Bewertet am 11. April 2022
Veröffentlicht von: Brigitte
Wann ein Zahnwurzelbehandlung nötig wird und wie Zahnärzte den Eingriff genau durchführen, darüber berichtet die Zeitschrift Brigitte in einem aktuellen Beitrag. Der Text ist verständlich geschrieben, informiert über interessante Details zur Zahnanatomie, weist auch darauf hin, wie wichtig es ist, einer Zahnwurzelentzündung vorzubeugen. Allerdings bleibt der Artikel an mancher Stelle etwas vage und erweckt den Anschein einer Aktualität, die nicht gegeben ist.

Zusammenfassung

Ein Artikel in der Zeitschrift Brigitte berichtet darüber, wie eine Zahnwurzelbehandlung abläuft und wie sich die Technik im Laufe der Jahre verbessert hat. Auch liefert der Text interessante Informationen über den Aufbau der Zähne, erläutert, dass eine gute Mundhygiene und regelmäßige Kontrollen Karies und Wurzelentzündungen vorbeugen können. Es werden Studien und Statistiken genannt, Experten zum Thema zitiert. Allerdings wird der Nutzen einer Wurzelbehandlung nur sehr knapp dargestellt, die vorhandene Evidenz nur unzureichend eingeordnet. Zudem wird zu Beginn des Textes der Anschein erweckt, dass über eine aktuelle Studie berichtet wird: Darin fanden Forschende heraus, dass Patienten Wurzelbehandlungen gar nicht unangenehmer finden als andere zahnärztliche Therapien. Tatsächlich stammt die Untersuchung aber aus dem Jahr 2019 – und es ging darum, wie die Mundgesundheit allgemein die Lebensqualität beeinflusst.

Hinweis: Der Originalbeitrag ist online nicht verfügbar. Daher zitieren wir besonders ausführlich.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Nutzen einer Zahnwurzelbehandlung wird im journalistischen Beitrag nur allgemein deutlich: Damit ließen sich schmerzhafte Entzündungen in Zähnen ausräumen und so die Zähne erhalten: „Das Ziel: Der Zahn muss nicht gezogen werden, sondern kann bestenfalls noch Jahre seinen Dienst tun.“  Auch wird eine australische Studie genannt: „Eine Untersuchung der University of Adelaide mit gut 1000 Patient*innen fand heraus, dass diese eine Wurzelbehandlung gar nicht unangenehmer fanden als andere zahnärztliche Therapien und vor allem, dass sich Lebensqualität und Gesundheit der Betroffenen dadurch deutlich verbessert hatten.“ Was jedoch genau „deutlich verbessert“ bedeutet, wird nicht konkret beschrieben, weder absolute noch relative Zahlen zu dieser Verbesserung oder zum Behandlungserfolg werden berichtet. Immerhin liefert der Beitrag aber Hinweise darauf, dass es mit einer einzigen Behandlung häufig nicht getan ist: „Laut Krankenkassenstatistik müssen 37 Prozent der wurzelbehandelten Zähne ein zweites Mal verarztet werden.“  Wie diese Zahl jedoch in Bezug zu den Ergebnissen der australischen Studie zu bewerten ist, wird nicht erläutert. Auch wird nicht erklärt, für wen genau die Wurzelbehandlung geeignet ist – und in welchen Fällen davon abgeraten wird (siehe auch hier). Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Der Beitrag beschreibt, dass die Behandlung aufwändig sein kann. „Laut Krankenkassenstatistik müssen 37 Prozent der wurzelbehandelten Zähne ein zweites Mal verarztet werden.“ Auch kann es Komplikationen bei der Behandlung geben: „Der Fall, dass eine Feilenspitze abbricht, ist heute deshalb viel seltener als vor ein paar Jahren, als wir noch steife Stahlinstrumente verwendet haben“, sagt Dr. Sondos Gabris.“ Wie häufig Komplikationen bei der Behandlung sind, beziffert der Beitrag nicht. Der Artikel thematisiert Schmerzen nach der Behandlung, aber es wird nicht ganz klar, zu welchem Teil sie durch die Behandlung selbst entstehen und welchen Anteil die Wurzelentzündungen selbst haben: „Ein paar Tage Schmerzen sind nach einer Wurzelbehandlung normal und bei massiven Entzündungen kann es auch länger dauern, bis diese ganz abgeklungen sind.“

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Wurzelfüllungen sind Routinebehandlungen in Zahnarztpraxen – etwa 6,5 Millionen Mal würden sie in Deutschland jedes Jahr durchgeführt, heißt es im Beitrag. Auch schränkt der Beitrag ein, dass moderne Hilfsmittel wie 3D-Röntgenaufnahmen und OP-Mikroskope längst nicht in jeder Praxis vorhanden sind. Und der Text weist darauf hin, dass der Eingriff eine hohe handwerkliche Befähigung voraussetzt: „Zertifizierte Endodontolog*innen haben eine Weiterbildung durchlaufen und kennen sich mit Erkrankungen des Zahnweichgewebes und dem Erhalt des Zahnes besonders gut aus.“

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Beitrag weist auf vorbeugende Maßnahmen hin, damit es gar nicht erst zu einer Wurzelentzündung kommt: „Eine gute Mundhygiene und regelmäßige Checks bei Ärztin bzw. Arzt können Karies und Wurzelentzündungen verhindern.“ Auch erklärt der Beitrag, dass es ohne eine Wurzelbehandlung notwendig sein kann, den Zahn zu ziehen. In welchen Fällen das tatsächlich die einzige Alternative wäre, lässt der Beitrag allerdings offen. Es fehlen zudem Informationen dazu, ob bei allen Wurzelentzündungen eine Wurzelbehandlung nötig ist oder sie auch von allein ausheilen kann. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Der Beitrag beschreibt im Kasten „Und was zahlt die Kasse?“, dass gesetzliche Krankenkassen nicht alle Kosten einer Wurzelbehandlung übernehmen: „Wurzelbehandlungen kosten je nach Aufwand zwischen 200 und 1200 Euro. Gesetzliche Kassen zahlen nur einen Teil und das auch nur, wenn die kassenärztlichen Richtlinien erfüllt sind. So muss etwa die Zahnreihe, in der er steht, vollständig sein. Sollte der Zahn die Richtlinien der Kassen nicht erfüllen, kann der komplette Eingriff auch als Privatleistung durchgeführt werden.“ Wie hoch der Eigenanteil genau ausfällt bzw. wo sich Betroffene genauer informieren können, wird jedoch nicht weiter thematisiert. Insgesamt werten wir aber noch „ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Karies und damit verbundene Zahnwurzelentzündungen stellen ein häufiges Gesundheitsproblem dar, das in dem Beitrag nicht übertrieben dargestellt wird.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag verweist auf eine Studie zur Wurzelbehandlung: „Eine Untersuchung der University of Adelaide mit gut 1000 Patient*innen fand heraus, dass diese eine Wurzelbehandlung gar nicht unangenehmer fanden als andere zahnärztliche Therapien und vor allem, dass sich Lebensqualität und Gesundheit der Betroffenen dadurch deutlich verbessert hatten.“ Die wird in ihrer Qualität jedoch nicht eingeordnet, und es werden keine wissenschaftlichen Studien zu Techniken und Erfolgen von Zahnwurzelbehandlungen erwähnt. Damit bleibt offen, wie sicher das Wissen zur Wurzelbehandlung eigentlich ist. Die Leser*innen müssen sich also auf die Aussagen der im Text zitierten Expert*innen verlassen.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Im Beitrag werden zwei Expert*innen zitiert: Dr. Sondos Gabris, Oberärztin und stellvertretende Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Endodontologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, und Michael Hülsmann, emeritierter Professor an der Universitätszahnklinik in Göttingen, kommen im Artikel zu Wort. Außerdem wird auf den Medizinischen Dienst der Krankenkassen verwiesen.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Die beiden zitierten Expert*innen sind bzw. waren in Kliniken angestellt, die sich unter anderem mit Wurzelbehandlungen beschäftigen. Bei dem zweiten Experten hätte der Beitrag noch stärker darauf hinweisen können. Beide Fachleute betonen den Stellenwert einer Wurzelbehandlung nicht übermäßig, sondern weisen eher auf Probleme hin. Ein Interessenkonflikt wäre vielleicht insofern zu erkennen, dass die Expert*innen zu verstehen geben, dass Zahnärzt*innen, die ein spezielles Zertifikat für Endodontologie erworben haben, eine bessere Wahl sind als Kolleg*innen ohne ein solches Zertifikat: „Michael Hülsmann, bis vor einem Jahr Professor an der Universitätszahnklinik in Göttingen, kritisiert, dass das Studium Zahnmediziner*innen nur unzureichend auf den Eingriff vorbereite, der eine hohe handwerkliche Befähigung voraussetze.“ Diese Empfehlung scheint angesichts der Komplexität der Behandlung aber gerechtfertigt, deshalb werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag beschreibt, dass eine Wurzelbehandlung in Deutschland ein häufiger Eingriff ist: „etwa 6,5 Millionen Mal wird sie bei uns jedes Jahr durchgeführt“. Auch wird deutlich, dass die Zahnärzte mehr über die Anatomie der Zähne gelernt haben und sich die Technik in den vergangenen Jahren weiter entwickelt hat: ,Jahrzehntelang wurde gelehrt, dass Backenzähne im Oberkiefer drei Kanäle haben, heute weiß man, dass es bei speziellen Zähnen auch vier sein können. Und der vierte ist häufig versteckt`, so die Expertin. Immer wieder entdeckt die Forschung neue Details über den Aufbau des Wurzelsystems. Wenn Kanäle aber gar nicht oder nicht bis zu ihrem Ende behandelt werden, schwelt auch die Entzündung weiter. ,Es handelt sich beim Füllen bis in die Spitze um Zehntelmillimeter. Das braucht Geduld und Zeit.` Moderne Hilfsmittel wie 3-D-Röntgenaufnahmen, Desinfektion mittels Ultraschall und ein OP-Mikroskop erhöhen die Genauigkeit und damit den Erfolg der Behandlung. Allerdings gibt es die eben auch nicht in jeder Praxis. Auch die Feilensysteme, mit denen gearbeitet wird, werden technisch immer besser, also vor allem biegsamer, weil sich die Kanäle zur Wurzelspitze haarfein verästeln, Nischen bilden und krümmen. ,Der Fall, dass eine Feilenspitze abbricht, ist heute deshalb viel seltener als vor ein paar Jahren, als wir noch steife Stahlinstrumente verwendet haben`, sagt Dr. Sondos Gabris“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Der ehemalige „Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen“ (im Beitrag als „Medizinischer Dienst der Krankenversicherung“ bezeichnet), hat seit Anfang 2022 eine Nachfolgeorganisation „Medizinischer Dienst Bund“. Das ist aber nur eine Ungenauigkeit. Insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir haben keine aktuelle Pressemitteilung zum Artikel gefunden, daher gehen wir von einer eigenen journalistischen Recherche-Leistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Formal verwendet der Beitrag viele Elemente, die einen journalistischen Artikel zu einem Gesundheitsthema interessant und abwechslungsreich machen können: Eine emotionale Ansprache zu Beginn, Studien, Statistiken, Einordnungen von Expert*innen, Erläuterungen zur Behandlung und konkrete Tipps. Auch interessante, überraschende Details zur Anatomie der Zähne werden erwähnt: „,Jahrzehntelang wurde gelehrt, dass Backenzähne im Oberkiefer drei Kanäle haben, heute weiß man, dass es bei speziellen Zähnen auch vier sein können. Und der vierte ist häufig versteckt`, so die Expertin. Immer wieder entdeckt die Forschung neue Details über den Aufbau des Wurzelsystems.“

Allerdings wird nicht ganz klar, ob es sich bei dem Text um einen klassischen Ratgeberbeitrag handeln soll, die Darstellung der Thematik bleibt dafür an mancher Stelle zu vage. Für einen solchen Artikel hätte man sich noch mehr konkrete Ratschläge gewünscht, worauf Patient*innen achten sollten, ob man tatsächlich nur spezialisierte Fachleute aufsuchen sollte oder wie man erfährt, wie hoch der zu bezahlende Eigenanteil ausfallen wird. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Beitrag beschreibt das Vorgehen bei einer Wurzelbehandlung nachvollziehbar und verzichtet auf unnötige Fachbegriffe. Allerdings gibt es einige unklare Passagen, z.B. „Laut Statistik des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ist die Wurzelbehandlung nämlich der am häufigsten nachgewiesene Behandlungsfehler.“ Ist die Wurzelbehandlung an sich der Behandlungsfehler oder gibt es häufig Behandlungsfehler im Rahmen einer Wurzelbehandlung? Auch andere Informationen fehlen oder sind sehr verknappt dargestellt, etwa bezüglich des Ziels, den betroffenen Zahn nicht ziehen zu müssen: „Das Ziel: Der Zahn muss nicht gezogen werden, sondern kann bestenfalls noch Jahre seinen Dienst tun. Dafür wird er nach erfolgreicher Rettung meist mit einer Teilkrone oder Krone versehen.“ Warum? Dass wurzelbehandelte Zähne oft stabilisiert werden müssen, wird nicht erwähnt. In einer anderen Textpassage geht es um Desinfektion mit Hilfe von Ultraschall, das wird jedoch leider nicht weiter erläutert. Und die Information zu den abgebrochenen Feilensystemen dürfte so manche Leser*in mindestens ratlos zurücklassen: „Auch die Feilensysteme, mit denen gearbeitet wird, werden technisch immer besser, also vor allem biegsamer, weil sich die Kanäle zur Wurzelspitze haarfein verästeln, Nischen bilden und krümmen. ,Der Fall, dass eine Feilenspitze abbricht, ist heute deshalb viel seltener als vor ein paar Jahren, als wir noch steife Stahlinstrumente verwendet haben`, sagt Dr. Sondos Gabris.“ Insgesamt werten wir daher knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Das Thema hat keine besondere Aktualität, ist aber sicher für viele Leser*innen relevant. Allerdings hätte man den Fokus anders setzen können, zum Beispiel auf die unzureichende Ausbildung der Zahnmediziner*innen, die im Artikel moniert wird: „Michael Hülsmann, bis vor einem Jahr Professor an der Universitätszahnklinik in Göttingen, kritisiert, dass das Studium Zahnmediziner*innen nur unzureichend auf den Eingriff vorbereite, der eine hohe handwerkliche Befähigung voraussetze.“ Eine drei Jahre alte Studie im Einstieg als augenscheinlichen Anlass zu nehmen, ist dagegen irreführend für die Leser*innen. Letztlich wird nicht recht deutlich, was der Fokus und der aktuelle Anlass des Artikels ist. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern, weil dreimal nur knapp „ERFÜLLT“.

Title

Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar