Bewertet am 8. Februar 2022
Veröffentlicht von: Deutschlandfunk
Mitten in der Omikron-Welle fehlt es bisher an neuen Ansätzen, wie infizierte Menschen weiterhin mittels Tests frühzeitig erkannt werden können. Ein Beitrag des Deutschlandfunks legt nun eine mögliche Alternative zu den üblichen PCR- und Schnelltests dar: Automatisierte Antigentests im Labor. Damit hat der Text ein aktuelles und relevantes Thema aufgegriffen, bleibt aber an vielen Stellen leider zu vage in seinen Aussagen.

Zusammenfassung

Zu Beginn des dritten Corona-Jahres melden viele Länder Rekordzahlen an Infektionen. Deshalb werden vielerorts neue Strategien diskutiert, z.B. wie große Teile der Bevölkerung weiterhin regelmäßig auf Sars-CoV-2 getestet werden können. In Deutschland werden die besonders präzisen, aber aufwändigen PCR-Tests knapp und sollen rationiert werden. Doch normale Antigen-Schnelltests haben unter bestimmten Bedingungen eine geringere Sensitivität und stellen deshalb keinen zuverlässigen Ersatz dar. Der Hörfunk-Beitrag des Deutschlandfunks stellt nun eine mögliche Alternative vor: automatisierte Antigentests, die verlässlichere Ergebnisse bringen als die Testkits für zu Hause, und einen hohen Durchlauf an Tests ermöglichen. Leider bleiben die Angaben zu den automatisierten Antigentests vage, es werden keinerlei Studien dazu erwähnt, die genauen Vorteile nur grob skizziert. So wird zum Beispiel eine zentrale Aussage des Beitrags, der Labortest reiche in der Genauigkeit an einen PCR-Test heran, in keiner Weise belegt. Die Zuhörer*innen erfahren nicht, ob die Empfindlichkeit des Tests validiert wurde, wer ggf. diese Studien durchgeführt hat, und ob eine Publikation dazu vorliegt. So können die Leserinnen und Leser nach der Lektüre nicht wirklich nachvollziehen, warum dieses Verfahren eine sinnvolle Alternative sein könnte.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Text stellt als „drittes Werkzeug“ beim Corona-Testen neben PCR und Antigenschnelltest den automatisierten Antigentest vor. Während der PCR-Test sehr genau, aber aufwändig und der Antigenschnelltest zwar schnell, aber nicht sehr zuverlässig sei, fülle der automatisierte Antigentest „genau die Lücke“. Zudem komme er der PCR-Sensitivität sehr nahe. Er erkenne „auch Infizierte mit nicht ganz so großer Virenmenge“, weil er anders ablaufe. Zwar werde die Probe „ganz normal in Nase und Rachen genommen, kommt dann aber ins Labor“. Dort würden die Pipettiervorgänge automatisiert durchgeführt. Leider finden sich nur Angaben zum Vergleich mit den PCR-Tests: „Bei mittleren Virenlasten, wo der Schnelltest versagt, erreichen sie noch eine 90- bis 95-prozentige Übereinstimmung mit dem PCR-Ergebnis.“ Die Angaben zur Spezifität und Sensitivität der automatisierten Tests selbst dagegen fehlen. Auch wäre noch interessant gewesen zu erfahren, wie schnell das Ergebnis eines solchen automatisierten Antigentexts vorliegen kann. Laut der Webseite management-krankenhaus.de braucht die Analyse einen halben Tag. Das beschränkt die Einsatzmöglichkeit des Labortests im Alltag, zum Beispiel vor Veranstaltungen. Deshalb werten wir insgesamt „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Ein Risiko der Tests sind falsch-positive sowie auch falsch-negative Ergebnisse der Tests. Das wird im journalistischen Beitrag indes nicht angesprochen. Gerade auch angesichts der Diskussionen der mangelnden Verlässlichkeit der Antigen-Schnelltest wäre dies ein wichtiger Aspekt gewesen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Eine Äußerung von Interviewpartner Michael Müller legt nahe, dass der automatisierte Labortest zumindest im großen Stil derzeit wohl noch nicht zur Verfügung steht: Müller sagt, dass es bisher noch keinen Mangel an PCR-Tests gegeben habe. „Deswegen gab es bis jetzt noch gar keinen richtigen Bedarf für Antigen-Labortests. Wenn die in das Konzept eingebunden werden sollen, dann können die Labore die Kapazität für die Labor basierten Antigentests aufbauen.“ Wo Interessierte dieses Verfahren bereits nutzen könnten, wird nicht klar, auch nicht, wie lange es dieses schon gibt, oder ob es in anderen Ländern angewendet wird. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Die Hörer und Hörerinnen erfahren, dass PCR- und Antigen-Schnelltests zur Verfügung stehen, um eine Infektion mit dem Corona-Virus nachzuweisen.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Was ein automatisierter Schnelltest kosten würde, und ob die Auswertung teurer oder günstiger wäre als bei normalen Schnelltests, erfahren die Hörerinnen und Hörer nicht. Auch wenn sie als Bürgertests nicht bezahlt werden müssten, ist die Information von Interesse, denn die Testkosten bezahlt in diesem Fall der Staat und somit wir alle. Vermutlich wären sie günstiger als PCR-Tests, aber auch das könnte interessant sein.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Das Risiko oder die mögliche Schwere einer Covid-19-Erkrankung werden im journalistischen Beitrag weder dramatisiert noch bagatellisiert. Der Beitrag benennt dagegen Herausforderungen der nächsten Monate, die von der ansteckenden Omikron-Variante und womöglich weiteren ebenfalls sehr ansteckenden Varianten geprägt sein dürfte: „Wir wollen ja Infizierte erfassen. Denken wir nur mal an die kritische Infrastruktur, Krankenhaus, Polizei, Feuerwehr, Schulen. Und wir kommen auch zukünftig um das Testen, nicht drum herum.“

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Text liefert keinerlei Belege für die Verlässlichkeit des automatisierten Labortests. Man erfährt nicht, ob, wie oder von wem er validiert wurde. Auch bleibt offen, ob die Ergebnisse der Validierung publiziert wurden. Somit können die Hörer*innen leider nicht einschätzen, wie verlässlich die Aussagen zum neuen Verfahren sind. Da dieses Testverfahren in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt ist, und die Frage der Sensitivität, also wie gut das Verfahren Infizierte erkennt, ganz entscheidend ist, wäre hier mehr journalistische Sorgfalt wünschenswert gewesen. Einer der zitierten Experten, Prof. Harald Renz, kündigt im Text an, man „überlege“, in Marburg „ein kleines Pilotprojekt“ durchzuführen mit dem Labor-Antigentest als Pool-Testung in Kitas (…) anstelle der PCR“. Das ist jedoch nur eine (recht vage) Ankündigung.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Im journalistischen Beitrag werden zwei Experten zitiert: Harald Renz, Leiter des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Uniklinikum Gießen-Marburg, und Michael Müller, Vorsitzender des Interessenverbands der Akkreditierten Medizinischen Labore.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Harald Renz versucht ein Pilotprojet in Marburg aufzustellen, eine Pooltestung in Kitas. Dies ist vermutlich kein kommerzielles Projekt. Falls man dieses Pilotprojekt als Interessenkonflikt werten möchte, ist dieser Interessenkonflikt thematisiert. Zudem wird im Beitrag Michael Müller interviewt, Vorsitzender des Interessenverbands der Akkreditierten Medizinischen Labore. Müller ist, wie der Name seines Verbands schon sagt, ein Interessenvertreter, spricht für die akkreditierten Labore. Weitere Interessenkonflikte werden nicht thematisiert, allerdings haben wir auch keine Hinweise darauf gefunden. Daher werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Der Beitrag bezeichnet die automatisierten Antigen-Schnelltests als „derzeit wenig beachtetes drittes Werkzeug“ und erklärt, dass dieses Verfahren in der nationalen Teststrategie bislang keine Rolle spielt. Laut Harald Renz wäre es aber an der Zeit das zu überdenken. Der Text erklärt auch, in welchen Bereichen die Antigentests im Labor hilfreich sein könnten: „Etwa beim Screening in Schulen oder an Arbeitsplätzen.“ Man müsse jetzt eine Infrastruktur aufbauen, um für den nächsten Herbst oder Winter vorbereitet zu sein. Wann, wo und von wem das Verfahren entwickelt wurde, und ob es in anderen Ländern bereits in größerem Stil verwendet wird, erfährt man jedoch nicht. Deshalb werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Da dem journalistischen Beitrag keine aktuelle wissenschaftliche Studie zugrunde liegt, lassen sich die im Beitrag erwähnten Fakten schwer überprüfen. Zumal nur wenige konkrete Fakten genannt werden. Auffällig ist allerdings, dass die Bewertung der automatisierten Antigentests in einem Beitrag der Wochenzeitung „Die Zeit“ deutlich negativer ausfiel: „Der Unterschied bei der Zuverlässigkeit sei aber speziell bei asymptomatischen Corona-Infektionen bei allen Antigentests im Vergleich zum PCR-Test, ganz erheblich´, gibt der Lübecker Labormediziner Bobrowski zu bedenken. Das Hauptproblem, was sowohl der laborgestützte Antigentest als auch der Schnelltest hat, ist einfach die deutlich zurückgehende Sensitivität bei sinkender Viruslast.´ Das gelte auch für die Virusvariante Omikron.“ Da diese unterschiedliche Einschätzung (und auch die unsichere Faktenlage) zumindest hätte thematisiert werden müssen, werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Wir haben dazu keine Pressemitteilung gefunden, daher gehen wir von einer eigenständigen journalistischen Recherche aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Lobenswert ist die gelungene Bildsprache: Das Beispiel mit dem Werkzeugkasten ist einprägsam: „In diesem Werkzeugkasten haben wir einmal die PCR- und dann haben wir die Antigen-Tests.“ Ebenso das Bild vom grobmaschigen Netz: „Und auch geringe Mengen werden mit dem Antigen-Schnelltest nicht erfasst und fallen im Prinzip durchs Raster. Und dieses Raster ist eben jetzt gerade bei Omikron sehr großmaschig.“ An mancher Stelle hätte dem Beitrag aber eine noch etwas lebendigere Sprache gutgetan.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Beitrag beschreibt nicht genau, wie der Antigentest im Labor funktioniert. Man erfährt nicht, dass die Abstriche in Röhrchen mit Inaktivierungspuffer eingerührt werden müssen, der zwei Stunden einwirken sollte. Auch bleibt unerwähnt, dass diese ins Labor transportiert werden müssen (siehe auch hier). Warum der Unterschied zwischen dem Tropfen per Hand beim normalen Antigenschnelltest so viel unzuverlässigere Ergebnisse erbringt als das automatisierte Tropfen im Labor, bleibt auch unklar. Schließlich wird auch nicht dargelegt, wie der Antigentest im Labor abläuft – und wie es dazu kommt, dass die Ergebnisse womöglich zuverlässiger sind als jener Antigen-Schnelltests für Zuhause.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Da die Laborkapazitäten für PCR-Tests knapp zu werden drohen und eine Infektion mit dem Omikron-Virus im Test offenbar häufig nicht erkannt wird, sind mögliche Alternativen zu PCR-Test und Antigen-Schnelltest hoch relevant.

Medizinjournalistische Kriterien: 10 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern (von 4 auf 3 Sterne), da dreimal nur knapp „ERFÜLLT“.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar