Bewertet am 26. Oktober 2021
Veröffentlicht von: Hamburger Abendblatt (online)

Noch immer suchen Wissenschaftler nach neuen Wegen, die aktuelle Corona-Pandemie einzudämmen. So berichtet das Hamburger Abendblatt (online) über den Impfstoffkandidaten der französisch-österreichischen Pharmafirma Valneva. Allerdings werden die in der Pressemitteilung des Unternehmens vorgelegten Studienergebnisse zu wenig eingeordnet und keine unabhängigen Expert*innen dazu befragt.

Zusammenfassung

Jede Möglichkeit, einer Covid-19-Erkrankung vorzubeugen, ist in der aktuellen Pandemie von großem Interesse. Daher geht ein journalistischer Beitrag im Hamburger Abendblatt (online) auf die Ergebnisse einer klinischen Phase-3-Studie eines neuen Impfstoffs ein, über die das Unternehmen Valneva in einer Pressemitteilung berichtet hat. Im Artikel wird erläutert, dass es sich dabei um einen Totimpfstoff handelt, im Gegensatz zu den bisher verfügbaren Covid-19-Impfstoffen. Insgesamt bleibt der Beitrag jedoch zu sehr an der Oberfläche, es fehlen unabhängige Expert*innen-Stimmen oder Quellen. Es fehlen auch konkrete Informationen zu Risiken und Nebenwirkungen, die in der Pressemitteilung zu finden waren. Zudem ist die Beschreibung der Unterschiede zwischen den verschiedenen Impfstoff-Klassen für Nicht-Fachleute vermutlich verwirrend, auch manche Fachbegriffe werden nicht ausreichend erklärt. Aus welchen Gründen der neue Totimpfstoff eine „große Hoffnung“ darstellen soll, bleibt auch nach Lektüre des Textes schwer nachvollziehbar.

Title

Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Die positiven Effekte werden zunächst so beschrieben: „Corona-Impfung ist große Hoffnung“ heißt es im Titel (Anm.: Der Titel wurde geändert und lautet nun: „Neuer Corona-Impfstoff Valneva – Hoffnung für Skeptiker?“), später dann, dass das Corona-Vakzin von Valneva „ein vielversprechender Impfstoffkandidat“ sei. Es sei ein „höherer mittlerer Wert an neutralisierenden Antikörpern als beim Impfstoff von AstraZeneca festgestellt worden“. Quantitative Angaben zur Wirkung des neuen Impfstoffs werden allerdings nicht gemacht. Auch wird nicht erklärt, wie aussagekräftig die gemessenen Antikörper bei den Probanden sind, also mit Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung korrelieren (siehe auch eine Studie dazu im Fachjournal Nature Medicine im Mai 2021: nature.com/articles). Unerwähnt bleibt auch, dass in keiner der beiden Impfstoffgruppen die Probanden an Covid-19 erkrankten.

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Im Beitrag wird nur pauschal angemerkt, dass Totimpfstoffe in der Regel geringere Nebenwirkungen als etwa Lebendimpfstoffe hätten, obwohl in der Pressemitteilung von Valneva durchaus genauer darauf eingegangen wird. Gerade in der Diskussion um Corona-Impfungen spielen mögliche Nebenwirkungen jedoch eine große Rolle – und wäre für die Leser*innen interessant gewesen. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Aus dem Beitrag wird deutlich, dass Valneva in der EU noch nicht zugelassen ist. Dazu heißt es: „Unter den Corona-Impfstoffen ist Valneva der erste Totimpfstoff, der möglicherweise auch in der EU eine Zulassung bekommen könnte. Valneva-Geschäftsführer Thomas Lingelbach teilte mit, dass das Unternehmen seinen Impfstoffkandidaten „so schnell wie möglich“ zur Zulassung bringen wolle, um „den Menschen, die noch nicht geimpft sind, eine alternative Impfstofflösung anzubieten“. Erste Schritte zu einem Antrag zur Zulassung bei der britischen Gesundheitsbehörde MHRA seien bereits erfolgt. Dass dies auch zeitnah bei der europäischen Zulassungsbehörde erfolgen soll, wird in der Pressemitteilung erwähnt, im journalistischen Beitrag jedoch nur durch besagtes Zitat von Thomas Lingelbach angedeutet. Unklar bleibt, wann ungefähr es zur Markteinführung in Deutschland kommen könnte. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Es wird im Beitrag deutlich, dass bereits andere Impfstoffe gegen Covid-19 verfügbar sind. Explizit genannt wird der Impfstoff von Biontech und auch jener von AstraZeneca, mit dem der neue Impfstoff in der Studie im Vergleich getestet wurde. Unerwähnt bleibt allerdings der Impfstoffkandidat der Firma Novavax, der ebenfalls einen Totimpfstoff darstellt und ebenfalls in klinischen Studien sehr gute Wirksamkeit gezeigt hat. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Gerade in Hinblick auf die globale Versorgung mit Impfstoffen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie spielen die Preise der Impfstoffe eine große Rolle. Die Kosten von Valneva werden im Text jedoch leider nicht thematisiert. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Es finden sich keine Anzeichen für Krankheitsübertreibungen.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Der Beitrag nennt nur das Stichwort Phase-3-Studie, ohne das näher zu erläutern. Es wird auch nicht erklärt, dass die Studie bislang weder von unabhängigen Experten begutachtet noch in einem Fachjournal veröffentlicht wurde. Genannt wird nur ein Endpunkt (neutralisierende Antikörper) sowie die Art und Anzahl der Teilnehmenden (rund 4.000 Erwachsene in Großbritannien) in der Studie. Es wird jedoch nicht erwähnt, inwiefern der Endpunkt „Menge der neutralisierenden Antikörper“ ein geeignetes Maß für die klinische Wirksamkeit der Impfung darstellt (siehe Studie im Fachblatt Nature Medicine: nature.com/articles).

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Die Ergebnisse werden nicht durch unabhängige Expert*innen oder Quellen eingeordnet. Die beiden einzigen zitierten Experten sind der Studienleiter und ein Vertreter des Herstellers.

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Zitiert werden der Studienleiter und der Geschäftsführer von Valneva. Aus den Bezeichnungen wird klar, in welchem Verhältnis die beiden Personen zum Hersteller des Impfstoffs stehen und welche Interessenkonflikte sie haben.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird richtig beschrieben, dass die Technologie von Totimpfstoffen bereits verwendet wird, z.B. in Tetanus-Impfstoffen. Richtig ist, dass Valneva in der EU der erste zugelassene Totimpfstoff gegen Covid-19 wäre. Nicht erwähnt wird jedoch der Impfstoff der Firma Novavax, der ebenfalls sehr gute Studienergebnisse gebracht hat (ir.novavax.com). Auch wird nicht erklärt, dass es zum Beispiel in China schon andere Totimpfstoffe gegen Covid-19 gibt. So hat die Weltgesundheitsorganisation etwa dem Totimpfstoff Sinovac-CoronaVac schon eine Notfallgenehmigung erteilt (who.int/news).

Wenig Orientierung bietet der Beitrag auch zu den verschiedenen Impfstoff-Klassen, die im Text genannt werden: Die Zwischenüberschrift spricht von „anders als Biontech“ und mRNA-Impfstoffen. Diese Zuordnung ist korrekt. Im Absatz vorher wird jedoch auch der Impfstoff von AstraZeneca genannt (dem Vergleichs-Impfstoff in der Studie), bei dem es sich um einen Vektor-Impfstoff handelt.

Schließlich wird die Technologie nur sehr allgemein eingeordnet: „Das Besondere an dem Impfstoff von Valneva ist, dass es sich um einen Totimpfstoff handelt – eine klassische und etablierte Technologie, die bei den meisten bekannten Vakzinen verwendet wird, etwa beim Tetanus- oder Grippe-Impfstoff.“ Was das genau bedeutet, wird nicht genau klar (siehe Kriterium 14). Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Fehler haben wir keine gefunden, doch hätten manche Sachverhalte etwas genauer erläutert werden können. Bei der Erläuterung der Studienergebnisse zum Beispiel war die Darstellung unvollständig: Laut Pressemitteilung nahmen an der Studie 4.012 Erwachsene und 660 Jugendliche teil. Im journalistischen Beitrag ist nur von 4.012 Erwachsenen die Rede. Der Beitrag erwähnt auch nicht, dass sich zwei primäre Endpunkte der Studie nur auf Erwachsene ab 30 Jahren beziehen. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Im Vergleich zur Pressemitteilung enthält der journalistische Beitrag noch einen erklärenden Abschnitt zu Totimpfstoffen. Auch die wirtschaftlichen Hintergründe zum Börsenkurs der Valneva-Aktie finden sich nicht in der PM (das hat aber nichts mit Gesundheit zu tun). Der Mehrwert dieser Informationen ist allerdings sehr gering, daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

13. Ein Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Anfang und Ende des Beitrags widmen sich dem Börsengeschehen, was mit der Unterzeile „Das müssen Sie jetzt wissen“ in gesundheitlicher Hinsicht nichts zu tun hat. Kleinere Tippfehler (einmal Velneva statt Valneva, ein fehlendes „als“ im 3. Aufzählungspunkt) lassen die Leser*innen stolpern. Die gewählten Zitate der Experten sind hauptsächlich Marketing-Sprech und keine soliden oder gar erhellenden Erläuterungen zu den Studienergebnissen. Stichworte wie „große Hoffnung“ und „vielversprechende Studienergebnisse“ sowie der mehrfache Verweis, dass sich dadurch doch jetzt Impfskeptiker überzeugen lassen müssten, schrecken bei der Lektüre eher ab. Deshalb werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Alles in allem ist der Beitrag gut verständlich. Nur an mancher Stelle wären ein paar Erläuterungen hilfreich gewesen, wenn es zum Beispiel um die Phase-3-Studie oder „neutralisierende Antikörper“ geht. Die Technologie wird folgendermaßen eingeordnet: „Das Besondere an dem Impfstoff von Valneva ist, dass es sich um einen Totimpfstoff handelt – eine klassische und etablierte Technologie, die bei den meisten bekannten Vakzinen verwendet wird, etwa beim Tetanus- oder Grippe-Impfstoff.“ Was das genau bedeutet, dürfte den meisten Leser*innen aber unklar sein. Daher werten wir insgesamt nur knapp „ERFÜLLT“.

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Der Beitrag bezieht sich auf eine aktuelle Pressemitteilung des Herstellers. Neue Entwicklungen bei Covid-19-Impfstoffen sind relevante Informationen für die Allgemeinbevölkerung. Üblicherweise raten wir allerdings davon ab, über Studienergebnisse zu berichten, wenn es dazu noch keine Fachpublikation gibt. In der aktuellen Pandemie ist dies jedoch nachvollziehbar.

Medizinjournalistische Kriterien: 8 von 15 erfüllt

Abwertung um einen Stern, da fünf Mal nur knapp „ERFÜLLT“, während es nur zwei knapp „NICHT ERFÜLLT“ gibt.

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar