Bewertet am 28. Januar 2022
Veröffentlicht von: Frankfurter Rundschau (online)

Was, wenn Inhaltsstoffe der Hanfpflanze einer Corona-Infektion vorbeugen könnten? Diese Hoffnung weckt ein journalistischer Beitrag der Frankfurter Rundschau (online). Der Beitrag stellt eine Studie der Universität von Oregon vor, nach der bestimmte Cannabinoide das Corona-Virus daran hindern sollen, in menschliche Zellen einzudringen. Leider macht der Text nicht deutlich, dass die Wirksamkeit der Cannabinoide nur durch klinische Studien am Menschen nachgewiesen werden kann. Bislang gab es lediglich Versuche in Zellkulturen.

Zusammenfassung

Die Suche nach möglichen Wirkstoffen zur Vorbeugung einer Corona-Infektion geht weiter. So berichtet ein journalistischer Beitrag der Frankfurter Rundschau (online) über eine Studie, in der die Wirkung von Inhaltsstoffen aus Nutzhanf auf Corona-Viren getestet wurde. Der Artikel weist zwar darauf hin, dass weitere Studien folgen müssen, erläutert jedoch nicht, dass es sich tatsächlich um sehr frühe Labor-Untersuchungen handelt und die Inhaltsstoffe noch nicht als Medikamente an Menschen getestet wurden. Das gilt sowohl für den Nutzen als auch mögliche Risiken. Die Studienergebnisse werden nicht durch unabhängige Forschende oder weitere Quellen eingeordnet, zudem werden auch einige Fakten nicht korrekt wiedergegeben. An mancher Stelle wäre es hilfreich gewesen, den Text sprachlich etwas vielseitiger und lebendiger zu gestalten – und weniger Fachbegriffe zu verwenden.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Nutzen des Einsatzes von Cannabinoiden – Inhaltsstoffen der Hanfpflanze – wird im journalistischen Beitrag zwar deutlich: Sie sollen das Eindringen von Corona-Viren in menschliche Zellen verhindern. Auch wird beschrieben, dass in einer Studie dazu Laborversuche unternommen wurden. Und dass die beiden eingesetzten Cannabinoide unter allen eingesetzten Substanzen die „höchste Affinität“ für das Spike-Protein der Corona-Viren hatte. Allerdings wird diese Affinität und damit auch der Nutzen nicht quantifiziert. Wie wirksam die Cannabinoide in der Zellkultur waren, bleibt den Leserinnen und Lesern also verborgen. Auch wird nicht deutlich, dass erst klinische Studien nötig wären, um eine Wirksamkeit beim Menschen zu belegen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Mögliche Risiken der verwendeten Inhaltsstoffe der Hanfpflanze werden im journalistischen Beitrag kurz erwähnt: „Bei den Cannabinoidsäuren CBGA (Cannabigerolsäure) und CBDA (Cannabidiolsäure), die die Studie herausstellt, handelt es sich im Gegensatz zum bekannten Tetrahydrocanabinol (THC) nicht um psychoaktive, dafür um gut verträgliche und sichere Inhaltsstoffe“. Allerdings wäre es hilfreich gewesen, mehr über frühere Untersuchungen zur Sicherheit dieser Substanzen beim Menschen zu erfahren, ebenso wie die Information zu erhalten, dass Laborversuche nur sehr begrenzt Risiken beim Menschen darstellen können. Insgesamt werten wir jedoch noch knapp „ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Der Beitrag erläutert, dass es noch keine Medikamente gegen Covid-19 mit den getesteten Inhaltsstoffen gibt: „Bevor entsprechende Mittel auf den Markt kommen, müssten sie allerdings zunächst weitere Studien und mehrere Testphasen durchlaufen.“ Kurz vorher wird aber darauf verwiesen, dass „die besagten Cannabinoide bereits verfügbar sind und schnell zur Behandlung zugänglich gemacht werden könnten“. Hier wäre eine genauere Erklärung hilfreich gewesen, insgesamt werten wir jedoch „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es werden kurz Impfstoffe als Möglichkeit zur Vorbeugung genannt sowie Medikamente zur Behandlung von Covid-19, allerdings nur sehr allgemein: „Präparate zur Behandlung von Covid-19 gibt es bislang nur wenige“. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten werden hier nicht thematisiert. Da die Kosten für die Inhaltsstoffe aus der Hanfpflanze gering sein dürften, wäre das noch eine interessante Information für die Leser*innen gewesen.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Die Suche nach Präventions- und Therapiemöglichkeiten für Covid-19 ist zweifellos wichtig und wird im Beitrag nicht dramatisiert. Covid-19 wird nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Im Beitrag wird erwähnt, dass der Fachartikel „bereits von Expertinnen und Experten begutachtet“ (peer-reviewed) ist. Auch werden die Laborversuche erwähnt und erklärt, dass noch weitere Studien und Testphasen folgen müssen. Es fehlt allerdings der Hinweis, dass es bisher keine Studien mit Menschen gibt. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es kommt nur der an der Studie beteiligte Forscher zu Wort. Dies ist um so bedauerlicher, da der zitierte Studienautor schon viel über den möglichen Nutzen beim Menschen behauptet. Es wird deutlich, in welchem Fachmagazin die Studie erschienen ist.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Interessenkonflikte thematisiert der Beitrag nicht. In der zugehörigen Studienpublikation finden sich allerdings auch keine Hinweise darauf, daher werten wir hier „ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Im journalistischen Beitrag wird nicht erläutert, ob es früher bereits Studien mit diesen Inhaltsstoffen gab, zur Vorbeugung eine Virusinfektion oder auch zur Sicherheit dieser Substanzen. Zudem bleiben im Beitrag viele Fragen offen: Welchen Stellenwert könnte ein mögliches Medikament aus den Inhaltsstoffen bei Covid-19 haben? Handelt es sich um einen ähnlichen Wirkungsmechanismus wie bei Medikamenten zur frühen Behandlung, für die gerade die Zulassungsverfahren laufen? Was hat das alles mit dem Spike-Protein zu tun?  Es findet sich zwar der Hinweis „Das heißt allerdings nicht, dass man viel Cannabis rauchen sollte, um sich vor einer Erkrankung an Covid-19 zu schützen“ und weist darauf hin, dass es sich bei den Inhaltsstoffen nicht um THC handelt. Vermutlich hätte das Stichwort „Nutzhanf“ bei den Leser:innen die Einordnung aber deutlich erleichtert, schließlich weist bereits die Pressemitteilung darauf hin, dass Hanfextrakte und Hanf-Inhaltsstoffe auch in Kosmetika und Lebensmitteln verwendet werden.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Weder in der Pressemitteilung noch in der zugehörigen Studie findet sich die Behauptung aus dem journalistischen Beitrag, dass die beiden getesteten Hanf-Inhaltsstoffe kommerziell verfügbar sind („die besagten Cannabinoide bereits verfügbar sind und schnell zur Behandlung zugänglich gemacht werden könnten“). Ungenau ist auch die Aussage, dass die Forschenden mit dem Massenspektrometrie-Screening testen wollten, „welche Stoffe das Spike-Protein des Coronavirus am erfolgreichsten davon abhalten können, in menschliche Zellen einzudringen“. In der Pressemitteilung wird dagegen richtig beschrieben, dass in dieser Untersuchung getestet wurde, welche Stoffe an das Spike-Protein binden. Menschliche Zellen wurden erst im Anschluss in einem zweiten Versuch eingesetzt. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Im Beitrag finden sich keine Hinweise darauf, dass die Recherche über die Pressemitteilung hinaus gegangen ist.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag hat eine nüchterne, nachrichtliche Sprache, an mancher Stelle hätten lebendigere Formulierungen das Lesen ein wenig erleichtert, etwa hier: „dass die Cannabinoidsäuren den Eintritt des Coronavirus in die Zellen blockieren“, „dass entsprechende Präparate über den Mund eingenommen werden können“. Viele Sätze sind im Nominalstil geschrieben, z.B. „Die Ergebnisse könnten ein bedeutender Schritt in der Behandlung, beziehungsweise Vorbeugung des Coronavirus sein.“ Insgesamt werten wir jedoch knapp „ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Leider werden manche Fachbegriffe wie „Massenspektrometrie-Screening“ und „Affinitäten“ im Text nicht erklärt. Und auch bleibt unklar, warum „dieser Ansatz mit den Cannabinoiden nur in Kombination mit einer Corona-Impfung sinnvoll“ wäre. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Medikamente, die vor einer Corona-Infektion schützen oder schwere Verläufe verhindern, sind ein aktuelles und relevantes Thema. Der journalistische Artikel wurde neun Tage nach dem Fachartikel veröffentlicht, ist also noch halbwegs aktuell.

Medizinjournalistische Kriterien: 9 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern, weil deutlich mehr knapp „erfüllt“ als  knapp „nicht erfüllt“.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar