Bewertet am 14. Dezember 2021
Veröffentlicht von: HNA (online)

Viel wird derzeit über Corona-Impfstoffe berichtet, doch ist natürlich auch die Entwicklung von Medikamenten gegen Covid-19 von großem Interesse. Daher ist es nachvollziehbar, dass ein Artikel in der Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA online) eine Fachpublikation zu zwei Studien mit einer Wirkstoffkombination gegen die Erkrankung aufgreift. Allerdings wird im journalistischen Beitrag nicht deutlich genug herausgestellt, dass es sich um eine klinische Studie der Phase 1 handelt, der Einsatz am Patienten – wenn überhaupt – noch weit entfernt ist. Auch ist von einem „Durchbruch“ die Rede, eine Einschätzung, die angesichts der dünnen Datenlage bei den Leser*innen überzogene Hoffnungen wecken dürfte.

Zusammenfassung

Der Artikel greift ein aktuelles und relevantes Thema auf, die Behandlung einer Covid-19-Erkrankung mit Medikamenten. Die in dem Beitrag vorgestellten zwei Studien liefern einen wichtigen Beitrag zur Erforschung neuer Therapieansätze, somit ist die Themenauswahl gelungen. Der Kontext wird etwas verknappt dargestellt, aber der Text ist verständlich formuliert und es wird deutlich, welche Patienten in den Studien untersucht wurden und welche Medikamente sie bekamen. Die Einordnung der Untersuchungen ist allerdings missglückt, denn im Beitrag ist von einem „Durchbruch“ die Rede. Zwar liefern die Studienautoren interessante Ansätze und auch gute Hinweise auf eine mögliche zukünftige Therapieoption mit Dexamethason und Spironolacton. Allerdings ist die bisherige Evidenzlage dünn, schließlich handelt es sich nur um klinische Studien der Phase 1, in der es überhaupt darum geht, einen möglichen Wirkmechanismus zu prüfen (so genannte Proof-of-Concept-Studien). Und erst wenn diese ersten Hinweise sich in größeren Studien bestätigen, könnte die Medikamentenkombination eventuell zum Einsatz am Patienten kommen. Daher ist ein Durchbruch (falls überhaupt) noch nicht in Sicht und es reicht nicht aus, am Ende des Textes die übertrieben positive Darstellung kurz einzuschränken: „Laut Angaben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben die Studien erste, vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Dennoch seien weitere Untersuchungen nötig, um das Feld weiter zu erforschen.“ Der Text verspricht zu viel und leitet daher – trotz wichtiger Studien und richtiger Wiedergabe einiger Studieninhalte – in die Irre.

Schade ist zudem, dass nichts über den Hintergrund des federführenden britischen Forschers der Studien berichtet wird. Er hat diese Medikamentenkombination an seiner eigenen Tochter erprobt (siehe auch thenationalnews.com/uae/health) und sucht seither weltweit nach Möglichkeiten, sein Studienvorhaben umzusetzen und wirbt in der Presse für diesen Ansatz fast wie für ein Wundermittel.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im journalistischen Beitrag wird der Nutzen der beschriebenen Medikamentenkombination zwar angesprochen, bleibt jedoch im Ungefähren:  Es heißt zum Beispiel, Dexamethason allein (HiDex) habe „die Lage“ bei 16 Patienten „maßgeblich“ verbessert, dennoch habe der Mix (SpiDex) die „höhere“ Wirkung. Allerdings zeigen die Unterschiede in der Originalpublikation in den meisten der genannten Parameter keinerlei statistische Signifikanz – lediglich beim Blutdruck und beim Geschmacks- und Geruchssinn soll es Unterschiede gegeben haben (wobei aus der Originalpublikation nicht zu ersehen ist, welche Riech- und Geschmackstestungen genau vorgenommen wurden). Damit widersprechen die Beschreibungen im journalistischen Beitrag nicht nur der Originalpublikation, die Leser*innen können sich auch aufgrund der ungenauen Beschreibung der Effekte kein genaues Bild davon machen.

In der zweiten, in der Fachpublikation beschriebenen Studie dagegen ging es nicht um Wirksamkeit, sondern um Sicherheit.  Es ging nicht also darum „nach den Veränderungen in der Lunge“ zu suchen oder zu prüfen, „wie sich die Symptome bei Corona-Infizierten verhielten“.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Die Nebenwirkungen von Dexamethason (einem hochpotenten Kortisonpräparat) und diejenigen von Spironolacton, einem Mineralokortikoid, werden nicht erwähnt. Diese sind in der Studie bei Dexamethason vor allem ein Anstieg des Blutzuckerspiegels, diabetische Stoffwechsellage und Gewichtszunahme, dies schon recht früh, vor allem in der Gruppe mit der sehr hohen Dexamethason-Dosierung (siehe auch gelbe-liste.de/wirkstoffe/Dexamethason). Bei dem Mineralokortikoid Spironolacton sind eher langfristige Nebenwirkungen zu fürchten, hierzu zählt vor allem eine Vermännlichung mit vermehrtem Haarwuchs bei Frauen und Heiserkeit bei beiden Geschlechtern. Auch ein Überschuss von Kalium im Blut kann die Folge sein, was unbedingt kontrolliert werden muss. Dass das Thema Risiken und Nebenwirkungen überhaupt nicht thematisiert wird, verwundert doch sehr, da es sich bei der Studie um eine Untersuchung handelt, bei der es vor allem um Aspekte der Sicherheit der Medikamente geht.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Es wird deutlich, dass beide Medikamente zugelassen und auf dem Markt sind. Im Fazit wäre es jedoch wichtig gewesen zu schreiben, dass die Studie eben (noch) keinen Beleg dafür geliefert hat, dass die Kombination eine breite Masse von Covid-19-Patienten vor schweren Verläufen schützt. Dass die Kombination der Medikamente also als Therapie gegen Covid-19 nicht einfach so zu bekommen ist, dürfte daher nicht allen Leser*innen klar sein. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Der Text geht lediglich darauf ein, dass Dexamethason in hoher Dosierung zugelassen ist als Behandlung von Covid-Patienten. Es fehlt die Ergänzung, dass dies nur für Patienten gilt, die Sauerstoff benötigen und/oder künstlich beatmet werden. Auf andere Therapiemöglichkeiten wie monoklonale Antikörper oder Remdesivir wird nicht eingegangen, ebenso wenig auf Interleukin-Rezeptorantagonisten oder die medikamentöse Vorbeugung von Blutgerinnseln. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Dexamethason und Spironolacton sind altbewährte und vor allem extrem billige Substanzen. Keinesfalls würde es hier zu Kostensteigerungen kommen, schon gar nicht im Vergleich zu anderen getesteten Therapien wie Immunmodulatoren oder den Impfungen. Dies angesichts der Diskussion um die weltweite Verteilung von Behandlungen zu erwähnen, wäre für die Leser*innen interessant gewesen. Da es sich im Kontext des Artikels um keinen zentralen Aspekt des Themas handelt, werten wir nur knapp „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es wird deutlich, dass die Infektionsraten hierzulande steigen (4. Welle) und dass es wichtig ist, schwerwiegende Verläufe abzumildern, auch, um die Krankenhäuser zu entlasten. Damit stellt sich die Bedrohungslage der Pandemie korrekt und nicht übertrieben dar.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

In dem Beitrag wird nicht deutlich, dass es sich um klinische Phase 1-Studien handelt (Proof-of-Concept-Studie), die nicht zum Ziel haben, die Wirksamkeit von zwei Medikamenten bei schweren Covid-Verläufen zu prüfen. Stattdessen soll in kleinen, kontrollierten Untersuchungen erforscht werden, ob die Medikamentenkombination eine Auswirkung auf die Symptome von Covid-Patienten haben könnte und wie die Sicherheit ausfällt. Zwar wird im journalistischen Beitrag korrekt beschrieben, dass im Fachartikel zwei Studien beschrieben werden: Die erste besteht aus 80 Patienten, 40 von ihnen bekommen hochdosiertes Dexamethason, eine Kontrollgruppe mit weiteren 40 Patienten bekommt niedrigdosiertes Dexamethason in Kombination mit dem Blutdruckmittel und Aldosteronantagonisten Spironolacton. In der zweiten Studie wurden 20 ambulante Patienten mit niedrigdosiertem Dexamethason und Spironolacton behandelt.

Was fehlt ist jedoch der Hinweis, dass diese Studien weder verblindet noch randomisiert waren (es gibt keine Hinweise darauf in der Originalpublikation). Es gab in der zweiten Studie keine Kontrollgruppe und auch in Studie eins wurden lediglich zwei Medikamentenansätze miteinander verglichen. Zudem waren die behandelten Patientengruppen klein, und die statistische Analyse der verglichenen Parameter ließ keinen eindeutigen Benefit der Kombi-Therapie erkennen. Das wird im journalistischen Beitrag nicht ausreichend deutlich.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es fehlen die Statements unabhängiger Wissenschaftler*innen, die die Ergebnisse einordnen könnten.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Der führende Studienautor, Professor Sir Christopher Edwards, ist ein bekannter Endokrinologe in Großbritannien. Er hat Spironolacton bei seiner eigenen Tochter angewendet und ist seither von der Wirkung – offenbar auch emotional – sehr überzeugt. Eine Expertenkommission der RECOVERY Studie (eine weltweite Studie, die potentielle Therapien gegen Covid-19 untersuchte) konnte er nicht überzeugen, Spironolacton zu testen. Daraufhin suchte Edwards in Indien und Russland nach der Möglichkeit, Spironolacton an COVID-Patienten zu testen. Er ist – wie die Publikation nahelegt – nun wohl in der Ukraine fündig geworden. Diese Hintergründe erklären womöglich die auch in der Originalarbeit überaus positive Darstellung von Daten, die einen echten Nutzen nicht belegen. All dies bleibt im journalistischen Artikel jedoch unerwähnt. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

In der Einleitung des Textes wird der Kontext der Covid-19-Pandemie und der politischen Entscheidungen knapp – stark verkürzt und vereinfacht – beschrieben: „Während das politische Ziel lautet, die Fallzahlen durch Beschränkungen herunterzutreiben, hofft die Wissenschaft eher auf wirksame Medikamente im Kampf gegen Covid-19.“ Doch ergreift die Politik eine Vielzahl weiterer Maßnahmen als nur Beschränkungen und Forschende arbeiten auch an Impfstoffen, Diagnosemethoden sowie am Virus selbst, um seine Ausbreitung besser zu verstehen. Diese Einordnung in den allgemeinen Kontext der Pandemie ist also sehr verkürzt. Auch wird konkret zur Kombi-Therapie nicht erwähnt, dass bereits andere Studien zur Wirksamkeit von Spironolacton bei Covid-19 laufen (siehe auch clinicaltrials.gov). Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Ein Teil der Daten wird richtig wiedergegeben, so etwa die Studiengröße und die Medikamentengabe. Allerdings ist die inhaltliche Einordnung nicht richtig und bauscht das Ergebnis zu einem „Durchbruch“ auf, was die Studienautoren selbst nicht tun. Hier werden die Leser*innen also in die Irre geführt. Doch auch manche Details der Studie selbst sind nicht korrekt wiedergegeben. So wird zum Beispiel bei der 2. Studie der Eindruck geweckt, hier seien die Symptome der Patienten untersucht worden. Dabei ging es nur um die Sicherheit. Zumal immer nur der Geschmackssinn erwähnt wird, obwohl es stets um den Geruch und Geschmack geht. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Da wir keine Pressemitteilung dazu finden konnten, gehen wir von einer eigenständigen Rechercheleistung aus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Beitrag ist in einer weitgehend klaren, nachrichtlichen Sprache geschrieben, der Inhalt logisch aufgebaut. Nur an manchen Stellen fallen kleine sprachliche Mängel auf, zum Beispiel die Formulierung, dass eines der Forschungsprojekte nun Ergebnisse veröffentlicht habe. Ein Projekt kann keine Ergebnisse publizieren, nur die Forschenden. Auch finden sich unnötige Wiederholungen, vor allem im letzten Absatz des Textes: „Dabei wurden lediglich“ und „Dabei zeigte sich“, im Folgenden wieder „lediglich“. Insgesamt werten wir daher knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Der Beitrag ist verständlich geschrieben, man kann den Ausführungen leicht folgen. Was jedoch im journalistischen Beitrag komplett fehlt, ist eine Beschreibung des möglichen Zusammenspiels der beiden Medikamente im Körper der Patienten. Grundidee der Kombi-Therapie ist nämlich, dass Dexamethason mit der Aktivierung einer bestimmten Andockstelle auf den Zellen vor allem der Niere und des Darms (des Mineralokortikoidrezeptors) den Verlauf einer Covid-Erkrankung noch verschlimmern kann. Dem soll das Spironolacton als Gegenspieler entgegenwirken. Dieser Zusammenhang ist wesentlich, um die Sinnhaftigkeit dieser Behandlung zu verstehen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Die medikamentöse Behandlung von Covid-19 ist ein wichtiges und aktuelles Thema in der Pandemie. Die Studien verdienen daher Aufmerksamkeit, weil die Studienautoren einen interessanten Ansatz und Wirkmechanismus vorschlagen. Allerdings sind die Studien bereits Mitte November veröffentlicht worden, und damit ist der Bericht nicht ganz so aktuell, wie man es von einem Online-Nachrichtenportal (wenn auch regional) erwarten würde.

Medizinjournalistische Kriterien: 4 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar