Bewertet am 17. November 2021
Veröffentlicht von: FAZ.net

Wie lange die Schutzwirkung der mRNA-Impfstoffe anhält, ist derzeit eine hoch relevante Frage. Daher ist es lobenswert, dass sich ein Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (online) dieser Thematik widmet. Allerdings bleibt unklar, warum für die Berichterstattung eine Studie ausgewählt wurde, die kaum etwas über die Dauer des Impfschutzes aussagt. Dies dürfte viele Leser*innen verwirren und ihnen nicht wirklich weiterhelfen, ihren aktuellen Immunschutz vor einer Covid-19-Erkrankung einzuschätzen.

Zusammenfassung

Derzeit wird viel darüber diskutiert, ob und wann eine Booster-Impfung gegen Sars-CoV zu empfehlen wäre. Da erscheint es auf den ersten Blick interessant und hilfreich, über eine Studie zu berichten, die den langfristigen Effekt von der mRNA-Impfstoffen verglichen hat. So berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (online) über einen Fachartikel im New England Journal of Medicine, der allerdings schon drei Wochen zuvor publiziert worden ist. Was die Impfungen über einen Zeitraum von acht Monaten im Immunsystem der Geimpften bewirkten, wird gut erklärt. Auch wird darauf eingegangen, dass noch gar nicht klar ist, was die in der Studie gemessenen Werte überhaupt über den Schutz vor einer Infektion aussagen. Damit bleiben die Leser*innen des journalistischen Beitrags allerdings am Ende des Textes womöglich etwas ratlos zurück, was für eine Zusatzinformation der Artikel überhaupt liefert. Wobei auch keine Einordnung in den Gesamtkontext anderer Studien stattfindet (wie etwa hier). Die Frage zur Wirksamkeit der RNA-Impfstoff, die im Titel des Beitrags aufgeworfen wird, bleibt letztendlich unbeantwortet.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Im journalistischen Beitrag wird der in der wissenschaftlichen Studie beschriebene Nutzen folgendermaßen thematisiert: „Alle drei Impfstoffe schützen auch nach Monaten noch vor einem schweren Krankheitsverlauf bei Covid-19, allerdings unterscheiden sie sich in der Menge der anfangs gebildeten Antikörper und darin, wie schnell diese wieder aus dem Blut verschwinden. Unterschiede gibt es auch bei der T-Zell-Antwort gegen das Coronavirus.“ Etwas später werden die Studienergebnisse erläutert: „Der Vergleich der drei Vakzine zeigt, dass die beiden mRNA-Impfstoffe zwei bis vier Wochen nach der zweiten Injektion – also zum Höhepunkt der Immunwirkung – große Mengen an neutralisierenden Antikörpern auf den Plan gerufen hatten. Allerdings verschwanden die Antikörper auch schnell wieder. Sechs Monate später waren die Werte schon deutlich niedriger, acht Monate später lagen sie zum Teil um das 34- oder 44-Fache unter den Höchstwerten des Anfangs.“ Was eine große Menge an Antikörpern darstellt und was diese Abnahme bedeutet, wird jedoch nicht hinreichend erklärt. Im Gegenteil wird im Anschluss sogar erläutert, dass die in der Studie gemessenen Werte wenig aussagekräftig sind: „Bis heute ist unklar, wie hoch ein Antikörpertiter und wie gut eine T-Zell-Antwort sein müssen, um einen guten Immunschutz zu vermitteln. Es gibt bisher kein Immunkorrelat, das als Indikator herhalten könnte. Deshalb lässt sich derzeit aus der Bestimmung des Antikörpertiters oder der T-Zell- Antwort auch nicht der individuelle Immunschutz oder die Notwendigkeit einer Auffrischungsimpfung ableiten.“ Damit wird also der Nutzen der Studienergebnisse in Frage gestellt – und damit die Frage aufgeworfen, warum sie überhaupt in einem journalistischen Beitrag thematisiert werden.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Nur das Risiko von Impfdurchbrüchen wird kurz angesprochen: „So wird der Moderna-Impfstoff auch mit weniger Impfdurchbrüchen in Zusammenhang gebracht.“ Da im Text zudem erwähnt wird, dass die Impfstoffe Moderna und Biontech unterschiedliche Mengen Impfstoff enthalten („Ein wichtiger Unterschied besteht zum Beispiel in der Dosierung. Der Impfstoff von Pfizer/BioNTech enthält 30 Mikrogramm mRNA, der Impfstoff von Moderna 100 Mikrogramm, also mehr als dreimal so viel.“), wäre es noch interessant gewesen zu wissen, inwiefern sich diese voneinander und auch vom Johnson & Johnson-Impfstoff unterscheiden. Tatsächliche Risiken oder Nebenwirkungen der Impfstoffe dagegen werden im journalistischen Beitrag nicht thematisiert. Auch wenn dieser Aspekt im Zusammenhang der Booster-Impfung keine wesentliche Rolle spielt und die wichtigsten Nebenwirkungen inzwischen allgemein bekannt sein dürften, wäre es gut gewesen, sie zumindest kurz anzusprechen. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Dass die drei Impfstoffe verfügbar sind, dürfte Leserinnen und Lesern klar sein und muss daher nicht besonders erläutert werden. Allerdings wäre es aktuell für die Leser*innen wichtig und interessant gewesen, etwas über die Verfügbarkeit von Auffrischimpfungen zu erfahren. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es handelt sich um einen Vergleich der Immunantworten auf drei Impfstoffe – zwei mRNA-Impfstoffen und einem Vektorimpfstoff. Damit sind bereits drei mögliche Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 genannt. Es wäre allerdings auch ein Hinweis auf den Impfstoff AstraZeneca und andere hilfreich gewesen, zumal AstraZeneca zum Beispiel in den USA nicht zugelassen ist. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Auf Kosten geht der Artikel zwar nicht ein, dies erscheint im Rahmen dieses Beitrags indes auch nicht nötig.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Covid-19 wird nicht übertrieben dargestellt, die Erkrankung wird im Text gar nicht beschrieben.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Im journalistischen Beitrag wird kurz erläutert, was die Wissenschaftler gemacht haben – und gleichzeitig auch die Schwächen der Studie: „Zur Schwäche des Vergleichs zählt auch, dass nur 61 Personen an der Untersuchung teilgenommen hatten. 31 Teilnehmer hatten den mRNA-Impfstoff von Pfizer/BioNTech erhalten, 22 den von Moderna, und nur acht Personen waren mit dem Vektorimpfstoff von Johnson & Johnson geimpft worden“ Wichtig ist aber vor allem dieser Hinweis: „Die erhobenen Zahlen sagen zwar etwas über die Dynamik der induzierten Immunantwort aus, geben aber keine Auskunft über den individuellen Immunschutz einer Person. Bis heute ist unklar, wie hoch ein Antikörpertiter und wie gut eine T-Zell-Antwort sein müssen, um einen guten Immunschutz zu vermitteln.“ Da jedoch keine weitere Einordnung erfolgt, werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Die Studienergebnisse werden im journalistischen Beitrag nicht mit Hilfe unbeteiligter Expert*innen eingeordnet.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Im Text wird kurz angemerkt, dass des Seniorautor der Studie an der Entwicklung des Impfstoffs von Johnson & Johnson beteiligt war: „Geleitet wurde die Studie von Dan Barouch vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, der an der Entwicklung des Johnson-&-Johnson-Impfstoffs beteiligt war.“ Unerwähnt bleibt allerdings, dass die vorliegende Studie selbst von Johnson & Johnson finanziert wurde. Das wäre insofern zu erwähnen gewesen, da der Johnson& Johnson-Impfstoff in der Studie positiv bewertet wurde: “The Ad26.COV2.S vaccine induced lower initial antibody responses, but these responses were relatively stable over the 8-month follow-up period, with minimal-to-no evidence of decline.” Dass die im New England Journal of Medicine publizierte Studie auch von Johnson & Johnson finanziert wurde, bleibt allerdings unerwähnt. Da dies eine wesentliche Information für die Leser*innen darstellt, werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird nicht so recht deutlich, was genau die Neuheit dieser Untersuchung ist. Nur gegen Ende heißt es kurz: „Dass bei einem Vergleich der beiden mRNA-Impfstoffe die Vakzine von Moderna leicht vorne liegt, haben auch schon andere Untersuchungen gezeigt.“ Hier hätte man sich genauere Informationen gewünscht.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Faktenfehler sind uns keine aufgefallen. Allerdings wird der Eindruck erweckt, dass Antikörperkonzentrationen keinerlei Information über den Schutz der Probanden gegen Covid-19 brächten. Andere Studien zeigen da durchaus eine gewisse, eingeschränkte Aussagekraft.  Zudem ist die Überschrift des journalistischen Beitrags irreführend („Wie wirksam sind RNA-Impfstoffe?“), da diese Frage im Text gar nicht beantwortet wird. Dennoch werten wir insgesamt „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Der Artikel geht über die Pressemitteilung des Fachmagazins hinaus.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Der Artikel ist nachrichtlich und nüchtern gehalten.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Wichtige Fachbegriffe werden erklärt: „Eine gute Immunantwort braucht beides, Antikörper und T-Zellen. Neutralisierende Antikörper verhindern, dass die Zellen infiziert werden und ersticken eine Virusinfektion im Keim. Sie sind jedoch machtlos, wenn ihnen dieser Coup nicht gelingt. Dann müssen die infizierten Zellen von den T-Zellen abgeräumt werden. Eine starke T-Zell-Antwort beendet also eine Virusinfektion, die nicht im Keim erstickt werden konnte.“

Manche Formulierungen dürften allerdings schwer verständlich sein: „Gegenüber den Coronavirus- Varianten war das Muster ähnlich: Ein schneller Abfall der neutralisierenden Antikörper bei den mRNA-Impfstoffen, ein von Anfang an niedrigeres, aber gleichbleibendes Niveau bei dem Impfstoff von Johnson & Johnson.“ Oder auch hier: „Bis heute ist unklar, wie hoch ein Antikörpertiter und wie gut eine T-Zell-Antwort sein müssen, um einen guten Immunschutz zu vermitteln.“

Unverständlich erscheint auch folgende Textpassage: „Neutralisierende Antikörper verhindern, dass die Zellen infiziert werden und ersticken eine Virusinfektion im Keim. Sie sind jedoch machtlos, wenn ihnen dieser Coup nicht gelingt.“ Gemeint ist wohl, dass die neutralisierenden Antikörper nur zu Beginn der Infektion etwas ausrichten können – die Begriffe „machtlos“ und „Coup“ verwirren in diesem Zusammenhang jedoch und passen nicht wirklich in den Kontext. Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Die wissenschaftliche Studie zum Thema ist bereits Mitte Oktober erschienen, die Studienergebnisse bieten keine Aussage, die berichtenswert ist, weil sie die Leser*innen eher verwirrt zurücklassen dürfte. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar