutert noch mit irgendwelchen wissenschaftlichen Daten quantifiziert. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.
2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.
Offenbar sehen manche Homöopathen in hohen Verdünnungen/Potenzen ein mögliches Risikopotential; sofern man überhaupt (gemäß deren Sichtweise) davon ausgeht, dass die hochverdünnten Substanzen irgendeine Wirkung entfalten könnten. Wenn man also unterstellt, dass die Hochverdünnten ein Risikopotential hätten, dann wird das dennoch nicht richtig thematisiert: Zwar heißt es, die Präparate solle man nur nach Rücksprache mit Fachleuten nehmen, aber es ist lediglich davon die Rede, dass sie „besondere Wirkweise“ hätten, Risiken werden nicht erwähnt.
Vor allem aber – und das ist entscheidend – wird nicht davor gewarnt, homöopathische Mittel statt bewährter schulmedizinischer Therapien bei schweren Erkrankungen anzuwenden. Es heißt nur etwas diffus an einer Stelle: „Eine Gefahr ist es jedoch, zu lange herumzudoktern. Verstärken Symptome sich, sollte man sich an die hausärztliche Praxis wenden.“ Dies lässt jedoch vermuten, dass hier der Hausarzt beim „richtigen“ Einsatz homöopathischer Mittel weiterhelfen soll, nicht mit anderen Behandlungen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.
Es wird erklärt, dass man die Mittel rezeptfrei in der Apotheke erhält.
4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.
Alternativen werden teilweise genannt, zum Beispiel bei Wunden: „Man sollte sie mit einem speziellen Wundpflaster feucht halten“ oder bei Sonnenbrand: „Quarkumschläge lindern sofort“. Jedoch werden bei anderen Leiden etablierte Behandlungen nicht erwähnt, wie z.B. bei Allergien oder Lippenherpes.
5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.
Im Text bleibt offen, was die Krankenkassen (privat oder gesetzlich) tatsächlich an Kosten übernehmen. Auch die Bemerkung, etwa 70 Prozent der Krankenkassen zahlten „Therapiekosten“ bei entsprechend qualifizierten Ärzten, dürfte den Leserinnen und Lesern nur wenig weiterhelfen. Zwar sind Homöopathika eher günstig, allerdings hätten hier konkrete Zahlen genannt werden können. So lag im Jahr 2018 zum Beispiel der Gesamtumsatz in deutschen Apotheken bei 55,8 Milliarden Euro. Etwa 7,1 Milliarden Euro entfielen auf rezeptfreie Arzneimittel. Von diesen 7,1 Milliarden Euro für die Selbstmedikation machte die Homöopathie nur einen Bruchteil von etwa 666 Millionen Euro aus, das sind 7,3 Prozent der rezeptfreien Arzneien. Von den gesamten jährlichen Ausgaben für Arzneimittel (rezeptpflichtig und rezeptfrei) entfallen in Deutschland nur 1,2 Prozent auf Homöopathika (siehe auch hier).
6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).
Insgesamt erweckt der journalistische Beitrag den Eindruck, man bräuchte viele homöopathische Mittel. Es heißt: „Vorbeugung und Vorsorge sind Kernbestandteile (…) der Homöopathie“. Wenn also Homöopathie der Vorbeugung dient, legt dies nahe, dass die Mittel schon ohne akute Beschwerden einzunehmen sind. Zudem werden teilweise unbedenkliche Vorgänge im Artikel als behandlungsbedürftige Beschwerden aufgeführt, Schwitzen etwa und Muskelkater, Schläfrigkeit und Stress. Auch „Frauen im Alter 40 plus“ scheinen an sich therapiebedürftig zu sein. Dies alles werten wir als Krankheitsübertreibungen und werten daher nur knapp „ERFÜLLT“.
7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.
Es finden sich im Artikel keine wissenschaftlichen Belege, die zitiert werden, schon gar keine Einordnung der Studienlage. Es heißt zu Beginn nur, „die Wissenschaft“ sei „noch dabei herauszufinden“, wie Globuli genau wirkten – so als wirkten sie, man müsse nur noch eine Erklärung finden. Aber diese Evidenz fehlt, es gibt allenfalls vereinzelte Studien, die aber häufig vom Design her sehr schlecht sind. Wichtig wäre gewesen, zu erwähnen, dass die Wirkung der Homöopathie weitgehend mit dem Placebo-Effekt erklärt wird. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.
Es wird lediglich auf die Homepage des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte verwiesen – was aber natürlich nicht als unabhängige Quelle für einen Artikel über Homöopathie gelten kann. Expert*innen werden im Text nicht zitiert.
9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.
Es gibt einen Satz, der darauf hinweist, dass Apotheken „gute Anlaufstellen“ seien, um sich Rat zu holen. Dass hier ein Interessenskonflikt bestehen kann, hätte im Text erwähnt werden können. Auch fällt auf, dass im journalistischen Beitrag selbst auf einen Anbieter homöopathischer Mittel hingewiesen wird: „…z.B. DHU“. Doch werten wir insgesamt noch knapp „ERFÜLLT“.
10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).
Es heißt zu Beginn des Artikels, 75 Prozent der Deutschen würden integrative Medizin befürworten. Zur Geschichte der Homöopathie und vor allem der wissenschaftlichen Debatte erfahren wir jedoch nichts. Daher werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.
11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).
Geht man davon aus, dass die Indikationsliste für Homöopathika von einer im System begründeten Therapieanweisung abgeschrieben ist, so sind diese Angaben (etwa bei Arnica, Okoubaka, Belladonna) „korrekt“. Allerdings sind im Text einige Indikationen so gefasst, dass sie nicht zusammenpassen. Wie soll ein Mittel gegen Wunden und auch gegen Hexenschuss wirken? Und Nux vomica wird bei Beschwerden nach zu viel fettem Grillfleisch, bei Stress und Schlafstörungen empfohlen. Das lässt zumindest viele Fragen offen.
Zudem heißt es an anderer Stelle, Homöopathie sei Naturmedizin. Das ist jedoch falsch, da viele Ausgangsstoffe der Homöopathie nicht natürlich sind, zum Beispiel Murus Berlinensis, Berliner Mauer. Auch ist im Text davon die Rede, dass Vorbeugung und Vorsorge Kernbestandteile der integrativen Medizin, insbesondere der Homöopathie seien, dies ist jedoch nicht korrekt.
Zumindest suggestiv ist zudem die Aussage, dass die Wissenschaft noch dabei sei, herauszufinden, wie Homöopathie genau wirkt. Tatsächlich wurden bereits sehr viele Untersuchungen dazu durchgeführt, ohne überzeugende Belege für deren Wirksamkeit oder einen Mechanismus zu finden. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.
12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).
Es liegt uns keine Pressemitteilung vor, daher gehen wir von einer journalistischen Rechercheleistung aus.
13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).
Bebilderung, Gliederung in Kästen und Layout sind ansprechend. Auch der Text ist in einer klaren Sprache geschrieben, manchmal in fast stichwortartigen Anweisungen für die Leser*innen.
14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).
Der Text ist auf den ersten Blick gut verständlich, auf den zweiten stellt man jedoch fest, dass für die Leser*innen gar nicht nachvollziehbar ist, warum sie welche Mittel wie lange nehmen sollen. Was höhere und niedrigere Potenzen sein sollen, wird nicht erklärt, auch der Begriff der Reiztherapie bleibt vage.
15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).
Allein der nahende Sommer wird zum Anlass genommen, über homöopathische Mittel für die warme Jahreszeit zu berichten. Neue Erkenntnisse werden dagegen nicht vermittelt, keine originellen Perspektiven gewählt. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.