Bewertet am 13. Oktober 2021
Veröffentlicht von: Berliner Zeitung (online)

Noch immer suchen Forschende nach möglichen Therapien gegen eine aktuelle Covid-19-Erkrankung. Da verwundert es nicht, dass die Pressemitteilung eines Pharmaunternehmens zu einer Studie mit einem möglichen neuen Wirkstoff von vielen Medien aufgegriffen wurde, auch von der Berliner Zeitung (online). Im journalistischen Beitrag werden die noch nicht veröffentlichen Studienergebnisse gut eingeordnet, die Zusammenhänge verständlich dargelegt – und auch unabhängige Experten zitiert.

Zusammenfassung

Bisher lässt sich eine akute Covid-19-Erkrankung nicht effektiv behandeln. Daher haben viele Medien eine Pressemitteilung der Firma Merck aufgegriffen, in der das Unternehmen über vielversprechende Studienergebnisse mit dem Wirkstoff Molnupiravir berichtet. Der mögliche Nutzen der Substanz wird im Artikel ohne Übertreibung dargestellt, die Informationen zu Risiken und Nebenwirkungen fallen aufgrund der spärlichen Informationen der Firma sehr kurz aus. Der Artikel geht dennoch auf Aspekte wie Verfügbarkeit, Neuheit und Alternativen ein. Kosten werden dagegen nicht thematisiert.  Zwei unabhängige Experten werden im Text zitiert. Sie mahnen, dass die Ergebnisse noch mit Vorsicht zu betrachten sind. Damit geht der journalistische Beitrag über die Informationen der Pressemitteilung hinaus. Insgesamt ist der Artikel weitgehend verständlich geschrieben, in einem erfreulich unaufgeregten Ton. Wie bei den meisten Nachrichten zu Covid-19, muss hier über eine Studie berichtet werden, die noch nicht veröffentlicht wurde und deren Qualität damit noch nicht überprüfbar ist. Dies ist aber nicht dem Beitrag anzulasten, sondern eine häufig vorkommende Problematik in der aktuellen Pandemie. Schade ist allerdings, dass die Interessenkonflikte nicht thematisiert wurden.

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Die Kriterien

1. Die POSITIVEN EFFEKTE sind ausreichend und verständlich dargestellt (NUTZEN).

Der Artikel macht mehrfach deutlich, welchen Nutzen das Medikament haben soll. Schon im Titel heißt es etwa: „Das neue Medikament Molnupiravir soll vor schweren Covid-19-Verläufen schützen“. Gleich im ersten Satz geht der Beitrag noch genauer darauf ein: „Ein neues Corona-Medikament weckt Hoffnung: Das Arzneimittel Molnupiravir soll das Risiko, im Krankenhaus behandelt zu werden oder an einer Coronavirus-Infektion zu sterben, erheblich reduzieren.“ Hervorzuheben ist, dass der Artikel nicht der Versuchung erliegt, allein die relative Risikoreduktion herauszustellen, nämlich, dass nur halb so viele Probanden der Medikamentengruppe im Krankenhaus behandelt werden mussten. Stattdessen werden die konkreten Zahlen genannt: „Nur sieben Prozent der Medikamenten-Gruppe mussten nach 30 Tagen im Krankenhaus behandelt werden. In der Placebo-Gruppe waren es mit 14,1 Prozent doppelt so viele. Außerdem starben acht Menschen in der Placebo-Gruppe, dagegen kein einziger in der Molnupiravir-Gruppe.“ Die Prozentangaben hätte man noch durch die konkrete Anzahl der Probanden ergänzen können – eine Information, die in der Pressemitteilung zu finden ist. Positiv ist aber, dass mehrfach auf die Unsicherheit in den Daten hingewiesen wird: „Er betont aber, dass man in der Wissenschaft den Tag nicht vor dem Abend loben und die Bilanz der Gesamtstudie abwarten solle.“ Oder aber auch hier: „Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, ist der Meinung, dass man die endgültigen Ergebnisse abwarten müsse. Wenn sich bestätigt, dass 50 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen und Todesfälle bei Corona-Patienten durch diese Therapie erfolgen, dann wäre das ein sehr gutes, vielversprechendes Ergebnis´“. Ebenso wird im journalistischen Beitrag deutlich, wer von dem Mittel wann profitieren könnte: „Die Therapie kommt laut Kluge für Patienten mit Risikofaktoren im ambulanten Bereich in der Frühphase der Erkrankung infrage.“

2. Die RISIKEN & NEBENWIRKUNGEN werden angemessen berücksichtigt.

Zum Thema Risiken und Nebenwirkungen findet sich im journalistischen Beitrag nur einen Satz: „Zu Nebenwirkungen der Behandlung macht MSD bislang keine Angaben.“ Möglicherweise hätte hier ein unabhängiger Experte weiterhelfen können, welche Art von Risiken und Nebenwirkungen bei dieser Art von Wirkstoffen zu erwarten wären. Hinweise hätte man immerhin in früheren Studienergebnissen finden können (nur als Preprint verfügbar): medrxiv.org Daher werten wir insgesamt knapp „NICHT ERFÜLLT“.

3. Es wird klar, ob eine Therapie/ein Produkt/ein Test VERFÜGBAR ist.

Dazu heißt es: „MSD will nun eine Notfallzulassung für Molnupiravir beantragen.“ Es wird also klar, dass das Medikament noch nicht verfügbar ist. Es bleibt allerdings unerwähnt, dass es bei den Plänen um eine Zulassung in den USA geht. In der EU gibt es statt der Notfallzulassung der FDA eine „bedingte Marktzulassung“, die sich von der Notfallzulassung der USA unterscheidet und insgesamt strengere Anforderungen hat. Es wird im journalistischen Beitrag leider nicht klar, wann das Medikament in der EU bzw. in Deutschland verfügbar sein könnte. Daher werten wir nur knapp „ERFÜLLT“.

4. Es werden ALTERNATIVE Behandlungsarten/Produkte/Tests vorgestellt.

Alternativen werden relativ umfassend thematisiert. Einerseits heißt es, „der Wirkstoff werde auch die Impfungen nicht überflüssig machen“. Zudem heißt es zu den Wirkstoffen Remdesivir und Dexamethason: „Wenn Molnupiravir tatsächlich die Zulassung durch die Behörden erhalten sollte, wäre es erst das zweite gezielt antivirale Medikament, das zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden kann. Das bereits zugelassene Medikament Remdesivir, das intravenös verabreicht wird, hatte zuletzt in Studien enttäuscht und kaum Wirkung gezeigt. Ein weiteres Corona-Medikament, das bereits auf dem Markt ist, ist das Kortison-Präparat Dexamethason, das das überschießende Immunsystem unterdrücken und damit auch Entzündungen im Körper bekämpfen soll. Das Kortikosteroid ist zwar vielversprechender als Remdesivir, wird allerdings erst im späteren Krankheitsverlauf verabreicht und hat keine spezifische antivirale Wirkung.“

5. Die KOSTEN werden im journalistischen Beitrag in angemessener Weise berücksichtigt.

Die Kosten für das Medikament werden leider nicht thematisiert, obwohl es dazu offenbar schon eine Diskussion gibt: statnews.com/pharmalot Selbst in der Pressemitteilung von Merck über die Studie findet sich ein Link zu Informationen über die Kosten. Darin wird beschrieben, dass bereits eine Vereinbarung mit der US-Regierung getroffen wurde, für 1,7 Millionen Behandlungen 1,2 Millarden US-Dollar zu erhalten: merck.com/news. Daher werten wir „NICHT ERFÜLLT“.

6. Es sind keine Anzeichen von Krankheitserfindungen/-übertreibungen zu finden (DISEASE MONGERING).

Covid-19 wird nicht übertrieben dargestellt.

7. Der journalistische Beitrag ordnet die QUALITÄT der Belege/der Evidenz ein.

Die Belege werden ausführlich eingeordnet. Es heißt: „Zwischenergebnisse aus einer klinischen Phase-3-Studie gezeigt, meldet der US-Pharmakonzern Merck Sharp und Dohme – kurz: MSD.“ Dann: „Die Daten sind noch keiner unabhängigen Untersuchung unterzogen worden.“ Hier hätte noch klarer gemacht werden können, dass es sich nur um eine Pressemeldung handelt, also nicht Mal um eine Pre-Print-Veröffentlichung. Auch der Versuchsaufbau wird erklärt: „775 Erwachsene mit leichtem bis mittelschwerem Krankheitsverlauf fünf Tage nach Auftreten von Covid-19-Symptomen das Medikament oder nur ein Placebo erhalten. Alle Probanden hatten laut MSD aufgrund von Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herzleiden oder aufgrund eines hohen Alters ein besonders großes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Die Probanden nahmen zweimal täglich vier Kapseln für jeweils fünf Tage ein.“ Für die Leser*innen wäre es indes noch hilfreich gewesen zu erfahren, dass es sich um ein sehr aussagekräftiges Studiendesign handelt.

8. Es werden UNABHÄNGIGE EXPERTEN oder QUELLEN genannt.

Es werden unabhängige Experten zitiert, die sich gegenüber dem Science Media Center geäußert haben: „Die positiven Studien-Ergebnisse von Molnupiravir seien daher vielversprechend, betonen verschiedene Wissenschaftler, die mit dem Science-Media-Center (SMC) gesprochen haben.“ Dann kommt eine weitere Einschätzung eines anderen Experten: „,Dies ist nach vielen Frustrationen, die in der Testung von anderen Medikamenten (…) zu beobachten waren, ein wahrer Lichtblick´, meint etwa Clemens Wendtner, Immunologe und Chefarzt der München Klinik Schwabing. Er betont aber, dass man in der Wissenschaft den Tag nicht vor dem Abend loben und die Bilanz der Gesamtstudie abwarten solle. Auch Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, ist der Meinung, dass man die endgültigen Ergebnisse abwarten müsse. ,Wenn sich bestätigt, dass 50 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen und Todesfälle bei Corona-Patienten durch diese Therapie erfolgen, dann wäre das ein sehr gutes, vielversprechendes Ergebnis´, urteilt der Mediziner.“

9. Es werden, falls vorhanden, INTERESSENKONFLIKTE im Beitrag thematisiert.

Dass es sich um eine Studie des Herstellers handelt, wird klar. Allerdings hat Clemens Wendtner gegenüber dem Science Media Center eine Verbindung zum Unternehmen Gilead angegeben, dem Hersteller des Konkurrenzpräparats Remdesivir, ebenso wie zu den Herstellern von Covid-Impfstoffen AstraZeneca, BioNTech und Janssen. Das hätte im journalistischen Beitrag erwähnt werden müssen. Daher werten wir knapp „NICHT ERFÜLLT“.

10. Der Beitrag liefert Informationen zur EINORDNUNG der Thematik in einen Kontext (Neuheit, Ethik).

Es wird deutlich, dass es erst das zweite antivirale Medikament gegen Covid-19 wäre, wenn es sich denn bewähren sollte: „Wenn Molnupiravir tatsächlich die Zulassung durch die Behörden erhalten sollte, wäre es erst das zweite gezielt antivirale Medikament, das zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden kann.“ Auch wird deutlich, dass eigentlich gegen ein anderes Virus eingesetzt werden sollte: „Ursprünglich wurde Molnupiravir als Grippe-Medikament entwickelt.“

11. Der Beitrag gibt die wesentlichen Daten und Fakten korrekt wieder (FAKTENTREUE).

Wir haben keine Fehler gefunden.

12. Der Beitrag geht über eine Pressemitteilung/das Pressematerial hinaus (JOURNALISTISCHE EIGENLEISTUNG).

Durch die Expertenstatements geht der Artikel über die Informationen in der Pressemitteilung hinaus.

13. Der Beitrag vermittelt ein Thema interessant und attraktiv (ATTRAKTIVITÄT DER DARSTELLUNG).

Ein solider, nüchterner Nachrichtenbeitrag, der gut zu lesen ist. Hervorzuheben ist, dass der Artikel die vielversprechenden Ergebnisse ohne Effekthascherei darlegt. Manchmal wäre eine etwas abwechslungsreichere Wortwahl allerdings schön gewesen: Im Text findet sich gleich vier Mal das Wort „vielversprechend“.

14. Der Beitrag ist für ein Laienpublikum verständlich (VERSTÄNDLICHKEIT).

Insgesamt ist der Beitrag für Laien gut verständlich. Nur bei der Beschreibung der Studie wären mehr Erklärungen hilfreich gewesen. So wissen nicht alle Leser*innen, was eine klinische Studie ist, ebenso wenig dürfte allen der Begriff „Placebo“ bekannt sein.  Auch der an sich wichtige Satz: „Die Daten sind noch keiner unabhängigen Untersuchung unterzogen worden.“ wird sich nicht jedem erschließen. An einer Textstelle hätte zudem noch deutlicher werden können, dass es sich um das Erbgut des Virus (und nicht des Menschen) handelt: „Es blockiert die Vermehrung des Virus in der Körperzelle, indem es als falscher Baustein in das Erbgut eingebaut wird und dort Mutationen verursacht.“

15. Das THEMA ist aktuell, relevant oder ungewöhnlich. (THEMENAUSWAHL).

Wir raten in der Regel davon ab, allein aufgrund von Pressematerial eines Herstellers über neue Medikamente zu berichten, wenn es keinen Zugang zu den Daten der Studie im Fachartikel gibt, die eine Überprüfung ermöglichen. Doch inmitten der aktuellen Pandemie sind auch frühe Studienergebnisse von hoher Relevanz. Immerhin wird im journalistischen Beitrag mehrfach angemahnt, dass die finalen Ergebnisse der Studie noch abzuwarten seien. Daher werten wir insgesamt knapp „ERFÜLLT“.

Medizinjournalistische Kriterien: 12 von 15 erfüllt

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Kriterium erfüllt

Kriterium nicht erfüllt

Kriterium nicht anwendbar