Bewertet am 16. Februar 2022
Veröffentlicht von: tagesschau.de

Mitten in der aktuellen Omikron-Welle stellt sich die wichtige Frage, wie zuverlässig gängige Antigen-Schnelltests diese neue Virusvariante erkennen. Ein aktueller Artikel auf tagesschau.de berichtet über noch unveröffentlichte Studienergebnisse, in denen acht von neun Tests sehr schlecht abschneiden. Auch weitere Untersuchungen mit besseren Ergebnissen werden im journalistischen Artikel erwähnt. Allerdings fehlt weitgehend eine Erläuterung von Fachbegriffen, und die sehr unterschiedlichen Bewertungen der Schnelltests werden nicht von unabhängigen Experten eingeordnet.

Zusammenfassung

Wie gut erkennen Antigenschnelltests Corona-Infektionen mit der Omikron-Variante? Ein Beitrag von tagesschau.de berichtet von drei Arbeitsgruppen, die dieser Frage nachgehen, konzentriert sich aber auf die Arbeit einer Gruppe von der LMU München, die den von ihr untersuchten neun Schnelltests ein vernichtendes Zeugnis ausstellt. Es gibt aber eine wichtige Einschränkung: Die Studie ist noch nicht abschließend begutachtet, das erwähnt auch der Beitrag. Eine andere Arbeitsgruppe, die im Text viel weniger Raum erhält, kommt zu deutlich besseren Bewertungen.  Der journalistische Beitrag lässt die unterschiedlichen Befunde und Einschätzungen unkommentiert nebeneinander stehen, nimmt die Leser*innen insgesamt wenig an die Hand: Fachbegriffe wie „Sensitivität“ werden nicht erklärt und manche Formulierungen bleiben unverständlich. Was leider im Beitrag völlig fehlt: Der Münchner Virologe Professor Oliver Keppler schließt aus dem Ergebnis seiner Studie, es sei riskant, einen negativen Schnelltest als „Freifahrtschein“ anzusehen und rät deshalb, in Innenräumen Masken zu tragen, wie einem anderen Medienbeitrag zu entnehmen ist (siehe Kriterium 2).

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im journalistischen Beitrag geht es um die Frage, wie verlässlich derzeit Schnelltests die Omikron-Variante erkennen. Allerdings wird nicht klar, was es bedeutet, wenn acht von neun der untersuchten Tests „deutlich schlechter“ abschnitten als bei der Erkennung anderer Varianten. Was heißt, dass „einige“ Tests nur in der Hälfte der Fälle die Infektionen erkannten oder sogar noch weniger? Wann wurde bei sehr hoher Virus-Last getestet, wann bei hoher und welche Skala gab es dafür? Der Nutzen oder mangelnde Nutzen dieser Schnelltests bei der Omikron-Variante von Sars-CoV-2 wird also im journalistischen Beitrag nur sehr vage und teilweise schwer verständlich erklärt.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Vor allem geht es in diesem Fall um die Risiken, die ein unzuverlässiger Antigenschnelltest bergen kann, etwa, dass Menschen fälschlicherweise als negativ getestet gelten und damit als nicht infiziert. Dann nämlich müssten diese unerkannten Infizierten nicht in Quarantäne, könnten andere mit dem Virus anstecken, besonders vulnerable Gruppen gefährden. Dies alles wird im journalistischen Beitrag leider nicht erklärt. Auch bleibt unerwähnt, dass der Münchner Virologe Professor Oliver Keppler selbst aus dem Ergebnis seiner Studie die Schlussfolgerung zieht, dass man einen negativen Schnelltest nicht als „Freifahrtschein“ verstehen dürfe. In einem aktuellen Interview mit dem Bayerischen Rundfunk rät er deshalb zum Tragen von Masken, vor allem in Innenräumen – und zu häufigem Lüften, siehe auch: www.br.de/nachrichten/wissen.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Die im Artikel erwähnten Antigenschnelltests sind allgemein verfügbar, was im Text aus der Bemerkung „darunter auch solche, die aktuell in vielen Apotheken, Drogerien und Supermärkten verkauft werden“ deutlich wird. 

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

PCR-Tests werden nur einmal kurz als Alternative erwähnt: „Die schwankende Qualität der Schnelltests bleibt ein Problem, betont Keppler – besonders wenn noch stärker als bisher auf Schnelltests anstelle von PCR-Tests gesetzt wird, wie es die veränderte Testverordnung nun vorsieht.“ Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Kosten werden im journalistischen Beitrag nicht erwähnt, wobei die unterschiedlichen Preise der neun untersuchten Schnelltests durchaus von Interesse gewesen wären, etwa, ob der Preis mit der Qualität korreliert.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Angesichts des Mangels an PCR-Tests und der Notwendigkeit, die aktuell vorherrschende Omikron-Variante nachweisen zu können, kommt der Verlässlichkeit von Schnelltests große Bedeutung zu.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Immerhin wird die Vorläufigkeit der Studienergebnisse klar formuliert, etwa hier: „Die Studie, die dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, muss noch abschließend von anderen Wissenschaftlern begutachtet werden“. Und auch hier: „Erste Erkenntnisse zeigten, dass die untersuchten Schnelltests auch bei Omikron anschlagen, so Studienleiter Krone. Für belastbare Bewertungen sei es aber zu früh.“

Leider findet jedoch bezüglich der Anzahl der in der Studie geprüften Antigenschnelltests im journalistischen Beitrag keine Einordnung statt.  So hatte zum Beispiel das Paul-Ehrlich-Institut bis zum 14. Dez 2021 insgesamt 245 Schnelltests getestet, wenn auch nicht für Omikron. Die Erwähnung dieser größeren Untersuchung hätte bereits geholfen, einzuordnen, dass die Evaluierung von lediglich neun Tests nicht sehr weiterhilft. Insgesamt werten wir daher „NICHT ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es werden keine weiteren Experten direkt zitiert, doch werden andere Quellen genannt, wie zum Beispiel die Bewertungen des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr oder die geplante Untersuchung an der Universitätsklinik in Würzburg. Diese ist insofern relevant, weil hier aus der Nennung der Zahl der überprüften Tests – nämlich nur drei – deutlich wird, wie wenige Tests auch anderenorts bewertet wurden.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Es sind keine Interessenkonflikte ersichtlich, doch wäre es interessant gewesen, dies näher zu überprüfen. Vor allem stellt sich auch die Frage, warum die Forschenden vor einer Veröffentlichung und Begutachtung in einem Fachjournal bereits an die Öffentlichkeit gehen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

In der Einleitung wird thematisiert, warum so viel von der Qualität der Corona-Schnelltests abhängt und dass „die offizielle Positivliste für Corona-Schnelltests, die auch bei Omikron gut funktionieren“, noch auf sich warten lässt.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Faktenfehler haben wir keine gefunden, doch sind ein paar sehr vage Formulierungen zu finden, etwa hier: „So erkannten einige der Tests nur in der Hälfte der Fälle die Infektionen oder sogar noch weniger.“ Daraus lässt sich leider nicht schließen, wie gut oder schlecht die Tests nun tatsächlich abgeschnitten haben.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir haben dazu keine Pressemitteilung gefunden, daher gehen wir von einer eigenständigen journalistischen Recherche aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Die Sprache ist an einigen Stellen des Textes unklar und missverständlich, vor allem, wenn es um die Beschreibung der unterschiedlichen Studien geht. An mancher Stelle hätte man sich auch elegantere Formulierungen gewünscht, etwa hier: „Viele verschiedene Punkte könnten die Funktionalität beeinflussen. Zentral sei dabei auch die Abstrichnahme und das Testmaterial an sich.“

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Ein zentraler Fachbegriff wie die „Sensitivität“ wird im Text leider nicht erklärt: Eine Sensitivität von 75 Prozent bedeutet nämlich, dass ein Test 75 von 100 Infektionen erkennt. Auch wird im journalistischen Beitrag nicht erklärt, was diese schlechten Studienergebnisse für Folgen in der aktuellen Pandemie haben könnten. Und schließlich sind manche Formulierungen im Artikel schwer verständlich, etwa hier: „Bei lediglich hoher Viruslast – also wenn man auch schon ansteckend sein kann – waren die meisten der untersuchten Tests ein Totalausfall.“  Erst auf den zweiten Blick verstehen die Leser*innen, dass die „hohe Viruslast“ hier im Gegensatz zur „sehr hohen Viruslast“ steht. Hier wäre eine andere Wortwahl hilfreich gewesen, zum Beispiel: „Bei einer niedrigeren Viruslast, die aber auch schon ansteckend sein kann…“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich (THEMENAUSWAHL).

Das Thema ist aktuell und relevant.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern, da die wesentlichen Kriterien Nutzen, Risiken und Einordnung der Evidenz nicht erfüllt sind.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar